Unfälle im Home-Office – Wann liegt ein Dienst- oder Arbeitsunfall vor?
Das Problem: Die meisten Unfälle ereignen sich ja bekanntlich in den eigenen vier Wänden. Jetzt, da uns ein Virus dazu zwingt, vermehrt Zeit im Home Office zu verbringen, werden demnach – so steht zu vermuten – auch die Unfälle am Heimarbeitsplatz zunehmen. Unter welchen Voraussetzungen kann so ein Unglück als Dienst- bzw. als Arbeitsunfall eingestuft werden?
Worum geht es
Wofür ist das relevant? Nun, die Qualifizierung als „Dienstunfall“ (im Beamtenrecht) bzw. als „Arbeitsunfall“ (für angestellte Lehrkräfte) hat weitreichende Folgen. Denn durch sie erhält die Lehrkraft „Unfallfürsorge“ und ist nicht gehalten, ihre (private) Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Diese Fürsorge umfasst neben den Kosten des Heilverfahrens auch die Erstattung von Sachschäden und besonderen Aufwendungen, ggfs. darüber hinaus ein Unfallruhegehalt und eine Unfallentschädigung. Stirbt ein Beamter aufgrund eines Dienstunfalls, kommt zudem eine Hinterbliebenenversorgung in Betracht. Da sich häufig erhebliche Kosten aufsummieren, haben sich die Gerichte immer wieder mit dieser zentralen Frage zu beschäftigen.
Das sagt das Recht
Die Dienstunfallfürsorge der verbeamteten Lehrer ist in den Beamtenversorgungsgesetzen der Länder geregelt. Was als „Dienstunfall“ anzusehen ist, ist darin jeweils definiert als
- ein auf äußerer Einwirkung beruhendes,
- plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares,
- einen Körperschaden verursachendes Ereignis,
- das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
Für angestellte Lehrkräfte greift die gesetzliche Unfallversicherung. Nach § 8 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind „Arbeitsunfälle“ versichert. Die Begriffe sind im Wesentlichen deckungsgleich. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Begriff des „Arbeitsunfalls“, sind aber auf beamtete Lehrkräfte übertragbar.
Private und dienstliche Tätigkeiten verschwimmen im Home-Office. Das stellt die Gerichte bisweilen vor schwierige Abgrenzungsprobleme. Bei der Frage, ob bei einer Tätigkeit im Home-Office ein Arbeitsunfall vorliegt, ist nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte entscheidend, ob der Arbeitnehmer bei der zum Unfall führenden Verrichtung eine dem Arbeitgeber dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese (subjektive) Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Daher wird im Home-Office eine versicherte Beschäftigung ausgeübt, wenn
- die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine objektiv bestehende Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis zu erfüllen oder
- der Arbeitnehmer eine objektiv nicht geschuldete Verrichtung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht bzw. er übe unternehmensbezogene Rechte aus dem Arbeitsverhältnis aus
Die eigentlichen Arbeitstätigkeiten am Schreibtisch sind in der Regel weniger „gefahrgeneigt“. Hier lauern nur selten Gefahren für Leib und Leben der Lehrkraft. Häufiger sind Unfälle, die sich in anderen Räumen des häuslichen Umfelds ereignen. Im Grundsatz gilt:
Private Verrichtungen sind vom Versicherungsschutz ausgenommen. Als Beispiel zu nennen sind hier etwa Haushaltstätigkeiten. Auch der Toilettengang, der im Schulgebäude versichert wäre, ist in den eigenen vier Wänden vom Schutz ausgenommen. Das wird u.a. damit begründet, dass der Arbeitgeber im Home-Office keine Einflussmöglichkeit auf die Sicherheit der Räumlichkeiten hat.
Ausgenommen sind zudem solche Unfälle, bei denen eine versicherte Tätigkeit lediglich als sog. Gelegenheitsursache einzustufen ist. Eine solche liegt vor, wenn unfallunabhängige Faktoren die tatsächlich allein wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens darstellen. Anders ausgedrückt: Eine Gelegenheitsursache liegt vor, wenn der Unfall wahrscheinlich zur selben Zeit und etwa im selben Umfang auch spontan, d.h. ohne Mitwirkung äußerer Ereignisse oder unter Mitwirkung eines äußeren Ereignisses, das jedoch das Maß alltäglicher Belastung nicht übersteigt, eingetreten wäre.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer erleidet bei einem Sturz während der Arbeit einen Bandscheibenvorfall. Wegen der bereits vorbestehenden Krankheitsanlage (unfallunabhängiger Faktor) wäre die Verletzung jedoch wahrscheinlich auch beim abendlichen Niederlassen auf die Couch eingetreten.
Ist die zum Unfall führende Verrichtung mehrfach motiviert, ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer die Tätigkeit auch dann verrichtet hätte, wenn die privaten Interessen außer Acht gelassen werden.
Beispiel: Es klingelt an der Wohnungstür. Lehrer L erwartet an diesem Tag sowohl eine private als auch eine dienstliche Sendung und begibt sich zur Wohnungstür, um dem Postboten zu öffnen.
