Nach den vergaberechtlichen Vorschriften werden Angebote ausgeschlossen, die die Vergabeunterlagen abändern. Bei Anwendung dieses Ausschlussgrundes sind die Besonderheiten der Rechtsprechung zu beachten
RA Henning Feldmann
Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, § 42 Abs. 1 Nr. 4 UVgO sowie § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A-EU sowie § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A werden Angebote ausgeschlossen, bei denen „Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind“.
Hintergrund dieser Regelung ist der faire Wettbewerb: der Auftraggeber darf nur solche Angebote berücksichtigen, die seinen Vorgaben vollständigen entsprechen, denn andernfalls sind die Angebote nicht miteinander vergleichbar. Dieser Ausschlussgrund gestattet dem öffentlichen Auftraggeber kein Ermessen, mit anderen Worten: nimmt ein Bieter Änderungen an den Vergabeunterlagen vor, so ist sein Angebot zwingend vom Verfahren auszuschließen.
Auf den ersten Blick erscheint der Regelungsgehalt eindeutig: reicht der Bieter ein Angebot ein, das von den Anforderungen des Auftraggebers abweicht, wird er ausgeschlossen. Eine solche Abweichung kann etwa darin liegen, dass der Bieter von Leistungsvorgaben des Bieters abweicht, beispielsweise wenn ein Auftraggeber einen bestimmten Zeitplan vorgibt und der Bieter erklärt, dass er diesen nicht einhalten wird.
Ein insoweit „klassischer“ Anwendungsfall ist auch ein Leistungsverzeichnis mit bestimmten Spezifikationen: gibt der Auftraggeber vor, dass eine anzubietende Ware bestimmte Spezifikationen erfüllen muss, und der Auftraggeber bietet ein Produkt an, das hiervon abweicht (etwa größer oder schwerer ist als vorgegeben), weicht der Auftraggeber von den Vergabeunterlagen ab.
Denkbar ist auch, dass der Auftraggeber vorgegeben hat, dass die Leistung auf eine bestimmte Art und Weise zu erbringen ist und der Bieter erklärt, dass er sich bei Beauftragung nicht daranhalten wird, sondern den Auftrag anders auszuführen gedenkt. Auch die Verwendung veralteter Vergabeunterlagen kann eine Änderung der Vergabeunterlagen darstellen. Dies ist vor allem dann Relevanz, wenn der Auftraggeber während der Angebotsfrist Änderungen an einem Leistungsverzeichnis vornimmt, ein aktualisiertes Leistungsverzeichnis veröffentlicht und der Bieter in seinem Angebot trotzdem das ursprüngliche, veraltete, Leistungsverzeichnis verwendet.
Grundsätzlich führt jede Abweichung von den Vorgaben zwingend zum Ausschluss des Angebotes. Auf eine Wettbewerbsrelevanz oder einen besonderen Grad oder eine bestimmte Schwere der Abweichung der Angebotsinhalte kommt es nicht an (OLG München, Beschl. v. 21. April 2017, Verg 1/17). Ein anschauliches Beispiel findet sich bei der VK Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 28. März 2018, VK 1 - 38/17): hiernach kann ein Angebotsausschluss sogar dann gerechtfertigt sein, wenn der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen einen Gerichtsstand vorgegeben hat und der Auftraggeber in seinem Angebotsschreiben anderen Gerichtsstand benennt.
Ein weiterer „Klassiker“ des Ausschlussgrunds wegen „Abweichung von den Vergabeunterlagen“ war das Beifügen bietereigener AGB. Dies geschah - aus Sicht der Bieter – entweder absichtlich oder unabsichtlich. Bei einem absichtlichen Vorgehen erklärten die Bieter mit vollem Wissen und Wollen, dass nur ihre AGB, nicht aber die Vertragsbedingungen des Auftraggebers, gelten sollen. Der Ausschluss des Angebots war die Folge und dies ist auch gerechtfertigt.
