Mit Legal Design können die Herausforderungen der Digitalisierung in der Rechtsbranche überwunden und juristische Inhalte, Services und Produkte modernisiert werden. Doch wofür steht Legal Design genau? Was sind die Vorteile in der Praxis und wie setzt man es am besten ein? Die beiden Juristinnen und Legal Design-Pionierinnen Astrid Kohlmeier und Meera Klemola widmen sich dieser Thematik im Legal Design Buch, das vor Kurzem bei Wolters Kluwer erschienen ist.
Wir sprachen mit den beiden Autorinnen.
Wie wird man Legal Designer:in – braucht man dafür einen multidisziplinären Hintergrund, wie ihr ihn habt, oder ist es vielleicht sogar vielmehr ein Mindset?
Klemola: Das richtige Mindset ist sicher die Basis. Wer Legal Design in die tägliche Praxis integrieren möchte, muss zunächst einmal offen dafür sein, Probleme auf eine neue Weise und aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und nicht nur aus der eigenen Perspektive.
Kohlmeier: Im Idealfall sollten Legal Designer:innen jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Fähigkeiten, Ausprägungen und Ausbildungen mitbringen. Wir haben dazu das „Floating Model“ entwickelt, bei dem wir zwischen insgesamt fünf Kompetenzbereiche unterscheiden. Die wichtigsten Komponenten sind „Design“ und „Recht“, aber auch „Technologie“ und Businessverständnis gehören dazu. Die Idee des Modells ist, dass die Tiefe des Fachwissens und der Fähigkeiten in den einzelnen Bereichen variieren kann, die Elemente also schwebend (floating) und flexibel zu sehen sind. Das kann sehr hilfreich sein, je nachdem mit welcher Legal Design-Aufgabe man es zu tun hat.
Klemola: Es gibt also kein in Stein gemeißeltes Skillset, vielmehr kommen Legal Designer:innen im Moment aus verschiedenen beruflichen Ecken. Rechtliches und designerisches Verständnis sind aber die Hauptfähigkeiten, die eine Legal Designer:in ausmachen. Gerade im Bereich der Designfähigkeiten muss man aber vorsichtig sein: Ein kurzer Legal Design-Workshop macht noch keine/n Designer:in. Im Gegenteil: eine universitäre Designausbildung dauert etwa so lange wie eine juristische Ausbildung.
Was ist denn eigentlich Legal Design – und was ist nur Design?
Kohlmeier: Unter Legal Design versteht man kurz gesagt die Einbettung von Design ins Recht. Unser nutzer- und menschenzentrierter Ansatz eignet sich für eine Vielzahl von Problemlösungen und die Entwicklung von Innovationen im Recht. Konkret wird juristisches Fachwissen mit der Denkweise und den Methoden des Designs verbunden und ggf. so mit Technologie verzahnt, dass daraus nützliche, anwendbare, verständliche und ansprechende Resultate entstehen. Das können juristische Produkte, aber auch Dienstleistungen, Arbeitsschritte, Systeme, Geschäftsstrategien, Ökosysteme und Nutzererfahrungen sein.
Klemola: Für Menschen, die nicht mit Design vertraut sind, ist Design meistens erst einmal nur visuell. In unserem Buch bringen wir allen Interessierten näher, dass es aber mehr als das ist. Im Legal Design geht es vor allem darum den Design-Prozess auf rechtliche Fragestellungen anzuwenden. Die visuelle Gestaltung spielt dann bei der Lösungsfindung erst in einem späteren Stadium des Prozesses eine Rolle.
Warum braucht es überhaupt Legal Design?
Kohlmeier: Immer mehr rechtliche Organisationen nutzen die Methode, um die heutigen Herausforderungen zu meistern. Es gibt derzeit ja viele Herausforderungen: Zum einen herrscht ein erhöhter Kostendruck auf Rechtsabteilungen und Kanzleien. Sie müssen immer mehr Leistung für weniger Geld liefern. Zum anderen gibt es grundlegende Probleme bei der Umsetzung der eigenen Digitalisierung, aber auch eine wachsende Anzahl an Regulierungen und steigende Komplexität. All diese Themen brauchen eine Methode, damit wir sie bewältigen können. Und Legal Design eignet sich hier besonders gut, damit wir zu sinnvollen, nutzergerechten und nachhaltigen Lösungen kommen.
