Planinitiativrecht des vorläufigen Gläubigerausschusses
Recht & Verwaltung04 April, 2023

Planinitiativrecht des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO – Hintergrund und Auswirkungen auf die Praxis

Nadja Raiß, Rechtsanwältin bei K&L Gates
Mit dem SanInsFoG wurde nicht nur das StaRUG eingeführt, auch die Insolvenzordnung erfuhr eine ganze Reihe an Änderungen, darunter insbesondere eine umfassende Reform der Eigenverwaltung in den §§ 270 ff. InsO. Neu sind hier insbesondere die detaillierten Regelungen zur vorläufigen Eigenverwaltung, die bis dato zwar teilweise bereits gelebte Praxis waren, nun jedoch auch ihren Niederschlag im Gesetz gefunden haben. 

Daneben wurden auch einige kleinere Änderungen eingeführt, teilweise beinahe unbemerkt. So wurde § 284 Abs. 1 InsO um einen neuen Satz 2 erweitert, der – ergänzend zu der bisherigen Regelung und ebenfalls bezüglich der vorläufigen Eigenverwaltung – nicht mehr nur der Gläubigerversammlung das Recht zuweist, den (endgültigen) Sachwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplanes zu beauftragen, sondern nun auch dem vorläufigen Gläubigerausschuss die gleiche Befugnis gegenüber dem vorläufigen Sachwalter einräumt. Dieser Beitrag setzt sich mit dem Sinn und dem Hintergrund dieser Regelung sowie deren Implikationen für die insolvenzrechtliche Praxis auseinander.

Die Regelung und deren Hintergründe

Grundsatz: Initiativrecht der „endgültigen“ Gläubigerversammlung

Bekannt – und insoweit nicht neu – ist die in § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO fixierte Befugnis der Gläubigerversammlung, den Sachwalter mit der Erarbeitung eines Insolvenzplanes beauftragen zu können. Diese Regelung betont in erster Linie, dass auch im Rahmen der Eigenverwaltung der Grundsatz der Privatautonomie von Schuldner und Gläubigern gilt: Auch dort sollen die Beteiligten die Verwertung des schuldnerischen Vermögens eigenständig durch einen Insolvenzplan regeln können. Als entsprechender Grundsatz ist diese Regelung so alt wie die Insolvenzordnung selbst und wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses seinerzeit im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt.

Vor Neuregelung: (K)Eine Analoge Anwendung auf den vorläufigen Gläubigerausschuss?

Seit Inkrafttreten des ESUG und der Einführung der vorläufigen Eigenverwaltung war umstritten, ob diese Regelung auch im Eröffnungsverfahren Anwendung finden soll. Problematisch war hierbei vor allem, dass in dieser Phase noch keine Gläubigerversammlung einberufen ist, die dem (vorläufigen) Sachwalter einen entsprechenden Auftrag erteilen könnte. Die Befugnis zur Planbeauftragung hätte man folglich allenfalls beim vorläufigen Gläubigerausschuss verorten können, dessen Einsetzung – sofern nicht ohnehin nach § 22a InsO ein Pflichtausschuss benötigt wird – jedenfalls im Rahmen einer Eigenverwaltung regelmäßig geboten sein wird.

Eine analoge Anwendung des § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO hätte also zweierlei überbrücken müssen: 

  • zum einen, dass die Regelung nicht für die vorläufige Eigenverwaltung gedacht war (und mangels Bestehens dieses Instituts bei ihrer Schaffung auch nicht gedacht gewesen sein konnte) und
  • zum anderen, dass zudem auch ein anderes Organ mit der Befugnis hätte bedacht werden müssen.

Aufgrund dieser Diskrepanz und unter Berufung auf den eindeutigen Wortlaut der Norm lehnte eine Meinung in der Literatur es ab, dem vorläufigen Gläubigerausschuss einzuräumen, die Erstellung eines Insolvenzplanes zu beauftragen, auch wenn es in Anbetracht der Stärkung der Gläubigerpartizipation durch das ESUG durchaus hätte naheliegen können, an eine planwidrige Regelungslücke zu denken. Der Gesetzgeber schuf nämlich weder eine analoge Regelung, noch ließ er im Gesetzgebungsverfahren erkennen, dass er diesen Komplex überhaupt bedacht hatte.

