Verbraucherbauvertrag gemäß § 650i BGB
Recht & Verwaltung06 Juli, 2022

Kein Verbraucherbauvertrag gemäß § 650i BGB bei Vergabe einzelner Gewerke

Seit langem ist die Frage ungeklärt, ob ein Verbraucherbauvertrag nur vorliegt, wenn der Unternehmer mit sämtlichen Bauleistungen aus einer Hand beauftragt wird, oder ob eine gewerkeweise Vergabe der Arbeiten an verschiedene Unternehmer ausreicht. Nun gibt es zu dieser derzeit heftig umstrittenen Frage ein aktuelles Urteil des OLG München (Urteil vom 09.06.2022 – 20 U 8299/21 Bau).

RA Claus Rückert

Der Fall

Ein Verbraucher (AG) beauftragt einen Unternehmer (AN) mit Vertrag vom 06./10.02.2020 mit der Erstellung des Rohbaus für den Neubau eines Reihenhauses zum Pauschalfestpreis von 243.516,22 € brutto.

Nach Beginn der Arbeiten kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragspartnern über die richtige Art der Ausführung. Der AN stellt daraufhin am 04.04.2020 die Arbeiten vorübergehend ein und verlangt vom AG eine Weisung, wie er seine Leistungen ausführen soll. Eine verbindliche Äußerung des AG hierzu erfolgt nicht.

Mit Schreiben vom 29.04.2020 verlangt der AN vom AG unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen Abschlagszahlungen und zuzüglich der Pauschale in Höhe von 10% die Stellung einer Bauhandwerkersicherung gemäß § 650f BGB in Höhe von 208.966,14 €. Hierzu setzt er dem AG zunächst eine Frist bis zum 07.05.2020 und dann nochmals eine Nachfrist bis zum 13.05.2020. Mit E-Mail vom 14.05.2020 übermittelt der AG dem AN den Text einer Bauhandwerkersicherungsbürgschaft, die folgende Ergänzung enthält:

„Die Verpflichtung aus dieser Bürgschaft erlischt (…) Spätestens jedoch – insoweit abweichend von § 777 BGB – wenn die Bank nicht bis zum 30.09.2020 mit dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist.“ Daraufhin kündigt der AN den Vertrag aus wichtigem Grund gemäß § 650f Abs. 5 BGB, da die mit einer Befristung bis zum 30.09.2020 versehene Bürgschaft keine taugliche Bauhandwerkersicherung darstelle.

Der AG weist die Kündigung als unberechtigt und rechtsmissbräuchlich zurück. Gleichzeitig fordert er den AN auf, die Arbeiten bis zum 05.06.2020 wieder aufzunehmen. Als der AN daraufhin seine Kündigung wiederholt, erklärt der AG seinerseits die Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund gemäß § 648a BGB.

AG und AN streiten vor Gericht über die Frage, wessen Kündigung wirksam war. Der AG vertritt hierzu die Auffassung, dass der AN keinen Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB gehabt habe. Dies begründet er damit, dass es sich bei dem abgeschlossenen Vertrag um einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB handele und der AN deshalb nach § 650f Abs. 6 Nr. 2 Alt. 1 BGB keine Bauhandwerkersicherheit habe verlangen dürfen. Außerdem sei die gestellte Bürgschaft eine taugliche Sicherheit im Sinne von § 650f BGB gewesen. Schließlich sei die Kündigung durch den AN treuwidrig gewesen, da dieser die Arbeiten eingestellt habe und die Leistungen Mängel aufgewiesen hätten.

Kostenloser Fachbeitrag

Rechtsfolgen der unberechtigten Leistungsverweigerung am Bau

Auf Grund hoher praktischer und finanzieller Relevanz rücken Leistungsverweigerungsrechte am Bau immer mehr in den Fokus.

Der Beitrag widmet sich der Frage, welche rechtlichen Folgen sich ergeben, wenn eine der Parteien zu Unrecht die Leistung verweigert.

Das Urteil

Das OLG München hat wie folgt entschieden (Urteil vom 09.06.2022 – 20 U 8299/21 Bau):

  1. Ein Verbraucherbauvertrag liegt nicht vor, wenn die Bauleistungen als Einzelgewerke vergeben werden.
  2. Der Auftraggeber ist nicht zur Stellung einer Bauhandwerkersicherheit nach § 650f BGB verpflichtet, wenn der Auftragnehmer die Leistung endgültig verweigert und sich damit grob vertragswidrig verhält.
  3. Ein Verzug des Auftragnehmers mit der Leistungserbringung steht seinem Anspruch auf Stellung einer Bauhandwerkersicherheit nach § 650f BGB nicht entgegen.
  4. Eine befristete Bürgschaft ist keine taugliche Bauhandwerkersicherheit.

Das OLG München stellt fest, dass der AN den Vertrag wirksam nach § 650f Abs. 5 BGB gekündigt hat.

1. Kein Verbraucherbauvertrag

Das OLG München setzt sich zunächst mit der Frage auseinander, ob bei der Beauftragung von Einzelgewerken ein Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i BGB vorliegt. Hierzu stellt es sich auf den Standpunkt, dass unter Berücksichtigung europarechtlicher Gesichtspunkte sowie der Gesetzesbegründung von § 650i BGB der Begriff Bau „eines neuen Gebäudes“ eng auszulegen ist. In diesem Zusammenhang weist das OLG München darauf hin, dass eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs der §§ 650i ff. BGB zwar den Verbraucherschutz nach diesen Vorschriften ausweiten würde; gleichzeitig würde hierdurch jedoch der Anwendungsbereich des Verbraucherschutzes nach den §§ 312 ff. BGB verengt.

