Kündigungsvergütung
Recht & Verwaltung25 August, 2023

Die große Kündigungsvergütung – zunächst lediglich eine Prognose und deshalb nicht sofort fällig?!

Die große Kündigungsvergütung gem. § 8 Abs. 1 VOB/B bzw. § 648 BGB gewährt dem Auftragnehmer (AN) Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Der AN muss sich jedoch anrechnen lassen, was er an Kosten erspart, was er anderweitig erwirbt und was er böswillig zu erwerben unterlässt.

Jarl-Hendrik Kues, LL.M.

So weit, so kompliziert genug, wie schon der zweiteilige Aufsatz von Björn Retzlaff in den baurecht-Heften 6 (BauR 2023, 1036) und 7 (BauR 2023, 1168) zeigt. Aber unabhängig davon, ob der dortigen Argumentation zur Berechnungssystematik der großen Kündigungsvergütung und gerade der Hypothese zur „Vollauslastung“ der Bauunternehmen mit den entsprechenden Folgen für die Darlegungs- und Beweislast zu folgen ist, stellt sich die Frage, wann die große Kündigungsvergütung durch den AN abzurechnen ist bzw. wann diese fällig wird.


AN zur finalen Abrechnung innerhalb zu berechnenden Fristen vertraglich verpflichtet

§ 14 Abs. 3 VOB/B hat eine explizite Regelung, innerhalb welcher Frist der AN seine Schlussrechnung zu legen hat: „Die Schlussrechnung muss bei Leistungen mit einer vertraglichen Ausführungsfrist von höchstens 3 Monaten spätestens 12 Werktage nach Fertigstellung eingereicht werden, wenn nichts anderes vereinbart ist; diese Frist wird um je 6 Werktage für je weitere 3 Monate Ausführungsfrist verlängert.“

Der AN kann somit mit der Schlussrechnungslegung nicht warten, sondern ist zur finalen Abrechnung innerhalb konkret zu berechnender Fristen vertraglich verpflichtet. Das Ganze wurde vom BGH in dem Grundsatzurteil zur Schlussrechnungsreife v. 20.08.2009 – VII ZR 205/07 – mit dem „Untergang der vorherigen Abschlagsforderungen“ weiter konkretisiert. Weder aus dem Wortlaut der VOB/B noch aus dem Urteil des BGH ist zu entnehmen, dass die dort aufgestellten Grundsätze nur für den „regulär“ beendeten, nicht aber für den gekündigten Bauvertrag gelten sollen.

Mit der Pflicht zur alsbaldigen Schlussrechnungslegung und der anschließenden Fälligkeit, vgl. § 16 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B, kommt aber ein in der Praxis bislang – soweit ersichtlich – nicht thematisiertes, aber tatsächliches Problem im Zusammenhang mit der Geltendmachung der großen Kündigungsvergütung zu Tage. Denn zum Zeitpunkt der Kündigung bzw. bei einer anschließenden zeitnahen Schlussrechnungslegung ist die Frage des „anderweitigen Erwerbs“ naturgemäß eine reine Prognose, ein Blick in die sprichwörtliche Glaskugel.


Blick in die Glaskugel

Egal ob Björn Retzlaff mit seiner These zur „Vollauslastung“ Recht hat oder nicht, gelten auch die Weisheiten von Wilhelm Busch „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“, Søren Kierkegaard „Leben kann man nur vorwärts, das Leben verstehen nur rückwärts.“, Katja Ebstein „Wunder gibt es immer wieder!“.

Gerade bei Verträgen mit einer noch längeren (Rest)-Bauzeit zum Kündigungszeitpunkt kann es ungewiss sein, ob der AN z.B. ein Spezialgerät oder sein Personal tatsächlich auch in einem Jahr nicht anderweitig einsetzen kann; auch ist es keineswegs sicher, dass ein erwarteter anderweitiger Erwerb sich tatsächlich realisiert.

So ist die Konstellation denkbar, dass der AN bei einer zeitnahen Schlussrechnungslegung nach der Kündigung noch keinen Auftrag für einen anderweitigen Erwerb hat. Kann der AN dann tatsächlich sofort die gesamte große Kündigungsvergütung abrechnen und diese wird auch insgesamt fällig?