Lösung durch BGH angestoßen und SanInsFoG umgesetzt

Dieser Streit wurde vom BGH mit Beschluss vom 22.09.2016 – IX ZB 71/14 vermittelnd beigelegt: Nach Ansicht des Senats sollte § 284 Abs. Satz 1 InsO auch entsprechend im Eröffnungsverfahren angewendet werden, jedoch mit der Einschränkung, dass der Auftrag des vorläufigen Gläubigerausschusses an den vorläufigen Sachwalter zur Erstellung des Insolvenzplanes nur dann wirksamsein soll, wenn der Schuldner diesem ausdrücklich zustimmt. Gerade der entscheidende Regelungsgehalt der Norm – dass die Gläubiger ohne Rücksicht auf den Schuldnerwillen einen Insolvenzplan beauftragen können – blieb dabei mithin gänzlich unbeachtet.

Der damit insgesamt unbefriedigenden und letztlich auch nicht völlig klaren Rechtslage wurde durch das SanInsFoG nun zum 01.01.2021 abgeholfen und eine dem § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO gleichwertige Regelung für das Eröffnungsverfahren nachgereicht. Der Gesetzgeber führt in der Gesetzesbegründung an, dass durch die Neuregelung „Sanierungen beschleunigt werden und der vorläufige Sachwalter als neutrale Vertrauensperson frühzeitig mit dem Insolvenzplan betraut bzw. in dessen Erstellung eingebunden werden“ soll. Für die vergangenen Zeiträume lässt er erkennen – wenngleich insofern natürlich ohne Bindungswirkung – dass er wohl der Ansicht ist, dass aus der alten Regelung keine entsprechende Befugnis des vorläufigen Gläubigerausschusses herzuleiten war.

Vorteile der neuen Regelung des § 284 Abs. 1 Satz 2 InsO

Zügige Planerstellung

Der Gesetzesbegründung bringt es in ihrer Knappheit auf den Punkt. Zunächst ist festzuhalten, dass Eigenverwaltungsverfahren in der Regel dann erfolgreich werden, wenn die Umsetzung zügig erfolgt. Die Neuregelung kommt dem entgegen. Eine zügige Umsetzung ist im Interesse des Schuldners und es ist wünschenswert und auch die Regel, dass dieser selbst entsprechend tätig wird. Gleichwohl mag es Fälle geben, in denen ein Auftrag zur Planerstellung durch die Gläubiger sinnvoll erscheint. 

Hier ginge dann wertvolle Zeit verloren, wenn der Sachwalter erst nach der Verfahrenseröffnung von der Gläubigerversammlung mit der Planerstellung beauftragt werden könnte. Der Berichtstermin und die damit verbundene Gläubigerversammlung finden in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium statt, sodass in der Praxis die Beauftragung nach § 284 Abs. 1 S. 1 InsO von geringer Bedeutung ist – der Insolvenzplan käme bei einer solchen Vorgehensweise in aller Regel schlichtweg zu spät.

Höhere Neutralität des Sachwalters

Auch das Argument bezüglich der Neutralität trifft zu. Der (vorläufige) Sachwalter muss wie der Insolvenzverwalter gemäß §§ 270b Abs. 1, 274 Abs. 1, 56 Abs. 1 InsO eine von Gläubigern und Schuldnern unabhängige Person sein. Insofern ist die beim vorläufigen Sachwalter verortete Planerstellung natürlicherweise in neutraleren Händen als beim Schuldner selbst, respektive bei einem von diesem mit der Planerstellung beauftragten Berater. Man mag hier erwidern können, ob es nicht gerade dem Sinn der Eigenverwaltung entspricht, dass der Schuldner selbst das Verfahren anleitet und letztlich auch einen Insolvenzplan ausarbeitet. Gleichwohl verspricht der Gesetzgeber sich von einer beauftragten Planerstellung durch den vorläufigen Sachwalter, dass dies letztlich zu einer deutlich höheren Bereitschaft der Gläubiger führt, sich an dem Planverfahren zu beteiligen und den Insolvenzplan schließlich auch anzunehmen.

