Vergabeverfahren
Recht & Verwaltung20 Juni, 2022

Vergabeverfahren: Möglichkeiten und Grenzen der Nachforderung

Stellt man bei der Angebotsprüfung fest, dass bei einem Bieter eine Unterlage fehlt, so muss ihn der Auftraggeber nicht direkt ausschließen. Eine Nachforderung von Unterlagen ist möglich, allerdöings lauert hierbei so manche Tücke, die es zu beachten gilt.

Rechtliche Grundlagen

Die vergaberechtlichen Regelungen sehen ein Recht, teilweise auch eine Pflicht, des Auftraggebers zur Nachforderung vor. Für Liefer- und Dienstleistungen sowie Aufträge nach der Sektorenverordnung gilt: nach § 56 Abs. 2 VgV, § 41 Abs. 2 UVgO sowie § 51 Abs. 2 SektVO kann der Auftraggeber den Bieter auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene und leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, dies gilt insbesondere für Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise.

Nach § 56 Abs. 3 VgV, § 41 Abs. 3 UVgO sowie § 51 Abs. 3 SektVO ist allerdings die Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien betreffen, ausgeschlossen. Dies gilt nach dem Satz 2 lediglich nicht für Preisangaben, wenn es sich um unwesentliche Einzelpositionen handelt, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen.

Im VOB/A und die VOB/A-EU im Baubereich ist die Regelung zwar ähnlich ausgestaltet, aber enthält doch wesentliche Unterschiede. § 16a Abs. 1 VOB/A und § 16a Abs. 1 VOB/A-EU sehen vor, dass der Auftraggeber (nur) die Bieter, die für den Zuschlag in Betracht kommen, auffordern muss, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene und leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen, zu vervollständigen oder (dies gilt nur für unternehmensbezogene Unterlagen) zu korrigieren. Fehlende Preisangaben dürfen nach § 16a Abs. 2 VOB/A und VOB/A-EU auch hier nicht nachgefordert werden, solange nicht nur in unwesentlichen Positionen die Angabe des Preises fehlt und durch die Außerachtlassung dieser Positionen der Wettbewerb und die Wertungsreihenfolge nicht beeinträchtigt werden.

Auch ist dem Auftraggeber gestattet, in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festzulegen, dass er keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit machen wird (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 VgV, § 41 Abs. 2 Satz 2 UVgO und § 51 Abs. 2 Satz 3 SektVO sowie § 16a Abs. 3 VOB/A und VOB/A-EU).

Was kann nachgefordert werden?

Nachgefordert werden können „Unterlagen“. Dies ist weit auszulegen. Erfasst werden sowohl bieterbezogene Eigen- und Fremderklärungen als auch auf leistungsbezogene Produkt- oder sonstige Angaben und sonstige Erklärungen. Zu den sonstigen Erklärungen zählen z.B. Hersteller- und Typenbezeichnungen, Fabrikatsangaben, die Aufgliederung von Einheitspreisen oder die Preisblätter nach EFB. Auch die fehlende Unterschrift unter einer dem Angebot beizufügenden Erklärung kann (anders als die Unterschrift unter dem Angebotsschreiben) nachgefordert werden.

Preisangaben dürfen grundsätzlich nicht nachgefordert werden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn diese keine Wettbewerbsrelevanz haben, d.h. wenn unwesentliche Einzelpositionen nicht eingetragen worden sind und wenn sich bei Nachforderung dieser Einzelpreise der Gesamtpreis nicht ändert oder die Wertungsreihenfolge und der Wettbewerb nicht beeinträchtigt werden.

Entscheidend dafür, ob ein fehlender Preis eine unwesentliche Preisposition ist oder nicht, ist also im Ergebnis die Relation des Preises für die betreffende Position zum Gesamtangebotspreis. In der Literatur werden hierfür Sätze von jedenfalls unter 1% genannt und darauf hingewiesen, dass oberhalb dieses Prozentsatzes wohl nicht mehr von einer unwesentlichen Preisposition ausgegangen werden kann. Dies erscheint dem Verfasser sinnvoll.

Nachgefordert werden dürfen Unterlagen, die fehlen, unvollständig oder fehlerhaft sind. Unterlagen fehlen oder sind unvollständig, wenn sie gar nicht oder nur teilweise vorgelegt werden oder in formaler Weise sonst nicht den Anforderungen des Auftraggebers entsprechen. Auch wenn Erklärungen nur in unleserlicher Form vorgelegt werden oder der Auftraggeber sie nicht zur Kenntnis nehmen kann (z.B. weil er eine Datei nicht öffnen kann) „fehlen“ diese Unterlagen.

Korrekturmöglichkeit bei „fehlerhaften“ Unterlagen?

Die vergaberechtlichen Regelungen erlauben nach dem Wortlaut auch die „Korrektur“ fehlender, unvollständiger und insbesondere fehlerhafter Unterlagen. „Fehlerhaft“ sind Unterlagen, die zwar vorgelegt worden sind und den formalen Anforderungen genügen, aber von den inhaltlichen Vorgaben abweichen. Hierdurch wird indes nicht die Möglichkeit eröffnet, unzureichende Unterlagen inhaltlich nachzubessern. Benennt der Bieter beispielsweise eine Referenz, die den Mindestanforderungen des Auftraggebers an Referenzen nicht entspricht, darf ihm nicht gestattet werden, die Referenz nachzubessern.

