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Recht & Verwaltung28 Juli, 2021

EuGH: Höchstmenge muss bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung angegeben werden

Laut einer aktuellen EuGH-Entscheidung vom 17. Juni 2021 (C‑23/20 – Simonsen & Weel) haben öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe einer Rahmenvereinbarung in der Bekanntmachung einen Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben. Wird diese Menge oder dieser Wert erreicht, so verliert die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung.
RA Henning Feldmann
Nach dem EuGH-Urteil vom 17. Juni 2021, das auf Grundlage eines Vorabentscheidungsersuchens eines dänischen Gerichts ergangen ist, muss in der Bekanntmachung sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren angegeben werden. Zugleich stellt der EuGH klar, dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist.

Entsprechend hatte der EuGH bereits im Urteil vom 19. Dezember 2018 (Rs. C-216/17 - Antitrust und Coopservice) entschieden. Doch bezog sich diese Entscheidung auf die „alte“ Vergaberechtsrichtlinie 2004/18/EG, so dass unklar war, ob die Pflicht zur Angabe einer Höchstmenge auch für die neue Vergaberechtsrichtlinie 2014/24/EU gilt. Die VK Bund (Beschl. v. 19. Juli 2019, VK 1 - 39/19) sowie das Berliner Kammergericht (Beschl. v. 20. März 2020, Verg - 7/19) sprachen sich deutlich gegen eine solche Verpflichtung aus.

Dies begründete die VK Bund damit, dass Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, der durch § 21 VgV in deutsches Recht umgesetzt wurde, nur verlangt, dass die in Aussicht genommene Menge vom Auftraggeber „gegebenenfalls“ im Vorhinein festgelegt werden muss - wohlgemerkt gegebenenfalls, also eben nicht immer. Es reiche bereits aus, wenn öffentliche Auftraggeber die voraussichtliche Gesamtabnahmemenge so genau wie möglich ermitteln und mitteilen. Es bestünde aber keine Pflicht, den maximalen Auftragswert und die abzurufenden Höchstmengen anzugeben. Dem tritt der EuGH mit dem jüngsten Urteil nun klar entgegen.

Rahmenvereinbarungen sollen nach dem Willen des EU-Richtliniengebers dem öffentlichen Auftraggebern Flexibilität im Rahmen der Auftragsvergabe einräumen. Bei Bedarf können sie aus einer Rahmenvereinbarung Waren oder Dienstleistungen abrufen, müssen es aber nicht. Gegenstand von Rahmenvereinbarungen sind daher vor allem solche Waren oder Dienstleistungen, bei denen Auftraggeber einerseits davon ausgehen oder sogar wissen, dass sie sie während der Vertragslaufzeit brauchen werden, sie aber andererseits nicht vorab festlegen können, in welcher Menge.

Pflicht zur Angabe einer Höchstmenge lässt sich nur schwerlich vereinbaren

Aus rechtlicher Sicht ist diese Entscheidung zu hinterfragen. Aus dem Wortlaut der entsprechenden Richtlinienvorgaben ergeben sich die Pflicht zur Angabe einer Höchstmenge und das automatische Auslaufen der Rahmenvereinbarung bei Auslaufen der Höchstmenge jedenfalls nicht. Dass gemäß Art. 33 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU die in Aussicht genommene Menge vom Auftraggeber nur „gegebenenfalls“ im Vorhinein festgelegt werden muss, kann durchaus verstanden werden als „wenn und soweit es dem öffentlichen Auftraggeber möglich ist“.

Auch Art. 49 i.V.m. Anhang V Teil C Nr. 10a der Richtlinie 2014/24/EU stellt für die Bekanntmachung die Vorgabe auf, dass ein öffentlicher Auftraggeber eine Angabe des Werts oder der Größenordnung und der Häufigkeit der zu vergebenden Auftrage nur „soweit möglich“ vornehmen muss.

