Rassismussensibilität in der Kita
Recht & Verwaltung20 September, 2021

Rassismussensibilität in Kitas: Analyse und Empfehlungen

von Dr. Michael Müller und Prof. Dr. Stephan Bundschuh

Von Rassismus bleiben auch Kinder in der Kita nicht verschont. Zu ihrem Schutz arbeiten frühkindliche Bildungs- und Erziehungsinstitutionen daran, Rassismus in ihren Räumen ernst zu nehmen, ihre Fachkräfte zu sensibilisieren und Methoden zur kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus zu entwickeln.

Da Kitas heute ein Spiegel der Gesellschaft sind, sind auch sie im Umgang mit Rassismus und verwandten Ausgrenzungsformen herausgefordert. Hierbei sind verschiedene Ebenen, auf denen sich Rassismus in diesem Kontext ereignet, zu unterscheiden. Zunächst können Eltern mit rassistischen Überzeugungen auf die Praktiken in der Kita Einfluss nehmen. Dies zeigt sich z.B. in rassistisch gefärbten Überzeugungen, die im Kontakt zwischen Eltern und Leitung oder zwischen Eltern und Fachkräften deutlich werden. Ferner können Fachkräfte, ob nun bewusst oder unbewusst, rassistische Überzeugungen haben, welche sich auf ihr pädagogisches Handeln auswirken. Auch unter Kindern können rassistische Ausgrenzungen beobachtet werden (Pejic 2017; Puhlmann 2020).

Definition Rassismus

Wenn über Rassismus gesprochen wird, stehen vor allem weiße Menschen vor der Herausforderung, ihr »Happyland« (Ogette 2018) zu verlassen. Der Vorwurf, selbst rassistisch zu sein, wiegt derart schwer, dass er gewöhnlich zurückgewiesen wird. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus belastet, sodass der Weg aus »Happyland«, in dem nur die anderen, nicht aber man selbst rassistisch ist, für viele zunächst versperrt bleibt. Dabei ist Rassismus weit mehr als eine persönliche Einstellung oder eine Haltung. In Anlehnung an Miles (1992) ist Rassismus als eine Konstruktion von Gruppen (biologisch, kulturell, national, ethnisch) zu beschreiben, denen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden und die gleichzeitig bewusst oder unbewusst nach Wertigkeit geordnet werden. Rassistische Vorurteile generalisieren dabei diese zugeschriebenen Eigenschaften auf alle Mitglieder dieser (konstruierten) Gruppe (Zick et al. 2019). Darüber hinaus ist Rassismus im Gesellschaftssystem verankert, das rassistische Diskriminierung oftmals kaschiert.

»Wenn über Rassismus gesprochen wird, stehen vor allem weiße Menschen vor der Herausforderung, ihr ›Happyland‹ (Ogette 2018) zu verlassen.«

Wenn z.B. der Nachname darüber entscheidet, ob man eine Zusage für eine Wohnung oder einen Kitaplatz erhält, dann liegt eine rassistische Diskriminierung vor, und zwar auch dann, wenn dies nicht beabsichtigt ist. Wenn Kinder von PoC (»People of Color«) erleben, dass in Geschichten, Büchern und Spielen sie selbst nicht oder nur negativ vorkommen, wird diese Nichtbeachtung und »Besonderheit « bereits in frühen Jahren als Stigma erfahren. Diese Beispiele zeigen strukturellen Rassismus, also einen Rassismus, der auch ohne rassistische Intention wirksam ist, zugleich aber nicht ohne Weiteres als Rassismus identifiziert wird. Im Kontext von Kitas wird häufig angenommen, dass Fachkräfte, die an der Bildung von Kindern interessiert sind und sich professionell in diesem Feld bewegen, nicht rassistisch wären und auch Kinder in ihren Interaktionen nicht rassistisch ausgrenzten. Dies aber ist ein Irrtum mit Folgen. Denn die Ignorierung rassistischer Praktiken in Kitas verletzt nicht nur die kindliche Integrität, sondern widerspricht auch den Kita-Leitbildern sowie dem generellen frühkindlichen Bildungsauftrag, der die gleichwertige Förderung jedes Kindes zum Ziel hat.