Vom Versicherungsschutz werden auch die Unfälle erfasst, bei denen sich der Arbeitnehmer zum Unfallzeitpunkt auf einem sog. Betriebsweg befand. Betriebswege sind Teil der versicherten Tätigkeit als solche. Im Home-Office kann ausnahmsweise auch im häuslichen Bereich ein solcher Betriebsweg vorliegen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer den Weg in Ausführung der versicherten Tätigkeit, d.h. im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt hat. Ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird, richtet sich danach, ob der Arbeitnehmer zum Unfallzeitpunkt eine dem Arbeitgeber dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird.
Beispiel: Lehrer Dr. Knörz verlässt das Home-Office, um sich aus der Küche ein Müsli zu holen. Nach dem Verlassen des Arbeitszimmers stürzt er die Treppe hinunter und bricht sich die Hüfte.
Hier handelte Dr. Knörz nicht im unmittelbaren Betriebsinteresse, da er die Treppe nutzte, um sich einen Imbiss zu besorgen. Er ging also einer typischen sog. „eigenwirtschaftlichen Tätigkeit“ nach. Die versicherte Tätigkeit hatte er spätestens mit dem Verlassen des Arbeitszimmers beendet.
Übrigens: Etwas Anderes würde gelten, wenn Dr. Knörz sich seine Verletzung z.B. in der großen Pause auf dem Weg vom Klassenzimmer zu einem benachbarten Supermarkt zugezogen hätte. Das Bundessozialgericht ( Urteil vom 05.07.2016, B 2 U 5/15 R ) sieht darin keine Ungleichbehandlung:
„Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich versichert […]. Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Nahrungsaufnahme oder zum Einkauf von Lebensmitteln für den alsbaldigen Verzehr am Arbeitsplatz in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, ist der wesentliche innere Zusammenhang zwischen dem Betrieb und einem zur Nahrungsaufnahme zurückgelegten Weg angenommen worden […].
Diese Betriebsbedingtheit des Weges liegt bei der Klägerin […] gerade nicht vor. Sie ist jedenfalls nicht bereits darin zu sehen, dass die Klägerin den Weg zur Küche über die Treppe deshalb zurücklegen musste, weil sie sich zuvor in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten hatte. Die Klägerin unterlag hinsichtlich der beabsichtigten Flüssigkeitszufuhr keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. […] Der Weg zur Küche war weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Dieser […] offenkundige grundlegende Unterschied steht der […] Gleichbehandlung mit Versicherten, die außerhalb der Wohnung einer Beschäftigung nachgehen, entgegen.“
Man sollte in seinem Home-Office also immer genug Snacks und Getränke vorhalten…
Gegenbeispiel: Knörz wird gebeten, um 14:00 Uhr mit seinem Schulleiter Dr. Taft eine Zoom-Konferenz zu führen. Auf dem Weg in das Home-Office stürzt Knörz die Treppe hinauf und bricht sich die Nase. Hier ist ein Arbeitsunfall zu bejahen. Das Benutzen der Treppe war darauf gerichtet, seiner Tätigkeit als Lehrer nachzukommen. Die vom Schulleiter erbetene Besprechung lag im unmittelbaren Betriebsinteresse.
Ebenso ist zu entscheiden, falls etwa ein dienstlicher Ausdruck aus dem in einem anderen Zimmer befindlichen Drucker geholt wird. Auch hier ist der Gang dorthin dienstlich motiviert.
Aber Achtung: Ausnahmen können nach der Rechtsprechung gelten, wenn die wesentliche Ursache des Unfalles in den besonderen räumlichen Verhältnissen der Privatwohnung liegt, also nicht „umgebungsunabhängig“ ist. Dies kann etwa bei besonders steilen und daher gefährlichen Treppen am häuslichen Arbeitsplatz anzunehmen sein. Hier sind stets die Umstände des Einzelfalles entscheidend.
Nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt sind zudem Schädigungen „betriebsfremder“ Dritter durch den Arbeitnehmer.
Beispiel: Einem Lehrer wird vom Schulträger für die Arbeit im Home-Office ein Notebook gestellt. Das Notebook explodiert, gerät in Brand und zerstört dadurch die von dem Lehrer bewohnte Mietwohnung. Der Vermieter hat ggf. Ansprüche gegen den Lehrer sowie den Schulträger. Die gesetzliche Unfallversicherung haftet nicht.
Was für Sie wichtig ist
Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des „Arbeitsunfalls“ trägt auch im Home-Office der Arbeitnehmer. Hier besteht jedoch in der Regel die Schwierigkeit, dass nur selten Zeugen zugegen waren. Daher sollte der Verunfallte möglichst schnell jeden Beweis sichern, der es der Unfallkasse glaubhaft erscheinen lässt, dass sich der Unfall im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit ereignet hat. Zu denken ist hier an getätigte Anrufe, Videokonferenzen oder bearbeitete Dokumente. Hilfreich ist es zudem, einem herbeigerufenen Helfer (Arzt, Nachbar) den genauen Hergang des Unfalls zeitnah möglichst detailliert zu beschreiben.
Die derzeitigen politischen Bestrebungen, Beschäftigten einen Anspruch auf Arbeit im Home-Office einzuräumen, könnten im Falle ihrer Umsetzung auch Änderungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nach sich ziehen. Die Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt werden.