Dies ist mit der „Korrektur fehlerhafter Unterlagen“ nicht gemeint. Es geht vielmehr um die Behebung offensichtlicher Unrichtigkeiten wie Schreibfehler, Übertragungsfehler, Zahlendreher etc. Es soll verhindert werden, dass Bieter wegen geringfügiger formaler Fehler und Versäumnisse aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden müssen, nicht aber sollen inhaltliche Nachbesserungsmöglichkeiten eröffnet werden.

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Ablauf der Nachforderung

Die Nachforderung der Unterlagen hat im Regelfall in Textform mittels elektronischer Mittel zu erfolgen. Dies ergibt sich aus den Vorschriften zum Einsatz elektronischer Mittel in Vergabeverfahren, da es sich um Kommunikation über die Teilnahmeanträge oder Angebote handelt (vgl. § 9 VgV, § 7 UVgO, § 9 SektVO sowie § 11 VOB/A-EU).

Im Nachforderungsschreiben ist eindeutig und genau anzugeben, welche Unterlagen in welcher Frist nachzureichen sind. Ein pauschaler Hinweis, dass „die geforderten Unterlagen nachzureichen“ sind, reicht nicht aus. Vielmehr muss ein verständiger Bieter der Nachforderung eindeutig entnehmen können, ob eine Unterlage fehlt oder ob sie formal unzureichend oder ob diese anderweitig fehlerhaft war. Dem Bieter muss eine realistische Chance auf Nachbesserung ermöglicht werden. Hierfür bedarf es einer präzisen und konkreten Bezeichnung aller nachgeforderten Unterlagen.

Dem Bieter ist eine angemessene Frist zu setzen. § 16a Abs. 4 VOB/A und VOB/A-EU sehen vor, dass diese sechs Kalendertage nicht überschreiten „soll“, in der VgV, der UVgO und der SektVO fehlt eine Tagesangabe. Der Auftraggeber hat bei der Fristsetzung stets die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Eine längere Nachforderungsfrist als sechs Tage dürfte aber in den wenigsten Fällen angezeigt sein.

Bei Versäumung der Frist ist das Angebot auszuschließen. Eine zweite Chance darf grundsätzlich nicht eingeräumt werden.

Unterschiede zwischen Vergaben zu Liefer- und Dienstleistungen und Bauvergaben

Der bedeutendste Unterschied liegt darin, dass die Nachforderung im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen und der SektVO als „Kann-Vorschrift“ ausgestaltet ist und im Baubereich als „Muss-Vorschrift“. Bedeutet: im Gegensatz zum Baubereich der VOB/A besteht bei Vergabeverfahren über Liefer- und Dienstleistungen und nach der SektVO keine Verpflichtung des Auftraggebers zur Nachforderung. „Kann“ bedeutet“ insoweit, dass die Frage, ob eine Nachforderung erfolgt, im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers liegt.

Wenn aber im Baubereich eine Verpflichtung zur Nachforderung besteht, kann man sich die Frage nach der Bedeutung des § 16a Abs. 3 VOB/A und VOB/A-EU stellen, wonach der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festlegen kann, dass er keine Unterlagen oder Preisangaben nachfordern wird. Dies erscheint auf den ersten Blick widersinnig.

Allerdings ist dies so zu verstehen, dass die Entscheidung nach § 16a Abs. 3 VOB/A und VOB/A-EU - also die Entscheidung darüber, ob der Auftraggeber festlegt, von der Nachforderungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen - zeitlich vorgeht. Das bedeutet: trifft der Auftraggeber keine Festlegung nach § 16a Abs. 3 VOB/A oder VOB/A-EU, ist er verpflichtet, nachzufordern.

Unterscheidung zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen

Der zweite Unterschied baut auf der Unterscheidung zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen auf. Unternehmensbezogene Unterlagen betreffen die Eignung des Bieters und enthalten damit Angaben zum Bieter selbst und zu dessen Unternehmen (etwa Angaben zur Zahl und Qualifikation der Mitarbeiter, zur Betriebsgröße, zur sachlichen und technischen Ausstattung oder Referenzen). Leistungsbezogene Unterlagen betreffen den Inhalt des Angebots selbst, also etwa Testmuster, Hersteller-, Typ- oder Produktangaben oder Produktdatenblätter.

Im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen und der VgV ist die Nachforderung leistungsbezogener Unterlagen dann ausgeschlossen, wenn sie wertungsrelevant sind, d.h. bei der Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien eine Rolle spielen. Konzepte zur Leistungsausführung oder Produktangaben dürfen also dann nicht nachgefordert werden, wenn sie in die Bewertung der Zuschlagskriterien eingehen. Dies ist bei Bauvergaben nach der VOB/A oder der VOB/A-EU anders. Hier müssen auch solche wertungsrelevanten Unterlagen nachgefordert werden.