Definition Rassismussensibilität

Trotz und innerhalb rassistischer sozialer Strukturen ist es Individuen möglich, ein Maß an Rassismussensibilität zu erreichen, welches als Gegengewicht zum individuellen wie strukturellen Rassismus verstanden und als Präventions- wie Interventionsressource nutzbar zu machen ist. Hier sind an erster Stelle Personen zu nennen, die von Rassismus selbst betroffen und dadurch gezwungen sind, täglich Umgangsstrategien dagegen zu entwickeln. Dies betrifft aber auch Personen, die – obwohl nicht selbst Opfer von Rassismus – diesen aus moralischen und politischen Gründen ablehnen oder aufgrund ihres Professionsverständnisses in Konflikt mit rassistischen Mechanismen geraten. Rassismussensibilität im Kontext der Kita beginnt diesem Ansatz folgend beim professionellen Leitbild und führt durch reflektierte pädagogische Interaktionen der Fachkräfte mit den Kindern zu einem rassismuskritischen Bildungsgeschehen. Damit können Kitas auch ein Gegenpol zu eventuell vorhandenen rassistischen Haltungen einzelner Eltern sein. Wie und in welchem Maße sich in Kitas eine Rassismussensibilität nachweisen lässt, wurde mit einer Studie in Rheinland-Pfalz untersucht, die im Folgenden kurz vorgestellt wird:

Studie zur Rassismussensibilität in rheinland-pfälzischen Kitas (Bundschuh/Müller 2019)

Die Studie unter Fachkräften von Kitas in Rheinland-Pfalz stützt sich auf eine standardisierte Onlinebefragung im Jahr 2019. Es wurden ca. 80% der Kitas in Rheinland-Pfalz über zwei E-Mail-Verteiler von kooperierenden Institutionen (ilf und SPFZ) erreicht. Insgesamt nahmen ca. 530 Fachkräfte an der Befragung teil, 253 von ihnen beantworteten den Fragebogen vollständig. Die befragten Fachkräfte sind zu 73% Kitaleitungen, weshalb sich die Ergebnisse größtenteils auf diese Personengruppe in den Kitas beziehen. Das Alter der Befragten beläuft sich im Durchschnitt auf 46 Jahre, die Berufserfahrung wird mit durchschnittlich 22 Jahren angegeben. Bezogen auf die Kitas der befragten Fachkräfte lässt sich festhalten, dass im Mittel 76 Kinder pro Kita betreut werden. Eine Möglichkeit, die Rassismussensibilität in Kitas zu erfassen, ist zu fragen, ob überhaupt ausgrenzende Verhaltensweisen bzw. Einstellungen von den Fachkräften im Kontext der Kitas beobachtet werden. Diesbezüglich geben 41% an, »manchmal« ausgrenzende Verhaltensweisen unter Kindern zu beobachten, ausgrenzende Einstellungen unter Kolleg*innen werden von 17% »manchmal« und von 3% der Befragten »häufig« wahrgenommen. Bezogen auf die Eltern geben 29% der Fachkräfte an, »manchmal« ausgrenzende Einstellungen wahrzunehmen, 8% nehmen solche Einstellungen sogar »häufig« unter Eltern wahr. Wird direkt nach rassistischen Verhaltensweisen bzw. Einstellungen gefragt, sind es bezogen auf die Kinder nur noch 16% der befragten Fachkräfte, die manchmal rassistische Verhaltensweisen beobachten, unter Kolleg*innen werden rassistische Einstellungen zu 8% und unter Eltern zu 19% »manchmal« von den Fachkräften wahrgenommen. Der Begriff »Rassismus« in der Befragung lässt also die Einschätzungen bezogen auf die Ausmaße geringer ausfallen. Gefragt nach der Einschätzung, in spezifischen Konfliktsituationen, in denen Kinder sich aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts, der Hautfarbe plus des Geschlechts oder einer muslimischen Religionszugehörigkeit ausgrenzen, angemessen pädagogisch handeln zu können, gibt der überwiegende Teil der Fachkräfte an, kompetent in solchen Situationen handeln zu können. Folgerichtig werden Weiterbildungsbedarfe bezogen auf solche Situationen in einem niedrigeren Ausmaß angezeigt. Die Fachkräfte schätzen sich also so ein, dass sie im Grunde in der Lage sind, in solchen Konfliktsituationen angemessen handeln zu können, sodass ein Weiterbildungsbedarf nur auf mittlerem Niveau besteht. Zwar sind solche Einschätzungen nur eine Annäherung an die tatsächliche Handlungskompetenz, dennoch lassen die Ergebnisse vermuten, dass es eher zu einer Überschätzung der eigenen Kompetenz kommt, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass rassismusanfällige Situationen wie die Ausgrenzung zwischen Kindern aufgrund der Hautfarbe von jeder Fachkraft reflexiv durchdrungen werden und somit die pädagogische Intervention in rassismuskritischer Weise erfolgt.

