Sachleistungserbringung_in_gemeinschaftsunterkuenften_teil_1
Recht & Verwaltung08 Mai, 2024

Sachleistungsgewährung in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit | Teil 1

von: Herr Christopher Rein, Jurist und Sachbearbeiter für Grundsatzangelegenheiten, Rechtsstelle Jugend und Soziales  

Mit dem »Gesetz zur Anpassung des Zwölften und des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Gesetze« vom 22.12.2023 wurde § 142 SGB XII, der vorher Besonderheiten aus Anlass der COVID-19-Pandemie regelte, neubelegt. Insbesondere aufgrund der anhaltenden politischen Instabilität im Nahen Osten sowie des anhaltenden Angriffskrieges der Russischen Föderation auf die Ukraine ist in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl an Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften mit existenzsichernden Leistungen unter Anwendung des SGB XII zu versorgen.

§ 142 SGB XII - Hintergrund der Regelung

Die rechtlichen Grundlagen für die (wenigstens mittelbare) Anwendung des SGB XII bilden § 2 AsylbLG, welcher nach einer bestimmten Zeit eine weitestgehend analoge Anwendung des SGB XII im Gewand des Asylbewerberleistungsrechts vorsieht und die Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG (sog. "Massenzustrom-Richtlinie") i.V.m. § 24 AufenthG, § 146 SGB XII, § 23 Abs. 1 Satz 4 XII. Im Bereich der Versorgung mit Unterkünften ist dabei aufgrund des oftmals anzutreffenden Wohnraummangels eine Unterbringung von Geflüchteten außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften schlicht nicht möglich.

Die Leistungserbringung in solchen Gemeinschaftsunterkünften ist im hier vorliegenden Kontext mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftet. Denn vielfach wird von den häufig privaten Betreibern solcher Unterkünfte nicht nur die Unterkunft selbst bereitgestellt, sondern auch die Versorgung mit Lebensmitteln beziehungsweise Mahlzeiten und Verbrauchsstrom übernommen. Unklar ist oftmals in der Folge, ob und, falls ja, wie die hierdurch im Verhältnis des Sozialhilfeträgers zu Dritten entstehenden Kosten an die Leistungsberechtigten »weitergereicht« werden können. In der Praxis werden die Kosten regelmäßig in eine zu entrichtende Nutzungsgebühr entweder nur kalkulatorisch eingepreist oder als gesonderte Posten neben den klassischen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausgewiesen. Beide Varianten ändern jedoch nichts daran, dass die Kosten grundsätzlich dem Bedarf nach § 35 SGB XII zuzuordnen sind, da es sich hierbei regelmäßig um Kosten handeln dürfte, die im Rahmen der Nutzung der Unterkunft nicht verhandelbar sind und somit zwangsweise anfallen (vgl. BSG vom 27.12.2015 - B 8 SO 10/14 R - Rn. 16).

In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass bereits § 27a Abs. 1 SGB XII sowohl Ernährung als auch Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile als Bestandteile des notwendigen Lebensunterhaltes definiert (vgl. weiter §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 RBEG). Soweit die Nutzungsgebühr also vollumfänglich als Aufwendungen für Unterkunft (und Heizung) nach §§ 42a, 35 SGB XII bei den Leistungsberechtigten berücksichtigt wird, tritt also eine rechtswidrige Doppelerbringung von Sozialhilfeleistungen ein. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gemeinschaftsunterkunft vollständig oder nur teilweise eigen- oder fremdbewirtschaftet wird. Durch den Bezug des § 42 Nr. 1 SGB XII auf § 27 Abs. 3 SGB XII, der wiederum den notwendigen Lebensunterhalt nach Abs. 1 zur Grundlage hat, tritt dieses Problem auch in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf.

