Muss der AG sich das Verschulden eines Vorunternehmers zurechnen lassen?
Recht & Verwaltung08 September, 2022

Muss der AG sich das Verschulden eines Vorunternehmers zurechnen lassen?

Häufig entstehen Mängel, weil verschiedene Baubeteiligte (z.B. Planer, Bauüberwacher, ausführende Unternehmer) Fehler machen. Das OLG Schleswig setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern sich der Auftraggeber das Verschulden anderer Baubeteiligter zurechnen lassen muss. (Urteil des OLG Schleswig vom 08.07.2022 – 1 U 97/21).
RA Claus Rückert

Der Fall

Der Auftraggeber (AG) beauftragt den Auftragnehmer (AN) im Jahre 2016 mit der Erbringung von Dachdecker- und Abdichtungsarbeiten bei dem Neubau einer Wohnanlage. Der AN hat unter anderem Abdichtungsarbeiten auf Balkonen und Laubengängen zu leisten. Die Ausführungsplanung erfolgt nach dem Vertrag durch einen Planer des AG.

Nach der Herstellung einer Bitumenabdichtung durch den AN und der Anbringung des Wärmedämmverbundsystems (WDVS) lässt der AG Türen und bodentiefe Fenster austauschen. Das WDVS wird dagegen nicht mehr verändert. Der AN nimmt daraufhin vereinbarungsgemäß eine weitere Abdichtung mit Flüssigkunststoff vor.

Nach der Abnahme kommt es in den Wohnungen zu Feuchtigkeitserscheinungen und Schimmelbildungen.

Es stellen sich u.a. folgende Mängel als Ursache für die Feuchtigkeitseintritte heraus:

  • Der AN hat die Bitumenabdichtung zum Kalksteinmauerwerk unzureichend hochgeführt. Dies betrifft vor allem die Seiten der Laubengänge und Balkone. Bei der Ausführung der Arbeiten lagen dem AN keine Detailpläne vor, aus denen sich die Anschlusshöhe der Bitumenbahnen an die Hauswand ergeben hätte.
  • Der AN hat die Abdichtung nicht hinter den Türschwellen hochgeführt. Zudem fehlen Klemmprofile zum wasserdichten Anschluss an die Türen. Außerdem hat der AN nach dem Austausch der Türen die Türschwellen und Pfosten nicht mit der Flüssigkunststoffabdichtung hinterfahren.
  • Die Probleme haben ihre Ursache darin, dass die Türen erst nach der Herstellung der Bitumenabdichtung ausgetauscht worden sind. Aufgrund des Austauschs wäre es notwendig gewesen, auch das WDVS teilweise zurückzubauen. Nur dann hätte die Bitumenabdichtung fachgerecht an die Türen angeschlossen werden können. Der AG bzw. dessen Planer haben sich jedoch gegen einen teilweisen Rückbau des WDVS entschieden. Stattdessen hat der AN die Flüssigkunststoffabdichtung aufgebracht. Detailpläne zur Ausführung der Flüssigkunststoffabdichtung lagen dem AN hierbei nicht vor.
  • Der AN hat trotz einer fehlerhaften Leistung des Vorunternehmers (die vom Rohbauer hergestellten Betonplatten haben Lunken sowie ein Gegengefälle in Richtung der Wände aufgewiesen) die Bitumenabdichtung aufgebracht.

Der AG nimmt den AN auf Kostenvorschuss in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten sowie auf Schadensersatz wegen der Feuchtigkeitsschäden in Anspruch. Der AN beruft sich auf ein Mitverschulden des AG. Ursächlich seien Fehler bei der Planung und Koordination durch den im Auftrag des AG tätigen Planer. Außerdem müsse sich der AG auch Fehler des in seinem Auftrag tätigen Rohbauers zurechnen lassen, auf dessen Betonplatten der AN seine Bitumenabdichtung aufgebracht hat.

