Wie Kinder mit Fachkräften und Eltern gemeinsam ‚Zusammenarbeit machen‘
Recht & Verwaltung03 November, 2023

Wie Kinder mit Fachkräften und Eltern gemeinsam »Zusammenarbeit machen«

von Prof.'in Dr. Tanja Betz Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kindheitsforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

und Prof.‘in Dr. Sabine Bollig Professorin für Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Pädagogische Institutionenforschung an der Universität Trier.


Die Zusammenarbeit mit Eltern zum Wohl des Kindes gilt als fachlicher Standard und Qualitätsziel in der Kita. Zielsetzung und Intensität dieser Zusammenarbeit wurde in den vergangenen Jahren als „Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ (BEP) weiterentwickelt. In den Bildungs- und Erziehungsplänen der Länder wie auch den Fachtexten zum Thema dreht sich dabei alles darum, was Fachkräfte mit den Eltern tun sollen, um partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Dazu gehört sich anlassunabhängig auszutauschen, wertschätzend und intensiv zu kommunizieren, sich gegenseitig zu informieren, Vertrauen aufzubauen und vieles mehr.

Kinder sind ‚Objekte‘ der Zusammenarbeit – aber nicht nur

Anlass und Ziel der Zusammenarbeit ist die bestmögliche Entwicklung des Kindes. Die Kinder sind insofern zunächst vor allem als Zielobjekte der Zusammenarbeit zwischen den Fachkräften und den Eltern bestimmt. Zwar werden die Kinder zumeist auch als Akteure der BEP benannt – dies folgt dem Bild des Kindes als Akteur in der Ko-Konstruktion von Bildung und Erziehung zwischen Kindern und Erwachsenen. Wenn es jedoch um die konkrete Beteiligung von Kindern an der Zusammenarbeit zwischen Kitas und Familien geht, bleibt ihre Rolle seltsam unbestimmt. Vielmehr wirkt es so, als geschehe partnerschaftliche Zusammenarbeit insbesondere für die Kinder – aber nicht durch ihre Mitwirkung. Um die Rolle der Kinder zwischen Kita und Familie zu verstehen, gilt es daher zunächst zu fragen, wie eigentlich Zusammenarbeit im Alltag konkret ›gemacht‹ wird. Wir nennen dies in analytischer Perspektive Doing Collaboration, oder auf Deutsch: ‚Zusammenarbeit machen‘.

Zusammenarbeit machen – ein anderer Blick auf die BEP

Bei diesem ‚Zusammenarbeit machen‘ geht es, anders als bei der BEP, nicht darum wie die Beteiligten zusammenarbeiten sollten. Vielmehr betrachten wir die ganze Breite der alltäglichen Aktivitäten im Verhältnis von Kita und Familie. ‚Zusammenarbeit machen‘ richtet sich entsprechend auf das, was Fachkräfte, Leitungen und Eltern/Sorgeberechtigte jeweils konkret in Bezug auf das Verhältnis von Kita-Familie praktisch tun und wie genau sie hier im weitesten Sinne zielorientiert tätig werden. In den Blick genommen werden so alle Aktivitäten und Situationen, in denen z.B. mit Blick auf Familie oder Kita Informationen eingeholt, weitergegeben oder verschwiegen werden, sich die Beteiligten abstimmen oder ihre Interessen durchsetzen beziehungsweise aushandeln, wer wofür zuständig ist und weiteres mehr (Betz & Bollig 2023a i.E.).

Nimmt man eine solche Perspektive auf das konkrete alltägliche Tun zwischen Kita und Familie ein, rücken Kinder automatisch in den Blick. Immerhin sind sie die einzigen Akteure die jeden Tag sowohl viel Zeit in der Familie als auch in der Kita verbringen. Als ‚Vertreter:innen‘ ihrer Familien sind sie den ganzen Tag in den Kitas präsent und ihre Eltern erfahren mindestens genauso viel über das Geschehen in den Kitas von ihren Kindern wie von den Fachkräften. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Kinder auch ganz spezifische Beiträge zur Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie leisten. Bisher geraten in Forschung und Fachpraxis jedoch meist nur die Erwachsenen als Akteure der Zusammenarbeit in den Blick. Daher gilt es, zunächst einmal dafür sensibel zu werden, wie Kinder in die alltägliche Zusammenarbeit eingebunden sind.

 

Ergebnisse des Forschungsprojekts PARTNER

Diesen und weiteren Fragen hat sich von 2019 bis 2022 das Forschungsprojekt PARTNER – Gute Partnerschaftenin der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Das Zusammenspiel von Organisationen, Praxen und Akteuren als Grundlage für eine ungleichheitssensible Qualitätsentwicklung gewidmet. Gefördert wurde das Verbundprojekt zwischen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Leitung: Prof. Dr. Betz) und der Universität Trier (Leitung: Prof. Dr. S. Bollig) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen 01NV1812A/B). In insgesamt vier Kitas mit Kindern im Alter von zweibis sechs Jahren haben wir teilnehmende Beobachtungen des Kita-Alltags, Interviews mitLeitungen, Fachkräften und Eltern sowie Aufzeichnungen von Eltern-Fachkraft-Gesprächen durchgeführt. Im Fokus stand die Vielfalt des ‚Zusammenarbeit machens‘ zwischen Kita und Familie und wie die Kinder als Akteure daran beteiligt sind (Betz & Bollig 2023b i.E.).