Doch kein anderweitiger Erwerb für den ersten Auftrag

Und wie ist die Rechtslage, wenn der anderweitige Erwerb doch nicht, wie in der Schlussrechnung des ersten Auftrags angenommen, zur Ausführung kommt, bspw., weil auch der Folgeauftrag von dem Folgeauftraggeber gekündigt wird und es dann tatsächlich doch keinen anderweitigen Erwerb für den ersten Auftrag gibt?

Die beiden Fallgruppen zeigen, dass die Höhe der großen Kündigungsvergütung zum Kündigungszeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt, an dem gem. § 14 Abs. 3 VOB/B die Schlussrechnung zu legen ist, lediglich eine Prognose sein kann.

Deshalb ist es nicht sachgerecht, wenn der AN gleichwohl zum Zeitpunkt gem. § 14 Abs. 3 VOB/B die „volle“ große Kündigungsvergütung abrechnen und diese in der gesamten Höhe fällig wird, mit der Folge, dass der Besteller in Zahlungsverzug geraten kann.

Sachgerecht und richtig dürfte vielmehr sein, dass der AN nur sukzessive abrechnen kann und folglich nur sukzessive Fälligkeit eintritt. So könnte bei einer bspw. monatlichen Abrechnung stets geprüft werden, ob und inwieweit ein anderweitiger Erwerb sich realisiert hat oder eben nicht eintreten ist.


AN würde die Vergütung zum gleichen Zeitpunkt erhalten

Dem AN entstünde bei dieser Verfahrensweise kein Nachteil gegenüber der Situation des ungekündigten Vertrages. Denn die Abrechnung mittels Abschlagsrechnungen erfolgt regelmäßig monatsweise. D.h. in beiden Fällen würde der AN die Vergütung zum gleichen Zeitpunkt erhalten: Im ungekündigten Vertrag für den produktiven Einsatz von Gerät und Personal und Abrechnung des „entsprechenden“ Werklohns; beim gekündigten Vertrag die „große Kündigungsvergütung“ für das weiterhin unproduktive Vorhalten von Gerät und Personal für die eigentlich zur Ausführung anstehenden Leistungen (kein anderweitiger Erwerb).

Diese Art der Abrechnung hätte darüber hinaus den Charme, dass bei einer Änderung hinsichtlich des anderweitigen Erwerbs bestehende Abrechnungen nicht mühsam nachträglich korrigiert werden müssten.

Der Auftraggeber (AG) würde bei dieser Verfahrensweise auch nicht schlechter gestellt werden als beim ungekündigten Vertrag. Stattdessen wäre es sogar „gerecht“, anderenfalls würde der AG das Risiko tragen, den AN zu überzahlen und müsste später das Geld mühsam zurückfordern.


Eleganter Lösungsvorschlag als „Krücke“

Weder aus der VOB/B noch dem BGB lässt sich unmittelbar ableiten, dass der Werklohn als große Kündigungsvergütung erst sukzessive fällig wird/werden sollte. Für die aufzeigte Problemlage und die getätigten Schlussfolgerungen, lässt sich aber eine Lösung zumindest mittelbar in der VOB/B bzw. im BGB finden. Ist die Schlussrechnung im Zeitpunkt gem. § 14 Abs. 3 VOB/B im Hinblick auf den „Prognoseanteil“ für den zukünftigen prognostizierten oder verneinten anderweitigen Erwerb wirklich prüfbar?

Rechnerisch abstrakt: ja, aber inhaltlich im Hinblick auf die auf der Hand liegenden Aspekte: wohl nicht. Liegt also die Lösung in dem Einwand der fehlenden, partiellen Prüfbarkeit und tritt insoweit dann Monat für Monat sukzessive Fälligkeit ein?! Die hier vorgeschlagene Lösung wäre eine elegante Krücke, um des Problems Herr zu werden. Aber es ist tatsächlich nur eine Krücke, denn es gibt dann wieder Folgeprobleme, z.B., wann verjährt die Schlussrechnungsforderung?

Jedenfalls wäre so alles im Einklang mit Wilhelm Busch, Katja Ebstein und Sören Kierkegaard, was auch immer schon mal ein Ergebnis ist!
Jarl-Hendrik Kues, LL.M.
Autor

Jarl-Hendrik Kues, LL.M.

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Fachanwalt für Vergaberecht
Seit Mitte 2012 ist er Partner bei Leinemann Partner Rechtsanwälte und leitet seit 2017 den Frankfurter Standort.
Bildnachweis: Unkas Photo/stock.adobe.com
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