Materialschwund am Bau
Recht & Verwaltung10 Juni, 2022

Materialschwund und Preisanpassungen am Bau

Welche Rechtsfolge hat die Verknappung zahlreicher Baustoffe, die wir gegenwärtig erleben? Kann ein Bauunternehmer eine Vertragsanpassung auch dann beanspruchen, wenn der Bauvertrag hierfür keine ausdrückliche Regelung, etwa in Form einer Stoffpreisgleitklausel, vorsieht? Hierzu ein paar Überlegungen vom VRiKG Björn Retzlaff.

Die erste wichtige Weichenstellung ist: Kann der Unternehmer sein Verlangen nach Preisanpassung nur mit erhöhten Materialpreisen begründen oder hat er bereits aus einem anderen Rechtsgrund einen Anspruch auf Mehrvergütung, nämlich wegen einer Leistungsänderung oder wegen Mitwirkungsverzugs des Auftraggebers?

Benötigt der Unternehmer verteuertes Material, um eine vom Besteller geänderte Leistung auszuführen, steht ihm eine Mehrvergütung auf Grundlage der ihm tatsächlich entstehenden Mehrkosten zu. Hier kann der Unternehmer die gestiegenen Einkaufspreise also in Ansatz bringen. Aber aufgepasst: Wird wegen der Leistungsänderung anderes Material eingespart, ist dessen Preis abzuziehen.

Dabei ist ebenfalls der tatsächlich erhöhte Preis anzusetzen, den der Unternehmer hätte zahlen müssen, wenn er es jetzt hätte kaufen müssen, nicht hingegen ein kalkulierter Betrag, der jüngste Preisanstiege noch nicht berücksichtigt. Dies wird sich in der Regel dämpfend auf die Mehrvergütung auswirken.

Entschädigungsanspruch bei Mitwirkungsverzug des Bestellers?

Schwieriger wird es, wenn sich die Bauarbeiten aufgrund einer Störung aus der Sphäre des Auftraggebers verzögert haben und der das Material „just in time“ einkaufende Unternehmer nun deutlich mehr aufwenden muss als bei ungestörtem Bauablauf und früherem Einkauf. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Mitwirkungsverzug des Bestellers dem Unternehmer keinen Anspruch auf Entschädigung für hierdurch bedingte Kostensteigerungen verschafft (BGH, Urt. v. 26.10.2017 – VII ZR 16/17).

In vielen Fällen hat der Auftraggeber den Unternehmer aber in irgendeinem Zeitpunkt aufgefordert, erst nach Behebung der Störung weiterzuarbeiten. Kann eine solche Aufforderung eine „andere Anordnung“ i.S.v. § 2 Abs. 5 VOB/B sein? Ich meine schon. Dann könnte dem Unternehmer für störungsbedingte Kostensteigerungen eine Mehrvergütung nach dieser Norm zustehen, in die gemäß dem „Paukenschlagurteil“ des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 08.08.2019 – VII ZR 34/18) tatsächlich gestiegene Materialkosten einfließen dürften.

Wenn eine Mehrvergütung für störungsbedingte Materialpreissteigerungen in Betracht kommt, stellt sich allerdings eine weitere Frage, die in künftigen Streitigkeiten vermutlich einige Bedeutung erlangen wird: Trifft den Bauunternehmer während der Störung so etwas wie eine Preisbeobachtungspflicht? Das heißt: Hätte er seinen Auftraggeber möglichst frühzeitig auf die Verteuerung des nach Störungsende benötigten Materials hinweisen müssen, damit es vorsorglich eingekauft und eingelagert werden kann?

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Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge

Wer trägt die plötzlichen Mehrkosten? Ist die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestört? Und gibt es wirksame Vertragsanpassungen, die für beide Seiten eine gute Lösung darstellen?
RA Stefan Reichert gibt Ihnen Antworten auf diese aktuellen Fragen.

Wenn der Materialengpass auf höhere Gewalt zurückgeht

Nun aber wieder zur ersten Weichenstellung: Wie sieht es aus, wenn der Unternehmer sich nicht auf eine Leistungsänderung oder eine Ablaufstörung von Seiten des Auftraggebers berufen kann?