 

Akteurspositionen von Kindern in der Zusammenarbeit

Wir sprechen dabei von verschiedenen Akteurspositionen, die Kinder in der Zusammenarbeit einnehmen: 

  • als Objekte der Zusammenarbeit, wie z.B. in Abholsituationen, in denen die erwachsenen Beteiligten, über sie sprechen, z.B. in Erziehungsfragen, und die Kinder eher passiv als Wartende und Zuhörende, beteiligt sind;
  • als Zeug:innen, die z.B. Ereignisse in der Kita oder in der Familie für andere/vor anderen bestätigen, einordnen und bewerten sollen („heute hatten wir sehr viel Spaß beim Bauen, nicht wahr?“);

  • als Allianzpartner:innen, insofern sie Koalitionen mit Eltern/Familienmitgliedern oder Fachkräften eingehen oder als diese ‚angeworben‘ werden („bring Du Deine kleine Schwester zum Turnen, falls die Erzieher:innen das nicht machen“); dabei nutzen auch die Kinder Koalitionen mit Erwachsenen, um ihre eigenen Interessen zu vertreten (»Meine Mama hat auch gesagt, dass ich nicht basteln muss“);
  • als Informant:innen, indem sie bewusst oder unbewusst Familienmitglieder oder Fachkräfte über Geschehnisse in der Kita oder zu Hause informieren; häufig werden Informationen von ihnen ‚abgelesen‘ (z.B. Sand in den Schuhen, der auf Spielaktivitäten verweist), andere Informationen geben die Kinder unbedacht („Papa schläft jetzt auf der Couch“) oder strategisch weiter („zuhause darf ich das“);
  • als Bot:innen, insofern sie beauftragt werden Dinge (wie z.B. Regenkleidung, Geld, Lebensmittel für das gesunde Frühstück) oder Botschaften (»Sag deiner Mama…«) an Kita oder Familie zu überbringen, dies kann auch beinhalten, dass ihr Körper markiert wird – z.B. mit einem Kreuz auf dem Handrücken –, um die Erwachsenen an etwas zu erinnern;
  • als Übersetzer:innen, indem sie bei Unwissenheit oder Unklarheiten Wissen und Informationen zwischen Kita und Familie übertragen („Sport-AG heißt, dass wir in die Turnhalle gehen“) und/oder für die eine und/oder andere Seite dolmetschen („meine Oma fragt, ob…“).
Diese Aufzählung ist nicht abschließend, es sind weitere Akteurspositionen denkbar, die Kinder in je konkreten Situationen des ‚Zusammenarbeit machens‘ einnehmen. Bereits die kurze Beschreibung macht allerdings schon sichtbar, welch gewichtige Rollen und Aufgaben die Kinder in der Zusammenarbeit einnehmen und wie sehr das Zusammenarbeit-Machen der Erwachsenen durch die Kinder als ‚Überbrückungsakteure“ („bridgingagents“ Bollig, Schu & Sichma 2023) beeinflusst wird. Dabei nehmen die Kinder nicht nur aktiv Einfluss darauf, welche Informationen zum Beispiel zwischen Kita und Familie fließen. Sie lernen durch ihre Beteiligung am ‚Zusammenarbeit machen‘ auch, zwischen ihrer Rolle als Kita-Kind und Familien-Kind zu unterscheiden und wie ihre Familie in der Zusammenarbeit positioniert ist (als Migrant:innenfamilie, Alleinerziehende, etc.). Entsprechend ist es auch für die pädagogische Praxis eine relevante Frage, wo und wie sich solche Akteurspositionen der Kinder im Alltag des Zusammenarbeitens auffinden lassen und wie man sensibel dafür werden kann, was Kinder hier konkret tun, erfahren und lernen. Hierzu eignen sich Fallbeispiele, die wir als Reflexionsanlässe für die Nutzung in der Kita-Praxis sowie der Aus-/Fort- und Weiterbildung aufbereitet haben (Betz & Bollig 2023b i.E.).


Beispielszenen: Was Kinder in der Zusammenarbeit konkret tun

Die folgende Szene stammt aus einem Beobachtungsprotokoll im PARTNER-Projekt:

Frau Paul kommt mit ihrer Tochter Carla in die Gruppe. Carla trägt neue, pink-bunte Stoffhausschuhe, die die Form von Einhörnern haben. Die abgetragenen Vorgänger mit festen Sohlen trägt Frau Paul in der Hand. Stolz präsentiert Carla die neuen Hausschuhe der Fachkraft Beate und den anderen bereits anwesenden Kindern. Dann hüpft sie auf einem Bein über den Teppich und schwingt den anderen Schuh an ihren Füßen auffällig hin und her. Beate merkt gegenüber der Mutter an, dass sie diese Stoffhausschuhe etwas zu gefährlich findet, insbesondere wegen der Treppe. Die Mutter antwortet bestätigend, dass sie die anderen Schuhe auch lieber mag. Nachdem sich die Mutter von ihrer Tochter verabschiedet hat, weist Beate Carla an, besonders an der Treppe aufzupassen.


