BGH: Strafbarkeit des sog. „Stealthings“
Recht & Verwaltung21 Februar, 2023

BGH: Strafbarkeit des sog. „Stealthings“

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
Wenn eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zustimmt, dass dabei ein Kondom genutzt werde, so stehen ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen ihrem erkennbaren Willen entgegen. Ein solches Geschehen ist als sexueller Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 StGB zu werten.

Sachverhalt

Der Angeklagte und eine Besucherin wollten in seinem Schlafzimmer geschlechtlich verkehren. Nach einvernehmlichem Oralverkehr ging der Angeklagte an eine Kommode, holte sichtbar ein Kondom heraus und öffnete die Verpackung. Ihm kam es darauf an, dass die später Geschädigte davon ausging, er werde es beim Geschlechtsverkehr überziehen. Tatsächlich beließ er es aber ausgepackt und nicht abgerollt im Bett. Da die Besucherin sich kurz umdrehte, sah sie dies nicht und ging davon aus, er werde das Kondom benutzen. Ungeschützter Geschlechtsverkehr wäre für sie nicht in Frage gekommen. Der Angeklagte führte sodann einige Zeit bewusst ohne Kondom vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch. Später bemerkte sie, dass er kein Kondom trug, und verließ schließlich die Wohnung.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Übergriffs sowie sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und im Übrigen freigesprochen. 
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen die Verurteilung und beanstandet die Verletzung materiellen sowie formellen Rechts.


Entscheidung

Der BGH befasst sich mit diesem Beschluss vom 13.12.2022 - 3 StR 372/22 - mit der Strafbarkeit eines gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners heimlich ohne Kondom ausgeführten Geschlechtsverkehrs („Stealthing“).

Nach Auffassung des BGH hat die Strafkammer das Geschehen zu Recht als sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 StGB gewertet. Stimmt eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zu, dass dabei ein Kondom genutzt werde, so stehen ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen ihrem erkennbaren Willen im Sinne dieser Vorschrift entgegen.

Für die Frage, ob eine sexuelle Handlung dem maßgeblichen Willen zuwiderläuft, kommt es aus Sicht des BGH auf die konkret vorgenommene Handlung an. Insoweit stellen Geschlechtsverkehr unter Nutzung eines Kondoms einerseits und ohne ein solches andererseits unterschiedliche sexuelle Handlungen dar. In der genannten Fallgestaltung besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der von der selbstbestimmungsberechtigten Person eingewilligten und der tatsächlich vorgenommenen Sexualpraktik.

In der vorliegenden Fallkonstellation kann außerdem offenbleiben, welche Bedeutung ein etwaiger Irrtum der geschädigten Person bei der Bildung des - einvernehmlichen oder entgegenstehenden - Willens für die strafrechtliche Bewertung hat. Der Entscheidung der betroffenen Person, keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr zu wollen, liegt grundsätzlich keine Fehlvorstellung zugrunde, wenn der Täter vorspiegelt, diesem Wunsch nachzukommen. Denn dadurch ändert sich nichts an der ablehnenden Haltung gegenüber einem Sexualkontakt ohne die Nutzung eines Kondoms.

Die Täuschung der geschädigten Person wirkt sich erst auf anderer Ebene dahingehend aus, dass die geschädigte Person, die von ihr missbilligte sexuelle Handlung geschehen lässt, da sie ihren Bedeutungsgehalt und den Verstoß gegen ihren - ersichtlich fortdauernden - entgegenstehenden Willen nicht erkennt. Dies stellt nach Ansicht des BGH jedoch für sich genommen keine Einwilligung in die konkrete sexuelle Handlung, den ungeschützten Geschlechtsverkehr, dar.

Auf den Tatbestand des § 177 Abs. 2 Nr. 3 StGB, der sexuelle Handlungen unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments unter Strafe stellt, kann nicht zurückgegriffen werden, wenn wie hier die Tatbestandvoraussetzungen des § 177 Abs. 1 StGB erfüllt sind.

In der genannten Fallgestaltung kommt außerdem grundsätzlich die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB in Betracht.


Praktische Bedeutung

Der BGH hat mit der vorliegenden Entscheidung die Strafbarkeit des sogenannten "Stealthings" geklärt. 

Der BGH weist hierbei zur Begründung darauf hin, dass der Gebrauch eines Präservativs die Art und Weise des Sexualvollzugs betrifft und zu einer anderen qualitativen Bewertung führt. Hierfür spricht nach Worten des BGH insbesondere die generelle Eignung, eine unerwünschte Schwangerschaft oder die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Daher werde hierdurch die rechtliche Beurteilung eines sexuellen Kontakts mitgeprägt. Dies begründet er auch damit, dass bei Sexualdelikten der Vollzug des Geschlechtsverkehrs ohne Verwendung eines Kondoms bereits nach früherer Rechtslage straferschwerend berücksichtigt werden konnte.
Bildnachweis: Blackosaka/stock.adobe.com
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