Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie
Recht & Verwaltung18 Juli, 2022

Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie zum 1. August 2022: Der Notar geht online

Dr. Astrid Plantiko, Rechtsanwältin und Notarin in Frankfurt am Main

Ab dem 01. August 2022 ist es so weit. Man kann in Deutschland eine GmbH online gründen sowie Anmeldungen zum Handelsregister digital einreichen. Ein langer Weg und ein wichtiger Schritt in der Digitalisierung der Rechtspflege.

Die Digitalisierungsrichtlinie – der Anfang

Den endgültigen Impuls zur überfälligen Modernisierung des deutschen Handels- und Gesellschaftsrechts – deren Notwendigkeit hierzulande insbesondere von Wirtschaft und Bevölkerung gleichermaßen festgestellt worden war – gab (endlich) die Richtlinie (EU) 2019/1151 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (Digitalisierungrichtlinie, DigRL).


Das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie

Eigentlich sollte die Digitalisierungsrichtlinie spätestens zum 31. Juli 2021 in nationales Recht umgesetzt werden. Das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG), das im Deutschen Bundestag im Juni 2021 beschlossen wurde, tritt nun am 1. August 2022 in Kraft. Für einen solch umfassenden Gesetzgebungsprozess nur eine leichte Verzögerung, mit der Deutschland die – angesichts der Heterogenität der Umsetzungsstände digitaler Lösungen in den Mitgliedsstaaten von Anfang an großzügig bemessenen – Umsetzungszeiträume weitgehend ausreizt, aber einhält.


Die Neuregelungen im Überblick

Die Digitalisierungsrichtlinie dient laut Bundesministerium der Justiz insgesamt dem Zweck, „durch den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren die Gründung von Gesellschaften und die Errichtung von Zweigniederlassungen europaweit grenzüberschreitend zu vereinfachen, um diese Verfahren im Hinblick auf die Kosten und die Zeit effizienter zu gestalten.“

Die neuen Regelungen im Überblick:

  • Einführung der Online-Bargründung der GmbH und UG (mit Musterprotokoll oder ohne)
  • Möglichkeit der Online-Handelsregisteranmeldung für Einzelkaufleute und Kapitalgesellschaften
  • Konsolidierung der Offenlegung von Urkunden und Informationen im Handels- und Unternehmensregister online
  • Vereinfachung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs bei Disqualifizierung von Geschäftsführer:innen und Vorständen sowie Vermerken ausländischer Zweigniederlassungen deutscher Unternehmen im Handelsregister

Gesellschaften online gründen – nur für Beteiligte mit eIDs

Künftig können GmbH- und UG-Bargründungen online erfolgen; das persönliche Erscheinen im Notariat entfällt. Diese vermeintlich einfache Neuerung erforderte allerdings umfassende Gesetzesänderungen (so des GmbHG und wesentliche Änderungen im BeurkG) und – noch kritischer – die Schaffung einer Software, die der Sicherheit und Vertraulichkeit, die man mit einem Notarbesuch in personam gern – und zurecht – verbindet, Rechnung trägt.

Diese Software wurde unter Federführung der Bundesnotarkammer entwickelt und wird auch von dieser ab dem 1. August zur Verfügung gestellt. Die Anwendung der Software wird u.a. in einem einfachen Video erläutert: https://onlineverfahren.notar.de/. Alternativen von Drittanbietern wurden bewusst nicht gewählt, um den erforderlichen, hohen Sicherheitsstandard einzuhalten. Das unterscheidet den deutschen Ansatz von dem anderer EU-Staaten, die auch Software von Drittanbietern zur Online-Beurkundung zulassen.
Identifizierung und Beurkundung erfolgen ausschließlich über die zur Verfügung gestellte Plattform. Für die Identifizierung bedarf es allerdings eines Personalausweises mit eID-Funktion.

