Zum 20. Jubiläum des BGB-Kommentars PWW geben zwei der drei Herausgeber Einblicke in die Entstehungsgeschichte, Herausforderungen und Entwicklungen des Kommentars.
Herrscht bei Ihnen heute noch die gleiche Begeisterung und Leidenschaft für das Werk wie zu Beginn? Welche Motivation hat Sie durch die vergangenen 20 Auflagen begleitet?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Ja, unbedingt. Motivation war, an einem Kommentar zu unserem bedeutendsten Gesetzeswerk der letzten 125 Jahre mitzuwirken. Mehr als das, ihn von Grunde auf zu denken, zu strukturieren, dann umzusetzen und im Einzelnen zu gestalten, zusammen mit dem Verlag, dem damaligen Lektor und den mir zuvor nur aus der Literatur bekannten Mitherausgebern, haben wir dann als ein gutes Team geschafft. Die Motivation war auch, dass ich Beiträge zur Rechtsentwicklung durch den PWW mit den etwa 60 Autoren, die alle handverlesen, fachlich top und hoch motiviert sind, leisten kann und der Erwartung, dass sich unser PWW in Rechtspraxis und Rechtsprechung neben dem damaligen Platzhirsch „Palandt“ (einbändig, jährliche Erscheinungsweise) durchsetzen wird.
Gerd Weinreich: Die Begeisterung ist ungebrochen. Es macht einfach Freude, regelmäßig zu sehen, wie ein Team von 55 Mitautorinnen und -autoren regelmäßig die aktuelle Rechtsprechung einarbeitet und die Gesetzgebung begleitet und das nun schon seit 20 Jahren. Stets waren wir uns der Verantwortung bewusst, die auf uns als Autoren lastet. Denn wir wissen, dass die Nutzerinnen und Nutzer des Buches sich bei ihren Recherchen auf uns verlassen können müssen.
Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als die erste Auflage erschienen ist? Welche Erwartungen oder Hoffnungen haben Sie damals mit dem Kommentar verbunden?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Ja, das erste Exemplar des fertigen PWW in erster Auflage 2006 in den Händen zu halten – großartig! Für mich war das auch eine neue Erfahrung in der Projektsteuerung nicht eines M&A-Projektes, sondern eines Buchprojektes mit Verlag, zwei Mitherausgebern und dann etwa 60 Autoren. Zu der Projektsteuerung, dem Teambuilding usw. habe ich nicht unerheblich beitragen können. Der Kommentar sollte europa- und völkerrechtsfreundlich werden, ohne die „Belastung“ der Kommentierung über Jahrzehnte – etwas zu streichen fällt jedermann schwer. Dieses „Dickicht“ der Altkommentierung hatten wir nicht. Jeder Autor musste völlig neu aufsetzen – modern, unvoreingenommen, ohne Rücksicht auf frühere Aussagen, jährlich pünktlich und auf den neusten Stand gebracht – eine große Herausforderung.
Gerd Weinreich: Der Moment des Erscheinens der ersten Auflage ist mir noch deutlich in Erinnerung. Ich persönlich habe mich besondere gefreut, als die seinerzeitige Justizministerin des Landes Nordrhein - Westfalen anlässlich der Präsentation des Werkes von einem neuen Stern am Juristenhimmel sprach, der gerade aufgegangen war. Die damit verbundene Hoffnung auf eine feste Größe in der Juristerei hat sich meines Erachtens auch erfüllt.
Inwiefern hat sich das Werk im Laufe der Zeit gewandelt – sowohl inhaltlich als auch in seiner Zielsetzung?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Zum einen setzt der Verzicht auf Spezialabkürzungen, jenseits der gängigen Abkürzungen, wie im damaligen Platzhirsch „Palandt“, dem einbändigen PWW Bindungsgrenzen, so dass ein Teil der Nebengesetze über die Jahre in den Onlinebereich „geschoben“ werden musste. Das hatte aber zugleich den angenehmen Effekt, dass der PWW sehr frühzeitig auch auf Onlineverbreitung setzte.
Die Zielsetzung blieb gleich. Inhaltlich wurde das Werk ständig erweitert – der dynamischen Gesetzgebung (oder auch Regelungswut) folgend, insbesondere auch durch die Umsetzung von umfangreichem Unionsrecht.
