Vergaberecht: Prüfung und Wertung ungewöhnlich niedriger Preise
Recht & Verwaltung11 November, 2022

Vergaberecht: Prüfung und Wertung ungewöhnlich niedriger Preise

Was den privaten Auftraggeber freut, kann für die öffentliche Hand schnell zum Problem werden: Angebote werden eingeholt und das preisgünstigste Angebot liegt deutlich unterhalb dessen, was der Auftraggeber erwartet hat. Darf der Auftraggeber sich freuen und den Zuschlag erteilen, auch wenn er sich nicht recht erklären kann, wie ein solch niedriger Preis möglich ist?

RA Henning Feldmann

Öffentliche Auftraggeber dürfen sich bei Angeboten mit verdächtig niedrigen Preisen nicht einfach über den niedrigen Preis und die tolle Gelegenheit freuen und dieses Angebot bezuschlagen. § 60 Abs. 1 VgV und § 44 Abs. 1 UVgO verpflichten den Auftraggeber vielmehr dazu, vom Bieter Aufklärung über dessen Preise zu verlangen, wenn die angebotenen Preise im Verhältnis zu der ausgeschriebenen Leistung unangemessen niedrig erscheinen.

Die VOB/A und die VOB/A-EU in § 16d sowie § 54 SektVO und § 33 VSVgV enthalten ähnliche oder gleichlautende Vorschriften. Das Vergaberecht schützt den Auftraggeber an dieser Stelle vor sich selbst.

In erster Linie liegt der Sinn und Zweck der Verpflichtung, unangemessen niedrig erscheinende Preise zu überprüfen, darin, den Auftraggeber davor zu schützen, dass der Auftragnehmer sich „übernimmt“, dass er wegen eines Unterkostenangebots in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und die Leistung nicht vertragskonform erbringen kann und später ausfällt. Denn dies hat in den meisten Fällen schwerwiegende Folgen: Aufträge müssen rückabgewickelt werden, Aufträge müssen neu vergeben werden und in der Zwischenzeit passiert nichts.

Vereinfacht gesagt: der Auftraggeber soll davor geschützt werden, dass das Sprichwort „Wer billig kauft, kauft doppelt“ bei seiner Beschaffung zur Realität wird.

Hat der öffentliche Auftraggeber also den Eindruck, dass der Preis eines Angebots ungewöhnlich niedrig sind und stellt er sich die Frage, ob der Bieter den ausgeschriebenen Auftrag zu diesem Preis überhaupt ausführen kann, verbietet ihm das Vergaberecht die Zuschlagserteilung und gibt ihm stattdessen vor, vom Bieter Aufklärung zu verlangen (sogenannte Preisangemessenheitsprüfung).

Wann erscheint ein Angebot ungewöhnlich niedrig?

Das Vergaberecht spricht davon, dass ein Angebot ungewöhnlich niedrig erscheint, nicht davon, dass es ungewöhnlich niedrig ist. Denn zu Beginn weiß der Auftraggeber ja noch nicht, ob ein angebotener Preis tatsächlich ungewöhnlich niedrig ist, sondern er hat nur ein entsprechendes Störgefühl, das der Start in die Preisangemessenheitsprüfung ist. Aber woraus kann sich der Anschein eines ungewöhnlich niedrigen Preises ergeben oder anders gefragt: Wann sollte oder muss der Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts ein Störgefühl haben und eine Preisangemessenheitsprüfung durchführen?

Maßstab ist immer das Verhältnis des Preises bzw. der Kosten eines Angebots zu der zu erbringenden Leistung. Ein ungewöhnlich niedriger Preis liegt vor, wenn er in „offenbarem Missverhältnis zur Leistung“ steht. Hierfür kommt es auf den Gesamtpreis an. Der Auftraggeber hat bei der Einschätzung des Preises einen Entscheidungs- und Beurteilungsspielraum, d.h. er kann - in gewissen Grenzen - frei entscheiden, ob ein angebotener Preis ihm ungewöhnlich niedrig erscheint oder nicht, solange er seine Entscheidung sachlich begründet und dies dokumentiert.

Auch wenn (mitunter auch deutliche) Preisabstände in einem Vergabewettbewerb immanent sind (VK Bund, Beschluss vom 20. Januar 2022, VK 2 – 135 / 21), so kann vor allem ein Vergleich mit Angebotssummen der anderen Bieter zur Annahme eines ungewöhnlich niedrigen Preises führen. Die Rechtsprechung hat diesbezüglich bestimmte Aufgreifschwellen entwickelt: so ist der Auftraggeber etwa nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in der Regel zur Durchführung einer Preisangemessenheitsprüfung verpflichtet, wenn das Angebot einen Abstand von mindestens 20 % zum nächsthöheren Angebot hat. Teilweise sehen die Landesvergabegesetze auch gesondert vor, dass ab einem Preisabstand von 20 % eine Preisangemessenheitsprüfung zu erfolgen hat (etwa § 14 Abs.2 Thüringer Vergabegesetz oder § 14 Abs. 2 des Tariftreue- und Vergabegesetzes Bremen).

