Alexander Lahne, Leiter des Sachgebietes »Recht im SGB II«, Landratsamt München
Unser Experte beschreibt seine persönliche Einschätzung des Themas.
Dies ist der zweite Teil des Beitrags »Eine Auseinandersetzung mit den neuen Regelungen zu Leistungsminderungen durch die Jobcenter bei beharrlicher Arbeitsverweigerung«. Im ersten Teil beschreibt der Autor kurz die entsprechende entsprechende Regelung in Oberösterreich und untersucht die »Voraussetzung der vorangegangenen Leistungsverweigerung« als ersten Prüfungspunkt. Den ersten Teil finden Sie hier.
2.) Die Zählwirkung
Nach § 31a Abs. 7 Satz 1 SGB II muss das »Bürgergeld« aufgrund eines oben beschriebenen Sachverhaltes »innerhalb des letzten Jahres gemindert« gewesen sein. Dies weicht ab von der Zählwirkung des § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II, die festlegt, wann eine wiederholte Pflichtverletzung im diesbezüglichen Rechtssinne und damit der Eintritt in die nächsthöhere Minderungsstufe vorliegt: Hier ist dem klaren Gesetzeswortlaut nach »der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums« maßgeblich, der weniger als ein Jahr zurückliegen muss.
Für die Zählwirkung der verschärften Leistungsminderung wegen Totalverweigerung ist es jedoch ausreichend, wenn das Bürgergeld auch nur einen Tag im letzten Jahr gemindert war oder anders ausgedrückt: Es genügt, wenn wenigstens der letzte Tag der vorangegangenen Minderung innerhalb des letzten Jahres vor der Totalverweigerung liegt (vgl. hierzu die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 31, 31a, 31b SGB II, Stand: 28.03.2024, Rz. 31.46b).
3.) Das Ende der Minderung bei Wegfall der angebotenen Arbeitsstelle
Der größte Schwachpunkt dieses Komplexes ist wohl die Regelung des § 31b Abs. 3 Satz 1 SGB II, die vorgibt, dass die Minderung vor dem Ablauf von 2 Monaten aufzuheben ist, wenn die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme nicht mehr besteht.
Der gewollte Präventivcharakter (vgl. BT-DS 20/9999, S. 21) der neuen Normen zu den verschärften Leistungsminderungen wird durch diese Regelung ausgehöhlt. Mit ein bisschen Glück rutscht eine vollmundig angedrohte »Totalsanktion« in sich zusammen, wenn die angebotene Stelle vom Markt genommen wird. Hinzu kommt, dass sich die Integrationsfachkräfte in den Jobcentern nunmehr verpflichtet sehen müssen, laufend zu überprüfen, ob die angebotene Stelle noch ausgeschrieben ist. Sobald dies nicht mehr der Fall ist, besteht nämlich die Pflicht, die Leistungsminderung »unmittelbar mit dem Wegfall« aufzuheben (vgl. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 31, 31a, 31b, Stand: 28.03.2024, Rz. 31.46h).
Außerdem: Die verspätete Annahme des konkreten Arbeitsangebotes stellt ein Wohlverhalten dar, so dass dann die diesbezüglichen Regelungen greifen (§§ 31a Abs. 1 Satz 6 und 31b Abs. 2 Satz 2 SGB II). Nach der höchstkompliziert formulierten Vorschrift des § 31b Abs. 2 Satz 2 SGB II wäre somit bei einem Wohlverhalten im ersten Monat einer Leistungsminderung (= Alt. 2) die Minderung erst »nach Ablauf dieses Monats« aufzuheben. Diese Norm wäre gem. § 31b Abs. 3 Satz 2 SGB II auf unser Thema hier »entsprechend anzuwenden«. Das würde jedoch bedeuten, dass die Person, welche sich besinnt und die konkret angebotene Arbeit doch noch annimmt, schlechter dasteht als diejenige, in deren Fall die Arbeitsstelle ohne eigenes Zutun vom Markt genommen wird. Die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 31, 31a, 31b, Stand: 28.03.2024, wollen richtigerweise die Minderung wegen einer Totalverweigerung unmittelbar aufzuheben, wenn die Person das Arbeitsangebot annimmt (sh. dort Rz. 31.46h).
4.) »Totalverweigerung« als Sachverhalt
Welches vorwerfbare Verhalten einer im Bezug von Bürgergeld stehenden Person muss nun genau vorliegen, damit eine entsprechend zu ahndende verschärfte Leistungsminderung greift?
Vorausgesetzt wird nach den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit ein Arbeitsangebot, dass »jederzeit angenommen werden« könnte, so »in Form eines Arbeitsvertrages, dessen Unterschrift von der leistungsberechtigten Person verweigert wird«. »Nach bereits unterschriebenem Vertrag« ist »das Unterlassen der tatsächlichen Arbeitsaufnahme« als Verweigerung zu sehen (vgl. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 31, 31a, 31b SGB II, Stand: 28.03.2024, Rz. 31.46c).
Im Unterschied zu anderen Leistungsminderungstatbeständen muss hier die »Möglichkeit der Arbeitsaufnahme unmittelbar bestehen« und die Person muss sich »willentlich weigern, eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder aufzunehmen« (vgl. BT-DS 20/9999, S. 22). Die Verweigerung der Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses ist nicht ausreichend (vgl. Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu §§ 31, 31a, 31b SGB II, Stand: 28.03.2024, Rz. 31.46c), es muss sich zwingend um ein klassisches Arbeitsverhältnis handeln. Dass der Leistungsbezug durch dessen Aufnahme geendet hätte, also dass die Hilfebedürftigkeit unmittelbar überwunden worden wäre, ist wiederum nicht erforderlich (vgl. BT-DS 20/9999, S. 22).
Fazit:
Letztendlich wird man feststellen müssen, dass eines der neuesten Projekte des deutschen Gesetzgebers, die Schaffung griffiger Normen für Fälle von Leistungsminderungen bei totalen Arbeitsverweigerungen, nicht geglückt ist. Klarstellungen durch die Rechtsprechung bleiben wieder einmal abzuwarten. Der Verfasser jedenfalls unternimmt jetzt erst einmal einen Ausflug – in Richtung Österreich.