Handlungsempfehlungen

Jede Kita kann sich durch eine Diversifizierung des Angebots an Büchern, Liedern, Ritualen, Spielen, Speisen und Festen konkret rassismuskritisch ausrichten. Eltern von Kindern, die rassismuserfahren sind, können hier als Bündnispartner gewonnen werden, verfügen sie doch häufig über Materialien, die unterschiedliche Minderheiten angemessen repräsentieren sowie nichtrassistisch und empowernd sind. Auf der Ebene der Leitungen und der Fachkräfte ist ein reflexiver Ausbau der Rassismussensibilität durch Weiterbildungsaktivitäten ratsam. Das im Rahmen der Studie entwickelte Weiterbildungskonzept setzt dort an, wo im Alltagsdiskurs die Auseinandersetzung oftmals schwierig wird: bei den eigenen rassistischen Tendenzen. Darüber hinaus wird das Ziel verfolgt, theoretisch fundiertes, aber praxisnahes Wissen zu vermitteln, welches die Fachkräfte in die Lage versetzt, sowohl rassismussensibel zu handeln und somit Diskriminierungen vorzubeugen als auch Veränderungen auf institutioneller Ebene anzustoßen. Aktuell werden bundesweit verschiedene rassismuskritische Weiterbildungen für Kitas entwickelt. In Rheinland-Pfalz bspw. konzipiert das Institut für Forschung und Weiterbildung (IFW) im Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz in Zusammenarbeit mit dem Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (ilf) und dem Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum (SPFZ) im Landesjugendamt – beide mit Sitz in Mainz – die Weiterbildung: »Fachkraft für Diversität und Rassismussensibilität im Arbeitsfeld Kita«. Die Weiterbildung enthält vier mehrtägige Module, die über zehn Monate verteilt durch ein digitales Begleitmodul verbunden sind. Themenschwerpunkte sind die Elementarerziehung und Sprachbildung in einer Gesellschaft der Vielfalt, eine vorurteilsbewusste und rassismussensible Kinder-, Eltern- und Kitaarbeit sowie eine transkulturelle ethische und interreligiöse Bildung. Zugleich stehen themenbezogene Hospitationen in Kitas und eine eigene Projektarbeit auf dem Programm. Die Weiterbildung will den Teilnehmenden ermöglichen, in Theorie und Praxis angemessene Reflexionsbewegungen und Handlungsschritte in Auseinandersetzung mit Rassismus zu erproben und im Kita- Alltag umzusetzen.

Fazit

auf Basis der vorgestellten Studie kann begründet davon ausgegangen werden, dass ein professionell-reflexiver Umgang mit Rassismus in Kindertagesstätten nötig ist. dazu können Weiterbildungen beitragen, um bislang fehlende oder unzureichende Kompetenzen der Fachkräfte in diesem Bereich auszugleichen oder vorhandene rassismussensible Kompetenzen weiter zu stärken. Eine Verankerung rassismussensibler Erziehung in den Lehrplänen von Fachschulen oder den Studiengängen von Hochschulen würde nachhaltiger auch diejenigen erreichen, die Weiterbildungen eher ausweichen. durch die Fokussierung auf den Bereich der Kindertagesstätten setzt die Entwicklung von Rassismussensibilität genau dort an, wo die erste Auseinandersetzung mit Rassismus sowohl entwicklungspsychologisch als auch pädagogisch beginnt.

Literatur

Bundschuh, S./Müller, M. (2019). Forschungsbericht. Neue Perspektiven. Rassismussensibilität in rheinland-pfälzischen Kitas, Koblenz. https: / / www. hs- koblenz. de/ fi leadmin/ media/ fb_ sozialwissenschaften/ IFW/ Rassismussensibilitaet_ in_ Kitas/ Forschungsbericht_ Neue_ Perspektiven_ Rassismussensibilitaet_ in_ rheinland- pfaelzischen_ Kitas. pdf (Abruf 12.11.2020).
Pejic, L. (2017): »Will nicht mir ihr spielen!« Haben Kinder etwa Vorurteile? In: Lamm, Bettina (Hrsg.): Handbuch Interkulturelle Kompetenz. Kultursensitive Arbeit in der Kita, Freiburg im Breisgau, S. 134–140.
Miles, R. (1992), Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriff s, Hamburg.
Ogette, T. (2018). exit RACISM: Rassismuskritisch denken lernen (3. Aufl age), Münster.
Puhlmann, A. (2020): Doch, auch Kinder können rassistisch handeln. Interview. In: Zeit Online vom 23. Juni 2020. https: / / www. zeit. de/ hamburg/ 2020- 06/ rassismus- in- deutschlandkinder- kita- diskriminierung- alltagsrassismus (Abruf 12.11.2020).
Zick, A./Küpper, B./Berghan, W. (2019): Verlorene Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018, Bonn.

Dr. Michael Müller
Wissenschaftlicher Referent, Deutsches Jugendinstitut e.V., Forschungsschwerpunkte: Antisemitismus, Rassismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Empirische Sozialforschung

Dr. Michael Müller

Prof. Dr. Stephan Bundschuh
Professor für Kinder- und Jugendhilfe mit den Schwerpunkten Autoritarismus, Rassismus und Sozialraumorientierung im Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz

Prof. Dr. Stephan Bundschuh

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