Erfolgreiche Beschaffung durch Markterkundung
Recht & Verwaltung10 Oktober, 2023

Erfolgreiche Beschaffung durch Markterkundung

Öffentliche Auftraggeber stehen bei ihren Beschaffungsvorhaben vor dem Problem, dass sie den Markt der potenziellen Bieter und deren Leistungsportfolio nicht genau kennen. In diesem Fall ist eine Markterkundung vor Einleitung des Vergabeverfahrens nicht nur zulässig, sondern auch ratsam.

RA Henning Feldmann

Bevor der Auftraggeber ein Vergabeverfahren beginnt, kommen auf ihn vorbereitende Maßnahmen zu. Vor allem muss der Willensbildungsprozess abgeschlossen sein, welche Leistung der Auftraggeber eigentlich genau haben will. Der Auftraggeber muss eine Bedarfsanalyse durchführen und die Frage beantwortet haben: Welche Leistung will ich eigentlich haben, bzw. brauche ich eigentlich?

Hierbei handelt es sich um einen internen Prozess, an dem die Bieter im Normalfall nicht beteiligt sind. In vielen Fällen weiß der Auftraggeber genau, welche Leistung er benötigt. Will er z.B. Reinigungsleistungen vergeben, dann weiß er, welche Gebäude der Stadtverwaltung in welchem Rhythmus auf welche Art und Weise gereinigt werden sollen.


Welche Lösung bietet der Markt?

Es gibt aber auch eine Vielzahl von Beschaffungsprojekten, bei denen der Auftraggeber bei genau dieser Bedarfsanalyse vor Problemen steht. Denn er weiß vielleicht, welches Problem er hat, das er durch eine bestimmte Beschaffung lösen will, er weiß aber nicht, welche Lösungen ihm der Markt und die potenziellen Bieter dafür anbieten können.

Häufig entwickeln sich die Märkte und die auf dem Markt verfügbaren Lösungen - gerade auf dem IT-Sektor - so schnell weiter, dass Auftraggeber gar nicht wissen, welche Möglichkeiten und welche Lösungen es überhaupt gibt. Dasselbe Problem stellt sich dann, wenn der Auftraggeber eine Leistung beschaffen will, die es so auf dem Markt noch gar nicht gibt und die für ihn hergestellt werden muss.

In solchen Fällen kann der Auftraggeber mangels Know-how keine Leistungsbeschreibung erstellen. Er kann auch keine geeigneten Eignungs- und Zuschlagskriterien festlegen. Letztendlich kann er auch keine Auftragswertschätzung vornehmen, weil er nicht wissen kann, zu welchen Preisen und mit welchen Kosten er seinen Bedarf am Markt wird decken können. In all diesen Fällen ist eine beschaffungsbezogene Markterkundung im Vorfeld eines Vergabeverfahrens richtig und wichtig.

Die Markterkundung in diesem Sinne ist abzugrenzen von einer regelmäßigen Marktbeobachtung. Diese erfolgt nicht anlassbezogen für ein bestimmtes Vergabeverfahren, sondern fortwährend. Mitarbeiter der öffentlichen Auftraggeber besuchen Messen und Veranstaltungen, sichten Fachliteratur und Pressemeldungen, sprechen mit Marktteilnehmern oder führen Internetrecherchen durch.

Auf diese Weise bleiben sie auf dem aktuellen Stand und erfahren von Marktentwicklungen. Diese Marktbeobachtung unterliegt keinen rechtlichen Grenzen, die Mitarbeiter der öffentlichen Auftraggeber sollten nur darauf achten, sich nicht einseitig - z.B. nur bei dem Marktführer - zu informieren und beispielsweise neuen Unternehmen auf dem Markt und neuen Technologien ebenso Aufmerksamkeit zu schenken.


Markterkundung im Vergaberecht

§ 28 Abs. 1 VgV und § 20 UVgO regeln: „Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens darf der öffentliche Auftraggeber Markterkundungen zur Vorbereitung der Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.“

Hieraus wird deutlich, dass die Markterkundung zwei Zielsetzungen hat: die Vorbereitung der Auftragsvergabe und die Unterrichtung der Unternehmen. Beide Zielsetzungen werden vor dem Hintergrund verfolgt, dem Auftraggeber eine bestmögliche Auftragsvergabe nach seinen Erfordernissen und den Unternehmen eine bestmögliche Vorbereitung und Beteiligungsmöglichkeit zu geben.