Dies stößt auf einige Kritik. Denn die Nachforderung muss immer unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen. Die Nachforderung wertungsrelevanter fehlender oder unvollständiger leistungsbezogener Unterlagen eröffnet aber Manipulationsmöglichkeiten, die den Besonderheiten des Submissionstermins bei Bauvergaben geschuldet sind. So wird den Bietern bei Bauvergaben regelmäßig eine Niederschrift des Eröffnungstermins übersandt, die unter anderem die Endbeträge der eingegangenen Angebote enthält (vgl. § 14 Abs. 3 und Abs. 6 VOB/A und VOB/A-EU).

So kann ein Bieter ein bereits abgegebenes Angebot noch inhaltlich verbessern, indem er etwa die Angabe von Fabrikaten oder anderen Spezifikationen der angebotenen Produkte zunächst „vergisst“, um sie in Kenntnis der Preise seiner Mitbewerber nachzureichen. Der Verordnungsgeber hat bei Liefer- und Dienstleistungen sowie im Bereich der SektVO daher aus guten Gründen auf die Nachforderung wertungsrelevanter leistungsbezogener Unterlagen verzichtet.

Dokumentation der Absehen von einer Nachforderung und Beachtung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung

Im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen und der SektVO kann der Auftraggeber nachfordern, muss es aber nicht. Er muss sein Ermessen pflichtgemäß ausüben und dies auch dokumentieren.

Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens ist zum einen der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen. Der Auftraggeber muss die Nachforderung also bei allen Bietern gleichermaßen handhaben. Es wäre eklatant vergaberechtswidrig, bei einem Bieter nachzufordern und bei einem anderen nicht. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz erlauben insoweit nur die VOB/A und die VOB/A-EU, wonach die Pflicht zur Nachforderung nur bei den Bietern gilt, die für den Zuschlag in Betracht kommen. Zum anderen gilt der Wettbewerbsgrundsatz.

Die „Kann“-Regelung zur Nachforderung ist hiernach wettbewerbsbetont auszulegen. Wenn etwa das Absehen von einer Nachforderung dazu führen würde, dass Bieter ausgeschlossen werden müssten und am Ende nur ein Angebot überbleibt, dürfte das Ermessen auf null reduziert und eine Nachforderung angezeigt sein. Denn mit nur einem Bieter gibt es keinen Wettbewerb (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 25. November 2021, 11 Verg 2/21).

Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB). Würde ein ansonsten wirtschaftliches Angebot ohne Nachforderung an einer „Kleinigkeit“ scheitern, spricht die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes daher für die Nachforderung und das Absehen von der Nachforderung stellt die Ausnahme dar.

Entscheidet sich ein Auftraggeber gleichwohl dafür, nicht nachzufordern, muss er die Gründe hierfür sorgsam dokumentieren. Dies hat kürzlich noch das OLG Frankfurt a.M. deutlich gemacht und die Entscheidung eines Auftraggebers, nicht nachzufordern, „kassiert“ (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 25. November 2021, 11 Verg 2/21). In diesem Verfahren hatte der Auftraggeber das Absehen von einer Nachforderung recht pauschal damit begründet, dass diese zu einer Verzögerung des Verfahrens würde.

Das OLG Frankfurt ließ den Auftraggeber damit nicht durchkommen, weil eine Verzögerung bei jeder Nachforderung gegeben sei. Weil Nachforderungen nach der VgV aber gleichwohl grundsätzlich zulässig seien, reiche der pauschale Hinweis auf Verzögerungen nicht aus, sondern es bedürfe einer Abwägung zwischen der konkret zu erwartenden Verzögerung und ihrer Auswirkungen auf das Verfahren. Auch war die bereits eingetretene Verzögerung in diesem Verfahren wohl auch zumindest teilweise dem Auftraggeber zuzurechnen, da dieser berechtigten Rügen abgeholfen, d.h. vorher offenbar Fehler gemacht, habe. Auch hat das OLG Frankfurt darauf hingewiesen, dass in dem konkreten Fall eine Nachforderung mit sehr kurzer Fristsetzung möglich gewesen wäre.

Fazit

Fehler machen wir alle, Auftraggeber und Bieter. Auftraggeber sind gut beraten, Bieter nicht vorschnell auszuschließen, wenn sie im Angebot „Fehler“ machen, indem sie Unterlagen vergessen oder unvollständig einreichen. Im Sinne des Wettbewerbs sollte von den Möglichkeiten der Nachforderung, wenn und soweit rechtlich möglich, Gebrauch gemacht werden.

Andernfalls muss die Entscheidung, nicht nachzufordern, detailliert und auf den Einzelfall bezogen begründet werden. Mit einer bloß pauschalen oder rudimentären Begründung des Absehens von einer Nachforderung ist es nicht getan.

Davon, Preisangaben oder (bei Bauvergaben) leistungsbezogene und wertungsrelevante Unterlagen nachzufordern, sollte allerdings nur sehr zurückhaltend und nach entsprechender rechtlicher Prüfung Gebrauch gemacht werden.

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Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
Bildnachweis: wasan/stock.adobe.com
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