2. Kein treuwidriges Sicherungsverlangen

Das OLG München stellt unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 31.03.2005 – VII ZR 346/03, dort Ziffer I. 2. c) zunächst fest, dass der Auftraggeber nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung verpflichtet ist, wenn der Unternehmer seinerseits die Leistung endgültig verweigert und sich damit grob vertragswidrig verhält. Eine solche endgültige Leistungsverweigerung kann das OLG München allerdings nicht feststellen.

Die Tatsache, dass der AN die Leistungen aufgrund der Meinungsverschiedenheiten mit dem AG über die richtige Ausführungsart vorübergehend eingestellt hat, wertet das OLG München zumindest nicht als grob vertragswidriges Verhalten. Hierbei ist nach Auffassung des Gerichts zu berücksichtigen, dass der AN zunächst auf die aus seiner Sicht sinnvolle und notwendige Kooperation des AG gewartet hatte.

Selbst wenn der AN durch sein Verhalten in Verzug mit der Erbringung seiner Leistung geraten sein sollte, steht dies seinem Anspruch auf Stellung einer Sicherheit nach § 650f BGB nicht entgegen. Denn auch in einem solchen Fall besteht die für ihn risikoreiche Vorleistungspflicht. Ob dies ausnahmsweise anders zu bewerten ist, wenn ein „erheblicher Verzug“ vorliegt, lässt das OLG München offen. Einen solchen erheblichen Verzug kann das Gericht nicht feststellen.

Auch das Vorliegen von etwaigen Mängeln rechtfertigt es nach Auffassung des OLG München nicht, dem Unternehmer die Stellung einer Sicherheit zu verweigern.

3. Befristete Bürgschaft ist keine taugliche Sicherheit

Das OLG München stellt schließlich fest, dass die vom AG vorgelegte Bürgschaft kein taugliches Sicherungsmittel ist. Die Befristung einer Bürgschaft macht diese für die Sicherungszwecke des Unternehmers untauglich. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich im Zuge der Bauausführung unvorhergesehene Verzögerungen ergeben können. Gleiches gilt für die Durchführung der Abnahme, die Voraussetzung für die Fälligkeit des Werklohnanspruchs ist. Vor diesem Hintergrund stellt das Gericht fest, dass ein Unternehmer durch eine auf 5 Monate befristete Bürgschaft nicht hinreichend geschützt wird.

Aufgrund der Tatsache, dass der AG dem AN nicht innerhalb der gesetzten angemessenen Frist eine taugliche Sicherheit gestellt hat, konnte der AN den Vertrag wirksam kündigen.

Die vom AG seinerseits ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 648a BGB ging damit ins Leere.

Kennen Sie schon das "Praxiswissen Baurecht"?

Diesen Artikel mit allen verlinkten Arbeitshilfen können Sie im „Praxiswissen Baurecht“ lesen. Als Abonnent des Moduls Werner Privates Baurecht Premium haben Sie Zugriff auf diesen und weitere 250 ständig aktualisierte Artikel über Ihre Bibliothek auf Wolters Kluwer Online.

Praxishinweis

Die Rechtsfrage, ob der Unternehmer nach § 650f BGB eine Bauhandwerkersicherheit verlangen kann, wenn er von einem Verbraucher mit einem Einzelgewerk zur Erstellung eines Neubaus (oder im Zusammenhang mit Umbaumaßnahmen, die einem Neubau gleichkommen) beauftragt wird, bleibt bis zur Entscheidung durch den BGH offen.

Das Urteil des OLG München zeigt, dass die Rechtsfolgen für den Verbraucher gravierend sein können, falls er zur Stellung einer Sicherheit nach § 650f BGB verpflichtet ist und dieser Verpflichtung auf Verlangen des Unternehmers nicht innerhalb einer angemessenen Frist nachkommt. In diesem Fall kann der Unternehmer seine Leistungen einstellen oder den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen. Kündigt der Unternehmer den Vertrag, so kann er neben den erbrachten Leistungen auch für die nicht mehr ausgeführten Leistungen nach § 650f Abs. 5 BGB die vereinbarte Vergütung abrechnen. Er muss sich hierbei die aufgrund der Kündigung ersparten Aufwendungen und einen etwaigen anderweitigen Erwerb anrechnen lassen.

Aufgrund der aktuell unklaren Rechtslage muss dem Verbraucher vor diesem Hintergrund zur Vermeidung von Rechtsnachteilen geraten werden, dem Unternehmer die geforderte Sicherheit (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter Vorbehalt der Rückforderung) zu stellen.

Die Entscheidung zeigt außerdem, dass von beiden Seiten genau darauf geachtet werden sollte, ob die gestellte Sicherheit ein wirksames Sicherungsmittel im Sinne von § 650f BGB ist. Ist dies nicht der Fall und kann die Sicherheit deshalb nicht mehr rechtzeitig gestellt werden, kommen Schadensersatzansprüche des Auftraggebers gegen seine Bank oder Versicherung, welche die Bürgschaft stellen sollte, wegen einer Verletzung des zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrages in Betracht.

Rückert
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Bildnachweis: makistock/stock.adobe.com
Back To Top