Auch nach dem für die Auftragsbekanntmachung zu verwendenden Standardformular nach Anhang II der Durchführungsverordnung 2015/1986 sind öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, die Ziffer II.1.5) zum „Geschätzten Gesamtwert“ auszufüllen. Vielmehr kann dieser Wert nur „falls zutreffend“ angegeben werden. Eine grundsätzliche Pflicht zur Angabe einer Höchstmenge aus jeder Rahmenvereinbarung lässt sich hiermit nur schwerlich vereinbaren. Dies erkennt auch der EuGH. In Rn. 53 des Urteils heißt es

Aus alledem folgt, dass allein die wörtliche Auslegung der angeführten Bestimmungen keinen eindeutigen Schluss darüber zulässt, ob in einer Bekanntmachung die Schätzmenge bzw. der Schätzwert sowie eine Höchstmenge bzw. ein Höchstwert der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren anzugeben sind oder nicht.

Der EuGH leitet diese Verpflichtung daher aus einer Gesamtschau der Richtlinie, insbesondere aus den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung, ab. 

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Bedeutung für die Praxis

Mit dieser Entscheidung herrscht - jedenfalls für die Praxis - Klarheit: es ist vergaberechtswidrig, wenn öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung keine Höchstmenge der Waren oder Dienstleistungen, die aus einer Rahmenvereinbarung abgerufen werden können, angeben.

Zudem endet die Rahmenvereinbarung automatisch, wenn diese Höchstmenge erreicht ist. Ruft ein öffentlicher Auftraggeber trotzdem weiter Waren oder Dienstleistungen aus der Rahmenvereinbarung ab, handelt es sich um eine vergaberechtswidrige de-facto-Vergabe, die gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB für unwirksam erklärt werden kann.

Wenigstens können öffentliche Auftraggeber, die eine Rahmenvereinbarung ohne Angabe einer Höchstmenge bereits vergeben haben, ein Stück weit aufatmen. Denn der EuGH stellt fest, dass dieser Vergaberechtsverstoß nicht zu den „schwersten Verstöße gegen das Vergaberecht“ gehört, so dass für diese Rahmenvereinbarungen die Nichtigkeitsfolge des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht eingreift.

Flexibilitätsverlust für öffentliche Auftraggeber

Hiermit verlieren öffentliche Auftraggeber, die eine Rahmenvereinbarung vergeben haben oder dies wollen, einen großen Teil gerade der Flexibilität, die ihnen die Rahmenvereinbarung eigentlich geben soll. Praktisch stellt diese Entscheidung öffentliche Auftraggeber vor einige Probleme. Denn Rahmenvereinbarungen sind für öffentliche Auftraggeber vor allem dann das „Mittel der Wahl“, wenn es um Waren oder Dienstleistungen geht, deren Mengenbedarf er nicht einschätzen kann.

Das „Schulbeispiel“ einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Streusalz im Bedarfsfall - also bei glatten Straßen im Winter - zeigt dies sehr anschaulich. Derartige Rahmenvereinbarungen werden in der Regel über mehrere Jahre abgeschlossen. Denn schließlich ist genau das der Sinn der Sache: der Abschluss der Rahmenvereinbarung soll dem öffentlichen Auftraggeber gerade die Flexibilität geben, einerseits für die nächsten Jahre „Ruhe zu haben“ und nicht jedes Jahr neu ausschreiben zu müssen, andererseits aber bei Bedarf Streusalz immer dann abrufen zu können, wenn er es braucht. Wie sollen öffentliche Auftraggeber aber im Vorfeld eine Höchstmenge festlegen, kann doch niemand antizipieren, wie hart die nächsten Winter werden?

Berücksichtigung der Regelungen zur Auftragsänderung nach § 132 GWB

Einen Teil der Flexibilität, die öffentlichen Auftraggebern durch diese Entscheidung verloren geht, könnten sie sich ggf. durch die Regelungen zur Auftragsänderung nach § 132 GWB zurückholen, die auch für Rahmenvereinbarungen gelten. Auch Auftragserweiterungen sind hiernach in gewissen Grenzen zulässig.

Es bleibt abzuwarten, wie die Vergabenachprüfungsinstanzen das Verhältnis zwischen dem „automatischen Auslaufen“ einer Rahmenvereinbarung mit Erreichen der Höchstgrenze und der Möglichkeit zur Auftragserweiterung (etwa nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 GWB) beurteilen. Auch besteht in gewissen Grenzen die Möglichkeit, bereits im ursprünglichen Vertrag mit Optionen zu arbeiten, um später mehr Flexibilität zu haben, wenn die angegebene Höchstmenge erreicht ist, der öffentliche Auftraggeber aber mit seinem Vertragspartner weiterarbeiten möchte.

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Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
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