Gerd Weinreich: Es gibt zwei ganz augenfällige Änderungen zwischen der ersten und der zwanzigsten Auflage: Die erste Auflage hatte einen Umfang von gut 3.100 Seiten, die zwanzigste überschreitet deutlich die 4.000 Seiten. Das hat unter anderem zur Folge, dass das Stichwortverzeichnis nur noch digital zur Verfügung gestellt werden konnte. Hinsichtlich der Zielsetzung ist meines Erachtens anzumerken, dass die Vorschriften zum Internationalen Privatrecht deutlich an Bedeutung gewonnen haben.
Gab es bei der Arbeit an einer bestimmten Auflage besondere Herausforderungen, die Ihnen bis heute im Gedächtnis geblieben sind?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Eine besondere Herausforderung für mich persönlich war, als Verantwortlicher für das IPR, das Erscheinen des unionsrechtlichen IPR, nämlich der ROM I ff. Verordnungen, mit unmittelbarer Geltung im EU-Gebiet. Das erforderte ein Umdenken in der Präsentation insgesamt, insbesondere in den Bereichen, in denen die ROM I ff. Verordnungen jetzt gesetzt sind, Anwendungsvorrang haben und weitere internationale Konventionen hinzukamen. Das hat viel herausgeberische Mühe gemacht. Zusätzlich war ich selbst als Autor von diesen unionsrechtlichen Neuerungen betroffen, da ich das IPR des Schuldvertragsrechts kommentierte, zusammen mit Professor Brödermann, und dieses ersatzlos entfiel. Wir mussten dann das alte Recht weiterkommentieren, weil natürlich die Altfälle weiterhin vor Gerichten landeten und Entscheidungen noch Jahre später ergingen, und die Präsentation der Unionsregeln völlig neu aufsetzen.
Gerd Weinreich: Im Gedächtnis geblieben ist mir beispielhaft die Arbeit an der 20. Auflage, wobei die typisch für die Vorgehensweise auch hinsichtlich der früheren Auflagen ist. Es war hier kurz vor Manuskriptabgabe das Namensrecht umfassend neu gestaltet worden. Natürlich mussten die Änderungen in die Neuauflage mit einbezogen werden. Das stellt für einen Autor eine erhebliche Herausforderung dar, zumal man sich dabei nicht auf Rechtsprechung der auch nur Literatur stützen kann.
Wie gehen Sie mit der ständigen Flut an Gesetzesänderungen und Rechtsprechung um? Welche Strategien haben Sie entwickelt, um die Aktualität des Kommentars zu sichern?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Zur Illustration sei kurz bemerkt, dass der PWW in der 1. Auflage 2006 insgesamt 3.124 Seiten umfasste. Die 19. Auflage 2024 umfasste bereits 4.111 Seiten. Das Werk ist also um 1.000 Seiten „gewichtiger“ oder umfangreicher geworden. Wir haben uns bemüht, in der jährlichen Neuauflage in Print und Online die Einhaltung der Zeitvorgaben für Autoren abzusichern. Die Autorenbegleitung durch den Verlag und die insbesondere Einsetzung einer hocherfahrenen Juristin (selbst Autorin) für die Lektoratsarbeit war hierbei mitentscheidend.
Gerd Weinreich: Insbesondere die Gesetzesänderungen stellen uns vor immer neue Probleme. Bleiben wir beim Beispiel Namensrecht. Zum Ehenamen gab es bis zur 19. Auflage mit § 1355 eine Norm. Mittlerweile sind es drei. Aus 4 §§ zum Namen der Kinder sind jetzt 7 geworden. Die ständige Ausweitung durch die Regulierungswut des Gesetzgebers zeigt sich auch in anderen Bereichen, so dass zwangsläufig nicht nur das Gesetz, sondern natürlich auch die Kommentierung dazu immer mehr Platz beansprucht. Teilweise sind wir schon so verfahren, auf die Online-Plattform zu verweisen.