Denn wenn der Auftraggeber Vertragsbedingungen vorgibt, ist ein Angebot, das auf anderen vertraglichen Grundlagen (etwa: anderen Haftungsregelungen oder Zahlungsbedingungen) beruht, nicht mit anderen Angeboten vergleichbar. Ein unabsichtliches Beifügen der eigenen AGB geschah häufig so, dass Bieter mit dem Angebot ein Begleitschreiben etwa mit dem Inhalt „Hiermit erhalten Sie unser Angebot, wir freuen uns auf ihre Rückmeldung“ auf eigenem Briefkopf einreichten, auf dem an irgendeiner Stelle stand „Es gelten unsere AGB“; dies, ohne dass die Bieter dies bedacht hatten oder eine Angebotsabgabe auf Grundlage der eigenen AGB gewollt hätten. Diese wichen dann naturgemäß von den Vertragsbedingungen des Auftraggebers ab, der Ursprung für den Angebotsausschluss war gesetzt.
Nach der Rechtsprechung des BGH vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17) sind die Möglichkeiten des Angebotsausschlusses in dieser zweiten Fallgruppe des unabsichtliches Beifügens eingeschränkt. Angebote, die unter einem formalen Mangel leiden, sind hiernach - wenn möglich - „im Sinne des Wettbewerbs“ auszulegen und zu retten:
Gegenstand des Verfahrens war ein Vergabeverfahren, bei dem der Auftraggeber die „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau)“ zum Bestandteil der Vergabeunterlagen gemacht hat. Hiernach sollte die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgen. Ein Bieter versah den Endpreis in seinem Angebot aber mit dem Zusatz „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“. Der BGH hat den erfolgten Ausschluss dieses Bieters für unzulässig erklärt.
Denn die Vergabeunterlagen enthielten (wie häufig) eine vom Auftraggeber vorgegebene „Abwehrklausel“, die etwa lautet: „Allgemeine Geschäftsbedingungen, Liefer- oder Zahlungsbedingungen des Bieters werden nicht Vertragsbestandteil“. In diesem Fall ist das Beifügen bietereigener AGB im Ergebnis folgenlos und unschädlich, denn wegen der Abwehrklausel können bietereigene AGB nicht Vertragsbestandteil werden. Es besteht daher keine Gefahr dafür, dass der Bieter sich im Falle eines Zuschlags mit Erfolg auf „seine“ eigene AGB berufen könnte.
Solche Abwehrklauseln zielen darauf ab, bei Angeboten, denen ein Bieter eigene Vertragsbedingungen beifügt, einen Ausschluss zu vermeiden. Sie dienen also dazu, den Ausschluss von Angeboten aus nur formalen Gründen zu verhindern. Es ist erklärtes Ziel im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren.
Der BGH schloss daraus, dass diese Konstellation auf ein Missverständnis beim Bieter hindeutet, denn wären dem Bieter die Bindungen des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Vergabeunterlagen bewusst gewesen, so hätte er auf abweichende Klauseln wohl verzichtet.
In den weiteren, im konkreten Fall nicht entscheidungserheblichen, Ausführungen (obiter dictum) geht der BGH hierüber noch hinaus. Er geht auch auf Fallgestaltungen ein, in denen es an einer solchen Abwehrklausel fehlt. Nach Ansicht des BGH hätte das Angebot des Bieters auch bei Fehlen einer Abwehrklausel nicht ausgeschlossen werden dürfen, denn die Umstände sprachen dafür, dass das Beifügen der eigenen AGB auf einem Missverständnis beruht hat, so dass ein Ausschluss des Angebots nicht angezeigt war.
Ein Angebot, dem der Bieter eigene Vertragsunterlagen wie namentlich AGB (Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen) beigefügt hat, ist dann nicht auszuschließen, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.
Der BGH führt weiter aus, dass diese entwickelten Grundsätze nicht nur für AGB, sondern für alle Arten von Erklärungen gelten.
Der BGH hat in seiner Entscheidung die folgenden Leitlinien für den Umgang mit dem Ausschlussgrund „Änderung von Vergabeunterlagen“ vorgegeben:
Angebote sollen nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden, jedenfalls wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt, denn die „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe“ ist mit der VOB/A 2009 entfallen. Zwar sei der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen nach dem Wortlaut unverändert, die Regelung sei aber im „Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen angepasst auszulegen und anzuwenden“.
