Digitalisierung Notariat Dirug Direg
Recht & Verwaltung10 Januar, 2024

Ein Jahr Digitalisierung im Notariat – Hätten Sie´s gemerkt?

Dr. Astrid Plantiko, Rechtsanwältin und Notarin, Fachanwältin für Steuerrecht

Die Regelungen des Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) sind am 1. August 2022 und damit etwas über ein Jahr nach dem in der Richtlinie (EU) 2019/1151 („Digitalisierungsrichtlinie“) ursprünglich vorgesehenen Zeitpunkt in Kraft getreten.
Dieser Beitrag soll neben den zentralen Inhalten der gesetzlichen Neuregelung auch ihre bisherigen Auswirkungen auf die notarielle Berufspraxis in den Blick nehmen.

Regelungsinhalte

Die Digitalisierungsrichtlinie soll – zunächst begrenzt auf das Feld des Gesellschaftsrechts – durch digitale Instrumente und Verfahren Vereinfachungen unter anderem im Bereich der notariellen Beurkundungen und Beglaubigungen ermöglichen. Konkret wurden dazu die nachfolgenden Möglichkeiten neu in das nationale Recht implementiert:

  • Einführung der Online-Bargründung der GmbH und UG (mit Musterprotokoll oder ohne)
  • Möglichkeit der Online-Unterschriftsbeglaubigung für Handelsregisteranmeldungen für Einzelkaufleute und Kapitalgesellschaften
  • Konsolidierung der Offenlegung von Urkunden und Informationen im Handels- und Unternehmensregister online
  • Vereinfachung des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs bei Disqualifizierung von Geschäftsführer/innen und Vorständen sowie Vermerken ausländischer Zweigniederlassungen deutscher Unternehmen im Handelsregister

Bereits zum 1. August 2023 wurden weitere Regelungen durch das Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG) hinzugefügt. Danach ist nunmehr in sehr eingeschränktem Rahmen auch die Sach- und Mischgründung einer GmbH online möglich. Zudem werden Handelsregisteranmeldungen für andere Rechtsträger und erstmals auch Unterschriftsbeglaubigungen für Anmeldungen zum Partnerschafts-, Genossenschafts- und Vereinsregister online ermöglicht.

Unter Federführung der Bundesnotarkammer wurde eine Softwarelösung entwickelt, die entsprechende Online-Beurkundungen bei gleichzeitiger Beachtung der umfassenden rechtlichen Vorgaben an Rechtssicherheit und Datenschutz überhaupt möglich gemacht hat. Von einer technologieoffenen Lösung, bei der die Entwicklung entsprechender Software dem freien Markt überlassen wird, hat die BNotK angesichts der zentralen Bedeutung der im Beurkundungsprozess betroffenen Rechtsgüter und des Stellenwerts der notariellen Beurkundung im gesamten Rechtsgefüge bewusst keinen Gebrauch gemacht.

Bedeutung für die notarielle Praxis

In der notariellen Berufspraxis sind insbesondere die beiden ersten Punkte sowie die Ergänzungen durch das DiREG von Relevanz, also die unterschiedlichen Möglichkeiten der Online-Gründung und online Unterschriftsbeglaubigungen der Registeranmeldungen.

Es steht dabei nicht zur freien Disposition der Notarinnen und Notare, solche Online-Beurkundungen optional anzubieten, dies ist vielmehr eine unmittelbare gesetzliche Verpflichtung, der allgemeine Urkundsanspruch erstreckt sich in den vorgenannten Feldern nach Wahl der Beteiligten also auch auf die Online-Beurkundung. Eine Verweigerung kommt entsprechend nur in Betracht, wenn die Identität der Beteiligten nicht sicher festgestellt werden kann. Das Fehlen der entsprechenden Infrastruktur auf Seiten der Notarin bzw. des Notars kann und darf für eine Ablehnung der Online-Dienste also nicht angeführt werden.

