von Torsten Herbert, Geschäftsführer des KAV NRW
Sachverhalt
Im Kammertermin des Berufungsverfahrens vor dem LAG war im Sitzungssaal im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie aufgrund der zur Verfügung stehenden Fläche nach den Vorgaben der Gerichtsverwaltung, die mit der Gesundheitsbehörde abgesprochen worden waren, die Anzahl der anwesenden Personen auf drei Richter und sieben weitere Personen begrenzt. Diese weiteren zur Verfügung stehenden Plätze waren vollständig von den Verfahrensbeteiligten genutzt worden und standen für Zuhörer nicht zur Verfügung.
Die Beklagten haben Beschwerde gegen das Urteil des LAG eingelegt und die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes aus § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG i.V.m. § 547 Nr. 5 ZPO dargelegt. Das BAG hat daraufhin das Urteil des LAG aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Entscheidung
Gemäß § 52 Satz 1 ArbGG sind die Verhandlungen vor dem ArbG öffentlich. Dies gilt gem. § 64 Abs. 7 ArbGG auch für die Verhandlungen vor dem LAG und gem. § 72 Abs. 6 ArbGG für diejenigen vor dem BAG. Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren unverzichtbar.
Das BAG hat mit vorstehendem Beschluss verdeutlicht, dass der Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit zwar nicht verletzt ist, wenn im Zuge einer Pandemiebekämpfung eine Reduzierung der Zuhörerzahl erfolgt, um Abstandsregelungen einhalten zu können. Die Verhandlungsöffentlichkeit ist dabei jedoch nur dann gewahrt, wenn beliebige Zuhörer, wenn auch in sehr begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben, so dass sie noch als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden können. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn ausschließlich das Gericht und die Verfahrensbeteiligten Zutritt erhalten.
Aus Sicht des BAG ist das Berufungsurteil damit aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt wurden. Es hatten keine beliebigen Zuhörer - auch nicht in sehr begrenzter Zahl - Zutritt zu der Verhandlung. Im Verhandlungsraum war nicht einmal für einen Zuhörer Platz.
Das BAG betont, dass ausgehend vom Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes auf dessen Einhaltung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht verzichtet werden kann. Der Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme soll eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz verhindern. Vor allem dient die Gerichtsöffentlichkeit jedoch der Kontrolle der Justiz durch die Möglichkeit der Allgemeinheit, die Verhandlung zu beobachten. Sachfremde, „das Licht der Öffentlichkeit scheuende“ Umstände sollen keinen Einfluss auf das Gericht und dessen Urteil gewinnen können. Die sachfremde Beeinflussung des Gerichts soll verhindert werden. Letztlich dient das Gebot der Öffentlichkeit durch seine Kontrollfunktion damit auch der Verfahrensfairness.
Praktische Bedeutung
Der vorstehende Beschluss vom 02.03.2022 – 2 AZN 629/21 betont den Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit im Arbeitsgerichtsprozess und stellt klar, dass bei einer Reduzierung der Zuhörerzahl im Gerichtssaal nicht nur Platz für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten verbleiben darf.
Im entschiedenen Fall war nicht einmal für einen Zuhörer aus der „interessierten Öffentlichkeit“ Platz. Spannend erscheint die Frage, ob dies zur Wahrung der Verhandlungsöffentlichkeit ausgereicht hätte bzw. wie viele Plätze mindestens für Zuhörer verbleiben müssen, die „als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden können“.