Aufklärung geht daher vor Ausschluss: das Beifügen bietereigener AGB und andere formale Verstöße beruhen in der Regel auf Missverständnissen. Denn es ist in der Regel nicht anzunehmen, dass sich der Bieter durch eine solche unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen selbst aus dem Rennen um den Auftragserhalt nehmen will. Der Auftraggeber muss das Angebot des Bieters also aufklären und auslegen, ob es sich nicht doch dahingehend interpretieren lässt, dass eine Abänderung der Vergabeunterlagen nicht vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.
Wenn der Auftraggeber also den vom Bieter hinzugefügten Bestandteil, der nicht seinen Vorgaben entspricht, einfach wegstreichen kann, ist ein Angebotsausschluss nicht mehr gerechtfertigt, wenn nach Wegstreichen ein vollständiges Angebot, das allen Vorgaben des Auftraggeber entspricht, übrigbleibt. Fügt der Bieter daher eigene Vertragsbedingungen bei, ist dies der Fall. Wenn der Bieter aber das Leistungsverzeichnis ändert und beispielsweise etwas anderes anbietet, als der Auftraggeber gefordert hat, nicht. Wenn der Auftraggeber beispielsweise fordert: „zu liefern ist Kopierpapier mit dem Gewicht: 80-100 g/m²“ und der Bieter bietet an „Kopierpapier mit dem Gewicht 75g/m²“, bleibt kein vollständiges Angebot über, wenn man sich diese Abweichung wegdenkt. Denn dann hat der Bieter schlichtweg kein Kopierpapier angeboten, das den Spezifikationen des Auftraggebers entspricht.
Es kommt hierbei auf den Einzelfall an. Es muss zunächst aufgrund aller Umstände anzunehmen sein, dass das Angebot nach dem Willen des Bieters keine Änderung beinhalten sollte. Findet sich die Abweichung daher etwa in einem Muster oder einem Vordruck spricht einiges dafür, dass der Bieter seine übliche Vorlage benutzt hat und ihm gar nicht bewusst gewesen ist, dass damit von den Vergabeunterlagen abweicht. Wenn allerdings deutlich wird, dass der Bieter sich bewusst mit den Vorgaben der Vergabeunterlagen auseinandergesetzt hat und diese ablehnt oder ändert, muss das Angebot weiterhin ausgeschlossen werden. Bei „manipulativen“ Eingriffen in die Vergabeunterlagen ist ein Angebotsausschluss aber nach wie vor geboten.
Dies sind Fälle, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweicht und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt, wenn man die Abweichungen des Bieters hinwegdenkt (vgl. auch VK Bund, Beschl. v. 4. Januar 2023, VK 1-105/22). Dies erfasst beispielsweise Fälle, in denen ein Bieter mitteilt, Vorgaben in einer Leistungsbeschreibung nicht zu erfüllen oder Vertragsbedingungen nicht zu akzeptieren; dann ist ein Angebotsausschluss weiterhin geboten.
Allerdings ist formale Verfahrensstrenge kein Selbstzweck und dient der Transparenz und Fairness der Verfahren. Es besteht zu befürchten, dass sich bei Bietern eine gewisse Nachlässigkeit in formalen Aspekten einstellen könnte, weil man meint, mit der BGH-Rechtsprechung eine gute Argumentation zu haben, das Angebot „schon irgendwie zu retten“. Für Auftraggeber wird die Ausgangslage daher nicht leichter. Sie müssen Unklarheiten und erkannte Abweichungen aufklären und dann bewerten, ob eine Änderung irrtümlich erfolgt ist oder nicht, ob eine Änderung klar ist oder nicht und ob sie einen manipulativen Eingriff darstellt oder nicht.