Dabei gilt das Amtsgerichtsprinzip – zurecht – auch für Online-Beurkundungen und Unterschriftsbeglaubigungen. Denn auch online darf nur beurkundet werden, wenn der Sitz der Gesellschaft bzw. der Niederlassung einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland oder der Wohnsitz oder Sitz eines Gesellschafters im Amtsbereich des beurkundenden Notars bzw. der beurkundenden Notarin liegt. Die im Gesetzgebungsprozess häufig geäußerte Befürchtung, mit der Einführung der Online-Beurkundungen würde eine Erosion der regionalen Begrenzung notarieller Tätigkeiten Einzug halten und sich eine neue Form von „Online-Notaren“ etablieren, hat sich nicht bewahrheitet und droht, soweit absehbar, auch künftig nicht. Ob man dies als abgewendetes Unheil oder nicht vielleicht doch als vertane Chance bewertet, bleibt jedem Berufsträger und jeder Berufsträgerin selbst überlassen, hier gehen die Meinungen offenkundig auseinander.

Praktische Relevanz nach der Erfahrung der Autorin

Zumindest in der notariellen Berufspraxis der – durchaus digitalaffinen – Autorin werden die Möglichkeiten der Online-Beurkundung auf Mandantenseite bisher nahezu gar nicht in Anspruch genommen. Über die Gründe hierfür lässt sich trefflich spekulieren.

Zunächst lässt sich feststellen, dass in der breiten Bevölkerung (und wohl auch bei den meisten erfahreneren Beteiligten der Geschäftswelt) Kenntnisse über die grundsätzliche Möglichkeit zur Online-Beurkundung quasi nicht vorhanden sind. Wer nicht gezielt danach sucht, wird kaum einmal zufällig davon gelesen haben. Vermutlich wird es auch einigen Berufsträgerinnen und Berufsträgern nicht ungelegen kommen, wenn die breite Bevölkerung den allgemeinen Anspruch auf die Online-Beurkundung „nicht auf dem Schirm hat“ – denn viele Kolleginnen und Kollegen stehen dieser technischen Neuerung auch weiterhin reserviert gegenüber.

Ein weiteres Hemmnis dürfte in den technischen Mindestanforderungen an die Online-Beurkundung zu sehen sein. Viele Bürgerinnen und Bürger Deutschlands sowie auch diverser EU-Mitgliedsstaaten können die entsprechenden Möglichkeiten derzeit faktisch noch gar nicht nutzen. Denn längst nicht jeder verfügt bereits über den dazu notwendigen Personalausweis mit eID-Funktion, bzw. im Falle von EU-Ausländern über ein äquivalentes nationales Ausweisdokument auf dem Sicherheitsniveau „hoch“ gem. Verordnung (EU) Nr. 910/2014 („eIDAS-VO“). Tatsächlich erfüllen die Ausweisdokumente in einem guten Drittel der Mitgliedstaaten dieses Anforderungsniveau selbst optional bis heute nicht. Die Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten sind von den (grenzüberschreitenden) Möglichkeiten der Online-Gründung bisher also gänzlich abgeschnitten. Und auch in Deutschland erfüllen längst nicht alle Bürgerinnen und Bürger diese Voraussetzungen, auch wenn mit der sukzessiven Umstellung auf die neueste Generation von Personalausweisen die Quote derer, die zumindest über Ausweisdokumente verfügen, die technisch alle Anforderungen erfüllen, immer weiter steigen wird.

Ein letzter Grund für die geringe praktische Akzeptanz der Online-Beurkundungen könnte aber – und das ist eine gute Nachricht für alle Berufsträgerinnen und Berufsträger – auch einfach darin zu suchen sein, dass die langjährig gewohnte, persönliche Betreuung in Notarterminen auch in der Geschäftswelt als wichtig erachtet und wegen ihrer Schutzfunktion geschätzt wird und die Beteiligten aus diesem Grund nur ungerne darauf verzichten wollen bzw. bereit sind, im Gegenzug den Aufwand des persönlichen Erscheinens auch weiterhin in Kauf zu nehmen. Denn auch heute noch assoziieren die meisten Beteiligten gerade mit der umfassenden persönlichen Beratung durch Notarin oder Notar umfassende Unparteilichkeit und ein maximales Maß an Vertraulichkeit in gewohnter Umgebung. Auch gegenüber digitalen Erleichterungen grundsätzlich aufgeschlossene Unternehmen und Personen scheuen also anscheinend jedenfalls für den Moment jeden Schritt weg von dieser über Jahrzehnten aufgebauten Vertrauensbasis.

Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Reserviertheit, ggfs. auch im Zuge der weiteren Öffnung digitaler Beurkundungsangebote in der Zukunft, im Laufe der Jahre noch legen wird; oder ob angesichts dieser andauernden Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme digitaler Angebote im Notariat deren weiterer Ausbau ins Stocken gerät.

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