Bürgergeld-gesetz
Recht & Verwaltung01 August, 2023

Bürgergeld-Gesetz: Die Neugestaltung des anzurechnenden Einkommens im Gefüge des SGB II

Alexander Lahne, Leiter des Sachgebietes „Recht im SGB II“, Landratsamt München

Durch die Umstrukturierung des SGB II auf der Grundlage des Bürgergeld-Gesetzes werden nicht nur die Freibeträge auf erzielte Erwerbseinkommen neu gefasst, sondern es erfährt der ganze Themenkomplex „Anrechnung von Einkommen“ eine Umgestaltung.

Der Kurzbeitrag fasst die zum 01.07.2023 in Kraft getretenen Neuerungen zusammen:  
Plötzlich war der Sommer da – und mit ihm die zweite große Welle der Änderungen, die das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) betreffen, welche wiederum ihre Grundlage im Bürgergeld-Gesetz finden.

Für die Leistungsstellen der Jobcenter hatte diese Welle die Umstrukturierung einer zentralen Aufgabe dabei, nämlich derjenigen der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens. Hier und dort hört man, dass geplant war, diese Änderungen bereits zum Beginn des Jahres gesetzlich festzuschreiben; jedoch verschob man dann diese Angelegenheit um ein halbes Jahr nach hinten, wohl um sicherzustellen (oder: zu versuchen), die Jobcenter mit der entsprechenden Software auszustatten.

Entgegen landläufiger Meinung bringt diese Umgestaltung des Verfahrens zur Ermittlung des auf das Bürgergeld anzurechnenden Einkommens aber nicht nur eine Erhöhung bestimmter Einkommensfreibeträge mit sich. Vielmehr werden alle drei zentralen Normen, die §§ 11, 11a und 11b SGB II, gleichermaßen aufgefrischt. Ausgehend von dieser gesetzlichen Grundstruktur soll dieser kleine Betrag die entsprechenden Neuerungen unter die Lupe nehmen. Der Kürze des Beitrages geschuldet kann dabei nur auf die markantesten Änderungen Bezug genommen werden.

§ 11 SGB II („Zu berücksichtigendes Einkommen“)

Gleich die Zentralnorm des Themenkomplexes wurde einmal gründlich überarbeitet. So wird die Aufteilung in „laufende“ (§ 11 Abs. 2 SGB II a. F.) und „einmalige“ (§ 11 Abs. 3 SGB II a. F.) Einnahmen, an welche sich zumindest langjährige Mitarbeitende in den Leistungsstellen gründlich gewöhnt haben dürften, aufgegeben. So soll nun, ab dem 01.07.2023, grundsätzlich das Zuflussprinzip gelten: Für jede Art von Einkommen ist neuerdings festgeschrieben, dass es in dem Monat angerechnet wird, in dem es zufließt (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung: „Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen.“)

Für den Fall, dass die Höhe des Einkommens eine Bedürftigkeit im Zuflussmonat entfallen ließe, soll das übersteigende Einkommen in das Vermögen des Folgemonats gelenkt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-DS 20/3873, Seite 75).

Nur in einem Ausnahmefall soll die – bisher für den Bereich der einmaligen Einnahmen geltende – Regel zum Tragen kommen, dass das Einkommen, würde der Leistungsanspruch im Zuflussmonat entfallen, auf 6 Monate aufzuteilen ist, nämlich für den Fall einer „Nachzahlung“.

Letztendlich kommt die Terminologie „laufende und einmalige Einnahmen“ sowie bislang dahinterstehende Techniken zur entsprechenden Berücksichtigung bei der zu ermittelnden Höhe der Leistungen nach dem SGB II gar nicht mehr zum Tragen. Darüber hinaus scheint auch die jahrelange Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. nur Bundessozialgericht, Urt. v. 08.05.2019 – B 14 AS 15/18 R), wonach zum „Vermögen“ all das zählen sollte, was an Werten zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits gegeben war; „Einkommen“ hingegen sein sollte, was danach zufloss, nicht mehr zu passen: Zuflüsse werden künftig, sofern diese keine Nachzahlungen darstellen, automatisch zum Vermögen gemacht, wenn diese bei einer Anrechnung als Einkommen die Bedürftigkeit im Zuflussmonat sprengen würden.