Schließen sie zu Unrecht aus, müssen sie befürchten, vom ausgeschlossenen Bieter auf Schadensersatz verklagt zu werden, bei Fördermittelprojekten droht zusätzlich eine Rückforderung durch den Fördermittelgeber. Die (frühere) Rechtssicherheit, nach der jede Abweichung von den Vergabeunterlagen ohne große Diskussion zum Ausschluss führte und dies auch jeder wusste, führte im Einzelfall zwar sicher zu unschönen und auch ungerechten Ergebnissen; aber wenigstens wussten alle Beteiligte, Bieter und Auftraggeber, woran man ist und es gab Rechtssicherheit.
Bieter dürfen die Rechtsprechung des BGH daher keinesfalls als Freibrief nehmen, um von Vorgaben des Auftraggebers abweichen zu können. Die Vorgaben des Auftraggebers haben Geltung und sind einzuhalten, und um den Verbleib im Vergabeverfahren werden Bieter nach wie vor kämpfen müssen, wenn sie ein Angebot abgeben, das von den Vorgaben des Auftraggebers abweicht und dieser diese Abweichung nicht so hinnehmen will. Dies gilt es dadurch zu vermeiden, dass Bieter ein Angebot abgeben, das alle Vorgaben des Auftraggebers einhält.
Aus diesem Grund sollten Bieter nur die Unterlagen und Angaben im Angebot machen, die der Auftraggeber fordert, aber auf die ungefragte Beifügung von Anschreiben oder sonstigen Erklärungen verzichten.
Auftraggebern wird empfohlen, AGB-bezogene Abwehrklauseln in Vergabeverfahren aufzunehmen.
RA Henning Feldmann
Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV, § 42 Abs. 1 Nr. 4 UVgO sowie § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A-EU sowie § 16 Nr. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A werden Angebote ausgeschlossen, bei denen „Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind“.
Hintergrund dieser Regelung ist der faire Wettbewerb: der Auftraggeber darf nur solche Angebote berücksichtigen, die seinen Vorgaben vollständigen entsprechen, denn andernfalls sind die Angebote nicht miteinander vergleichbar. Dieser Ausschlussgrund gestattet dem öffentlichen Auftraggeber kein Ermessen, mit anderen Worten: nimmt ein Bieter Änderungen an den Vergabeunterlagen vor, so ist sein Angebot zwingend vom Verfahren auszuschließen.
„Abweichung von den Vergabeunterlagen“
Auf den ersten Blick erscheint der Regelungsgehalt eindeutig: reicht der Bieter ein Angebot ein, das von den Anforderungen des Auftraggebers abweicht, wird er ausgeschlossen. Eine solche Abweichung kann etwa darin liegen, dass der Bieter von Leistungsvorgaben des Bieters abweicht, beispielsweise wenn ein Auftraggeber einen bestimmten Zeitplan vorgibt und der Bieter erklärt, dass er diesen nicht einhalten wird. Ein insoweit „klassischer“ Anwendungsfall ist auch ein Leistungsverzeichnis mit bestimmten Spezifikationen: gibt der Auftraggeber vor, dass eine anzubietende Ware bestimmte Spezifikationen erfüllen muss, und der Auftraggeber bietet ein Produkt an, das hiervon abweicht (etwa größer oder schwerer ist als vorgegeben), weicht der Auftraggeber von den Vergabeunterlagen ab.
Denkbar ist auch, dass der Auftraggeber vorgegeben hat, dass die Leistung auf eine bestimmte Art und Weise zu erbringen ist und der Bieter erklärt, dass er sich bei Beauftragung nicht daranhalten wird, sondern den Auftrag anders auszuführen gedenkt. Auch die Verwendung veralteter Vergabeunterlagen kann eine Änderung der Vergabeunterlagen darstellen. Dies ist vor allem dann Relevanz, wenn der Auftraggeber während der Angebotsfrist Änderungen an einem Leistungsverzeichnis vornimmt, ein aktualisiertes Leistungsverzeichnis veröffentlicht und der Bieter in seinem Angebot trotzdem das ursprüngliche, veraltete, Leistungsverzeichnis verwendet.