Das Urteil

Das OLG Schleswig stellt ein Mitverschulden des AG fest, allerdings nur mit einer Quote von insgesamt 25%:

  • Es wäre Sache des AG gewesen, dem AN Detailpläne zur Verfügung zu stellen, in denen die Anschlusshöhe der Bitumenbahnen an die Hauswand festgelegt wird. Trotzdem weist das Gericht das weit überwiegende Mitverschulden dem AN zu. Denn der AN hat seine Leistungen bewusst ohne Detailpläne ausgeführt.
  • Der Austausch der Türen nach Herstellung der Bitumenabdichtung hat erst zu den Folgeproblemen bei der Abdichtung geführt. Aufgrund der planerischen Entscheidung, die Türen auszutauschen, ohne gleichzeitig auch das WDVS teilweise zurückzubauen, war dem AN eine fachgerechte Ausführung nicht mehr möglich. Auf der anderen Seite hat allerdings der AN seine Leistungen bewusst ohne Detailplanung die Flüssigkunststoffabdichtung vorgenommen. Das Gericht gewichtet daher die Verursachungsbeiträge von AG und AN in etwa gleich.
  • Für die mangelhaften Vorleistungen des Rohbauers braucht sich der AG kein Mitverschulden zurechnen zu lassen. Denn die Vorleistung des Rohbauers bildet lediglich die Grundlage, auf dem der AN seine Leistung erbringt. Der Vorunternehmer ist kein Erfüllungsgehilfe des AG. Es wäre vielmehr Sache des AN gewesen, die Vorleistung des Rohbauers zu prüfen und ggf. Bedenken dagegen anzumelden.

Praxishinweis

Das Urteil des OLG Schleswig verdeutlicht, wie wichtig eine aktive Kommunikation des Unternehmers mit dem Besteller ist. Wenn – wie hier – die Ausführungsplanung bauseits erfolgt, muss der Unternehmer eine ausführungsreife Planung aktiv einfordern. Der Unternehmer sollte den Besteller idealerweise unverzüglich nach Vertragsschluss ggf. darauf aufmerksam machen, dass ihm die notwendige Detailplanung zur Ausführung seiner Leistungen fehlt.

Bei der Überlassung der Planung (sofern nach dem Vertrag vereinbart) handelt es sich um eine notwendige Mitwirkungshandlung des Bestellers im Sinne von § 642 Abs. 1 BGB, ohne die der Unternehmer seine Leistung nicht ordnungsgemäß erbringen kann. Daher sollte der Unternehmer dem Besteller eine Frist zur Überlassung der Ausführungsplanung setzen und darauf hinweisen, dass er nach ergebnislosem Fristablauf in der ordnungsgemäßen Ausführung seiner Leistungen behindert ist.

Außerdem hat der Unternehmer vor Ausführung seiner Leistungen die ihm überlassene Planung sowie die Vorleistungen anderer Unternehmer zu prüfen und ggf. unverzüglich beim Besteller Bedenken anzumelden (dies ergibt sich unmittelbar aus § 4 Abs. 3 VOB/B; aber auch wenn die VOB/B nicht Vertragsbestandteil ist, besteht eine entsprechende Verpflichtung des Unternehmers). Die Bedenken sollte der Unternehmer (schon zu Beweiszwecken) auf jeden Fall schriftlich anmelden.

Der Unternehmer kann in vielen Fällen von vornherein eine Haftung vermeiden, wenn er

  • von vornherein notwendige Mitwirkungshandlungen des Bestellers konsequent aktiv einfordert und dem Besteller hierzu konkrete Fristen setzt;
  • gegenüber dem Besteller Behinderung anzeigt, wenn dieser die gesetzten Fristen nicht einhält;
  • die ihm überlassenen Planunterlagen sowie die Vorleistungen anderer Unternehmer vor der Ausführung seiner eigenen Leistungen prüft und gegenüber dem Besteller unverzüglich und nachvollziehbar etwaige Bedenken hiergegen anmelden. Der Unternehmer sollte aktiv unter Setzung einer konkreten Frist eine schriftliche Entscheidung des Bestellers einfordern, wie dieser mit den angezeigten Bedenken umgehen möchte. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine notwendige Mitwirkungshandlung des Bestellers. Gleichzeitig mit der Bedenkenanmeldung sollte der Unternehmer daher auch insofern Behinderung anzeigen. Sofern der Besteller aufgrund der angemeldeten Bedenken die Ausführung ändern möchte, muss er dem Unternehmer hierzu die erforderliche Ausführungsplanung zur Verfügung stellen. Außerdem muss er sich ggf. mit dem Unternehmer im Rahmen einer Nachtragsvereinbarung über die geänderte Ausführung einigen bzw. (im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten, z.B. nach § 650b BGB) die geänderte Ausführung anordnen.
Rückert
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
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