Entschädigung gemäß § 649 BGB a.F.
Recht & Verwaltung03 November, 2021

OLG Düsseldorf: Entschädigung gemäß § 649 BGB a.F. nach freier Kündigung durch Auftraggeber

Überraschend oft sind Auftragnehmer in Bauprozessen nicht in der Lage, ihren Entschädigungsanspruch nach § 649 BGB a.F. bzw. § 648 BGB n.F. nachvollziehbar darzulegen. Damit ein Prozess deswegen nicht verloren geht, ist es wichtig zu wissen, was man als Auftragnehmer darlegen muss und wer die Beweislast trägt.

 RA Claus Rückert

 In seiner Entscheidung (Urt. v. 27.08.2021 – 22 U 267/20) beschäftigt sich das OLG Düsseldorf mit folgender Frage: Was muss der Auftragnehmer/Unternehmerdarlegen, wenn er gemäß § 649 BGB a.F. (diese Vorschrift entspricht § 648 BGB n.F.) nach einer freien Kündigung durch den Auftraggeber/Besteller eine Entschädigung für die Leistungen geltend macht, die aufgrund der Kündigung nicht mehr zur Ausführung gekommen sind.

Gelingt es Auftragnehmern in Bauprozessen nicht, ihren Entschädigungsanspruch nach § 649 BGB a.F. bzw. § 648 BGB n.F. nachvollziehbar darzulegen, so riskieren sie dadurch, dass der Prozess verloren geht. Dies ist vermeidbar, denn die Hürden sind durchaus überwindbar.

Der Fall

Ein Unternehmer (AN) wird durch „Detail-Pauschalvertrag“ vom 16.04.2015 mit Abbruch-, Erd-, Spezialtiefbau-, Maurer- und Stahlbetonarbeiten beauftragt. Vertragsgrundlage ist u.a. die VOB/B. Unter Berücksichtigung eines Nachlasses und 2% Skonto beläuft sich das Auftragsvolumen auf insgesamt 1.666.000,00 € brutto.

Schon kurze Zeit nach Baubeginn erklärt der Auftraggeber (AG) gegenüber dem AN mit Schreiben vom 27.05.2015 die freie Kündigung des Vertrages. Der AN macht daraufhin für die erbrachten Leistungen einen Betrag in Höhe von 49.643,66 € brutto geltend. Für die wegen der Kündigung nicht mehr ausgeführten Leistungen macht er eine Entschädigung in Höhe von 216.008,48 € netto geltend.

Der AN hat anhand seiner Urkalkulation aufgeschlüsselt, wie sich die Detailpauschalen zusammensetzen. Aus der Kalkulation geht hervor, welche Einzelkosten der Teilleistungen (EKT – insbesondere für Material-, Geräte-, Lohn- und/oder Nachunternehmerkosten) der AN kalkuliert hat und wie sich der Gemeinkostenzuschlag in Höhe von insgesamt 15% aus den Baustellengemeinkosten (BGK), Allgemeinen Geschäftskosten (AGK) sowie Wagnis und Gewinn (WuG) zusammensetzt.

Auf dieser Grundlage trägt er vor, welche Aufwendungen er aufgrund der Kündigung erspart hat. Außerdem behauptet er, dass er aufgrund der Kündigung keinen anderen Gewinn erzielt habe. Vielmehr erläutert der AN, dass er den vertraglich vereinbarten Nachlass seinerzeit akzeptiert habe, um Kurzarbeit zu vermeiden.

Der AG lässt daraufhin im Prozess bestreiten, dass die Kalkulation des AN richtig sei. Außerdem äußert er die Auffassung, die vom AN vorgelegte Kalkulation sei „nicht ansatzweise schlüssig“.

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Das Urteil

Das OLG Düsseldorf spricht dem AN die geltende gemachte Forderung weitgehend zu. Der Anspruch des AN nach § 649 BGB a.F. setzt sich zusammen aus der Vergütung für die erbrachten Leistungen und der Entschädigung für die bis zur Kündigung noch nicht ausgeführten Leistungen.

Vergütung für die erbrachten Leistungen

Der Auftragnehmer muss darlegen, welche Vergütung ihm nach dem Vertrag für die erbrachten Leistungen zusteht. Hierzu muss er die Vertragspreise so weit aufgliedern, dass nachvollziehbar ist, welche Vergütung er für die ausgeführten Leistungen verlangen kann.