Allerdings ist diese Aufgreifschwelle von 20 % (abgesehen von landesrechtlichen Vorschriften) nicht „in Stein gemeißelt“ und es ist auch nicht verboten, unterhalb der Aufgreifschwelle von 20 % einen Preis aufzuklären. Der Anschein eines ungewöhnlich niedrigen Preises kann sich vielmehr auch aus der deutlichen Unterschreitung einer vorherigen Auftragswertschätzung oder aus Erfahrungswerten des Auftraggebers mit wettbewerblicher Preisbildung aus anderen Ausschreibungen ergeben. Wie so oft kommt es auf den Einzelfall an.
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Durchführung der Aufklärung

Besteht der Anschein eines ungewöhnlich niedrigen Preises, ist der öffentliche Auftraggeber dazu verpflichtet, die Frage nach der Angemessenheit und Auskömmlichkeit eines Preises aufzuklären. Er darf den Bieter nicht ohne vorherige Aufklärung ausschließen.

Allerdings besteht die Verpflichtung zur Aufklärung nicht um ihrer selbst willen. Wenn der öffentliche Auftraggeber auch ohne Aufklärung beim Bieter selbst durch gesicherte Erkenntnisse fehlerfrei zu der Feststellung gelangen kann, dass ein angebotener Preis nicht ungewöhnlich niedrig ist (auch wenn es zuerst den Anschein hatte) darf er auf eine Aufklärung verzichten. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn dem Auftraggeber bekannt ist, dass der Bieter über bestimmte Fertigungstechniken o.ä. verfügt, die es ihm ermöglichen, besonders günstig anzubieten, oder wenn er auf vergleichbare Daten z.B. aus anderen Ausschreibungen zurückgreifen kann.

Im Regelfall wird der Auftraggeber aber eine Aufklärung durchführen müssen. Diese sollte immer schriftlich erfolgen, schon allein aus Dokumentations- und Nachweisgründen. Welche Anforderungen gelten, führt die VK Berlin im Beschluss vom 13. August 2021 (VK B 1-62/20) sehr instruktiv aus:

Die Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV muss darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die […] zu treffende Entscheidung über die Ablehnung eines Angebots zu schaffen und hat sich insofern auf die bedeutsamen Einzelfallumstände zu erstrecken, die Aussagen über die Auskömmlichkeit des Gesamtpreises erlauben, wenngleich den Anforderungen an den zu erreichenden Grad der Erkenntnissicherheit durch den Grundsatz der Zumutbarkeit Grenzen gesetzt sind […].

Im Regelfall muss der Bieter seine Kalkulationsgrundlagen übermitteln und erläutern, außerdem muss die preisrelevanten inhaltliche Aspekte in seinem Angebot erläutern. Er muss die Gründe für seinen niedrigen Angebotspreis erläutern und hierbei auf die Einzelheiten seiner Kalkulation eingehen.

§ 60 Abs. 2 VgV führt beispielhaft auf, auf was sich die Aufklärung beziehen kann, nämlich z.B. auf die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der Erbringung der Dienstleistung, die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder bei der Erbringung der Dienstleistung verfügt oder andere Besonderheiten der angebotenen Liefer- oder Dienstleistung. Auch mit dem Testat eines Wirtschaftsprüfers, der die Auskömmlichkeit eines Angebots bestätigt, kann der Nachweis der Auskömmlichkeit eines Angebots erbracht werden.

Die Aufforderung zur Aufklärung muss klar formuliert sein und den Bieter in die Lage versetzen, den vollen Beweis der Seriosität seines Angebotes erbringen zu können. Hierfür muss der Auftraggeber dem Bieter keine klaren Vorgaben dazu machen, welche Ausführungen er vom Bieter erwartet. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Bieters, Zweifel an der Auskömmlichkeit seines Angebotes zu entkräften.

Es empfiehlt sich aber, dem Bieter einige Hinweise mit auf den Weg zu geben und ihm mitzuteilen, aus welchen Umständen (und ggf. welchen Preispositionen besonders) sich der Anschein eines ungewöhnlich niedrigen Preises ergibt. Auch Besonderheiten der einzelnen Bundesländer sind zu beachten. So fordert beispielsweise § 14 Abs. 2 des Thüringer Vergabegesetzes, dass der Auftraggeber im Rahmen des Zwischenverfahrens eine Urkalkulation einfordern muss.

Dem Bieter ist im Rahmen der Aufforderung zudem eine angemessene Antwortfrist einzuräumen, dessen Länge von der Komplexität des Auftrags und der Kalkulation abhängt. Ist der Auftrag wenig komplex, darf die Frist auch nur wenige Tage betragen, denn der Auftraggeber darf davon ausgehen, dass der Bieter seine Kalkulation kennt und ohne große Verzögerung erläutern kann.