Grundsätzlich führt jede Abweichung von den Vorgaben zwingend zum Ausschluss des Angebotes. Auf eine Wettbewerbsrelevanz oder einen besonderen Grad oder eine bestimmte Schwere der Abweichung der Angebotsinhalte kommt es nicht an (OLG München, Beschl. v. 21. April 2017, Verg 1/17). Ein anschauliches Beispiel findet sich bei der VK Rheinland-Pfalz (Beschl. v. 28. März 2018, VK 1 - 38/17): hiernach kann ein Angebotsausschluss sogar dann gerechtfertigt sein, wenn der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen einen Gerichtsstand vorgegeben hat und der Auftraggeber in seinem Angebotsschreiben anderen Gerichtsstand benennt.
Beifügen „bietereigener AGB“ und BGH-Entscheidung vom 18. Juni 2019
Ein weiterer „Klassiker“ des Ausschlussgrunds wegen „Abweichung von den Vergabeunterlagen“ war das Beifügen bietereigener AGB. Dies geschah - aus Sicht der Bieter – entweder absichtlich oder unabsichtlich. Bei einem absichtlichen Vorgehen erklärten die Bieter mit vollem Wissen und Wollen, dass nur ihre AGB, nicht aber die Vertragsbedingungen des Auftraggebers, gelten sollen. Der Ausschluss des Angebots war die Folge und dies ist auch gerechtfertigt. Denn wenn der Auftraggeber Vertragsbedingungen vorgibt, ist ein Angebot, das auf anderen vertraglichen Grundlagen (etwa: anderen Haftungsregelungen oder Zahlungsbedingungen) beruht, nicht mit anderen Angeboten vergleichbar. Ein unabsichtliches Beifügen der eigenen AGB geschah häufig so, dass Bieter mit dem Angebot ein Begleitschreiben etwa mit dem Inhalt „Hiermit erhalten Sie unser Angebot, wir freuen uns auf ihre Rückmeldung“ auf eigenem Briefkopf einreichten, auf dem an irgendeiner Stelle stand „Es gelten unsere AGB“; dies, ohne dass die Bieter dies bedacht hatten oder eine Angebotsabgabe auf Grundlage der eigenen AGB gewollt hätten. Diese wichen dann naturgemäß von den Vertragsbedingungen des Auftraggebers ab, der Ursprung für den Angebotsausschluss war gesetzt.
Nach der Rechtsprechung des BGH vom 18. Juni 2019 (X ZR 86/17) sind die Möglichkeiten des Angebotsausschlusses in dieser zweiten Fallgruppe des unabsichtliches Beifügens eingeschränkt. Angebote, die unter einem formalen Mangel leiden, sind hiernach - wenn möglich - „im Sinne des Wettbewerbs“ auszulegen und zu retten:
Gegenstand des Verfahrens war ein Vergabeverfahren, bei dem der Auftraggeber die „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau)“ zum Bestandteil der Vergabeunterlagen gemacht hat. Hiernach sollte die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgen. Ein Bieter versah den Endpreis in seinem Angebot aber mit dem Zusatz „… zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“. Der BGH hat den erfolgten Ausschluss dieses Bieters für unzulässig erklärt.
Denn die Vergabeunterlagen enthielten (wie häufig) eine vom Auftraggeber vorgegebene „Abwehrklausel“, die etwa lautet: „Allgemeine Geschäftsbedingungen, Liefer- oder Zahlungsbedingungen des Bieters werden nicht Vertragsbestandteil“. In diesem Fall ist das Beifügen bietereigener AGB im Ergebnis folgenlos und unschädlich, denn wegen der Abwehrklausel können bietereigene AGB nicht Vertragsbestandteil werden. Es besteht daher keine Gefahr dafür, dass der Bieter sich im Falle eines Zuschlags mit Erfolg auf „seine“ eigene AGB berufen könnte.
Solche Abwehrklauseln zielen darauf ab, bei Angeboten, denen ein Bieter eigene Vertragsbedingungen beifügt, einen Ausschluss zu vermeiden. Sie dienen also dazu, den Ausschluss von Angeboten aus nur formalen Gründen zu verhindern. Es ist erklärtes Ziel im Interesse der Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel zu reduzieren.
