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Recht & Verwaltung26 April, 2023

Der Vertragsschluss im Vergabeverfahren

Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags erfolgt durch einen Vertragsschluss zwischen Bieter und öffentlichem Auftraggeber. Welche Regelungen gelten hierbei? Und wie kann vermieden werden, dass es bei und nach Vergabeverfahren zu Streitigkeiten rund um den Vertragsschluss kommt?

RA Henning Feldmann


Zivilrechtliche Grundlagen

Ein Vertrag ist ein Vertrag, unabhängig davon, wie er zustande kommt. Der Vertragsschluss zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieter nach Durchführung eines Vergabeverfahrens und nach der Entscheidung des Auftraggebers, einem bestimmten Bieter den Zuschlag zu erteilen, vollzieht sich also aus rechtlicher Sicht nicht anders als beim Brötchenkauf beim Bäcker: hierfür bedarf es nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln eines Angebots und einer Annahme dieses Angebots (Annahmeerklärung, §§ 145 ff. BGB).

In einem Vergabeverfahren gibt der Bieter das Angebot (im zivilrechtlichen Sinne ab) und der öffentliche Auftraggeber nimmt es an. Das Angebot im zivilrechtlichen Sinne ist im offenen und nichtoffenen Verfahren das vom Bieter abgegebene Angebot im Vergabeverfahren: der öffentliche Auftraggeber veröffentlicht die Vergabeunterlagen mitsamt Leistungsbeschreibung und Vertragsentwurf, der Bieter kalkuliert seine Preise und gibt ein Angebot ab.

Welches Angebot in einem Verhandlungsverfahren das Angebot im zivilrechtlichen Sinne ist, hängt von der Verfahrensgestaltung des öffentlichen Auftraggebers ab. Wenn der öffentliche Auftraggeber sich vorbehalten hat, den Zuschlag ohne Verhandlungen zu erteilen (§ 17 Abs. 11 VgV) ist das Erstangebot auch das Angebot im zivilrechtlichen Sinne, ansonsten ist es eine reine Verhandlungsgrundlage und das Angebot im zivilrechtlichen Sinne ist das finale Endangebot (§ 17 Abs. 14 VgV).

Üblicherweise erfolgt die Abgabe des Angebots im Vergabeverfahren mittels Verwendung eines vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebenen Angebotsschreibens, das der Bieter mit seinen Angebotsunterlagen einreicht und das eine Formulierung wie z.B. „Hiermit gebe ich in dem Vergabeverfahren xyz ein Angebot ab. Mein Angebot beinhaltet die folgenden Bestandteile…“ oder vergleichbar enthält. An dieses Angebot ist der Bieter bis zum Ablauf der Bindefrist gebunden (§ 147 Abs. 2 BGB).

Der öffentliche Auftraggeber muss das Angebot annehmen. Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Inhalt die vorbehaltlose Akzeptanz des Angebots zum Ausdruck bringen muss. Die Antwort des öffentlichen Auftraggebers muss bzw. darf also vereinfacht gesagt nur lauten „Ich nehme dein Angebot an“. Üblicherweise erklärt der öffentliche Auftraggeber mit der Erteilung des Zuschlags, d.h. der Übermittlung des Zuschlagsschreibens („Hiermit erteile ich Ihnen auf Ihr Angebot vom … den Zuschlag.“) die Annahme des Angebots des erfolgreichen Bieters.

Diese Annahmeerklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, zu dem sie dem Bieter zugeht (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Zugegangen ist eine Willenserklärung erst, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen und damit zu rechnen ist, dass er tatsächlich Kenntnis erlangen wird. Dies ist bei Nutzung einer Vergabeplattform dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber die Zuschlagsmitteilung abgesandt hat und sie im Postfach des Bieters eingegangen ist, so dass dieser sie abrufen. Der öffentliche Auftraggeber hat allerdings die Möglichkeit, in den Vergabeunterlagen vorzugeben, dass der Bieter mit der Abgabe seines Angebots gemäß § 151 Satz 1 BGB auf den Zugang dieser Erklärung verzichtet.


Problemfall: § 150 Abs. 2 BGB und die Annahme unter Änderungen durch den öff. AG

In der Praxis kommt es indes immer wieder vor, dass sich Vergabeverfahren verzögern. Dies macht aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers beispielsweise Anpassungen an der bisherigen Leistungsbeschreibung notwendig. So enthalten beispielsweise Vergabeverfahren bei Bauausschreibungen nach der VOB/A oder VOB/A-EU regelmäßig Ausführungsfristen. Wenn sich das Vergabeverfahren verzögert, kann es sein, dass diese Ausführungsfristen nicht mehr einzuhalten sind. Übersendet der öffentliche Auftraggeber trotzdem ein Zuschlagsschreiben, mit dem er das vorherige Angebot ohne weitere Anmerkungen oder Vorbehalte annimmt, wird der Vertrag zu den ursprünglichen Bedingungen - auch hinsichtlich der Bauzeit - geschlossen, obwohl diese bereits tatsächlich obsolet geworden sind (BGH, Urteil vom 11.05. 2009 – VII ZR 11/08).

