Kündigungsverbot bei Schwangerschaft
Recht & Verwaltung06 April, 2023

Aktuelles zu Rahmenbedingungen des Kündigungsverbots nach § 17 Abs. 1 MuSchG

Torsten Herbert, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbands NRW


Wann ist eine Schwangerschaftsanzeige an den Arbeitgeber rechtzeitig und auf welcher Grundlage ist der Beginn des Kündigungsverbots zu berechnen?

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte kündigte das seit dem 15.10.2020 bestehende Arbeitsverhältnis mit einem der Klägerin am Folgetag zugegangenen Schreiben vom 06.11.2020 ordentlich. Mit einem am 12.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und teilte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 02.12.2020, der am Folgetag beim Arbeitsgericht einging, mit, in der sechsten Woche schwanger zu sein. Der am 07.12.2020 der Beklagten zugegangenen Abschrift war eine Schwangerschaftsbestätigung ihrer Frauenärztin vom 26.11.2020 beigefügt. Die Klägerin legte im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens eine weitere Schwangerschaftsbescheinigung vor, in welcher der voraussichtliche Geburtstermin mit 05.08.2021 angegeben wurde.

Die Klägerin hielt die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG für unwirksam. Sie sei zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 07.11.2020 bereits schwanger gewesen. Von der Schwangerschaft habe sie erst am 26.11.2020 sichere Kenntnis erhalten. Die verspätete Mitteilung an die Beklagte sei unverschuldet und unverzüglich nach Kenntnis erfolgt.

Die Beklagte hat das Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs bestritten. Die Klägerin habe sie schon früher über eine mögliche Schwangerschaft benachrichtigen müssen. Jedenfalls sei die Mitteilung der Klägerin nicht mehr unverzüglich erfolgt. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten bei der verspäteten Übermittlung der ärztlichen Bescheinigung müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Deren Revision zum BAG war erfolgreich.


BAG bleibt bei ständiger Rechtsprechung: Beginn des Kündigungsverbot liegt 280 Tage vor errechnetem Entbindungstermin

Das BAG verbleibt bei seiner Rechtsprechung, wonach das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin beginnt.

Soweit die Vorinstanz davon ausgegangen sei, das Bestehen einer Schwangerschaft und damit der Beginn des Kündigungsverbots werde bei natürlicher Empfängnis ausgehend von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Entbindungstermin entgegen der ständigen Senatsrechtsprechung (zuletzt BAG, Urteil v. 26.03.2015 – 2 AZR 237/14 – ; Rn. 16) nicht durch Rückrechnung eines Zeitraums von 280 Tagen, sondern lediglich von 266 Tagen bestimmt, weil insoweit nicht auf die äußerste zeitliche Grenze für den möglichen Beginn einer Schwangerschaft (280 Tage), sondern nur auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) abzustellen sei, sei dem entgegenzutreten.

Eine solche Sichtweise berücksichtige nur ungenügend die sich aus dem Unionsrecht und aus nationalem Verfassungsrecht ergebenden Vorgaben.

Bei der Bestimmung des Termins für das Eingreifen des Kündigungsverbots gehe es nicht um die Festlegung des tatsächlichen - naturwissenschaftlichen - Beginns der Schwangerschaft im konkreten Fall, sondern um eine Berechnungsmethode, der prognostische Elemente innewohnten. Hierbei sei vom frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen, um die Sicherheit und den Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen umfassend zu gewährleisten.

Dabei würden zwar auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich, aber eben nicht generell ausgeschlossen sei.

Nur diese Betrachtungsweise erstrecke den Beginn des Kündigungsverbots auf den „frühestmöglichen Zeitpunkt des Vorliegens einer Schwangerschaft“, während die vom LAG vertretene Auffassung, wonach die „durchschnittliche“ Dauer einer Schwangerschaft von 266 Tagen maßgeblich sein solle, in Kauf nehme, dass Arbeitsverhältnisse von schwangeren Arbeitnehmerinnen, bei denen die Konzeption bereits zu einem vor dem 266. Tag liegenden Zeitpunkt erfolgt sei, nicht vom Kündigungsverbot erfasst würden.