Es gibt grundsätzlich keine Pflicht im Rahmen einer Bedarfsbestimmung eine Markterkundung durchzuführen (VK Westfalen, Beschl. v. 16. März 2022, VK 2 - 7/22). In Fällen, in denen es dem Auftraggeber an Know-how und Kenntnis des Marktes und der am Markt verfügbaren Lösungen fehlt, kann eine Markterkundung aber notwendig und damit jedenfalls faktisch verpflichtend sein, um eine Beschaffung ausschreibungsreif zu machen. Denn ein Auftraggeber darf nicht ungeprüft davon ausgehen, dass es neben ihm bekannten Unternehmen keine weiteren geeigneten Mitbewerber gibt.


ÖA können die Markterkundung frei gestalten und durchführen

Der öffentliche Auftraggeber ist in der Gestaltung und Durchführung der Markterkundung frei. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für den Auftraggeber, die Markterkundung zu beginnen. Zum einen kann er eine öffentliche Marktansprache auf einer Bekanntmachungsplattform oder auf seiner Internetseite veröffentlichen. Er veröffentlicht eine Art Bekanntmachung, in der der Gegenstand der Markterkundung beschrieben ist. Auf diese Weise wird die Markterkundung bekannt gemacht und der größtmögliche Kreis an potenziellen Interessenten wird angesprochen.

Die zweite Möglichkeit liegt darin, ihm bekannte Marktteilnehmer direkt anzusprechen und um Teilnahme zu bitten. Hierdurch besteht natürlich die Gefahr, dass der Auftraggeber ggf. neue Unternehmen auf dem Markt, die innovative Lösungen haben, nicht kennt und deren Erkenntnisse daher nicht in die Markterkundung einfließen. Die Markterkundung zu veröffentlichen, bietet zudem den Vorteil, dass der Auftraggeber sich später nicht dem Vorwurf aussetzt, einzelne Unternehmen gezielt zu bevorzugen (indem er sie anspricht) und andere zu benachteiligen (indem er sie nicht anspricht).

Trotzdem werden sich die meisten Auftraggeber aus praktischen und organisatorischen Erwägungen darauf beschränken, eine Reihe von ihnen bekannten Unternehmen um Teilnahme an der Markterkundung zu bitten. Nicht nur aus Wettbewerbsgesichtspunkten, sondern auch angesichts der Sinnhaftigkeit einer Markterkundung, muss diese mit mehreren Unternehmen stattfinden. Es liegt im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, mit wie vielen und welchen Unternehmen er Gespräche führt. In der Praxis ist es meistens nicht möglich, alle potenziellen Bieter einzubeziehen. Das verlangt das Vergaberecht aber auch nicht.


Leistungsgegenstand von Bedeutung

Welchen Inhalt die Markterkundung hat und auf welche Weise sie durchgeführt wird, bestimmt sich nach dem Leistungsgegenstand. Der Auftraggeber ist hier weitestgehend frei. Weiß der Auftraggeber z.B., dass mehrere Unternehmen am Markt ein bestimmtes technisches Gerät für einen bestimmten Einsatzzweck im Portfolio haben, kennt er aber deren genaue technische Features nicht, so liegt es nahe, allen Unternehmen einen „Fragebogen“ zu technischen Details zu schicken. Die Unternehmen können auch um Übersendung von Katalogen, Prospekten, Preislisten o.ä. gebeten werden.

In anderen Fällen bieten sich persönliche Gespräche, Präsentationen oder Teststellungen / Testvorführungen an. Bei komplexen Beschaffungsvorhaben ist es auch zulässig, sachkundige Dritte (etwa Ingenieure oder Architekten) einzubeziehen. Jedenfalls können im Austausch mit den Unternehmen alle Details und Einzelheiten der Produkte und Lösungen erörtert werden. Im Rahmen der Markterkundung dürfen auch detaillierte Preisinformationen oder sogar unverbindliche Angebote eingeholt werden.