Denn die Grundsätze von Treu und Glauben erfordern insoweit, dass der Empfänger eines Vertragsangebots (= der öffentliche Auftraggeber), wenn er von dem Vertragswillen des Bieters abweichen will, dies in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt der Vertragspartner seinen vom Angebot abweichenden Vertragswillen nicht hinreichend deutlich, so kommt der Vertrag zu den Bedingungen des Angebots zustande. Hierfür spricht insbesondere, dass es dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich nicht gestattet ist, nach Angebotsabgabe mit den Bietern über Änderungen der Angebote und Preise zu verhandeln, § 15 Abs. 3 VOB/A und VOB/A-EU sowie § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV). Wenn und weil die Einhaltung der Ausführungsfristen aber tatsächlich unmöglich geworden ist, muss ggf. eine ergänzende Vertragsauslegung die vertragliche Regelungslücke schließen.

Ändert der öffentliche Auftraggeber in der Zuschlagsmitteilung aber einseitig bisherige Regelungen aus den Vergabeunterlagen oder fügt er neue Regelungen ein, so kommt kein Vertrag zustande. Dies ergibt sich aus § 150 Abs. 2 BGB: wird das Vertragsangebot unter Änderungen angenommen, handelt es sich gemäß § 150 Abs. 2 BGB nicht um eine Annahme des Angebots, sondern das Angebot gilt als abgelehnt und die „eigentliche“ Annahme stellt ein neues Angebot dar.

Dies zeigt exemplarisch ein kürzlich ergangenes Urteil des OLG Celle (Urteil vom 29. Dezember 2022, 13 U 3/22). Gegenstand des Vergabeverfahrens waren Leistungen zur Durchführung von Sicherheitskontrollen an einem Flughafen. Der öffentliche Auftraggeber hatte es - warum auch immer - versäumt, den Vergabeunterlagen einen Vertragsentwurf beizufügen. Nach Angebotsauswertung übersandte die Vergabestelle einem Bieter dann per Einschreiben ein Zuschlagsschreiben. Diesem Zuschlagsschreiben lag erstmalig ein Vertragsentwurf bei, den der Bieter unterzeichnen sollte; erst mit dem Zuschlagsschreiben erhielt der Bieter zum ersten Mal Kenntnis vom Vertrag. Der Vertragsentwurf wich vom Angebot des Bieters ab, denn er beinhaltete etwa eine abweichende Regelung zur Einsatzbereitschaft binnen bestimmter Fristen, eine Pflicht zur Befolgung von Dienstanweisungen und Fristen zur wiederkehrend jährlichen Vorlage eines Versicherungsnachweises.

Eigentlich nur „Kleinigkeiten“, aber der Bieter verweigerte trotzdem die Gegenzeichnung dieses Vertrags. Im Anschluss daran stellte sich der öffentliche Auftraggeber auf den Standpunkt, er habe den Zuschlag erteilt und damit sei der Vertrag zustande gekommen und forderte den Bieter dazu auf, die Leistung aufzunehmen.

Das OLG Celle urteilte: zu Unrecht! Nach dem OLG Celle wurde der Vertrag nicht mit Zuschlagserteilung abgeschlossen. Die Übersendung des Zuschlagsschreibens mit erstmalig beigefügtem Vertragsentwurf, der von den bisherigen Regelungen abweicht, ist keine vorbehaltlose Annahme, sondern stellt nach § 150 Abs. 2 BGB ein neues eigenes Angebot dar, das „eigentliche“ Angebot des Bieters erlosch damit gemäß § 146 BGB.


Fazit

Insbesondere die benannte Entscheidung des OLG Celle zeigt, dass es aus Sicht des Auftraggebers von großer Wichtigkeit ist, sämtliche Bedingungen, die im Fall des Zuschlags gelten soll, den Bietern transparent und vollständig vor Angebotsabgabe mitzuteilen und zum Gegenstand des Vergabeverfahrens und damit der Angebote der Bieter zu machen. Sind die Angebote abgegeben und dem Auftraggeber fällt dann doch noch etwas ein, was er eigentlich regeln wollte, hat er schlechte Karten.

Rechtlich ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass der öffentliche Auftraggeber einen Zuschlag unter neuen oder veränderten Bedingungen erteilt und damit ein neues Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB) abgibt, aber ist er dann darauf angewiesen, dass der Bieter dieses auch annimmt. Tut der Bieter dies nicht, sind alle Bemühungen auf Auftraggeber- und Bieterseite für die Katz gewesen und der öffentliche Auftraggeber muss sein Verfahren neu starten. Diesen Zeit- und Kostenaufwand sollte man sich sparen.

Sollte es sich nicht vermeiden lassen, dass einzelne Vertragsbedingungen oder einzelne Inhalte der Leistungsbeschreibung nachverhandelt werden müssen, sollte im Zuschlagsschreiben trotzdem deutlich gemacht werden, dass das Angebot vorbehaltlos angenommen wird. Der öffentliche Auftraggeber sollte diese Änderungen oder Anpassungen also nicht einfach einseitig in das Zuschlagsschreiben aufnehmen, denn dies würde zu den oben dargestellten Folgen führen.

Vielmehr sollte der öffentliche Auftraggeber auf das Wohlwollen des Bieters setzen und im Anschluss an die Zuschlagserteilung mit dem Bieter oder dann: Vertragspartner verhandeln. Hierbei müssen dann allerdings die Grenzen des § 132 GWB zu nachträglichen Auftragsänderungen eingehalten werden.
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Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
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