Materialpreissteigerungen
Recht & Verwaltung29 September, 2021

Praktischen Umgang mit aktuellen Materialkostensteigerungen

Fast täglich geht es im Zuge der baubegleitenden Rechtsberatung um die Folgen der Materialpreissteigerungen. Hierzu einige Standpunkte, die praxisnahe Antworten zu diesem Thema geben.

von RA Dr. Bernhard von Kiedrowski


Bei einem laufenden Bauvertrag, der im Hinblick auf Materialpreisschwankungen keine Regelung zu einer späteren Preisanpassung (in Form einer Stoffgleitklausel) enthält, gelten nachfolge Grundsätze: Dem Angebot des Auftragnehmers und den darin enthaltenen (Einheits-)Preisen, das Grundlage für den mit dem Auftraggeber später abgeschlossenen Bauvertrag bildet, liegt stets eine Ausführungszeit in der Zukunft zugrunde.

Soweit es um die zur künftigen Bauausführung benötigten Materialien geht, hat der Auftragnehmer die Wahl: Er kann die Materialien direkt nach Abschluss des Vertrages zum aktuellen Lieferpreis bei seinem Materiallieferanten (mit einem in der Zukunft liegenden Liefer- oder Abrufzeitpunkt) ordern. In diesem Fall trägt er nur das Risiko von Materialpreissteigerungen in dem Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Vertragsabschluss, dass er vermittels einer sein Angebot betreffenden Bindefrist unproblematisch begrenzen kann.

Anders verhält es sich, wenn er nach Vertragsabschluss die Materialbeschaffung nicht auf diese Weise sicherstellt. In diesem Fall trägt er, weil er auf der Grundlage des bestehenden Vertrages im Hinblick auf die in der Zukunft liegende Bauausführung an die vereinbarten Preise gebunden ist, das Risiko einer später eintretenden Materialpreiserhöhung.

Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB

Einzige Möglichkeit für den Auftragnehmer, in diesem Fall zu einer Vertrags- bzw. Preisanpassung zu gelangen, bilden die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB: Erste Hürde für den Auftragnehmer bildet dabei die Frage, ob die „Materialpreise“ und hiermit im Zusammenhang stehende Preissteigerungen nach den Vorstellungen beider Parteien oder jedenfalls aus seiner Sicht überhaupt Geschäftsgrundlage des Vertrages bilden.

Dies wird nur dann zu bejahen sein, wenn nach dem Inhalt des bestehenden Vertrages Materialbestelllungen vom Auftragnehmer erst im Verlauf der nachfolgenden Bauausführung – bspw. Aufgrund von solchen vom Auftraggeber später zu treffenden Bemusterungsentscheidungen – ausgelöst werden können.

Vertragsanpassung nur bei nicht vorhersehbaren erheblichen Materialpreissteigerungen gerechtfertigt

Weiter darf das Risiko von Materialpreissteigerungen (als Geschäftsgrundlage) nicht vom Auftragnehmer übernommen worden sein. Da beim Bauvertrag der Grundsatz gilt, dass die Preisbildung und damit auch die Entwicklung der preisbildenden Umstände in den Risikobereich des Auftragnehmers fallen, können nur solche vom Auftragnehmer nicht vorhersehbaren erheblichen Materialpreissteigerungen eine Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB rechtfertigen.

Dabei muss feststehen, dass es zu einer massiven Störung des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung des Gesamtvertrages gekommen ist und dem Auftragnehmer deshalb ein Festhalten an dem Vertrag nicht zugemutet werden kann (zweite Hürde für den Auftragnehmer).

Konkret hat der Auftragnehmer zu der Entwicklung des finanziellen Gesamtergebnisses des Vertrages vorzutragen. Dabei müssen Materialpreissteigerungen nicht nur den zu erwartenden Gewinn aus dem Gesamtvertrag aufgezehrt, sondern auch zu (nicht unerheblichen) Verlusten geführt haben.

Für die tägliche Beratung kann damit festgehalten werden: Liegen nur Ausführungen des Auftragnehmers zu einzelnen Leistungspositionen des Vertrages und hierauf bezogene Materialpreissteigerungen vor, kann damit, weil der Vortrag nicht auf das Ergebnis des Gesamtvertrages abzielt, keine Preisanpassung nach § 313 BGB gerechtfertigt werden.