Das wäre mit dem von der Mutterschutzrichtlinie gewollten und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gebotenen umfassenden Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen nicht zu vereinbaren.

Ob im vorliegenden Fall die Kündigung wegen Verstoßes gegen das Verbot in § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam sei, stehe indes noch nicht fest. Das LAG habe keine Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG getroffen.


BAG entscheidet: Pflicht zur Mitteilung bei zwingenden Anhaltspunkten für eine Schwangerschaft und keine Verschuldenszurechnung

Der Beklagten sei die Schwangerschaft der Klägerin bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt gewesen. Sie sei ihr auch nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung am 07.11.2020 mitgeteilt worden, sondern erst am 07.12.2020.

Eine Fristüberschreitung sei von der schwangeren Frau dann i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG zu vertreten, wenn sie auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten zurückzuführen sei („Verschulden gegen sich selbst“).

Die Arbeitnehmerin versäume die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft infolgedessen schuldhaft, wenn sie die Mitteilung innerhalb der Zweiwochenfrist unterlasse, obwohl sie die Schwangerschaft kenne, oder wenn zwar noch keine positive Kenntnis bestehe, aber gleichwohl zwingende Anhaltspunkte gegeben seien, die das Vorliegen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen ließen.

Das Untätigsein der Arbeitnehmerin beim Vorliegen einer bloßen, mehr oder weniger vagen Schwangerschaftsvermutung reiche dagegen regelmäßig nicht aus, ihr ein schuldhaftes Verhalten - mit der Folge des Verlusts des besonderen Kündigungsschutzes – vorzuwerfen.

Die Arbeitnehmerin hafte nicht unter dem Gesichtspunkt des § 278 BGB oder des § 85 Abs. 2 ZPO für das Verschulden eines von ihr mit der Schwangerschaftsmitteilung beauftragten Boten oder allgemein zur Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber dem Arbeitgeber ermächtigten Vertreters.

Das LAG habe im fortgesetzten Berufungsverfahren Feststellungen zur Frage der unverschuldeten Fristüberschreitung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG zu treffen. Sollte sich dabei die Behauptung der Klägerin als zutreffend erweisen, sie habe von ihrer Schwangerschaft erst am 26.11.2020 positiv gewusst und es habe auch früher keine zwingenden Anhaltspunkte gegeben, die das Bestehen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen ließen, wäre die Mitteilung der Klägerin über das Bestehen ihrer Schwangerschaft noch unverzüglich i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG nachgeholt worden.


Praktische Bedeutung der Entscheidung des BAG vom 24.11.2022 – 2 AZR 11/22 –

Die Entscheidung des BAG hält angesichts unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung (zuletzt BAG 26.03.2015 – 2 AZR 237/14 – Rn. 16) fest, wonach der Beginn des Kündigungsverbots aus § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG bei natürlicher Empfängnis in der Weise bestimmt wird, dass von dem ärztlich festgestellten voraussichtlichen Tag der Entbindung - ohne diesen mitzuzählen - um 280 Tage zurück gerechnet wird.

Versäumt die Schwangere die rechtzeitige Mitteilung ihrer Schwangerschaft gegenüber dem Arbeitgeber binnen der gesetzlichen Zweiwochenfrist, ist dies nur dann i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 2 MuSchG zu vertreten, wenn die Säumnis auf einem gröblichen Verstoß gegen das von einem ordentlichen und verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist. Eine Zurechnung des Verschuldens Dritter bei der Schwangerschaftsmitteilung nach § 278 BGB oder § 85 Abs. 2 ZPO erfolgt nicht.

Die BAG-Entscheidung führt im Ergebnis zu einer rechtssicheren Anwendung der Schwangerschaftsberechnung und Bewertung verspäteter Mitteilungen.
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