Der Auftraggeber muss sich nicht über alle am Markt verfügbaren Lösungen einen Überblick verschaffen - dies wäre häufig auch schon praktisch kaum möglich (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.06.2012 - VII-Verg 7/12). Es reicht aus, wenn der öffentliche Auftraggeber einen ausreichenden Überblick über den Markt erhält, sodass er die Leistung ausschreiben kann.

Die Informationen, die der Auftraggeber aus der Markterkundung erhält, lässt er anschließend in die Vergabeunterlagen einfließen. In erster Linie geht es hierbei um die Leistungsbeschreibung: ausgehend davon, was der Markt bieten kann, erstellt der Bieter seine Leistungsbeschreibung. Aber Informationen aus der Markterkundung können genauso in die Auftragswertschätzung oder die Ausgestaltung der Eignungs- und v.a. der Zuschlagskriterien einfließen.


Grenzen der Markterkundung

§ 28 Abs. 2 VgV und § 20 Abs. 2 UVgO regeln, dass Vergabeverfahren nur zum Zwecke der Kosten- und Preisermittlung unzulässig sind. Dies soll Bieter vor einem unnötigen Aufwand schützen, den sie nur im Vertrauen auf eine mögliche Zuschlagserteilung in Kauf nehmen. Eine Markterkundung muss sich deswegen von einem Vergabeverfahren unterscheiden.

Es ist geboten, die Teilnehmer darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eine Ausschreibung handelt; die Markterkundung muss als solche bezeichnet werden. Es sollte auch klargestellt werden, dass Bieter aus der Markterkundung heraus keinen Auftrag erwarten können und dass die Teilnahme freiwillig ist, dass Unternehmen also keine Nachteile im Vergabeverfahren drohen, wenn sie nicht an der Markterkundung teilnehmen.

Auch darf die Markterkundung nicht in eine de-facto-Vergabe übergehen. Es ist daher unzulässig, von einer unverbindlichen Angebotsabgabe aus einer Markterkundung „still und leise“ überzugehen in verbindliche Angebote und letztlich in einen Vertragsschluss überzugehen.


Beachtung vergaberechtlicher Grundsätze und Regelungen des Vergabeverfahrens

Weitere Grenzen ergeben sich aus den vergaberechtlichen Grundsätzen und den Regelungen für das eigentliche Vergabeverfahren.

Nach § 7 VgV hat der öffentliche Auftraggeber bei Vergabeverfahren etwa dafür zu sorgen, dass Informationsvorsprünge von vorbefassten Unternehmen ausgeglichen werden. Der Auftraggeber sollte daher vermeiden, dass ein Unternehmen im Rahmen der Markterkundung Sonderwissen erhält, das ihm gegenüber späteren Mitbewerbern einen echten Wettbewerbsvorteil verschafft. Der Auftraggeber sollte daher darauf achten, nur die notwendigen Informationen zur beabsichtigten Vergabe herauszugeben und sich ansonsten darauf beschränken, Fragen an die Teilnehmer der Markterkundung zu stellen. Auch längere Fristen oder die Veröffentlichung der im Rahmen der Markterkundung gesammelten Informationen im Vergabeverfahren können ein Mittel sein, um einen eventuellen Vorsprung der Teilnehmer der Markterkundung auszugleichen.

Eine besondere Verantwortung trifft den Auftraggeber bei der Abfassung der Leistungsbeschreibung. Denn es ist klar, dass Unternehmen bei einer Markterkundung die Vorzüge der eigenen Produkte bewerben und dies in der Absicht tun, mit dem Auftraggeber Geschäfte zu machen. Nicht selten haben Unternehmen versucht, einen Auftraggeber bei einer Markterkundung zu beeinflussen.

Daher sind Aussagen wie „Das Feature xy, das Du unbedingt haben willst, bieten nur wir“ immer gewissenhaft zu prüfen. Es ist die Pflicht des Auftraggebers, die Leistung, für die er sich nach durchgeführter Markterkundung entscheidet, produktneutral und wettbewerbsoffen zu beschreiben. Nur bei Vorliegen besonderer „sach- und auftragsbezogener Gründe“ darf sich der Auftraggeber auf ein Produkt festlegen, § 31 Abs. 6 VgV.