Echte Neuerung: Pflicht zur Einbindung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

Zuzugeben ist, dass auch in der bisherigen Praxis der Schuldner den (vorläufigen) Sachwalter bei der Erstellung eines Insolvenzplans einbindet bzw. den Plan mit diesem abstimmt. Denn das Gericht fordert in der Regel ohnehin eine Stellungnahme des Sachwalters zum Insolvenzplan. Etwaige Bedenken des (vorläufigen) Sachwalters können daher von vornherein berücksichtigt werden, wenn dieser direkt in die Planerstellung eingebunden wurde.

Gleichwohl war diese Praxis nicht verpflichtend. Die Gläubiger hatten im Eröffnungsverfahren keine vom Schuldner losgelöste Handhabe, den vorläufigen Sachwalter tatsächlich in die Planerstellung miteinzubinden oder sonstig an der Planerstellung zu partizipieren. Man wird auch hier einwerfen dürfen, dass letztlich auch der Schuldner derjenige ist, der hinsichtlich seines Unternehmens das überlegene Wissen aufweisen kann: Er hat die Informationshoheit, kennt den operativen Geschäftsbetrieb besser als der Sachwalter und ist schlussendlich auch „Herr des Verfahrens“. Gleichwohl ist die Neuregelung als Option für den vorläufigen Gläubigerausschuss durchaus sinnvoll.

Möglichkeit der Beauftragung des Schuldners

Neben der Beauftragung des vorläufigen Sachwalters ist nun nämlich auch – entsprechend der Regelung des § 284 Abs. 1 S. 1 InsO – die Beauftragung des Schuldners mit der Planerstellung möglich. Die Literatur geht davon aus, dass in diesem Fall der vorläufige Gläubigerausschuss entsprechend § 157 S. 2 InsO dem Schuldner dann auch das Ziel des Planes vorgeben darf. Dies ist missverständlich, da das Ziel des Insolvenzplan in der Eigenverwaltung immer die Sanierung und der Fortbestand des Unternehmens sein dürfte. Gemeint ist damit wohl, dass der vorläufige Gläubigerausschuss Vorgaben zur inhaltlichen Ausgestaltung machen darf. 

Dies ist auch unbedenklich, da das originäre Planinitiativrecht des Schuldners nach §§ 217 Abs. 1, 270 Abs. 1 S. 2 InsO unberührt bleibt. Ist der Schuldner nicht einverstanden mit den Planvorgaben der Gläubiger, bleibt es dem Schuldner unbenommen, zusätzlich zu dem in Auftrag gefertigten Plan einen Insolvenzplan nach eigenen Vorstellungen vorzulegen und beide zur Abstimmung zu stellen.


Gestärkte Gläubigerpartizipation

In jedem Fall wirkt nach der neuen Rechtslage bei der Erstellung des beauftragten Plans durch den Schuldner nun auch der vorläufige Sachwalter gemäß § 284 Abs. 1 S. 3 InsO verbindlich beratend mit. Insgesamt hat die Reform die Gläubigerpartizipation daher deutlich gestärkt. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass § 284 Abs. 1 InsO nun eine kraft des Wortlautes eindeutige Kompetenzunterscheidung zwischen den Verfahrensstadien zeigt: Kann im Eröffnungsverfahren der vorläufige Gläubigerausschuss den (vorläufigen) Sachwalter oder den Schuldner beauftragen, so geht diese Befugnis im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ersatzlos auf die Gläubigerversammlung über.