Klemola: Darüber hinaus ist aber auch die veränderte Erwartungshaltung von Konsument:innen bzw. Mandant:innen zu nennen. Rechtliche Inhalte müssen kürzer, verständlicher und einfacher aufbereitet sein.
Kohlmeier: Ein großes Thema für Legal Design ist „Access to Justice“. Mithilfe von Legal Design können wir herausfinden, was Bürger:innen benötigen, damit sie nicht nur Zugang zu rechtlichen Informationen und Beratung kriegen, sondern diese auch effizient und bürgerzentriert wahrnehmen können. Wie kann beispielsweise die Gesetzgebung vereinfacht werden, Gerichte digitaler werden und wie kann es uns überhaupt gelingen, jedem Menschen in gleichem und fairem Maße zu ermöglichen, sein Recht wahrzunehmen und auszuüben.
Klemola: Zusammenfassend kann man also sagen: Es ist ein ganzer Blumenstrauß an Themen, welche sich mit der Methode Legal Design bearbeiten und verbessern lassen.
Zu Beginn steht also immer das Mindset. Aber wie sieht ein Prozess aus, wenn ich als Jurist:in Legal Design nutzen möchte?
Kohlmeier: Den Startpunkt setzt meistens ein Mensch in einer Organisation, der den Antrieb oder den Druck verspürt, den Status Quo zu hinterfragen, ihn verändern will und auf der Suche nach Lösungen ist. In diesem Stadium hilft es, Gleichgesinnte zu suchen und sich mit anderen zu verbinden, die ähnlich denken, die innovieren und verändern wollen, die neu denken. Das ist ein guter Startpunkt. Anschließend sollte man viel und häufig mit Kolleg:innen und vor allem mit Kund:innen bzw. Mandant:innen sprechen: Was sind die Probleme, was wollt Ihr, was müssen wir verändern? Das mag einfach klingen, aber viele Jurist:innen haben Angst davor, genau diese einfachen Fragen zu stellen.
Klemola: Alle Informationen helfen dabei, einen Startpunkt zu identifizieren. Man sollte klein anfangen, mit einem tangiblen Problem, z.B. ein Vertrag und ihn re-designen. Ein solcher Pilot bringt wichtige Erkenntnisse, zeigt klar, was bereits möglich ist und ist oft der erste Schritt, um weitere Menschen in der Organisation von der Methode zu überzeugen.
Kohlmeier: Sehr gut eignen sich hier Standardverträge, wie z.B. NDAs. So wie im Fall mit Airbus. Da haben wir ein ganzes Re-Design-Projekt angestoßen und dabei hat die Organisation gelernt, welchen Impact ein so „kleiner“ Vertrag wie ein NDA haben kann, wenn man ihn nutzerzentriert gestaltet. Das Vertragsdesign-Projekt führte zu einem besseren Verständnis der tatsächlichen Bedürfnisse aller Beteiligten und unterstützte einen durchgängigen, positiven Teamgeist. In unserem Buch beschreiben wir dieses Projekt ausführlich.
Wie kommt es dazu, dass viele Juristi:innen Prozesse nicht hinterfragen und wenig kundenorientiert denken?
Kohlmeier: Das liegt aus unserer Sicht an der juristischen Ausbildung, die man dringend reformieren sollte, damit Jurist:innen mit dem anhaltenden Wandel der (Berufs-)Welt Schritt halten können. Wir sind der Meinung, dass die Rechtsbranche ihre traditionelle Denkweise aufgeben und eine vielfältigere Ausbildung anbieten sollte, die sich auf mehr als nur materielles Recht konzentriert und sich für neue Berufe im juristischen Kontext öffnet. Ein weiteres Problem in der juristischen Ausbildung ist die schwache Fehlerkultur. Wir sehen in der Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, ein wichtiges Mittel, um bessere Lösungen zu entwickeln.
