LSG: Höhere Unterkunftskosten bei fehlender Datenermittlung zu barrierefreiem Wohnraum
Recht & Verwaltung09 November, 2023

LSG: Höhere Unterkunftskosten bei fehlender Datenermittlung zu barrierefreiem Wohnraum?

Redaktion eGovPraxis Sozialhilfe
Menschen mit (Geh-)Behinderungen benötigen barrierefreien Wohnraum, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das LSG Baden-Württemberg hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob beziehungsweise in welchen Fällen ein Sozialleistungsträger höhere Unterkunftskosten dafür übernehmen muss.

Der Fall

Dem hilfesuchenden Mann werden ein Grad der Behinderung von 80 %, ein Pflegegrad 3 sowie die Merkzeichen G und aG zuerkannt. Er lebt - nach dem Auszug der Ehefrau und der Tochter - allein in seiner 105 qm großen 4- Zimmer-Mietwohnung. Im Sozialhilfeantrag begründete er die Notwendigkeit des Erhalts der Wohnung damit, dass diese barrierefrei sei und er ein Zimmer für die Übernachtung einer Pflegeperson benötige. Gegen die Reduzierung der Unterkunftskosten nach Einleitung eines Kostensenkungsverfahrens, das in den Zeitraum der Corona-Pandemie fiel, wehrte sich der Hilfesuchende vor Gericht. 

Die Entscheidung

Das LSG - anders als das SG - sprach dem Hilfesuchenden den Anspruch auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu. Denn:

  • Grundsätzlich werden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind

  • Die gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Übernahme von unangemessenen Unterkunftskosten im Laufe eines Kostensenkungsverfahrens verlängert sich während der Corona-Pandemie nach X um weitere sechs Monate.

  • Die Übernahme von Unterkunftskosten nach Auslaufen der Corona-Sonderregelungen ist nach der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen zu beurteilen. Dafür ist im ersten von zwei größeren Schritten zunächst die abstrakte Angemessenheit und dann in einem zweiten Schritt die konkrete Angemessenheit der Aufwendungen zu prüfen.

  • Das Vorliegen der abstrakten Angemessenheit der Wohnung lässt das Gericht offen. Es ist der Auffassung, dass es dem Hilfesuchenden konkret nicht möglich war, eine innerhalb der vom Träger veranschlagten Angemessenheitsgrenzen liegende Wohnung anzumieten.

  • Im Rahmen der subjektiven Angewiesenheit zeigt das Gericht auf, dass der Hilfesuchende auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen ist.

  • Die unzureichenden Suchbemühungen des Hilfesuchenden verpflichten den Sozialhilfeträger nicht dazu eine konkrete Unterkunftsalternative zu benennen. Dies gilt erst, wenn überhaupt Angaben zum Preis und zur abstrakten Verfügbarkeit solchen Wohnraums gegeben sind. Somit sind die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, wenn keinerlei Ermittlungen seitens des Leistungsträgers gemacht wurden.

    Fazit

  • Wenn vom Sozialhilfeträger keinerlei Daten zur Verfügbarkeit und dem Preis von barrierefreiem Wohnraum erhoben werden, kann dies im Einzelfall dazu führen, dass für den Hilfebedürftigen, der auf einen solchen Wohnraum angewiesen ist, weiterhin die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen sind.

  • Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

  • Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen.

  • Im Rahmen der konkreten Angemessenheit werden die personenbezogenen Umstände (z.B. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit) bei den jeweiligen mietpreisbildenden Faktoren (z.B. Wohnflächenbedarf, Vergleichsraum, Wohnungsstandard, Referenzgruppe) berücksichtigt.

Anmerkung der Redaktion

Für vertiefte Ausführungen beachten Sie bitte auch die Ausführungen unseres Autors, Prof. Dr. Torsten Schaumberg, in der eGovPraxis Sozialhilfe, beginnend mit:

Bildnachweis: Julien Eichinger/stock.adobe.com
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