Außerdem muss er (insbesondere durch Aufmaß) darlegen und ggf. nachweisen, welche Leistungen er im Einzelnen tatsächlich ausgeführt hat. Auf die Vergütung fällt Mehrwertsteuer an. Hier kann der AN für die erbrachten Leistungen eine Vergütung in Höhe von 29.030,76 € brutto nachweisen.

Entschädigung für die bis zur Kündigung noch nicht ausgeführten Leistungen

Für die gekündigten Leistungen kann der Auftragnehmer die vertragliche Vergütung verlangen. Er muss sich allerdings dasjenige anrechnen lassen, was er aufgrund der Kündigung an Aufwendungen erspart hat. Außerdem muss er sich dasjenige anrechnen lassen, was er wegen anderweitiger Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

Hierbei geht es nur um solche Gewinne, die der Auftragnehmer nur wegen der Kündigung erzielen kann. Zu berücksichtigen sind außerdem solche Produktionsmittel, die durch die Kündigung freigesetzt werden und die sonst für die Bearbeitung anderer Aufträge nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Maßgeblich sind die tatsächlich ersparten Aufwendungen

Das OLG Düsseldorf stellt klar, dass es für die Ermittlung der ersparten Aufwendungen nach der ständigen BGH-Rechtsprechung (so etwa schon Urt. v. 28.10.1999 – VII ZR 326/98, NJW 2000, 653) auf die tatsächlich ersparten Kosten ankommt und nicht auf die kalkulierten Kosten.

Auftragnehmer kann auf eine ausreichend detaillierte Kalkulation zurückgreifen

Auch wenn es auf die tatsächlichen Kosten ankommt, kann der Auftragnehmer zur Darlegung der ersparten Aufwendungen im ersten Schritt auf seine Urkalkulation oder eine nachträglich erstellte Kalkulation Bezug nehmen. Diese Kalkulation muss so detailliert sein, dass hieraus die kalkulierten EKT und die kalkulierten Gemeinkostenzuschläge nachvollzogen werden können.

Hierdurch muss der Auftraggeber in die Lage versetzt werden zu überprüfen, ob die in der Abrechnung angegebenen EKT und die in Ansatz gebrachten

Gemeinkostenzuschläge (insbesondere die BGK) zutreffen und alle zur Ausführung erforderlichen Leistungen berücksichtigt sind. Diese Überprüfung kann der Auftraggeber entweder aus eigener Sachkunde oder durch Hinzuziehung eines Privatgutachters vornehmen.

Erforderliche Darlegung zum anderweitigen Erwerb

Es reicht zunächst aus, wenn der Auftragnehmer erklärt, ob ein Füllauftrag vorliegt oder nicht. Hierfür kann es genügen, wenn er angibt, keinen anderweitigen Gewinn infolge der Kündigung erzielt zu haben

Es ist dann Sache des Auftraggebers, ganz konkrete Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die den Vortrag des Auftragnehmers widerlegen.

Beweislast liegt beim Auftraggeber

Wenn der Auftragnehmer seiner Erstdarlegungslast nachkommt, muss der Auftraggeber im zweiten Schritt ganz konkret darlegen und nachweisen, welche EKT aus seiner Sicht zu niedrig bemessen sind, oder dass erforderliche Leistungen nicht kalkuliert sind. Ebenfalls darlegungs- und beweisbelastet ist der Auftraggeber, wenn er behauptet, der Auftragnehmer habe einen anderweitigen Erwerb erzielt.

Im vorliegenden Fall hat der AN im ersten Schritt anhand einer detailliert aufgeschlüsselten Kalkulation dargelegt, welche Kosten ihm bei vollständiger Leistungserbringung entstanden wären und welche Kosten er durch die Kündigung erspart hat.

Der AG hätte daher im zweiten Schritt darlegen und nachweisen müssen, dass die Kalkulation des AN falsch ist und die tatsächlich ersparten Aufwendungen tatsächlich höher sind. Dieser Nachweis ist dem AG nicht gelungen, so dass die Angaben des AN im Wesentlichen zugrunde gelegt werden. Zu einem anderweitigen Erwerb hat der AG keine Anknüpfungstatsachen vorgetragen.

Das OLG Düsseldorf spricht dem AN daher einen Entschädigungsbetrag in Höhe von 215.591,72 € netto zu. Aufgrund der ständigen BGH-Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.11.2007 – VII ZR 83/05, NJW 2008, 1522) geht es davon aus, dass auf die „Vergütung“ (Entschädigung) für die nicht erbrachten Leistungen keine Umsatzsteuer anfällt.

