Musiktherapie Eingliederungshilfe
Recht & Verwaltung25 Juli, 2023

Ist Musiktherapie eine Leistung des Eingliederungshilfeträgers?

Dr. Antje Wrackmeyer-Schoene, Richterin am Sozialgericht Dessau-Roßlau

Die Musiktherapie gehört zu den sogenannten künstlerischen Therapien im Gesundheitswesen. Sie kann Bestandteil einer psychotherapeutischen Behandlung oder/und Leistung der Eingliederungshilfe sein.

Nachgehend werden verschiedene Anspruchsgrundlagen aufgezeigt. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kann - je nach Fallkonstellation - ein anderer Träger zuständig sein, so dass im Verwaltungsverfahren die Pflicht zur Weiterleitung nach § 14 SGB IX zu beachten sein wird. 

Musiktherapie - Leistung der Krankenkasse?

a) Wird die Musiktherapie im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt, besteht ein Leistungsanspruch auf psychotherapeutische Behandlung unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB V: „…Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst 1. Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung […]“. In der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (zuletzt geändert am 20.11.2020, BAnz AT 17.02.2021 B1) ist die Musiktherapie nicht ausgeschlossen.

b) Ein Anspruch auf eine Musiktherapie als Einzelleistung im Sinne eines Heilmittels nach § 33 SGB V besteht hingegen nicht. Die Musiktherapie ist nicht als eine neue Behandlungsmethode nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anerkannt worden.

Vielmehr ist die Musiktherapie in Anlage 1 a. 4. der Heilmittel-Richtlinie des GBA (in der Fassung vom 19.5.2011, zuletzt geändert am 19.1.2023, BAnz AT 11.4.2023 B1) ausdrücklich ausgeschlossen, weil der therapeutische Nutzen der Musiktherapie nicht nachgewiesen sei. Die Heilmittel-Richtlinie ist für die Krankenkassen verbindlich, § 91 Abs. 6 SGB V.

Musiktherapie als Eingliederungsleistung?

Eine Musiktherapie kann als Eingliederungsleistung gewährt werden. Neben der Musiktherapie im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung (siehe oben unter 1a)) sind Eingliederungsleistungen möglich (zum Gleichrang vgl. BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 19/08 R - Rn. 21; BSG vom 28.08.2018 - B 8 SO 5/17 R; BSG vom 11.11.2021 - B 3 P 3/20 R).

Zur Abgrenzung von Leistungen nach § 33 SGB V einerseits und der medizinischen Rehabilitation (§ 42 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX) andererseits ist eine Rechtsfrage beim Bundessozialgericht anhängig (B 3 KR 3/22 R, Vorinstanz: LSG Thüringen vom 23.12.2021 - L 6 KR 1126/18).

Folgende Reha- bzw. Eingliederungsleistungen kommen in Betracht:

  • Heilpädagogische Maßnahmen (a)),
  • Eingliederungsleistungen der Jugendhilfe (b)) sowie
  • Eingliederungsleistungen nach dem Zweiten Teil SGB IX (c)).

a) Heilpädagogische Leistung

Eine Musiktherapie kann als heilpädagogische Leistung als besondere Eingliederungsleistung (Leistung der sozialen Teilhabe) in Form einer Komplexleistung zu erbringen sein. Anspruchsgrundlage ist § 79 SGB IX in Verbindung mit der Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung (FrühV). Voraussetzung ist, dass das Kind noch nicht eingeschult ist und die drohende Behinderung abgewendet werden oder die Folgen einer Behinderung gemildert werden können. Wenn das noch nicht eingeschulte Kind schwerstbehindert oder schwerstmehrfachbehindert ist, entfällt die Prüfung der positiven Erfolgsaussicht, § 79 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Diese Kinder haben immer einen Rechtsanspruch auf heilpädagogische Maßnahmen (vgl. Busch in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, 5. Aufl. 2022, § 79, Rn. 13).

Bis zu einer Zusammenführung der Eingliederungsleistungen für Kinder und Jugendliche zum 01.01.2024 bleibt Träger der Leistungen bei körperlicher und geistiger Behinderung der Eingliederungshilfeträger und bei seelischer Behinderung der Jugendhilfeträger (Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz v. 3.6.2021, BGBl. I, 1444; vertiefend hierzu Kühl/Stölting, NZS 2023, 241; Schweigler, NZS 2023, 41).

b) Eingliederungsleistung nach § 35a SGB VIII

Außer einer heilpädagogischen Maßnahme kann für Kinder oder Jugendliche, die nicht im Vorschulalter sind, eine Musiktherapie als Eingliederungsleistung nach § 35a SGB VIII in Betracht kommen, sofern für sie eine seelische Behinderung festgestellt ist oder sie von einer solchen bedroht sind. Weiterhin sind die Voraussetzungen des § 35a SGB VIII zu prüfen. Träger der Leistung ist der zuständige Jugendhilfeträger. Die Leistungen nach § 35a SGB VIII sind gegenüber den Leistungen anderer Sozialleistungsträger nachrangig, § 10 Abs. 1 SGB VIII.

c) Eingliederungsleistung nach dem Zweiten Teil SGB IX

Die Musiktherapie kann der medizinischen Rehabilitation (§ 109 SGB IX) oder der sozialen Teilhabe (§ 113 SGB IX) zugeordnet werden.

Als solche Eingliederungsleistung kommt sie nicht nur für Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung, sondern auch für Erwachsene mit Behinderung oder Erwachsene, die von einer Behinderung bedroht sind, in Betracht. Bei der Leistungsentscheidung wird ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde zu legen sein, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (vgl. BSG vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R; LSG Nordrhein-Westfalen vom 10.10.2012 - B 12 SO 605/10). Zu bedenken ist die Leistungserbringung als sogenanntes Persönliches Budget (§ 29 SGB IX) und die Aufnahme der Musiktherapie in den Gesamt- bzw. Teilhabeplan.

Verfahren

Bei Annahme einer Rehabilitationsleistung wird der erstangegangene Rehabilitationsträger nach § 6 SGB IX (Jugendamt, Eingliederungshilfeträger, Krankenkasse und andere) seine Zuständigkeit innerhalb von 14 Tagen klären. Hält er sich nicht für zuständig, muss er den Antrag an den nach seiner Auffassung zuständigen Träger weiterleiten. Tut er dies nicht, ist er leistender Rehabilitationsträger und muss selbst den Bedarf feststellen und, falls kein Gutachten erforderlich ist, innerhalb von drei Wochen über die beantragte Leistung entscheiden, § 14 SGB IX.

Anmerkung der Redaktion:

Lesen Sie vertiefend dazu die folgenden Kapitel in der eGovPraxis Sozialhilfe:

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