Recht & Verwaltung22 Dezember, 2021

Das Jahr 2022 auf einen Blick: Was sich ab dem 1.1.2022 für die Anwaltschaft ändert

von Michael G. Peters, Rechtsanwalt

In 2022 tritt fast jeden Monat ein neues Gesetz in Kraft. Im Mittelpunkt stehen dabei die Schuldrechtsreform und die Reform der Berufsausübung der Anwälte. Doch das ist längst nicht alles, was auf die Anwaltschaft zukommt. Ein Überblick über die wichtigsten Neuheiten, auf die Sie sich 2022 einstellen sollten.

Neuheit Nr. 1: Ab 1.1.2022 bringt die Schuldrechtsreform die größten Änderungen im Zivilrecht seit der Schuldrechtsmodernisierung des Jahres 2001

Amazon & Co. haben in der Corona-Pandemie gute Geschäfte gemacht: Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e. V. rechnet damit, dass im Jahr 2021 erstmals mehr als 100 Mrd. Euro im Onlinehandel umgesetzt werden. Das ruft nach einer Anpassung der schuldrechtlichen Grundlagen, um den digitalen Handel zu fördern, aber auch um Verbraucher bei Käufen im Netz besser zu schützen. Am 1.1.2022 tritt ein entsprechend angepasstes Schuldrecht in Kraft, mit der die europäische Warenkaufrichtlinie (EU-Richtlinie 2019/771) und die Richtlinie zur Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (EU-Richtlinie 2019/770) in deutsches Recht umgesetzt werden. Das führt zu fünf wesentlichen Änderungen für die anwaltliche Praxis.

Änderung Nr. 1: Der neue Verbrauchervertrag für digitale Produkte (§§ 327 ff. BGB)

Der Vertrag, der in den neuen §§ 327 ff. BGB geregelt ist, schafft eine neue gesetzliche Grundlage für den Erwerb digitaler Produkte – und zwar unabhängig davon, ob diese online oder auf einem Datenträger bereitgestellt werden. Damit werden vor allem die gesetzlichen Regeln für den Verkauf von

  • Streaming-,
  • Social-Media- und
  • Cloud-Diensten

festgelegt. Die Neuregelungen erstrecken sich dabei nicht nur auf die Nutzung von Social-Media oder Messenger-Diensten, sondern betreffen auch Buchungs-, Verkaufs-, Vergleichs-, Vermittlungs- und Bewertungsportale.
Neu ist dabei ab dem 1.1.2022 auch, dass für die Bereitstellung solcher Dienste nicht zwangsläufig eine übliche Bezahlung erfolgen muss. Es reicht ab sofort, wenn als Gegenleistung personenbezogene Daten oder ein Betrag in einer Kryptowährung, wie zum Beispiel in Bitcoin, vereinbart werden.

Änderung Nr. 2: Neue Regeln zum Verkauf von Waren mit digitalen Elementen (§§ 475b BGB)

Eine wichtige Unterscheidung macht das neue Schuldrecht beim Handel mit Waren, die lediglich digitale Elemente enthalten, wie zum Beispiel

  • ein Navigationssystem oder
  • ein elektronisches Fahrassistenz-Programm,

die „eigenständige“ digitale Produkte enthalten oder mit anderen Produkten verbunden sind. Dazu zählen zum Beispiel Fahrzeuge, in denen digitale Produkte eingebaut sind oder die solche enthalten, ihre Hauptfunktion – wie zum Beispiel das Fahren – aber auch ohne das digitale Element erfüllen können. Für solche Produkte gelten die neuen Vorschriften der §§ 327 ff. BGB. Das kann zu einer Aufspaltung der Gewährleistung führen.

Beispiel: Wird beim Verkauf eines Fernsehgeräts auch eine Nutzungsvereinbarung über einen Streamingdienst (zum Beispiel Netflix) geschlossen, kommen auf das TV-Gerät die Regelung des allgemeinen Kaufrechts, auf die Bereitstellung des Streamingdienstes dagegen die neuen gesetzlichen Vorschriften über digitale Produkte zur Anwendung.

Bei Produkten mit digitalen Elementen, die ihre Hauptfunktion nicht mehr eigenständig ausüben können und mit einem fehlenden oder nicht vorhandenen Betriebssystem nutzlos sind, wie zum Beispiel

  • Smartphones oder
  • Smartwatches

gelten dagegen die neuen §§ 457b ff. BGB, für die unter anderem eine neue Sachmangelhaftung und neue Aktualisierungspflichten bestehen.

Änderung Nr. 3: Die neue Sachmangelhaftung (§ 434 BGB n. F.)

Eine einschneidende Änderung enthält die zum 1.1.2022 in Kraft tretende Modernisierung des Schuldrechts bei der Sachmangelhaftung. Bisher war eine Sache in erster Linie mangelhaft, wenn sie nicht die zwischen Verkäufer und Käufer individuell vereinbarte Beschaffenheit aufwies.

Nach der neuen Sachmangelhaftung ist eine Sache dagegen mangelhaft, sobald sie

  • nicht so beschaffen ist, wie vereinbart,
  • sich für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung nicht eignet und
  • nicht verpackt, nicht mit dem vollständigen Zubehör und nicht mit einer Anleitung übergeben wird.

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, was zu einem interessanten Nebeneffekt führt: Danach gilt nach dem neuen Mangelbegriff eine Sache schon als mangelhaft, wenn sie sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung eignet, obwohl sie genauso beschaffen ist, wie sich die Parteien dies bei Vertragsschluss vorgestellt und vereinbart haben.

Wichtiger Hinweis: Die neue Sachmangelhaftung gilt aus Gründen der Vereinheitlichung übrigens nicht nur für Verträge mit Verbrauchern, sondern auch für den B2B-Handel.

Verkäufer, die diese neuen Anforderungen einhalten wollen, müssen daher ständig überprüfen, ob die von ihnen angebotenen Produkte auch die branchen- und produktübliche Beschaffenheit aufweisen. Dies wird aus anwaltlicher Sicht in einer prozessrechtlichen Auseinandersetzung über eine Sachmangelhaftung zu einem erheblichen Disput führen, was produktüblich ist – und was nicht.

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