Keine Beauftragung durch „endgültigen“ Gläubigerausschuss

Der („endgültige“) Gläubigerausschuss hat dabei, anders als sein vorläufiges Pendant, niemals das Recht zur Beauftragung, auch nicht „interimsweise“ in der Zeit zwischen Verfahrenseröffnung und Berichtstermin. Da der Gesetzgeber bei der Neuregelung darauf verzichtet hat, für diese Phase eine entsprechende Regelung zu schaffen, ist eine analoge Anwendung des neuen § 284 Abs. 1 S. 2 InsO nun jedenfalls ausgeschlossen. Dies sollte der vorläufige Gläubigerausschuss stets im Blick haben: Ist das Verfahren erst einmal eröffnet, geht wertvolle Zeit verloren, bis sich für die Gläubiger wieder die Möglichkeit ergibt, durch die Gläubigerversammlung im ersten Berichtstermin die Ausarbeitung eines Insolvenzplanes zu beauftragen.


Vergütung und Kosten

Wird der (endgültige) Sachwalter von der Gläubigerversammlung mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplanes beauftragt, so führt dies in aller Regel gemäß § 12 Abs. 1 i. V. m. §§ 10, 2, 3 Abs. 1 lit. e InsVV zu einer Erhöhung der Vergütung des Sachwalters. Nach dem ebenfalls durch das SanInsFoG eingefügten § 12a Abs. 1 InsVV gilt nichts anderes, wenn nach der nunmehrigen Neuregelung der vorläufige Sachwalter mit dieser Aufgabe betraut wird. 

Entscheiden sich die Gläubiger hingegen für die Beauftragung des Schuldners und wirkt hier vorläufige Sachwalter beratend mit, ergibt sich – wie beim endgültigen Sachwalter – nur ein Anspruch auf eine erhöhte Vergütung, wenn die Beratungstätigkeit besonders umfangreich war.


Fazit und Praxishinweise

Die Regelung ist aus zweierlei Gründen von Relevanz: Zum einen ist die Kombination mit einem Insolvenzplan in der Praxis wohl der häufigste Anwendungsfall der Eigenverwaltung. Dies in Verbindung mit der Tatsache, dass im Verfahren keine Zeit verloren werden sollte, macht deutlich, dass die Reform dabei helfen kann, Eigenverwaltungen durch zeitliche Straffung erfolgreicher zu gestalten.

Es war daher wichtig, die insofern bestehende Regelungslücke verbindlich zu schließen. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die neu geschaffene Befugnis des vorläufigen Gläubigerausschusses im Idealfall nicht beansprucht werden muss – bei einer professionell vorbereiteten Eigenverwaltung ist dem Schuldner selbst daran gelegen, zügig einen Insolvenzplan vorzulegen. Die Regelung ist daher als eine Art Notnagel für „Problemfälle“ zu sehen.

Genauso wie bei der Beauftragung des (endgültigen) Sachwalters durch die Gläubigerversammlung nach Verfahrenseröffnung ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass die Beauftragung des vorläufigen Sachwalters durch den vorläufigen Gläubigerausschuss nur dann Sinn macht, wenn zwischen dem Schuldner und dem Sachwalter ein gewisses Einvernehmen über den Insolvenzplan besteht bzw. hergestellt werden kann. Beauftragt der vorläufige Gläubigerausschuss den vorläufigen Sachwalter entgegen dem Willen des Schuldners mit der Vorlage eines Insolvenzplanes, so ist zu befürchten, dass der Schuldner Maßnahmen ergreifen wird, um den Plan zu konterkarieren. In einer solchen Konstellation dürfte es dann in der Position des vorläufigen Gläubigerausschusses zu bevorzugen sein, die Aufhebung der vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270e Abs. 1 Nr. 4 InsO zu beantragen. Im Anschluss kann und sollte die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragen (§ 218 Abs. 2 InsO).
Unsere Autorin
Die Autorin ist Partnerin bei K&L Gates in Frankfurt und Mitglied der Praxisgruppe Restrukturierung und Insolvenz. Seit 2017 ist Nadja Raiß auch in der Funktion als Insolvenzverwalterin tätig.

Sie wirkt auch als Autorin im Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, Band 1, Alexander Bornemann (Hrsg.), 10. Auflage, Luchterhand, 2023 mit
Bildnachweis: Yaroslav Astakhov/stock.adobe.com
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