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Preissteigerungen bei Baustoffen und ihre Auswirkungen auf die Bauverträge

Wer trägt die plötzlichen Mehrkosten? Ist die Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB gestört? Und gibt es wirksame Vertragsanpassungen, die für beide Seiten eine gute Lösung darstellen?
RA Stefan Reichert gibt Ihnen Antworten auf diese aktuellen Fragen.

Frage der Haftung des Architekten bei fehlerhafter Mengenermittlung

Kommt es beim VOB/B-Bauvertrag im Verlauf der Bauausführung zu relevanten Mengenmehrungen i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, kann der Auftragnehmer, wenn auf der Grundlage der aktuellen BGH-Rechtsprechung auf die tatsächlich erforderlichen Kosten abzustellen ist, auf die bei ihm tatsächlich angefallenen gestiegenen Materialkosten verweisen.

Für diesen Fall wird sich in Zukunft die Frage einer Haftung des Architekten stellen, dem eine fehlerhafte Mengenermittlung vorzuwerfen ist; die Schadensberechnung (in Höhe der Materialkostendifferenz) wird dem Auftraggeber insoweit keine Probleme bereiten.

Die im Zeitpunkt der Materialbestellung gestiegenen Kosten sind darüber hinaus auch im Änderungs- bzw. Nachtragsfall (nach §§ 650b und 650c Abs. 1BGB bzw. §§ 1 Abs. 3/4, 2 Abs. 5/6 VOB/B) maßgebend, da auch insoweit bei der Berechnung der Nachtrags-vergütung auf die tatsächlich erforderlichen Kosten abzustellen ist.

Praxistipp: Vertrag nur bei Vereinbarung einer Preisanpassungsregelung

Geht es um den Abschluss künftiger Bauverträge, ist jedem Auftragnehmer aktuell anzuraten, den Vertrag (überhaupt) nur bei Vereinbarung einer Preisanpassungsregelung (für steigende Materialpreise) abzuschließen.

Bei der Teilnahme an Vergabeverfahren der öffentlichen Hand ist darauf zu achten, dass eine „Stoffgleitklausel“ Vertragsgrundlage bildet. Auf der Grundlage des Erlasses BW I 7 -70437/9#3 des BMI vom 21.05.2021 zu Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe ist davon auszugehen, dass das Formblatt 225 (VHB) in Zukunft für solche Stoffe verwendet wird, die einerseits aktuell von Preisschwankungen betroffen sind und für die andererseits im Güterverzeichnis des Statistischen Bundesamtes Indizes veröffentlicht werden.

Empfehlung bei nicht öffentlichen Vergabeverfahren

Erfolgt der Vertragsabschluss nicht in einem öffentlichen Vergabeverfahren, besteht beim Einheitspreisvertrag eine einfache Möglichkeit, Materialpreisschwankungen einer für beide Seiten ausgewogenen Regelung zuzuführen.

In einem ersten Schritt werden in einer Anlage zum Vertrag die Positionen des Leistungsverzeichnisses mit den zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe geltenden Materialpreisen aufgelistet, bei denen künftig Materialpreisschwankungen (nach oben oder nach unten) zu erwarten sind.

Weiter ist im Vertrag eine Regelung aufzunehmen, wonach für den Fall, dass es im späteren Bauverlauf zu einer (von den Parteien festzulegenden) Materialpreisschwankung von mehr als X Prozent gekommen ist, ein wechselseitiger Anspruch auf Erhöhung oder Absenkung des Einheitspreises der von der Materialpreisschwankung betroffenen Position besteht.

Bei der Berechnung des anzupassenden Einheitspreises werden die Mehr- oder Minderkosten durch die Höhe der Materialpreissteigerung bzw. -reduzierung bestimmt. Maßgeblich ist die Differenz zwischen den tatsächlichen Materialkosten und dem in der Anlage aufgeführten Kostenbetrag (ohne darauf bezogene Zuschläge). Die Vereinbarung sollte regeln, dass der Auftragnehmer den Lieferschein/die Rechnung zum Nachweis der tatsächlich angefallenen Materialkosten mit der Abschlags- bzw. Schlussrechnung vorzulegen hat.

Beispiel für eine fiktive Position X:

 Materialkosten für Holz (gem. Anlage):  10 € 
 Personalkosten:  5 €
 Einzelkosten der Teilleistung gesamt:  15 €
 Zuschläge für AGK, Wagnis und Gewinn (20%):   3 €
 EHP gesamt:   18 €

 

Autor

RA Dr. Bernhard von Kiedrowski

Partner in der Kanzlei Kiedrowski |Caspary Rechtsanwälte. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind das Private Bau- und Architektenrecht sowie Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht.

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