Klemola: Jurist:innen werden in ihrem Studium, in dem vor allem das Fachwissen und die Anwendung der Gesetze im Fokus stehen, zu Einzelkämpfer:innen ausgebildet. Sie lernen nicht, wie vorteilhaft es sein kann, sich mit Kolleg:innen oder gar anderen Fachleuten zusammenzutun. Der Mehrwert einer fachübergreifenden Zusammenarbeit ist den meisten Jurist:innen daher schlicht unbekannt.
Kohlmeier: Um in der heutigen und in der künftigen Arbeitswelt erfolgreich sein zu können, müssten Studierende zusätzlich mit Legal Design-Fähigkeiten ausgestattet werden. Wir haben jeweils Workshops an unterschiedlichen Universitäten durchgeführt und konnten beobachten, wie ein Umdenken der Studierenden in Richtung Zusammenarbeit stattfand und feststellen, welches kreative Potenzial in ihnen steckt. Wir sehen daher einen dringenden Bedarf an Reformen und einer Aktualisierung der juristischen Ausbildung.
Welche praxisorientierten Fallbeispiele werden im Legal Design Buch geschildert?
Kohlmeier: Es gibt sechs Fallbeispiele, mit denen wir versuchen, die ganze Bandbreite der Anwendungsbereiche von Legal Design abzudecken. Sie sollen inspirieren und dazu anregen, wie Legal Design bei den eigenen Herausforderungen helfen kann. In einigen Fällen haben wir selbst eng mit den jeweiligen Projektteams zusammengearbeitet. Zum Beispiel in einem Re-Design Projekt von Verträgen von Rechtsabteilungen, aber auch bei der strategischen Begleitung des Innnovation Hubs von Clifford Chance Deutschland in Frankfurt.
Klemola: Wir haben daneben aus unserem internationalen Netzwerk Autor:innen eingeladen, um ihre eignen Projekte zu beschreiben. Dort stellen wir eine Kanzlei in Australien vor, die Legal Design Thinking dazu genutzt hat, ihr gesamtes Geschäftsmodell und ihr Angebot neu zu denken. Aus Südamerika ist z.B. ein Design Projekt einer großen Bank dabei. Und dann gibt es noch einen Anwendungsfall der Queen Mary University.
Was hat Euch bewegt, das Legal Design Buch zu schreiben?
Kohlmeier: Wir erhalten fast täglich Anfragen dazu, wo man Informationen und Einblicke in Legal Design erhalten kann. Anfangs haben wir immer eine bunte Sammlung an Quellen geschickt, letztendlich aber gemerkt, dass da ein Gesamtwerk fehlt. Meera und ich haben die Pandemie genutzt, um unser Wissen zusammenzutragen.
Klemola: Uns hat gestört, dass es keinen praktischen Leitfaden für Legal Design gibt, mit dem Interessierte mit Legal Design loslegen können. Das wollten wir angehen und einen einfachen Zugang schaffen. Deswegen sind wir so froh, dass wir dieses Buch veröffentlicht haben.
Wer sollte das Buch denn lesen?
Kohlmeier: Grundsätzlich sollte es jede Person lesen, die an Innovationen im Recht und Legal Design interessiert ist. Das sind Jurist:innen in Kanzleien und Rechtsabteilungen, aber auch Professor:innen, Studierende und alle, die im rechtlichen Kontext tätig sind. Dazu zählen natürlich auch Legal Tech-Verantwortliche, Innovation Manager:innen und HR-Abteilungen in Unternehmen, denn sie alle haben Schnittpunkte zu juristischen Themen, wie z.B. Verträgen, und können sich mit dem Buch in das Thema einlesen und anfangen, die richtigen Fragen zu stellen.
Klemola: Das Legal Design Buch liefert Antworten darauf, wie man wirklich nützliche und intuitive juristische Dienstleistungen und Produkte entwickelt. In unserem Buch erfährt man darüber hinaus, wie man die „richtigen“ Probleme identifiziert, wie man juristische Angebot in intuitive Erlebnisse verwandelt und letztlich, wie sich die traditionelle Arbeitswelt in Organisationen modernisieren lässt und fit für die digitale Transformation wird.
Vielen Dank!