Folgende Reflexionsfragen, die man für sich oder in einer Gruppe – im Team oder in einem Ausbildungskontext bearbeiten kann – lassen sich an diesem Ausschnitt bearbeiten:

  • Was geschieht in dieser Szene zwischen den beteiligten Erwachsenen? Wie ist das Mädchen dabei zunächst positioniert? Welchen Beitrag leistet sie zu dieser Szene?
  • Wie handeln die Erwachsenen ihre geteilte Sorge und Verantwortung für Carla konkret aus? Wer wird dabei für was zuständig gemacht?
  • Als was wird Carla dabei durch die Mutter, als was durch die Fachkraft positioniert? Welche Verantwortung wird an das Mädchen übergeben?

Geht es in dieser Szene mit Carla um eine eher passive Akteurspositionierung des Kindes im konkreten ‚Zusammenarbeit machen‘ – hier der alltäglichen Abstimmung und Aufteilung von Sorgezuständigkeiten –, so zeigt die nächste Szene eine etwas aktivere Position, die ein Junge in der Abstimmung der Termine zwischen Kita und Familie einnimmt:

Erzieherin Ingrid sitzt mit ein paar malenden Kindern an einem Tisch. Mit aufgeregter Stimme spricht David sie an: ,Ingrid, ich dachte heute ist Waldtag.′Und Ingrid antwortet: ,Ach, hat die Mama die Mail bekommen?′ David schaut sie weiter an ohne zu antworten und Ingrid erklärt ihm: ,Der Waldtag ist erst in ein oder zwei Wochen.′ David scheint weiter beunruhigt. ,Aber ich hab freitags Fußballtraining!′, erläutert er Ingrid. Sie antwortet lachend: ,Ja, aber da sind wir doch schon längst wieder zurück.′ David erwidert: ,Ja, aber ich muss mich doch noch umziehen!′. Ruhig sagt sie zu ihm: ,Das schaffst du locker. Wir sind morgens im Wald und am Nachmittag hast du dein Training.′Laut und sehr aufgeregt sagt David weiter: ,Ja, aber wenn das Training schon angefangen hat, dann kann ich nicht mehr mitmachen!′ Während sie vom Tisch aufsteht, meint Ingrid zu ihm gelassen: ,Sagste der Mama, sie soll sich keine Gedanken machen.′ David nickt.

Auch an diese Szene lassen sich verschiedene Reflexionsfragen anschließen:

  • Wie positioniert sich David hier selbst, wie wird er von der Erzieherin positioniert? Welches Thema, welche Information bringt er aktiv ein, welche wird von der Fachkraft von seinem Tun ‚abgelesen‘?

  • Mit wem arbeitet die Fachkraft an dieser Stelle zusammen – mit David als Vertreter seiner Familie/Mutter oder mit David als Kita-Kind?

  • Wie werden Kita und Familie dabei aufeinander bezogen? Welches Bild von der Mutter-Kind-Beziehung wird hergestellt?
  • Welches ‚Angebot‘ wird David zur Selbstpositionierung gegenüber seiner Mutter gemacht?


    Fazit

    Die Zusammenarbeit zwischen Kita und Familie wird von allen Beteiligten – auch den Kindern – im Alltag der Kita in vielfältiger Weise konkret hergestellt. Daher lohnt sich das genauere Hinsehen. Nur so kann man erkennen was alltäglich geschieht und reflektieren, wie Kinder konkret als Akteure im ‚Zusammenarbeit machen‘ positioniert werden –, und was sie dabei über sich, die Kita und ihre Familie erfahren und lernen. Situationen des Zusammenarbeitens lassen sich darüber so gestalten, dass Kinder in ihren Beiträgen dazu ernst genommen werden und – da wo es situationsangemessen ist – auch aktivere Akteurspositionen einnehmen können.

    Literatur:
    Betz, Tanja & Bollig, Sabine (2023a, i. E.): Bildungs- und Erziehungspartnerschaften in der frühkindlichen Bildung. Doingcollaboration als Konzept zur Erforschung der Praxis eines Programms. In R. Schelle, K. Blatter, S. Michl & B. Kalicki (Hrsg.), Qualitätsentwicklung in der frühen Bildung. Akteure – Organisationen – Systeme. Weinheim: Beltz Juventa, S. 200-227.

    Betz, Tanja & Bollig, Sabine (2023b i. E.): Kinder in Kita und Gesellschaft. 105 Reflexionskarten fürdie frühpädagogische Praxis. Weinheim: Beltz Juventa.

    Bollig, Sabine, Schu, Nadja & Sichma, Angelika (2023 i. E.): Children asinformants – theactiveparticipationofchildren in shaping ECEC familyrelationships. In S. Bollig & L. Groß (Eds.), Practicing the Family. The Doing and Making of Family In, With and Through Social Work and Education. Bielefeld: transcript.

    Bildnachweis: Robert Kneschke/stock.adobe.com
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