Identifizierungsnachweise aus dem EU-Ausland sind ebenfalls anerkannt, soweit sie nach der eIDAS-VO mit dem Sicherheitsniveau „hoch“ gelistet sind. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass derzeit noch nicht jede:r, der/die einen EU-Auslands-Identitätsnachweis hat, online gründen kann, wenn der Pass und/oder der Ausweis die eID-Funktion nicht unterstützt. Den eIDAS-VO Standard erfüllen derzeit nur 13 der 27 EU-Mitgliedstaaten. Dem vom BMJ titulierten Anspruch, damit EU-weit Verfahrensvereinfachungen zu ermöglichen, wird damit – zumindest für den Moment – freilich nur teilweise Rechnung getragen.

Sollte sich jemand vertreten lassen wollen, so sind die Vollmachten in elektronisch beglaubigter Form der Urkunde beizufügen. Je nachdem, ob der Vollmachtgeber im In- oder Ausland sitzt, kann es bei Vollmachten aber dennoch notwendig sein, diese in Papierform (ggf. mit Apostille oder Legalisierung) vorzulegen. Vielleicht ermöglicht das DiRuG jetzt endlich auch den „baltischen“ Vollmachten mit Apostille, die im Übrigen ausschließlich digital zur Verfügung gestellt werden, die Anerkennung. Bisher musste man nämlich bei der Gründung mit jedem Rechtspfleger individuell klären, ob er das – nach dem Land des EU-Mitgliedstaates rechtskonform ausgestellte – Dokument ohne „physische Präsenz“ anerkennt oder ob man das ausschließlich online erstellte Dokument ausdrucken, als deutscher Notar beglaubigen und dann wieder einscannen muss, um es elektronisch beim Handelsregister einzureichen. Ein Paradebeispiel bisheriger deutscher Bürokratie.

Doch zurück zur Urkunde. Die Unterzeichnung und Ausfertigung der Urkunde erfolgt ebenfalls ausschließlich digital, damit die Unterlagen dann direkt an das Handelsregister versendet werden können. Dort soll dann innerhalb von 10 Tagen nach der Handelsregisteranmeldung die Gesellschaft eingetragen werden – für den Fall, dass nur natürliche Personen unter Verwendung der Musterprotokolle gegründet haben, sogar in 5 Tagen – wohlgemerkt nach der Handelsregisteranmeldung, nicht nach der Gründung. Denn häufig sind es andere Faktoren, wie z.B. die Banken, die den Gründungsvorgang erheblich verzögern, nicht zuletzt durch die gestiegenen Prüfungspflichten bei Geschäftskonteneröffnungen, da die Handelsregisteranmeldung erst eingereicht werden darf, wenn die Gründer die Einzahlung des Stammkapitals auf das Konto der Gesellschaft nachgewiesen haben. Ob es dem Handelsregister gelingen wird, die kurze Eintragungsfrist trotz häufig mangelhafter technischer Ausstattung und chronischem Personalmangel zu halten, bleibt abzuwarten.

Funktioniert die persönliche Beratung online genauso gut?

Ja. Zu diesem Ergebnis kommt u.a. auch die Bundesnotarkammer in ihrer Stellungnahme zum DiRUG. In der Tat kann die fachliche Beratung und Belehrung der Beteiligten bei Gründungen und Registeranmeldungen via Videokonferenz genauso gut wie im Präsenztermin sichergestellt werden, da die Beteiligten – wie im Präsenztermin auch – ihre Anliegen und Fragen mit dem/der Notar:in besprechen und der/die Notar:in die Urkunden für den jeweiligen Einzelfall der Gründung entwerfen kann.

Die Online-Beratung hat sich auch schon während der Pandemiezeit bewährt, konnten doch viele Beratungstermine in Lockdown-Zeiten besser und sicherer online statt in Präsenz durchgeführt werden. Lediglich in Bereichen wie der Nachfolgeplanung und dem Familienrecht zeigte sich, dass Präsenztermine auf Grund der häufig sensiblen Themen und der – oftmals seitens der Beteiligten gewünschten – persönlichen/emotionalen Beziehung zu einem/einer bestimmten Notar:in gegenüber den Online-Terminen deutlich favorisiert wurden.