§ 11a SGB II („Nicht zu berücksichtigendes Einkommen“)

Durch das Bürgergeld-Gesetz wird der entsprechende Katalog des nicht anrechenbaren Einkommens im Wesentlichen um vier Punkte ergänzt, sofern man das SGB II betrachtet:

Einkommenssteuerrechtlich begünstigte Einnahmen

Eine zu begrüßende Rechtsangleichung transportiert zunächst einen Gedanken des Einkommenssteuergesetzes (hier: § 3 Nr. 12, 26, 26a EstG) in das SGB II: Den eines jährlichen Freibetrages für gewisse einkommenssteuerbegünstigte Einnahmen. Nach § 11a Abs. 1 Nr. 5 SGB II in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung soll dieser 3.000,00 € betragen. Dabei dürfte in der Praxis der Jobcenter der Fall der Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige die größte Relevanz entfalten. Zu denken ist hier aber auch an die sog. „Übungsleiterpauschale“ sowie an weitere Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Auffällig ist, dass der in den Raum gestellte jährliche Freibetrag von 3.000,00 € sich in den einkommensteuerrechtlichen Parallelvorschriften nur in § 3 Nr. 26 EstG findet.

Erbschaften

Erst spät, nämlich durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 09.11.2022 (BT-DS 20/4360) wurde der Gedanke, dass Erbschaften kein im Rahmen der Bedarfsermittlung nach dem SGB II anzurechnendes Einkommen mehr darstellen sollen, eingebracht. Auch Erbschaften sollen nun – wie überschießendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung – dem Vermögen des Folgemonats zugeordnet werden. Sie sollen somit im Ergebnis im Rahmen der Vermögensfreibeträge bei den leistungsberechtigten Personen verbleiben. Es fällt ins Auge, dass Erbschaften, deren Höhen unter diesen Freibeträgen (15.000,00 € für jede Person in der Bedarfsgemeinschaft als allgemeiner Vermögensfreibetrag, vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB II) liegen, als „finanziell geringfügige Erbschaften“ bezeichnet werden (vgl. BT-DS 20/4360, S. 29), was an dieser Stelle unkommentiert bleiben soll.

Mutterschaftsgeld

Nach § 11a Abs. 1 Nr. 6 SGB II in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung soll künftig „Mutterschaftsgeld nach § 19 des Mutterschutzgesetzes“ aus dem Katalog des im Rahmen des SGB II anzurechnenden Einkommens herausgenommen werden. Dem Wortlaut des Gesetzes nach soll also ein durch einen Arbeitgeber der Mutter gezahlter Zuschuss jedoch anzurechnen sein, denn dieser findet seine Rechtsgrundlage nicht in § 19, sondern in § 20 des Mutterschutzgesetzes.

Einnahmen aus Schülerjobs, während der Ferienzeit erwirtschaftet

Die vierte Neuerung in diesem Zusammenhang ist, dass Einnahmen, die von Schülerinnen und Schülern während der Ferienzeit erwirtschaftet werden, anrechnungsfrei bleiben. Hierin ist eine Ausnahme vom Grundsatz des Zuflussprinzips zu sehen, da es ausnahmsweise nicht auf den Monat des Zuflusses ankommt. In der Praxis der Jobcenter dürften Komplikationen in der Bearbeitung von Fällen zu erwarten sein, wenn Einkommen aus Schülerjobs durchlaufend erwirtschaftet werden und zufließen, also innerhalb und außerhalb der Ferienzeit. Das Stichwort „Verwaltungsvereinbarung“ ist hier fehl am Platz, wobei der Gedanke der Einkommensprivilegierung an sich löblich ist.

