Gesundheit01 Januar, 2025

Pharmakogenomik: Einbindung von Ärzt:innen und Zusammenarbeit in den Teams sind wesentliche Komponenten für eine verbesserte Patientenversorgun

Arzneimitteltherapien erfordern Individualisierung

Bei mehr als 90 % der Gesamtbevölkerung lässt sich mindestens eine potenziell behandlungsrelevante pharmakogenomische Variante 1 nachweisen. Die Pharmakogenomik (PGx) gewinnt somit bei der Unterstützung klinischer Entscheidungen weiter an Bedeutung. Bei außereuropäischen Populationen treten außerdem häufig Varianten auf, die noch nicht in den aktuellen pharmakogenomischen Allel-Definitionen erfasst und vermutlich als nachteilig einzustufen sind.2 Fehlende Kenntnisse zu pharmakogenomischen Faktoren sowie unsachgemäße Arzneimittelauswahl und -verabreichung können die therapeutische Reaktion mindern oder schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) nach sich ziehen. Letztere sind den Schätzungen nach weltweit die sechsthäufigste, in den USA und Kanada die vierthäufigste Todesursache.3

Angesichts der weiten Verbreitung pharmakogenomischer Varianten ist es wenig überraschend, dass die U.S. Food and Drug Administration (FDA) mehr als 450 Arzneimittel mit behandlungsrelevanten pharmakogenomischen Aspekten identifiziert hat.4 Zu über 100 davon wurden klinische Leitlinien veröffentlicht.5 Die genetischen Varianten, die für die Arzneimitteltherapie klinisch von Bedeutung sind, umfassen unter anderem:

  • Reduzierter Cytochrom-P450-verursachter OpioidMetabolismus, der zu übermäßiger Atemdepression und zum Tod führen kann.
  • Auswirkungen eines verminderten TPMT-Metabolismus auf die Thiopurin-Behandlung, was schwere Bluttoxizitäten verursachen kann.
  • Folgen einer verminderten Aufnahme von Simvastatin durch die Leber, was zu erheblichen Muskelschäden führen könnte.

Präventive Pharmakogenomik-Tests stecken als belastbare Verfahren zur Übertragung von Genotypen in behandlungsrelevante Phänotypen jedoch noch in den Kinderschuhen. Die Pharmakogenomik findet unter Mediziner:innen Aufmerksamkeit. Ihre Integration als praktische Komponente in den Alltag von Diagnose und Behandlung erfordert jedoch den Zugriff auf konsistente, evidenzbasierte PGx-Daten und einen teambasierten Ansatz, der medizinische Fachkräfte mit einbezieht – von verschreibenden Ärzt:innen über Apotheker:innen und Pflegekräfte bis hin zu MTLA und Medizincontrollern.

3 Schritte zur praktischen Umsetzung der Pharmakogenomik

  • Sensibilisierung: Einbindung von Mediziner:innen in die Fragen, wie, wann und warum sie die Pharmakogenomik anwenden sollten
  • Warnhinweise: Mediziner:innen korrekte Daten an die Hand geben
  • Auf eine Linie bringen: Die Zusammenarbeit der Behandlungsteams ist für den Erfolg der Pharmakogenomik entscheidend

Sensibilisierung: Einbindung von Ärzt:innen in die Fragen, wie, wann und warum sie die Pharmakogenomik anwenden sollten

Ärzt:innen sind sich des Einflusses genetischer Faktoren auf die Arzneimitteltherapie bewusst, fühlen sich aber häufig nicht darauf vorbereitet, dieses Wissen in ihrer täglichen Praxis umzusetzen:

  • Laut einer US-Umfrage unter 10.303 Ärztinnen und Ärzten stimmen zwar 97,6 % der Mediziner:innen zu, dass genetische Varianten das Ansprechen auf Medikamente beeinflussen können, aber lediglich 29 % hatten pharmakogenomische Schulungen erhalten, und nur 10,3 % fühlten sich ausreichend über PGxTests informiert. Weniger als 40 % der befragten Mediziner:innen hatten in letzter Zeit einen Test verordnet oder rechneten damit, in naher Zukunft die Durchführung solcher Tests zu verschreiben.6
  • Eine japanische Studie ergab ferner, dass die Mehrheit der befragten Apotheker:innen zwar der Meinung war, dass die Pharmakogenomik die Patientenversorgung potenziell verbessern kann; aber lediglich 26 % waren an PGx-Tests beteiligt und nur 12,4 % hatten eine spezifische pharmakogenomische Einführung erhalten.7
  • Eine Umfrage unter 285 Ärztinnen und Ärzten an fünf Standorten des Netzwerks für klinische Studien Implementing GeNomics In pracTiCe (IGNITE) ergab, dass sich die Mehrzahl nicht auf den Einsatz genetischer Informationen in der Praxis vorbereitet fühlte und der Meinung war, dass Schritte zur Entwicklung von medizinischen Arbeitsmitteln und von Schulungen ergriffen werden müssten. Mediziner:innen mit fünf oder weniger Praxisjahren erklärten eher als Mediziner:innen mit mehr als fünf Jahren Erfahrung, dass sie dank ihrer Ausbildung auf die Behandlung genetischer Hochrisikopatienten vorbereitet seien (41 % vs. 25 %).8
  • Laut einer weiteren Studie, an der 597 Hausärzt:innen in den USA teilnahmen, hatte zwar die Mehrheit der Befragten von pharmakogenomischen Tests gehört und ging davon aus, dass sie für ihre Patient:innen nützlich sein könnten, aber nur 13 % fühlten sich bei der Anordnung solcher Tests sicher und 22 % gaben an, dass sie keine Schulungen im Bereich Pharmakogenomik erhalten hätten.9