Online-Beurkundung: Keine Aufweichung des Amtsbereichsprinzips

Um weiterhin die notwendige flächendeckende notarielle Versorgung der Bürger:innen sicherstellen zu können, wurde auch im Bereich der Digitalisierung dem Amtsbereichsprinzip Rechnung getragen. So kann die/der Notar:in die Online-Beurkundung nur vornehmen, wenn der Sitz der Gesellschaft bzw. der Niederlassung einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland oder der Wohnsitz oder Sitz eines Gesellschafters im Amtsbereich des/der Notar:in liegt.

Ob diese Vorgabe tatsächlich die (von der Bundesnotarkammer und einigen Berufsverbänden befürchteten) Spezialisierung großer, insbesondere städtischer Notariate mit der negativen Folge, dass sich die Arbeit der Notar:innen vornehmlich in den Wirtschaftsmetropolregionen konzentrieren könnte, verhindert, wird sich schon bald in der Praxis zeigen können.

Online-Beurkundungen sind zwingend anzubieten

Das Anbieten der Online-Beurkundungen und Beglaubigungen ist im Übrigen, wie einige glauben mögen, keine Freiwilligkeit. Ab dem 01. August 2022 sind alle Notar:innen deutschlandweit verpflichtet, das online-Beurkundungs- bzw. Beglaubigungsverfahren anzubieten und durchzuführen, wenn sie eine Anfrage über das System der Bundesnotarkammer erreicht. Nur für den Fall, dass der/die Notar:in die Identität der Beteiligten nicht sicher feststellen kann, kann der/die Notar:in die Online-Beurkundung bzw. -Beglaubigung ablehnen. Ansonsten muss online gegründet werden. Hybridformen sind auch möglich, d.h. einzelne Beteiligte können physisch vor Ort sein, während andere online zugeschaltet sind. Das ändert allerdings nichts daran, dass dann ausschließlich online gegründet wird, denn es kann nur eine Gründungsurkunde geben – und die wird online erstellt. Die „klassische“ Beurkundung unter persönlicher Anwesenheit beim Notar bleibt natürlich auch im Bereich der GmbH- und UG-Gründungen weiterhin möglich.

Online-Beglaubigungen von Handelsregisteranmeldungen 

Zusätzlich sollen Handelsregisteranmeldungen ebenfalls online beglaubigt werden dürfen. Dies gilt nach dem DiRuG nur für Handelsregisteranmeldungen durch Einzelkaufleute, Kapitalgesellschaften wie die GmbH, AG und KGaA und für deutsche und EU-/EWG-Zweigniederlassungen.


Konsolidierung des Registers – „register only“

Weitere Regelungen enthält das DiRuG zum Thema Registerpublizität. Künftig werden Bekanntmachungen von Eintragungen im Handelsregister nur noch über www.handelsregister.de (Gemeinsames Registerportal der Länder) abrufbar sein. Auch Jahresabschlüsse sollen zukünftig unmittelbar beim Unternehmensregister eingereicht werden und nicht mehr den „Schlenker“ über den Bundesanzeiger machen müssen.


Verbesserung grenzüberschreitenden Informationsaustausches

Ein lobenswertes Unterfangen des DiRuG ist es, grenzüberschreitenden Informationsaustausch zu vereinfachen. Hierfür soll das Unternehmensregister ausländische Anfragen beantworten und Informationsersuchen deutscher Gerichte weiterleiten.

Um die Sicherheit im Geschäftsverkehr weiter zu steigern – das öffentlichen Glauben genießende Handelsregister ist hierfür bereits eine sehr wichtige Stütze – sollen im Ausland ausgesprochene Berufs- und Gewerbeverbote auch zur Disqualifikation im Inland als Geschäftsführer:in oder Vorstand führen.

Ausländische Zweigniederlassungen, die von einer deutschen Kapitalgesellschaft errichtet werden, sollen künftig ebenfalls im deutschen Handelsregister eingetragen werden. Das schafft Transparenz und ist begrüßenswert.


Die Kostenfrage

Doch wer trägt all die zusätzlichen Kosten?

Die Antwort ist einfach – die Beteiligten. Für die Verwendung des Videokommunikationssystems der Bundesnotarkammer fallen zusätzliche 8,00 EUR, für das Beurkundungsverfahren 25,00 EUR zusätzlich an. Die Gebühren sind im GNotKG geregelt und müssen durch den/die Notar:in zwingend von den Beteiligten erhoben werden.