Der PWW gilt inzwischen als feste Größe in der juristischen Literatur. Welche Rückmeldungen oder Anekdoten aus der Praxis sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Was uns als Herausgeber und Verlag sehr beschäftigt hat, im Verhältnis zum seinerzeitigen Platzhirsch „Palandt/Grüneberg“ war die Zulassung in den juristischen Staatsexamen, die uns, auch mit rechtlichen Schritten, nicht gelang. Wir haben ebenso versucht, die Landgerichte und Oberlandesgerichte sowie Bundesgerichte zu erreichen, weil die mit beschränkten Etatmitteln arbeiten. Unsere bundesweiten Geschenkaktionen an die Präsidenten dieser Gerichte, wie gesagt, Bundesgerichte, Oberlandesgerichte, zum Teil jedenfalls die Landgerichte im Süden Deutschlands, haben darauf ausgesprochen positiv und zustimmend reagiert. Ein OLG hat meines Wissens den PWW Band damals zurückgeschickt, mit der Bemerkung, man könne keine Geschenke annehmen.
Ich persönlich erhielt immer wieder überraschte Fragen, wie ich als M&A Anwalt dazu käme, einen BGB-Kommentar wie den PWW mit herauszugeben. Die Antwort lag für mich auf der Hand im Ergebnis, nämlich, zum einen ist Unternehmenskaufrecht (M+A) eine Querschnittsmaterie, die viele Bereiche des bürgerlichen Rechts betrifft, so dass ein M&A Anwalt, jedenfalls bei privaten Transaktionen außerhalb der Börse, über eine sehr gute fundierte juristische Allgemeinbildung, auch im bürgerlichen Recht, verfügen muss. Zum zweiten habe ich als M&A Anwalt umfangreiche Erfahrung mit der Steuerung auch hoch komplexer Projekte und Teams mit bis zu 50, 60 oder 100 Juristen. Diese Erfahrung und Praxis in der Projektsteuerung kam uns in der Gründungsphase des PWW sehr zugute. Schließlich bin ich persönlich ambitioniert genug, und habe das Kräftemessen mit dem Platzhirsch seinerzeit als wirkliche Herausforderung empfunden.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Herausgeber - und Autorenteam? Haben sich Strukturen und Abläufe über die Jahre verändert?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Hervorragend. Von Beginn an steuerten wir das Projekt von Verlag und Herausgebern durch regelmäßige Telefonkonferenzen, Treffen in Person alle Jahre und in der Frühphase Motivation und Teamerfahrung mit dem Autorenteam durch Autorentreffs in Person. Es war uns ein Anliegen, die Herkunft der drei Herausgeber (Prof/Richter/Anwalt) auf die Autorenschaft zu übertragen, Anwälte/Notare, Richter und Ordinarien, und dabei haben wir auch versucht, die Generationen zu „mischen“.
Wesentlich neu war dann später die bereits erwähnte Zwischenschaltung einer freiberuflichen Lektorin, Doreen Ludwig, die höchst effizient die Abläufe und Kommunikation zwischen Verlag, Herausgebern und Autoren koordiniert und sehr initiativ begleitet.
Gerd Weinreich: Die Zusammenarbeit funktioniert in der Regel problemlos. Die Fristen für die Abgabe der Manuskripte werden zwischen dem Verlag und den Herausgebern abgesprochen und sind so gestaltet, dass sie von den Autoren eingehalten werden können, zumal auf Zeiten besonderer Belastungen Rücksicht genommen wird.
Gibt es Themenbereiche im BGB, die Ihnen persönlich besonders am Herzen liegen oder an denen Sie mit besonderer Freude gearbeitet haben?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Jeder von uns Herausgebern, so eine unserer selbst gesetzten Vorgaben, musste auch selbst kommentieren. Ich habe mir das IPR des Schuldvertragsrechts ausgesucht, seinerzeit Artikel 27-37 EG BGB, später dann die ROM I Verordnung, zusammen mit meinem Kollegen Brödermann. Grundlage für die Kommentierung war von Beginn an, dass wir für jeden Normenbereich einen Fachmann dieses Rechtsbereiches innerhalb des IPR kommentieren lassen, und nicht ein einziger Autor das gesamte IPR abdeckt. Das hat sich in der Qualität sehr bewährt.