Ärzt:innen ist wohl nicht immer klar, wann die Verschreibung eines Tests sinnvoll sein könnte. Labore, die pharmakogenomische Tests durchführen, stellen oft FAQs und andere Leitfäden für Ärzt:innen zur Verfügung, um die Zweckmäßigkeit von Pharmakogenomik-Tests zu erläutern. Der Direktwerbung durch kommerzielle Labore fehlt es jedoch häufig am Gesamtkontext, den Mediziner:innen benötigen, vor allem wenn sie nicht ausreichende Schulungen zu den möglichen Beurteilungen der pharmakogenomischen Tests erhalten haben. Werden sie einfach nur zum Verschreiben solcher Tests überredet, ohne zu wissen, wie die Ergebnisse anzuwenden sind, kann dies mehr Verwirrung stiften als Nutzen bringen.

Wolters Kluwer hat die Notwendigkeit erkannt, Ärzt:innen frühzeitig dabei zu unterstützen, die Bedeutung der Pharmakogenomik zu verstehen. Seit 2003 kuratiert Wolters Kluwer klinisch relevante PGx-Inhalte und ist weithin als führend bei der Bereitstellung umfassender und umsetzbarer klinischer Anleitungen zu wichtigen PGx-Interaktionen anerkannt. Inhaltlich werden dabei die Prävalenz genomischer Varianten in Patientenpopulationen, der Einsatz und die Beurteilung von Labortests sowie anschließende klinische Empfehlungen abgedeckt.10

Ärzt:innen am Ort der Behandlung erhalten über Kurzmonografien zu Arzneimitteln und Genen, die auf maßgebenden klinisch umsetzbaren Richtlinien basieren, Empfehlungen zu Tests und zum Patientenmanagement.11 Diese kompakten Zusammenfassungen enthalten auch eine eigene evidenzbasierte Bewertung, die für Mediziner:innen die allgemeine klinische Bedeutung von Gentests auf eine solidere Basis stellt. Umsetzbare Zusammenfassungen sind für Ärzt:innen an vorderster Front entscheidend, da sie in Behandlungssituationen sofortige Hilfestellung bei pharmakogenomischen Fragen benötigen und nicht die Zeit für eingehende Recherchen zu Arzneimittelinformationen haben.

Bei Bedarf an umfassenderen Forschungsdaten benötigen Ärzt:innen Zugang zu fundierten Pharmakogenomik-Inhalten. Um diesen Bedarf zu decken, enthalten die zentralen Arzneimittelmonografien von UpToDate® Lexidrug™ Links zu detaillierten, umfangreich referenzierten genbasierten Monografien, die einen Überblick über die Populationsinzidenz der häufigsten oder klinisch wichtigen Genvarianten und deren Relevanz für das Ansprechen auf Arzneimittel bereitstellen.

Online und mobile pharmakogenomische Arzneimittelreferenzen sind auch außerhalb des Ortes der Behandlung von Nutzen, da sie wertvolle genetische Forschungsergebnisse für Kommunikationsabteilungen von Pharma und MedTech sowie FuE bereitstellen und Versicherern Absicherung bieten, die in den letzten zehn Jahren den Einsatz von Gentests schrittweise verstärkt haben.

Warnhinweise: Ärzt:innen korrekte Daten an die Hand geben

Laut Befragungen unter Allgemeinmediziner:innen im Vereinigten Königreich erklärte die Mehrzahl, dass sie die Bedeutung der Pharmakogenomik zwar erkennen würden, dass es ihrer Meinung jedoch viele Hindernisse für deren Einsatz in der täglichen Praxis gebe, wie Schulung von Ärzt:innen, Kosteneffizienz und Einbindung der Daten in elektronischen Patientenakten.12

Die Integration genomischer Daten und klinischer Entscheidungshilfen in elektronische Patientenakten ist derzeit eines der größten Hemmnisse für eine breitere Akzeptanz präventiver Pharmakogenomik-Tests.