Einer solchen rechtswidrigen Doppelerbringung wurde und wird regelmäßig mit einer abweichenden Regelsatzfestsetzung zu Lasten der Leistungsberechtigten gemäß § 42 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zu begegnen versucht. Höchst problematisch ist dabei, dass, je nach Vertragsgestaltung, gerade bei der Inanspruchnahme Dritter, ein konkreter Anteil für Ernährung und Haushaltsenergie nicht vertraglich ausdrücklich beziffert wird, sodass im Ergebnis auch der Kürzungsbetrag nicht ohne weiteres schlüssig ermittelbar ist. Hierdurch steht die abweichende Regelsatzfestsetzung selbst auf tönernen Füßen. Soweit vereinzelt versucht wurde, die Positionen entsprechend §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 RBEG aus der Nutzungsgebühr herauszurechnen und nur den verbleibenden Betrag als Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, gilt nichts anderes (vgl. zum vergleichbaren Problem des unbekannten Haushaltsstromanteils bei einer Gesamtmiete: Urteil des BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R). Selbst bei einer konkreten Bezifferung der Anteile für Ernährung und Haushaltsenergie in den Nutzungsgebühren stellt sich die erhebliche Frage, inwiefern der Regelsatz hierdurch tatsächlich anderweitig nachweisbar gedeckt wird. Verschärft wird diese Problematik zusätzlich dadurch, dass die entsprechende Beweislast beim Sozialhilfeträger liegt, und entsprechende Bescheide nebst Zahlungsaufforderungen aufgrund des Zeitversatzes mangels Erreichbarkeit der Leistungsberechtigten wegen zwischenzeitlichen Verziehens nach Unbekannt mitunter ins Leere gehen.

§ 142 Satz 1 SGB XII enthält als Antwort auf die dargestellte Problemlage nunmehr die gesetzliche Fiktion einer »anderweitigen Bedarfsdeckung« durch Sachleistungsgewährung, sofern Leistungsberechtigte in einer Gemeinschaftsunterkunft ohne Selbstversorgungsmöglichkeit untergebracht sind und ihnen darin unentgeltlich Vollverpflegung und Haushaltsenergie zur Verfügung gestellt wird.

Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft

Eine gesetzliche Definition des Begriffes »Gemeinschaftsunterkunft« gibt es nicht. Im allgemeinen (sozialleistungsrechtlichen) Sprachgebrauch wird unter einer Gemeinschaftsunterkunft normalerweise eine solche im Sinne des § 53 AsylG verstanden. Eine systematische Abgrenzung erfolgt bundesrechtlich lediglich insofern, als die Aufnahmeeinrichtung nach §§ 44 ff. AsylG der Erstaufnahme von Geflüchteten vorbehalten ist und mithin eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nur dann infrage kommt, wenn die Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung gemäß der §§ 47 - 49 AsylG entfallen ist. Ergänzend führt der BGH aus, dass Gemeinschaftsunterkünfte sich dadurch auszeichnen, dass sie auf die Unterbringung einer Vielzahl von Asylbewerbern ausgerichtet sind und eine gewisse „Heimähnlichkeit“ besteht (Urteil des BGH vom 27.10.2017 - V ZR 193/16 - Rn. 23).

Daraus folgt, dass eine Gemeinschaftsunterkunft regelmäßig dann vorliegt, wenn es sich bei der Unterkunft nicht um eine Aufnahmeeinrichtung im Sinne der §§ 47 – 49 AsylG handelt und die vom BGH dargelegten Voraussetzungen erfüllt werden. Hinzukommen auf landesrechtlicher Ebene Vorschriften, die verschiedenste Anforderungen an den Betrieb von Gemeinschaftsunterkünften stellen (vgl. z.B. §§ 3 – 8 GUVO M-V; § 5 DVO FlüAG B-W; § 1 ThürGUSVO) und somit im Ergebnis landesspezifisch den Begriff der Gemeinschaftsunterkunft in Bezug auf die vorgehende Definition weiter konkretisieren. Der Begriff »Gemeinschaftsunterkunft« in § 142 Satz 1 SGB XII ist jedoch ein bundesgesetzlicher Spezialbegriff, so dass es auf länderspezifische Gegebenheiten nicht ankommt. Vielmehr soll der Begriff nach den Gesetzesmaterialien über die in § 53 AsylG genannte Unterbringungsform hinausgehen und allgemein im Sinne einer Unterkunft zur gemeinschaftlichen Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen zu verstehen sein (BT-Drucks. 20/9195, S. 46).

