Von Redaktion eGovPraxis Personal
Zum Sachverhalt
Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.Der bei der Beklagten beschäftigte 50 Jahre alte, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – über sein privates Smartphone über einen Messengerdienst in beleidigender und menschenverachtender Weise u.a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen.
Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erhielt, kündigte sie u.a. das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos und hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2022.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Inhalt des Chat-Verlaufs habe von der Beklagten nicht verwendet werden dürfen und dürfe auch im Rechtsstreit nicht verwertet werden, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, durch die zahlreichen beleidigenden, rassistischen, teilweisen menschenverachtenden und sexistischen Äußerungen und die Aufrufe zur Gewalt habe der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. ArbG und LAG haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Der Inhalt der Chatprotokolle sei im Rechtsstreit zwar verwertbar, es bestehe weder ein Sachvortragsverwertungs- noch ein Beweisverwertungsverbot. Die Äußerungen des Klägers rechtfertigten aber die Kündigung nicht, da sie in einem privaten Chat gefallen seien und im Hinblick auf die Vertraulichkeit der Kommunikation besonderen Schutz genössen.
Bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen, die in einer Sphäre fielen, die gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt sei, trete der Aspekt der Ehrverletzung eines von der Äußerung Betroffenen gegenüber dem einer freien Entfaltung derPersönlichkeit des sich Äußernden zurück. Zum Persönlichkeitsschutz gehöre unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit des Einzelnen, seine Emotionen frei auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisseund Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung freimütig kundzugeben.
Unter solchen Umständen getroffene Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts nicht schutzwürdig wären, genössen in solchen Vertraulichkeitsbeziehungen als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung verfassungsrechtlichen Schutz, der dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgehe.
Die Chatgruppe habe auch keinen dienstlichen Bezug. Sie sei von den Mitgliedern als private Gruppe gebildet worden. Soweit sie sich über Arbeitskollegen und Geschehnisse am Arbeitsplatz ausgetauscht habe, begründe dies keinen dienstlichen Bezug. Insofern handele es sich lediglich um einen privaten Meinungsaustausch, der sich wegen der gemeinsamen Tätigkeit für die Beklagte auch mit Aspekten des Arbeitslebens der Gruppenmitglieder auseinandersetze.
Durch die Äußerungen gegenüber den Mitgliedern der Chatgruppe sei der Betriebsfrieden bei der Beklagten nicht beeinträchtigt worden und die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass die
Äußerungen sich vor oder unabhängig von dem Bekanntwerden des Chats in Unfrieden in der Abteilung des Klägers oder im Betrieb niedergeschlagen hätten.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG allerdings Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG.
Zur Entscheidung
Das BAG stellt heraus, dass das LAG rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint habe.Eine Vertraulichkeitserwartung sei nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen könnten. Das wiederum sei abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe.
Seien Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigterweise habe erwarten können, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Dieses werde dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung habe in Anspruch nehmen dürfen.
Der Senat hat mit Urteilen vom selben Tag in parallel gelagerten Rechtsstreitigkeiten von zwei weiteren Chatgruppen-Mitgliedern in gleicher Weise entschieden.
Praktische Bedeutung
- Die Frage, ob zu missbilligende Äußerungen von Arbeitnehmern über Vorgesetzte bzw. Kollegen einen tragfähigen Kündigungsgrund darstellen können, stellt sich in der Praxis häufig. Hier geht es dann um die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz der Äußernden und dem Schutz der Ehre der durch die Äußerung Betroffenen.
- Mit vorstehendem Urteil hat das BAG die Anforderungen an eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung präzisiert: Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Vertraulichkeit von Äußerungen trete dann zurück, wenn ausgetauschte Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige enthielten. Maßgeblich für eine Einschätzung sei zudem die Größe und personelle Zusammensetzung der Chatgruppe.
- Immerhin könne der Kläger nach erfolgter Zurückverweisung vor dem LAG nunmehr darlegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Messengerdienstes eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung gehabt habe.
- Damit tritt das BAG deutlich der Auffassung der Vorinstanzen entgegen, die entscheidungserheblich darauf abgestellt hatten, dass die Äußerungen des Klägers keine Kündigung rechtfertigten, da sie in einem privaten Chat gefallen seien und im Hinblick auf die Vertraulichkeit der Kommunikation besonderen Schutz genössen.
- Die Entscheidungsgründe des Revisionsurteils werden näheren Aufschluss nicht nur für das LAG und die dort zu treffende Entscheidung, sondern auch für die Rechtsanwendung in der Praxis geben.
Quelle: BAG, Urteil v. 24.08.2023 – 2 AZR 17/23 – Pressemitteilung 33/23 des BAG vom 24.08.2023
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