Das Electronic Medical Records and Genomics (eMERGE)-Netzwerk ist führend bei der Erprobung und Implementierung von Pharmakogenomik und der Integration der Ergebnisse in Krankenhausinformations- (KIS) und klinische entscheidungsunterstützende Systeme in den USA.

Eine Umfrage unter zehn Standorten des Netzwerks ergab, dass Prozessverzögerungen nicht auf die pharmakogenomischen Tests selbst, sondern eher auf die Gesundheits-IT und andere logistische Probleme zurückzuführen waren.13

Eine wachsende Anzahl häufig verordneter Arzneimittel in der hausärztlichen Versorgung verfügt über Zuordnungen von Indikationen für pharmakogenomische Tests. Daher wird es immer wichtiger, diese Leitlinien und Warnhinweise in KIS und andere klinische entscheidungsunterstützende Screenings zu integrieren. Außerdem werden Labortechnologien zur Durchführung von Multiplex-Genotypisierung rasch erschwinglicher und zuverlässiger, was die Nachfrage nach Sicherheitsprüfungen in klinischen und Apothekensystemen vorantreibt.

Die Einbettung pharmakogenomischer Daten in KIS, Klinik- oder Apothekensysteme ist ein effizientes Tool, um Ärzt:innen wichtige Daten zum richtigen Zeitpunkt im Entscheidungsprozess an die Hand zu geben. Ein intelligent konzipiertes System mit evidenzbasierten Daten kann dazu beitragen, dass Hochrisikopatienten aufgrund ihrer genetischen Veranlagung nicht mit für sie gefährlichen Arzneimitteln behandelt werden. Ein solches System würde geeignete Dosierungsempfehlungen auf der Grundlage der relevanten genetischen Varianten bereitstellen und nur bei bekannten Risikokombinationen Warnhinweise geben, was die Warnhinweisfunktion im System optimieren würde.

Ärzt:innen können bei der Überwindung von technologischen Barrieren unterstützt werden, da Wolters Kluwer Medi-Span® um eingebettete Arzneimitteldatenmodule mit evidenzbasierten und umsetzbaren pharmakogenomischen Daten erweitert hat, die fundierte UpToDate-Lexidrug-Inhalte ergänzen. Zudem werden eindeutige Leitlinien und Best Practices für die optimierte Anwendung relevanter pharmakogenomischer Daten bereitgestellt.

Die Medi-Span-API zu Arzneimittelnebenwirkungen erkennt mehr als 350 Assoziationen zwischen Arzneimitteln und Phänotypen, die auf einer speziellen Auswahlliste mit unterschiedlichen pharmakogenomischen Phänotypen basieren.

Ärzt:innen am Ort der Behandlung können sich somit über die Risiken informieren, die durch den Einsatz bestimmter Arzneimittel bei Patient:innen auftreten können, bei denen spezifische genetische Dispositionen diagnostiziert wurden. Genetische Dispositionen können als ausgewählte Phänotypen innerhalb des KIS oder Apothekensystems identifiziert werden, wenn sie basierend auf der klinischen Diagnose der Patient:innen als Input für das Screening dienen, oder über einen übermittelten SNOMED CT®Code, dem dieses Phänotyp-Konzept zugeordnet ist.

Des Weiteren werden die phänotypischen Dispositionen auch in der Medi-Span-Dosis-Screening- und Verordnungs-API als patientenspezifischer Kontext eingebettet, um Warnungen für Dosierungsbereiche bei gefährdeten Personen korrekt anzupassen. Mit dieser kritischen Funktionalität werden potenziell schädigende Überdosierungen bei Patient:innen mit verminderter Verstoffwechslung vermieden.

Auf eine Linie bringen: Die Zusammenarbeit der Behandlungsteams ist für den Erfolg der Pharmakogenomik entscheidend

Mit den am Ort der Behandlung und im KIS verfügbaren Ressourcen ist der Mensch das letzte Glied zur erfolgreichen PGx-Einführung. Viele klinische und nicht-klinische Mitarbeitende müssen zusammenarbeiten, kommunizieren und Ressourcen aufeinander abstimmen, um PGx vollständig in den Versorgungsalltag zu integrieren.