Das bald kostenfreie Abrufen der Eintragungsinformationen im Handelsregister wird durch die eingetragenen Rechtsträger über eine entsprechende Bereitstellungsgebühr finanziert, die ebenfalls nach dem GNotKG erhoben und an die Beteiligten weitergereicht werden muss und „1/3 der für die Eintragung oder Entgegennahme bestimmten Gebühr“ – der Regierungsentwurf rechnete mit im Schnitt 40 EUR – beträgt.
Zum Vergleich: Der Abruf von Registerblättern kostet bisher 4,50 EUR (z.B. ein Handelsregisterauszug), der Abruf von weiteren Dokumenten (z.B. Gesellschafterlisten) 1,50 EUR.


DiREG – Die Nachbesserung der Verbesserung

Doch was lange währte, wurde nicht automatisch gut. Denn noch vor in Kraft treten des DiRUG sah der Gesetzgeber Anpassungspotenzial. Im April 2022 verabschiedete die Bundesregierung daher ein Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG).

Nach dem DiREG sollen Online-Gründungen nun auch auf die Sach- und Mischgründungen ausgedehnt werden, allerdings mit der erheblichen Einschränkung, dass die Übertragung des Einlagegenstandes nicht isoliert formbedürftig ist. Handelsregisteranmeldungen sollen auch für andere Rechtsträger geöffnet und zugleich Anmeldungen zum Partnerschafts-, Genossenschafts- und Vereinsregister mit eröffnet werden. Gesellschafterbeschlüsse zur Änderung von Gesellschaftsverträgen einschließlich Kapitalmaßnahmen sollen ebenfalls digital möglich sein.

Die Erweiterung des Anwendungsbereichs ist ein Jahr nach Inkrafttreten, also zum 01. August 2023 geplant.


Digitalisierung – das notarielle Allheilmittel?

Digitalisierung hilft beim Abbau von Hürden und bietet einfachere Zugangsmöglichkeiten für Menschen zur Rechtspflege – Stichwort Barrierefreiheit und Inklusion. Zusätzlich schafft Digitalisierung Erleichterungen für (manche) Mandanten/Mandantinnen und wird auch (hoffentlich) zur Entlastung der Rechtspflege beitragen. Gerichte und Register können effizienter arbeiten, einer komfortableren und zugleich schnelleren Kommunikation wird der Weg eröffnet.

Digitalisierung muss aber auch Sinn ergeben. Im Bereich des Gesellschaftsrechts ist sie definitiv zu begrüßen, ebenso in jedem anderen Bereich, den man durch Digitalisierung effizienter und transparenter gestalten kann. Auch im Immobilienbereich lassen sich Konstellationen finden, die durch eine Digitalisierung profitieren können. Hier sei die Aufmerksamkeit nur auf das Projekt der „Digitalen Abwicklung von Immobilienkaufverträgen“ gelenkt, das den Gedanken der Optimierung – dort, wo sie Sinn macht – aufgreift und fortführt.

In anderen Bereichen wie z.B. bei der Nachfolgeplanung oder in Familiensachen ist fraglich, inwieweit die Digitalisierung einen tatsächlichen Mehrwert schaffen könnte. Hier dürfte es sinnvoller sein, bei dem erforderlichen persönlichen Erscheinen zu verbleiben. Denn gerade in diesen Gebieten ist eine Beratung und Besprechung „von Angesicht zu Angesicht“ – nicht zuletzt für die Bestimmung einer möglichen Geschäfts- und/oder Testierunfähigkeit – unabdingbar.

Gleich, wie man zu dem Thema stehen mag – der erste Schritt zur Digitalisierung notarieller Dienstleistungen wurde getan – und das ist gut so! Jetzt werden die Online-Beurkundungen und -Beglaubigungen ab August 2022 die Chance bekommen, sich zu etablieren. Ob – und wie – sie von der Bevölkerung angenommen werden, bleibt jedoch abzuwarten.  
Astrid_Plantiko
Dr. Astrid Plantiko
Rechtsanwältin und Notarin in Frankfurt am Main
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