Der BGH schloss daraus, dass diese Konstellation auf ein Missverständnis beim Bieter hindeutet, denn wären dem Bieter die Bindungen des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Vergabeunterlagen bewusst gewesen, so hätte er auf abweichende Klauseln wohl verzichtet.
In den weiteren, im konkreten Fall nicht entscheidungserheblichen, Ausführungen (obiter dictum) geht der BGH hierüber noch hinaus. Er geht auch auf Fallgestaltungen ein, in denen es an einer solchen Abwehrklausel fehlt. Nach Ansicht des BGH hätte das Angebot des Bieters auch bei Fehlen einer Abwehrklausel nicht ausgeschlossen werden dürfen, denn die Umstände sprachen dafür, dass das Beifügen der eigenen AGB auf einem Missverständnis beruht hat, so dass ein Ausschluss des Angebots nicht angezeigt war.
Ein Angebot, dem der Bieter eigene Vertragsunterlagen wie namentlich AGB (Liefer-, Vertrags- und Zahlungsbedingungen) beigefügt hat, ist dann nicht auszuschließen, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.
Der BGH führt weiter aus, dass diese entwickelten Grundsätze nicht nur für AGB, sondern für alle Arten von Erklärungen gelten.
Wann liegt eine „Änderung von Vergabeunterlagen“ noch vor?
Der BGH hat in seiner Entscheidung die folgenden Leitlinien für den Umgang mit dem Ausschlussgrund „Änderung von Vergabeunterlagen“ vorgegeben: Angebote sollen nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden, jedenfalls wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt, denn die „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs namentlich zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe“ ist mit der VOB/A 2009 entfallen. Zwar sei der Ausschlussgrund der Änderungen an den Vergabeunterlagen nach dem Wortlaut unverändert, die Regelung sei aber im „Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen angepasst auszulegen und anzuwenden“.
Aufklärung geht daher vor Ausschluss: das Beifügen bietereigener AGB und andere formale Verstöße beruhen in der Regel auf Missverständnissen. Denn es ist in der Regel nicht anzunehmen, dass sich der Bieter durch eine solche unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen selbst aus dem Rennen um den Auftragserhalt nehmen will. Der Auftraggeber muss das Angebot des Bieters also aufklären und auslegen, ob es sich nicht doch dahingehend interpretieren lässt, dass eine Abänderung der Vergabeunterlagen nicht vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn nach bloßer Streichung des Hinzugefügten ein dem maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen vollständig entsprechendes Angebot vorliegt.
Wenn der Auftraggeber also den vom Bieter hinzugefügten Bestandteil, der nicht seinen Vorgaben entspricht, einfach wegstreichen kann, ist ein Angebotsausschluss nicht mehr gerechtfertigt, wenn nach Wegstreichen ein vollständiges Angebot, das allen Vorgaben des Auftraggeber entspricht, übrigbleibt. Fügt der Bieter daher eigene Vertragsbedingungen bei, ist dies der Fall. Wenn der Bieter aber das Leistungsverzeichnis ändert und beispielsweise etwas anderes anbietet, als der Auftraggeber gefordert hat, nicht. Wenn der Auftraggeber beispielsweise fordert: „zu liefern ist Kopierpapier mit dem Gewicht: 80-100 g/m²“ und der Bieter bietet an „Kopierpapier mit dem Gewicht 75g/m²“, bleibt kein vollständiges Angebot über, wenn man sich diese Abweichung wegdenkt. Denn dann hat der Bieter schlichtweg kein Kopierpapier angeboten, das den Spezifikationen des Auftraggebers entspricht.