Geschlossen werden kann hieraus, dass § 142 SGB XII auch die Unterbringung in (eigentlich) temporären Sammelunterkünften, wie Sporthallen, Containern oder eiligst umgebauten Lagerhallen umfassen soll. Die Verwendung des Begriffes »Gemeinschaftsunterkunft« ist insofern zwar misslich - gemeinschaftliche Unterkunft bzw. Unterbringung wäre vorzugswürdig gewesen. Im Ergebnis wird aber aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs ein recht hoher Grad der Flexibilität bei der Anwendung der Norm zugunsten der Sozialleistungsträger in Bezug auf akute Problemlagen erreicht. Diesem weiten Verständnis des Begriffes Gemeinschaftsunterkunft unterliegen aber auch sonstige Unterkünfte im Sinne der §§ 35 Abs. 6 Satz 2, 42a Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII, soweit die restlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Denkbar sind beispielsweise Obdachlosenunterkünfte oder Frauenhäuser ohne Selbstversorgungsmöglichkeit, in denen dafür ersatzweise eine Vollverpflegung und Haushaltsenergie unentgeltlich bereitgestellt wird.

Keine Möglichkeit der Selbstversorgung

Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 20/9195, S. 41 – 43) ergibt sich nicht, wann eine Gemeinschaftsunterkunft ohne Möglichkeit der Selbstversorgung vorliegt. Daher ist diese Voraussetzung im Kontext zur Situation innerhalb der Gemeinschaftsunterkunft selbst zu beurteilen und örtliche Gegebenheiten, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, spielen keine Rolle. Verfügt eine Gemeinschaftsunterkunft daher weder über Kochgelegenheiten in den einzelnen Zimmern oder über Gemeinschaftsküchen, so liegt keine Möglichkeit der Selbstversorgung hinsichtlich des Aspekts der Vollverpflegung vor.

Problematisch ist indes, ob das Merkmal der fehlenden Selbstversorgungsmöglichkeit auch auf die Haushaltsenergie erstreckt werden muss. Bejaht man dies und legt die gleichen Maßstäbe wie beim Teilbereich der Vollverpflegung an, so kommt man zu dem Ergebnis, dass bereits das Vorhandensein von Steckdosen in Fluren oder sonstigen Gemeinschaftsräumen zu einem Ausschluss der Anwendbarkeit des § 142 SGB XII führt. Anderes würde lediglich dann gelten, wenn seitens des Betreibers der Gemeinschaftsunterkunft ein grundsätzliches Nutzungsverbot im Rahmen des Hausrechts ausgesprochen wird, soweit keine individuelle Erlaubnis vorliegt. Dies geht jedoch an der Lebenswirklichkeit vorbei. Überdies wäre nicht erkennbar, wie dann anderweitig die Haushaltsenergie bereitgestellt werden könnte, ohne dass wenigstens der stillschweigende Abschluss einer Nutzungsvereinbarung mit Gestattung einer Steckdosennutzung notwendig wäre, welche eine entsprechende Nutzungsmöglichkeit einräumt. Gerade vor dem Hintergrund des vorliegend weiten Verständnisses des Begriffes »Gemeinschaftsunterkunft« (s.o.) wird ein solcher aber nicht immer anzunehmen sein.

Richtig erscheint es vielmehr daher, darauf abzustellen, ob Leistungsberechtigte außer der Zurverfügungstellung innerhalb der Gemeinschaftsunterkunft faktisch keine Möglichkeit haben, Haushaltsenergie mittels eines eigenen Versorgungsvertrages zu erlangen. Dies dürfte der absolute Regelfall sein. Nach alledem wird hier vertreten, dass dem Tatbestandsmerkmal in Bezug auf die Versorgung mit Haushaltsenergie nur eingeschränkte bis keine praktische Bedeutung zukommt.

Anmerkung der Redaktion:

Dies ist Teil 1 des Beitrags »Sachleistungsgewährung in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit«. Den zweiten Teil des Beitrags, der sich mit den weiteren Voraussetzungen sowie den Rechtsfolgen des § 142 SGB XII befasst, finden Sie hier.  

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