Marco Bijok, Experte für Schulrecht
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Das Problem: Bei der Auswahl der Ordnungsmaßnahme hat eine Schule auch zu berücksichtigen, ob bereits zuvor derartige Maßnahmen gegen den Schüler ergangen sind. Dazu wirft der Schulleiter einen Blick in die Schülerakte. Dabei stellt sich die Frage, ab wann entsprechende Einträge zu löschen sind und ob auch weit zurückliegende Vorfälle eine Rolle spielen dürfen.
Das sagt das Recht
Leider haben nicht alle Länder insoweit eindeutige Regelungen getroffen. Ein Überblick:
In Mecklenburg-Vorpommern gilt nach § 60a Abs. 8 SchulG, dass Eintragungen und Vorgänge über Ordnungsmaßnahmen spätestens am Ende des zweiten Schuljahres nach der Eintragung zu löschen sind, sofern nicht während der Zeit eine erneute Ordnungsmaßnahme getroffen wurde.
In Hamburg ist in Verwaltungsvorschriften des Bildungsministeriums geregelt, dass Vorgänge spätestens am Ende des Schuljahres zu entnehmen und zu vernichten sind, das dem Schuljahr folgt, in dem die Ordnungsmaßnahme 2 Jahre besteht, soweit nicht inzwischen weitere Ordnungsmaßnahmen ausgesprochen wurden (Nr. 2.4 der »Bestimmungen über die Anlage und Führung von Schülerbögen in allgemeinbildenden Schulen«).
Die »Datenschutzverordnung Schulwesen« (DSV) legt für Brandenburg fest, dass Unterlagen über erteilte Ordnungsmaßnahmen, Androhungen von Ordnungsmaßnahmen und Erziehungsmaßnahmen nach zwei Jahren zu löschen sind (§ 12 Abs. 1 Nr. 9 DSV), wobei die Frist mit Erteilung der Maßnahme beginnt.
Ist der entsprechende Eintrag zu löschen – und ist dies ggf. pflichtwidrig unterlassen worden – so muss die zurückliegende Ordnungsmaßnahme bei der Verhängung einer späteren Ordnungsmaßnahme außer Betracht bleiben.
Existieren keine eindeutigen Regelungen zu Löschungsfristen, ist die Frage, wie lange eine frühere Ordnungsmaßnahme bei der Beratung über eine weitere Ordnungsmaßnahme berücksichtigt werden darf, schwieriger zu beantworten. Die genannten Regelungen anderer Länder zu den Löschungsfristen können hier nur Anhaltspunkte geben. Maßgeblich kann sein, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den früheren Maßnahmen und dem »frischen« Vorfall gesehen werden kann. Ist der Schüler zuvor bereits »einschlägig«, also durch einen qualitativ ähnlichen Vorfall, aufgefallen, kann es gerechtfertigt sein, auch eine weit zurückliegende Ordnungsmaßnahme in das aktuelle Auswahlermessen mit einzustellen.
Es kommt hier natürlich, wie stets, auf die Umstände des Einzelfalles an. Dass dies gesehen wurde, muss auch in der schriftlichen Begründung der Maßnahme zum Ausdruck kommen. Dabei starr auf den Ablauf eines Schuljahres abzustellen, sodass etwa ein Vorfall aus Mai schon nach den Sommerferien nicht zu berücksichtigten wäre, erscheint nicht sinnvoll. Eine derart schematische Abgrenzung würde den möglicherweise bestehenden inneren Zusammenhang der beiden Vorfälle zerstören. In aller Regel dürfte die Berücksichtigung eines Vorfalls aus dem vergangenen Schuljahr unproblematisch möglich sein.
In den Ländern ohne eine konkrete Regelung muss für die Entscheidung, wann eine Löschung zu erfolgen hat, berücksichtigt werden, ob der Zweck, für den die personenbezogenen Daten erhoben wurden, nicht mehr gegeben ist und die weitere Speicherung nicht mehr notwendig ist. Falls der Zweck weggefallen ist, kann sich ein Löschungsanspruch aus § 17 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ergeben. In diesem Zusammenhang stellte das Verwaltungsgericht Berlin (Beschluss v. 28.02.20, VG 3L 1028.19) in einer viel beachteten Entscheidung jüngst fest, die Schülerakte erfülle den Zweck, die Entwicklung der Persönlichkeit des Schülers und seines Verhaltens über seine Schullaufbahn hinweg sowie die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten über einen längeren Zeitraum nachvollziehbar zu machen, weshalb sie (als Ganzes) nach der Berliner Regelung bis zum Ablauf der allgemeinen Schulpflicht aufzubewahren sei. Das Gericht verneinte daher den Anspruch eines Schülers auf »Bereinigung« seiner Akte anlässlich eines von ihm beabsichtigten Schulwechsels. In diesem Sinne entschied bereits das Verwaltungsgericht Hannover, die Speicherung von personenbezogenen Daten über Pflichtverletzungen von Schülern und deren Folgen bleibe zur Erfüllung der Aufgaben der Schule erforderlich, da die Auswahl einer pädagogischen Maßnahme stets auch von der Beurteilung des Verhaltens des Schülers in vergleichbaren, zurückliegenden Situationen abhängig sei. So könne die Häufung von Pflichtverletzungen besondere, vom Regelfall abweichende Überlegungen für zukünftige Erziehungsmittel erfordern oder aber bei zukünftigen schweren Pflichtverletzungen für die Auswahl eventueller Ordnungsmaßnahmen von Bedeutung sein (VG Hannover, Urteil vom 08.07.2004 - 6 A 386/04).
Was für Sie wichtig ist
Existiert in Ihrem Bundesland eine konkrete Löschungsfrist, so ist zu löschen und es scheidet eine Berücksichtigung der zurückliegenden Ordnungsmaßnahme auch dann aus, falls eine Löschung einmal pflichtwidrig unterblieben ist. Ist eine Löschungsfrist nicht geregelt, ist ein Löschungsanspruch des Schülers nur schwer zu begründen. Die Speicherung der Daten bleibt erforderlich, solange der frühere Vorfall theoretisch für die Bemessung künftiger Ordnungsmaßnahmen von Bedeutung sein könnte. Letzteres ist während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht kaum einmal auszuschließen.