Dokumentation notwendig

Die Markterkundung ist zu dokumentieren. Dies ergibt sich zwar unmittelbar nicht aus § 8 oder § 28 VgV. Trotzdem beeinflussen die Informationen aus der Markterkundung die Entscheidungen im Vergabeverfahren, die wiederum dokumentiert werden müssen.

Daher ist es für eine ordnungsgemäße Dokumentation des Vergabeverfahrens erforderlich, die Art der Durchführung der Markterkundung, die Auswahl der angesprochenen Teilnehmer und der Ergebnisse der Markterkundung zu dokumentieren.


Alleinstellungsmerkmal eines Bieters

Eine besondere Form der Markterkundung ist dann vorgeschrieben, wenn der Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Wirtschaftsteilnehmer durchführen und sich hierbei auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV - ein technisches Alleinstellungsmerkmal dieses Bieters - stützen will. Nach § 14 Abs. 6 VgV muss der Auftraggeber vorab prüfen, ob es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt. Dies zwingt ihn zwar nicht zu einer Markterkundung i.S.d. § 28 VgV.

Nach der Rechtsprechung (VK Südbayern, Beschl. v. 08.11.2022 – 3194.Z3-3_01-22-6) muss der Auftraggeber aber eine umfassende und repräsentative Marktanalyse und eine umfassende Analyse bestehender Lösungen vornehmen, denn nur das kann den Nachweis erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber ist.

Es versteht sich von selbst, dass der Auftraggeber sich hierbei nicht nur auf eine Abfrage bei einem Unternehmen beschränken darf, denn eine solche „Marktanalyse“ von vorneherein ungeeignet, Alleinstellungsmerkmale i.S.d. § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV i.V.m. § 14 Abs. 6 VgV zu begründen.

Führt eine Markterkundung zu dem Ergebnis, dass ein Alleinstellungsmerkmal eines Bieters besteht, bestehen auch besonders hohe Anforderungen an deren Dokumentation (VK Bund, Beschl. v. 29.9.2020 – VK 2 - 73/20). Dann muss besonders sorgfältig dokumentiert werden, nach welchen Gesichtspunkten die Gesprächspartner ausgewählt wurden, welcher Gesprächspartner welche Information geliefert hat und wie diese kritisch bewertet, hinterfragt und ausgewertet wurden.


Fazit

Markterkundungen sind vielfach ein richtiges und wichtiges Mittel für den Auftraggeber, um am Ende wirklich die Leistung auszuschreiben, die er auch haben will. Angst oder Bedenken müssen Auftraggeber nicht haben, wenn sie die o.g. wenigen Grundregeln beachten und sich vom gesunden Menschenverstand leiten lassen.

Hier nochmal die Grundregeln im Überblick:

  • Die Markterkundung hat die Vorbereitung der Auftragsvergabe und die Unterrichtung der Unternehmen zum Ziel.
  • Der öffentliche Auftraggeber ist in der Gestaltung und Durchführung der Markterkundung frei.
  • Der Inhalt der Markterkundung und die Art ihrer Durchführung bestimmen sich nach dem Leistungsgegenstand.
  • Die Markterkundung muss als solche für ihre Teilnehmer erkennbar sein.
  • Aus der Teilnahme an der Markterkundung dürfen sich weder Vor- noch Nachteile für die Teilnehmenden als potenzielle Bewerber eines zukünftigen Vergabeverfahrens ergeben.
  • Die Markterkundung ist zu dokumentieren.
Kostenloses Whitepaper
eForms – ein weiterer Schritt zur Digitalisierung der öffentlichen Beschaffung
Ab dem 25.10.2023 sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, bei Bekanntmachungen in europaweiten Vergabeverfahren die neuen elektronischen Standardformulare (eForms) zu verwenden. Was ändert sich dadurch für Vergabestellen und Bieter?
Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
Bildnachweis: NINENII/stock.adobe.com
Passende Themen durchstöbern
Online-Modul
Werner Vergaberecht
  • 13 Top-Titel in einem Online-Modul
  • - Inklusive Willenbruch / Wieddekind »Kompaktkommentar Vergaberecht«
  • und der Zeitschrift »VergabeR«
    - Alle Werke immer in der aktuellen Auflage
Immer top informiert: Neuigkeiten aus dem Bau- und Vergabrecht
Back To Top