In einem Punkt scheint Einigkeit zu bestehen: Wenn ein Materialengpass auf höhere Gewalt zurückgeht – auf Corona oder den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – kann damit die Geschäftsgrundlage des Vertrages gestört sein. Mit dem Hinweis auf dieses Rechtsinstitut ist ein Fall aber nicht gelöst, die Probleme fangen dann erst an.

Ist ein Lieferengpass oder eine Verteuerung gravierend genug für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB? Oder hat man es mit einer Schwankung zu tun, die sich noch im Rahmen des Üblichen bewegt und mit der sich lediglich das Beschaffungsrisiko des Unternehmers realisiert?

Klärung der „Prozentfrage“ bei Betrachtung einer möglichen Anpassung

Der Hinweis auf die Verteuerung eines Materials seit dem 24.02.2022, dem Beginn des russischen Angriffskriegs, wird für sich genommen nicht genügen. Am Ende mag die „Prozentfrage“ stehen, also um wie viel Prozent sich ein Material verteuert haben muss, damit eine Anpassung in Betracht kommt. Zunächst sind aber die folgenden Punkte von Bedeutung:

  • Wann wurde der Vertrag geschlossen? Denn auch wenn es vor Kriegsbeginn war: Viele Baustoffe unterlagen auch schon davor einem starken Preisanstieg. Dieser mag nicht so sprunghaft und steil verlaufen sein wie nach Kriegsbeginn. Eben eine solche Verschärfung ist aber darzulegen.
  • Der Unternehmer wird seine Kalkulation des Vertrages vorlegen müssen, damit nachvollziehbar ist, wie sich der geltend gemachte Kostenanstieg zu den Vertragskosten insgesamt und zum erwarteten Gewinn verhält.
  • Je weiter der Vertragsschluss zurückliegt, desto mehr wird sich auch hier wieder die Frage stellen, ob der Unternehmer die Preisentwicklung hätte beobachten und den Besteller darauf hinweisen oder selbst das Material früher hätte ankaufen müssen.

Wer trägt die Kostensteigerung bei Feststellung einer Störung der Geschäftsgrundlage?

Lässt sich unter Berücksichtigung dieser und vielleicht auch noch weiterer Punkte in Bezug auf einzelne Materialien eine Störung der Geschäftsgrundlage feststellen, wird Vertragsanpassung gem. § 313 Abs. 1 BGB im Zweifel bedeuten, dass eine dem Unternehmer nicht zumutbare Kostensteigerung von ihm und dem Besteller jeweils hälftig zu tragen ist.

Wenn der Bundesgerichtshof für das Gewerbemietrecht kürzlich einer coronabedingten Mietminderung um 50 % eine Absage erteilte (Urt. v. 12.01.2022 – XII ZR 8/21), dann bezieht sich dies nur auf die Pauschalität einer solchen „Corona-Minderung“, nicht aber auf die hälftige Teilung eines Sonderrisikos als solchem.

Und wenn sich die Parteien eines Bauvertrags über das Ob oder die Höhe einer Vertragsanpassung nicht einigen können? Muss zur Klärung dieser Frage ein Hauptsacheverfahren vor Gericht abgewartet werden? Ich meine, dass analog § 650d BGB auch hier eine einstweilige Verfügung in Betracht kommt, denn die Interessenlage – fehlende Preisgewissheit der Vertragsparteien – ist hier die Gleiche wie in den Fällen, die der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschrift im Blick hatte.

Natürlich ist es in den meisten Fällen am besten, sich nicht zu streiten, sondern sich zu einigen. Dies sollte man aber nicht um jeden Preis tun.

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Rechtsfolgen der unberechtigten Leistungsverweigerung am Bau

Auf Grund hoher praktischer und finanzieller Relevanz rücken Leistungsverweigerungsrechte am Bau immer mehr in den Fokus.

Der Beitrag widmet sich der Frage, welche rechtlichen Folgen sich ergeben, wenn eine der Parteien zu Unrecht die Leistung verweigert.

Bildrechte: EdNurg/stock.adobe.com
Retzlaff_Bjoern
Autor
VRiKG Björn Retzlaff

Vorsitzender Richter des 21. Zivilsenats am Berliner Kammergericht, der für Bausachen zuständig ist.

Mitherausgeber der Zeitschrift „baurecht“.

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