Fazit

Das Urteil des OLG Düsseldorf verdeutlicht, dass die Darlegung von Ansprüchen nach § 649 BGB a.F. bzw. § 648 BGB n.F. keine unüberwindbare Hürde ist. Im Gegenteil: Wenn der Unternehmer sich die Mühe macht, seine Kalkulation hinreichend detailliert aufzuschlüsseln, hat er gute Chancen, seine berechtigten Ansprüche durchzusetzen. Die Frage, welchen Arbeitsaufwand der Unternehmer hierbei aufwenden muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab:

Darlegung beim Einheitspreisvertrag

Bei einem Einheitspreisvertrag kann es ausreichen, die einzelnen Einheitspreise der nicht mehr ausgeführten Positionen des Leistungsverzeichnisses (LV) aufzuschlüsseln.

Soweit bei bestimmten Positionen nur einzelne Leistungsteile der Leistungsposition erbracht sind (Beispiel: eine LV-Position beinhaltet die Komplettmontage von Steckdosen, bis zur Kündigung ist nur die Rohmontage erfolgt), ist der Einheitspreis bis auf die einzelnen Teilleistungen aufzuschlüsseln. Die Abrechnung der bis zur Kündigung erbrachten Mengen und Massen erfolgt in erster Linie auf der Grundlage eines Aufmaßes.

Darlegung beim Detailpauschalvertrag

Ähnlich verhält es sich bei einem Detailpauschalvertrag. Dort sind die Leistungen in den einzelnen LV-Positionen wie beim Einheitspreisvertrag beschrieben. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Mengen pauschaliert worden sind. Eine Besonderheit besteht, wenn bei der Pauschalierung Preisnachlässe oder Preiszuschläge gewährt worden sind.

Dann ist dieser prozentuale Nachlass bzw. Zuschlag bei der Berechnung des Wertverhältnisses zwischen der ausgeführten Leistung und der vertraglich vereinbarten Gesamtleistung bei allen LV-Positionen einzubeziehen.

Darlegung beim Globalpauschalpreisvertrag

Bei einem Pauschalpreisvertrag ohne detailliertes LV muss der vereinbarte Pauschalpreis so weit aufgeschlüsselt werden, dass erkennbar wird, welche Kosten und Zuschläge für die erbrachten und nicht erbrachten Leistungen angesetzt worden sind. Maßgeblich ist hierbei das Interesse des Auftraggebers, die Abrechnung des Unternehmers überprüfen zu können.

Hierbei kann es ausreichen, einige Kosten lediglich nach Gewerk aufzugliedern. Andere Leistungen müssen bis auf die EKT detailliert aufgeschlüsselt werden, falls das Kontrollinteresse des Auftraggebers dies erfordert.

Darstellung der ersparten Aufwendungen anhand von weiteren Unterlagen

Die ersparten Aufwendungen können außerdem z.B. durch Preislisten von Lieferanten oder Lieferrechnungen bei anderen Bauvorhaben (Materialkosten), die Darlegung der eigenen Löhne und Gehälter (Lohnkosten), Mietpreislisten oder Abschreibungslisten (Geräte) und Angebote bzw. Verträge von bzw. mit Nachunternehmern (Nachunternehmerkosten) ergänzend dargelegt werden.

Fällt auf die Entschädigung doch Mehrwertsteuer an?

Die Frage, ob auf die „Vergütung“ (Entschädigung) für die nicht erbrachten Leistungen Mehrwertsteuer anfällt, hat der BGH bisher in ständiger Rechtsprechung verneint (vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.11.2007 – VII ZR 83/05, NJW 2008, 1522). Insofern ist derzeit allerdings ein Verfahren beim BFH anhängig (Az.: V R 13/19).

Vorausgegangen war eine Entscheidung des FG Niedersachsen (Urt. v. 28.02.2019 – 5 K 214/18). Dort hatte der FG Niedersachsen entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH die Auffassung vertreten, dass der Anspruch nach § 649 S. 2 BGB a.F. umsatzsteuerpflichtig sei.

Bis zur Entscheidung durch den BFH sollte der Auftragnehmer sich bei der Abrechnung gekündigter Bauverträge sowie auch bei Abschluss eines Vergleichs mit dem Auftraggeber sicherheitshalber ausdrücklich einen Nachforderungsanspruch zur Umsatzsteuer wegen des beim BFH anhängigen Verfahrens vorbehalten.

Claus Rükert

Autor

Claus Rückert

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der auf das Baurecht spezialisierten Kanzlei Ulbrich § Kollegen mit Sitz in Würzburg.

Bildnachweis: Pixel-Shot/stock.adobe.com

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