Mir lag das IPR insgesamt sehr am Herzen. Wir haben versucht das IPR gegenüber anderen Kurzkommentaren wegen der großen Praxisbedeutung, die mir klar war, auszuweiten. In der 1. Auflage 2006 hatte die IPR-Kommentierung insgesamt noch 165 Seiten, und in der 19. Auflage 2024 dann 350 Seiten inklusive 12 Anhänge zum Unions- und Völkerrecht.
Gerd Weinreich: Mir als Familienrechtler liegt natürlich das Familienrecht besonders am Herzen. Dieses ist in den vergangenen 20 Jahren auch stetigen Veränderungen ausgesetzt gewesen, weil es den stetig sich ändernden gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst worden ist.
Welche Bedeutung messen Sie Ihrem Kommentar für die juristische Ausbildung und Praxis bei – insbesondere im Wandel der juristischen Arbeitswelt?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Große Bedeutung. Der Volltext, ohne die Abkürzungsgeheimsprache des Platzhirsches, die Juristen lernen müssen, ist im PWW verständlich für Laien und auch ausländische Juristen, die Deutsch können und die deutsche Rechtordnung kennenlernen wollen. Denken Sie nur an die Jurisdiktionen, die teilweise auf das BGB gründen, wie zum Beispiel Mitteleuropäische Staaten, zum Teil die TURK-Staaten, die VR China, Japan, Korea, Taiwan und zum Teil die Türkei.
Auch im Digitalzeitalter bleiben Kurzkommentare zum BGB als Orientierungshilfe, Einstieg bzw. Schnellcheck und Schulungsmaterial unerlässlich, ob in Print- oder Onlineformaten. Wie soll die KI denn lernen?
Der PWW zum Bürgerlichen Gesetzbuch bereichert als Grundlagenfach jede Rechtsmaterie und gehört zum Standard von Onlinepaketen für spezielle Rechtsgebiete, so zum Beispiel im Baurecht, Architektenrecht, usw.
Gerd Weinreich: Ich denke, dass ein Kommentar gerade für den Praktiker im Familienrecht von besonderer Bedeutung und eigentlich unverzichtbar ist. Im Familienrecht gibt es besonders viele Billigkeitsnormen, die durch die Rechtsprechung mit Leben erfüllt werden müssen. Ohne eine vernünftige und übersichtliche Kommentierung lässt sich mit diesen Normen praktisch nicht arbeiten. Denn was beispielsweise „die angemessene Deckung des Lebensbedarfs“ in § 1357 BGB ist, ist erst durch die Rechtsprechung beantwortet worden, auf die erst im Kommentar hingewiesen wird. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen.
Diese Aufgabe kann auch eine Datenbank nicht lösen. Sie ist erst dann von Bedeutung, wenn mit Hilfe des Kommentars der Zugang etwa zu einschlägigen Entscheidungen gefunden worden ist.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie dem Kommentar und seinen Leser*innen für die Zukunft? Welche Entwicklung würden Sie sich für die kommenden Jahrzehnte wünschen?
Prof. Dr. Gerhard Wegen: Gute Herausgeber und exzellente Autoren. Wir arbeiten ständig an Nachfolgethemen. Die Mitherausgeber haben auch unsere eigene qualitative Nachfolge im Blick. Dem Kommentar wünsche ich darüber hinaus einen aufgeschlossenen Verlag, der für sein Produkt „einsteht“ und stets verbessert. Den Leser*innen wünsche ich viel Spaß bei der Nutzung und den Mut, uns Kritik und Vorschläge zu unterbreiten.
Eine ständige Entwicklung des Kommentars in Richtung Aktualität, Konzentration auf das Wesentliche, kritische Würdigung von Literatur und Rechtsprechung, die gebotene Berücksichtigung der unions- und internationalrechtlichen Entwicklungen sowie in der Präsentation ein gleichbleibend greifbares Druckwerk und zugleich zugänglich online in den jeweils neusten, aber bewährten, Formaten.
Gerd Weinreich: Ich wünsche dem Werk auch weiterhin eine möglichst große Verbreitung und den Nutzerinnen und Nutzern, dass sie auch in Zukunft viel praktischen Gewinn aus ihm ziehen können.