Umgestaltung der weiterführenden Rechtsverordnung

Die Arbeitslosengeld-II-Verordnung wurde in „Bürgergeld-Verordnung“ umbenannt und § 1 („Nicht als Einkommen zu berücksichtigende Einnahmen“) in zwei Punkten modifiziert:

- Nr. 7: Es sollen „nach § 3 Nummer 11c des Einkommenssteuergesetzes steuerfrei gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbrauchspreise“ zu den nicht zu berücksichtigenden Einnahmen zählen.

- Nr. 9: Redaktionelle Änderung (Anpassung an den Begriff des „Bürgergeldes“ im Hinblick auf Erwerbseinkommen von Personen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben).

§ 11b SGB II („Absetzbeträge“)

In der neu gefassten Vorschrift des § 11b SGB II findet sich der Gedanke der Privilegierung von Einkommen, welche von Leistungsbeziehern, welche das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erzielt werden, nochmals wieder. So wird den in § 11b Abs. 2b Satz 1 SGB II benannten Personengruppen („Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende“ – so die Zusammenfassung im Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-DS 20/3873, Seite 51; auch Personen, die einen Freiwilligendienst absolvieren gehören dazu, vgl. § 11b Abs. 2b Nr. 3 SGB II) auf ein Erwerbseinkommen nun ein Grundfreibetrag nach § 8 Abs. 1a SGB IV, also der Geringfügigkeitsgrenze entsprechend, gewährt. Diese Grenze liegt derzeit bei 520,00 €.

Für Schülerinnen und Schüler soll diese erhöhte Grundfreibetragsgrenze sogar „bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats“ gelten, vgl. § 11b Abs. 2b Nr. 4 SGB II.

Darüber hinaus gibt es auch für Personen jenseits der U25-Grenze eine Verbesserung. Gem. § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II wird auf die Spanne zwischen 520,00 € und 1.000,00 € (Brutto-) Erwerbseinkommen ein Freibetrag in Höhe von 30 % gewährt. Damit errechnet sich bei einem Bruttoeinkommen in Höhe von 1.200,00 € fortan ein Gesamtfreibetrag in Höhe von 348,00 € (inkl. Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 €).

Zusammenfassung / Fazit

In Anbetracht der recht hohen Vermögensfreibeträge stimmt die Neuregelung, andere als Nachzahlungen zu qualifizierende Einnahmen im Vermögen verschwinden zu lassen, sofern die Bedürftigkeitsgrenze des Zuflussmonats überschritten wird, nachdenklich.

Zu begrüßen sind hingegen die Besserstellungen von Personen „U25“ sowie die Einführung einer generellen neuen Freibetragshöhe von 30 % auf Einkommen jenseits der Minijobgrenze bis zu einer Höhe von 1.000,00 € Bruttoeinkommen. Insoweit wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-DS 20/3873, dort S. 51) absolut nachvollziehbar auf die Anreizwirkung im Hinblick auf das Aufnehmen bzw. Aufrechterhalten einer Beschäftigung verwiesen.

Anmerkung der Redaktion:

Alle weiteren Beiträge und Online-Seminar-Aufzeichnungen von Herrn Lahne rund um das Bürgergeld-Gesetz finden Sie hier:
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Autor

Alexander Lahne

Alexander Lahne ist Leiter des Sachgebiets „Recht im SGB II“ in einem großen bayerischen Jobcenter und hat langjährige Erfahrung im Bereich der Widerspruchs- und Klagebearbeitung auf diesem Rechtsgebiet gesammelt. Außerdem ist er Autor und Mitautor einschlägiger Fachliteratur wie z.B. zum Thema Potenzialanalyse in eGovPraxis Jobcenter.

Nebenberuflich ist er als Referent tätig und bietet ganztägige Seminare zu verschiedenen Themen aus den Bereichen SGB II und SGB X an: https://lahne-rechtsseminare.de/


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Alexander Lahne
Leiter des Sachgebiets „Recht im SGB II“ im Landratsamt München
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