Einige Expert:innen empfehlen hierfür ein Team, das aus einer Auswahl der folgenden Personen gebildet wird:

  • Verschreibende Ärztinnen und Ärzte, die wissen, wann ein Test erforderlich ist, und die die Folgen für die Arzneimitteltherapie kennen
  • Qualifizierte Labore/MTLA, die geeignete Tests durchführen und Beratungsleistungen erbringen können
  • Apotheker:innen, die hinsichtlich Pharmakokinetik und Pharmakodynamik beraten und die richtigen Arzneimittel und Dosierungen empfehlen können
  • Genetikberater:innen oder andere entsprechend Qualifizierte, die bei der Anwendung/Beurteilung von Testergebnissen informieren können / Personal, das über Risiken, Vorteile und Grenzen der Tests aufklären kann

Systeme und Infrastruktur zur Unterstützung dieser Erfordernisse:

  • Einrichtung und Wartung geeigneter PGx-Screenings und -Warnhinweise in IT-Lösungen/KIS
  • Dokumentationsprozesse im Kontext relevanter Medikations- und Familienanamnese
  • Erstattungsfähige Dienstleister
  • Mechanismus für Befundergebnisse

Wolters Kluwers zielt mit Investitionen in pharmakogenomische Inhalte darauf ab, alle Mitglieder des multidisziplinären Behandlungsteams durch Lösungen zu unterstützen, mittels derer die Inhalte dem richtigen Behandelnden zum richtigen Zeitpunkt zentralisiert und standardisiert bereitgestellt werden, um so Einblicke und Kontext für die richtige Patientin und den richtigen Patienten zu liefern.

Fazit

Gemäß einer kanadischen Studie mit 180 Patienten, die Antidepressiva/Antipsychotika einnahmen und sich einem PGx-Test unterzogen, führte die Genotypisierung bei 33 Patient:innen (22 % der Studienteilnehmer:innen) zu 81 Änderungen bei der Arzneimitteltherapie. Die Verfasser der Studie stellten fest, dass die Kosten für die Durchführung der Tests und die Anpassung der Arzneimitteltherapien weniger als 25 CAD pro Patient betrugen. Dieses Vorgehen war daher sowohl effizient vom Apothekenteam gehandhabt und kosteneffizient.14

Je mehr Ärzt:innen die individualisierte Medizin und die Pharmakogenomik in ihrer Praxis übernehmen, anpassen und sich dafür qualifizieren, desto mehr wird in Zukunft die Arzneimittelsicherheit steigen. Dr. Peter Bonis, Chief Medical Officer bei Wolters Kluwer Health, erklärt: „Der wissenschaftliche Fortschritt bietet weiterhin neue Optionen für Arzneimittel, die potenziell Leben verbessern und Leben retten können. Die Finanzierbarkeit dieser Arzneimittel hat eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst. Genauso wichtig – aber weniger öffentlich sichtbar – sind die Bemühungen, mit denen sichergestellt wird, dass Arzneimittel sowohl sinnvoll als auch mit der gebotenen Patientensicherheit eingesetzt werden. Die Pharmakogenomik ist ein solcher Ansatz hin zu einer präziseren Verschreibung von Arzneimitteln.“

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UpToDate
  1. Van Driest et al, Clin Pharmacol Ther. 2014 Apr; 95(4): 423–431.
  2. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33237584/
  3. https://www.sciencedirect.com/topics/medicine-and-dentistry/adverse-drug-reaction
  4. https://www.fda.gov/medical-devices/precision-medicine/ table-pharmacogenetic-associations
  5. https://www.pharmgkb.org/guidelineAnnotations
  6. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22278335/
  7. Clin Pharm Ther. 2021 Jun; 46(3):649-657. doi: 10.1111/jcpt.13367. Epub 2021 Feb 8.
  8. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30042363/
  9. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3440554/
  10. Chang et al, J Med Libr Assoc. 2016 Jan;104(1):58-61; Vaughan et al, J Med Libr Assoc. 2014 Jan;102(1):47-51
  11. Clinical Pharmacogenomics Implementation Consortium (CPIC): https://cpicpgx.org/guidelines/; Dutch Pharmacogenetics Working Group (DPWG): https://www.knmp.nl/ patientenzorg/medicatiebewaking/farmacogenetica/pharmacogenetics-1/ pharmacogenetics; FDA Table of Pharmacogenomic Biomarkers in Drug Labeling: https://www.fda.gov/ drugs/science-and-research-drugs/ table-pharmacogenomic-biomarkers-drug-labeling
  12. J Community Genet. 2020 Jul;11(3):269-277. doi: 10.1007/ s12687-020-00468-2. Epub 2020 May 28.
  13. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1098301516313079
  14. J Pers Med. 2020 Dec 24;11(1):11. doi: 10.3390/jpm11010011.
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