Der Bieter hat bei der Preisaufklärung eine Mitwirkungspflicht. Kommt er dieser nicht nach, d.h. antwortet er entweder gar nicht oder nur unzureichend und erbringt den Nachweis der Seriosität seiner Angebotskalkulation zur Überzeugung des Auftraggebers nicht, darf der Auftraggeber das Angebot ausschließen.

Entscheidung des Auftraggebers

Die Entscheidung des Auftraggebers beinhaltet zwei Teile:
  • Ist der Anschein eines ungewöhnlich niedrigen und auskömmlichen Angebots durch die Aufklärung widerlegt?
  • Und wenn nein: wird der Bieter ausgeschlossen?
Bei der Beantwortung der ersten Frage steht dem Bieter ein Beurteilungsspielraum zu, der nur dahin überprüfbar ist, ob er seiner Entscheidung einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat und aufgrund sachgemäßer und sachlich nachvollziehbarer Erwägungen zu seinem Ergebnis gelangt ist. Der Auftraggeber kann also grundsätzlich nach seiner freien Überzeugung entscheiden, ob seine Zweifel ausgeräumt sind oder nicht. Ob ihn die Ausführungen des Bieters zu seiner Kalkulation also überzeugen oder nicht, entscheidet der Auftraggeber (siehe etwa VK Bund, Beschluss vom 26. Oktober 2021, VK 1 - 108/21).

Auch bei Restzweifeln an der Auskömmlichkeit und Seriosität des Preises ist die Entscheidung über den Ausschluss eine Ermessensentscheidung. Der Auftraggeber „darf“ den Bieter ausschließen, muss es aber nicht (VK Berlin, Beschluss vom 13. August 2021, VK B 1-62/20). Seine Entscheidung hat der Auftraggeber hiernach auszurichten, ob durch eine Unauskömmlichkeit des Angebots Gefahren für die wettbewerbsgerechte Durchführung des Auftrags entstehen und wie groß das Risiko dafür ist, dass der Auftragnehmer während der Vertragslaufzeit gerade wegen des niedrigen Preises ausfällt. Kann der Bieter beispielsweise erläutern, dass er genügend finanzielle Mittel hat, um den Auftrag auch bei Unauskömmlichkeit vertragsgerecht auszuführen, kann das gegen den Ausschluss des Bieters sprechen.

Drittschutz der Regelung?

Ist der vorrangige Sinn und Zweck des Verbots der Zuschlagserteilung (auf ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis) der Schutz des Auftraggebers, so stellt sich die Frage, ob auch Mitbewerber den Ausschluss des Angebots eines anderen Bieters geltend machen können, der einen ungewöhnlich niedrigen und / oder unauskömmlichen Preis angeboten hat.

Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2017 (Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16) ist diese Frage für die Praxis entschieden: § 60 VgV und die Parallelvorschriften dienen daher nicht nur dem Schutz der Haushaltsinteressen des Auftraggebers, sondern sollen auch das Interesse des betreffenden Anbieters schützen, dass sein Angebot nicht ohne vorherige Aufklärung ausgeschlossen werden darf.

Zum anderen schützt es aber auch Wettbewerber davor, dass der Zuschlag auf ein Angebot erteilt wird, dass gegen den Wettbewerbsgrundsatz gem. § 97 Abs. 1 GWB verstößt. Weil ein Zuschlag auf ein solches Angebot unmittelbar die Position der übrigen Bieter betrifft, haben andere Bieter auch die Möglichkeit, die Einhaltung des § 60 Abs. 3 durch die Vergabekammer überprüfen zu lassen. Der Anspruch richtet sich darauf, dass der Auftraggeber die vorgesehene Prüfung vornimmt.

Fazit

Die Regelungen zur Preisangemessenheitsprüfung sind für beide Seiten - Auftraggeber und Bieter - von großer Wichtigkeit. Auftraggeber sollten sich nicht vorschnell über überraschend günstige Angebote freuen, sondern diese genau hinterfragen. Denn ansonsten droht ein teures und aufwändiges Nachspiel, wenn die Leistung entweder nicht vertragsgerecht erbracht wird oder der Auftragnehmer pleitegeht. Wer am falschen Ende spart, verliert mehr als er spart.

Bieter sollten eine Preisangemessenheitsprüfung sehr ernst nehmen und mit großer Sorgfalt und Detailtiefe bearbeiten. Denn erstens ist es recht wahrscheinlich, dass ein Angebot jedenfalls in die engere Auswahl für den Zuschlag kommt, wenn bei diesem Angebot eine Preisangemessenheitsprüfung durchgeführt wird. Bieter können sich also bereits auf der Zielgeraden wähnen. Zweitens gibt es hierbei keine zweite Chance: der erste Schuss, mit dem die Seriosität des eigenen Angebots dargelegt wird, muss sitzen und den Auftraggeber überzeugen. Nach den Antworten des Bieters auf ein Aufklärungsersuchen eines Bieters dürfen daher keine Fragen mehr offenbleiben.
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Bildnachweis: mapo/stock.adobe.com
Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
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