Es kommt hierbei auf den Einzelfall an. Es muss zunächst aufgrund aller Umstände anzunehmen sein, dass das Angebot nach dem Willen des Bieters keine Änderung beinhalten sollte. Findet sich die Abweichung daher etwa in einem Muster oder einem Vordruck spricht einiges dafür, dass der Bieter seine übliche Vorlage benutzt hat und ihm gar nicht bewusst gewesen ist, dass damit von den Vergabeunterlagen abweicht. Wenn allerdings deutlich wird, dass der Bieter sich bewusst mit den Vorgaben der Vergabeunterlagen auseinandergesetzt hat und diese ablehnt oder ändert, muss das Angebot weiterhin ausgeschlossen werden. Bei „manipulativen“ Eingriffen in die Vergabeunterlagen ist ein Angebotsausschluss aber nach wie vor geboten.
Dies sind Fälle, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweicht und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt, wenn man die Abweichungen des Bieters hinwegdenkt (vgl. auch VK Bund, Beschl. v. 4. Januar 2023, VK 1-105/22). Dies erfasst beispielsweise Fälle, in denen ein Bieter mitteilt, Vorgaben in einer Leistungsbeschreibung nicht zu erfüllen oder Vertragsbedingungen nicht zu akzeptieren; dann ist ein Angebotsausschluss weiterhin geboten.
Fazit und Bewertung
Die vergaberechtliche Rechtsprechung tendiert dazu, die Wertung des BGH zu übernehmen und Ausschlüsse wegen formaler Mängel im Angebot auch bei Ausschreibungen im Bereich Liefer- und Dienstleistungen zu begrenzen (vgl. etwa OLG Schleswig, Beschl. v. 12. November 2020, 54 Verg 2/20). Dies ist aus Bietersicht und vom Wettbewerb her zu begrüßen, denn in der Tat dürfte es häufig so sein, dass formale Mängel im Angebot unnötig sind und auf einem Missverständnis beruhen.Allerdings ist formale Verfahrensstrenge kein Selbstzweck und dient der Transparenz und Fairness der Verfahren. Es besteht zu befürchten, dass sich bei Bietern eine gewisse Nachlässigkeit in formalen Aspekten einstellen könnte, weil man meint, mit der BGH-Rechtsprechung eine gute Argumentation zu haben, das Angebot „schon irgendwie zu retten“. Für Auftraggeber wird die Ausgangslage daher nicht leichter. Sie müssen Unklarheiten und erkannte Abweichungen aufklären und dann bewerten, ob eine Änderung irrtümlich erfolgt ist oder nicht, ob eine Änderung klar ist oder nicht und ob sie einen manipulativen Eingriff darstellt oder nicht.
Schließen sie zu Unrecht aus, müssen sie befürchten, vom ausgeschlossenen Bieter auf Schadensersatz verklagt zu werden, bei Fördermittelprojekten droht zusätzlich eine Rückforderung durch den Fördermittelgeber. Die (frühere) Rechtssicherheit, nach der jede Abweichung von den Vergabeunterlagen ohne große Diskussion zum Ausschluss führte und dies auch jeder wusste, führte im Einzelfall zwar sicher zu unschönen und auch ungerechten Ergebnissen; aber wenigstens wussten alle Beteiligte, Bieter und Auftraggeber, woran man ist und es gab Rechtssicherheit.
Bieter dürfen die Rechtsprechung des BGH daher keinesfalls als Freibrief nehmen, um von Vorgaben des Auftraggebers abweichen zu können. Die Vorgaben des Auftraggebers haben Geltung und sind einzuhalten, und um den Verbleib im Vergabeverfahren werden Bieter nach wie vor kämpfen müssen, wenn sie ein Angebot abgeben, das von den Vorgaben des Auftraggebers abweicht und dieser diese Abweichung nicht so hinnehmen will. Dies gilt es dadurch zu vermeiden, dass Bieter ein Angebot abgeben, das alle Vorgaben des Auftraggebers einhält.
Aus diesem Grund sollten Bieter nur die Unterlagen und Angaben im Angebot machen, die der Auftraggeber fordert, aber auf die ungefragte Beifügung von Anschreiben oder sonstigen Erklärungen verzichten.
Auftraggebern wird empfohlen, AGB-bezogene Abwehrklauseln in Vergabeverfahren aufzunehmen.