von Torsten Herbert, Geschäftsführer des KAV NRW
Ob ärztlicher Hintergrunddienst nach § 9 des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte/TdL) zu vergütende Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch eine Vorgabe insbesondere hinsichtlich der Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit zwingt, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten und damit eine faktische Aufenthaltsbeschränkung vorgibt. Das gilt auch, wenn der ärztliche Hintergrunddienst mit einer Telefonbereitschaft verbunden ist.
Zum Sachverhalt
Der als Oberarzt beschäftigte Kläger leistet im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, auf das der TV-Ärzte/TdL Anwendung findet, außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitszeit sog. Hintergrunddienste. Während dieser Zeit ist er verpflichtet, telefonisch erreichbar zu sein. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich des Aufenthaltsortes oder der Zeitspanne, innerhalb derer er die Arbeit im Klinikum aufzunehmen hat, macht die Beklagte nicht. Im Rahmen des Hintergrunddienstes kann es sowohl zu Einsätzen des Klägers im Klinikum der Beklagten als auch zu rein telefonischen Inanspruchnahmen kommen, wobei letztere überwiegen. Dabei hat der Kläger auch mögliche Organtransplantationsangebote zu bearbeiten. Hierzu hat er nach dem telefonischen Angebot innerhalb von 30 Minuten die mitgeteilten Daten bezüglich Spender, Organ, Patient und Dialysearzt zu prüfen, den in Frage kommenden Patienten sowie den zuständigen Dialysearzt telefonisch zu kontaktieren sowie zu erklären, ob das Angebot zur Organspende angenommen wird. Die Beklagte vergütet die Hintergrunddienste gemäß § 9 Abs. 1 TV-Ärzte/TdL als Rufbereitschaft i.S.d. § 7 Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL.
Der Kläger meint, die Hintergrunddienste seien aufgrund der mit ihnen verbundenen Beschränkungen sowie der Anzahl und des zeitlichen Umfangs der tatsächlichen Inanspruchnahmen Bereitschaftsdienst und als solcher zu vergüten.
Das LAG hat dem Kläger für den Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 eine Vergütungsdifferenz von knapp 40.000,00 Euro brutto zugesprochen.
Zur Entscheidung
Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg. Bei dem vom Kläger geleisteten Hintergrunddienst handelt es sich aus Sicht des Gerichts um Rufbereitschaft. Ob ein vom Arbeitgeber im Anwendungsbereich des TV-Ärzte/TdL angeordneter (Hintergrund-)Dienst im vergütungsrechtlichen Sinn Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft sei, richte sich ausschließlich nach nationalem Recht und nicht nach der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG.
Rufbereitschaft unterscheide sich von Bereitschaftsdienst nach den tariflichen Definitionen in § 7 Abs. 4 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 TV-Ärzte/TdL dadurch, dass der Arbeitnehmer sich hierbei nach den Vorgaben des Arbeitgebers nicht an einem bestimmten Ort aufhalten müsse, sondern seinen Aufenthaltsort frei wählen könne. Maßgeblich sei also der Umfang der vom Arbeitgeber angeordneten Aufenthaltsbeschränkung.
Dabei sei der Arbeitnehmer allerdings auch bei der Rufbereitschaft in der Wahl seines Aufenthaltsortes nicht völlig frei. Er dürfe sich entsprechend dem Zweck der Rufbereitschaft nur so weit vom Arbeitsort entfernt aufhalten, dass er die Arbeit dort alsbald aufnehmen könne. Das sei bei dem von der Beklagten angeordneten Hintergrunddienst noch der Fall. Mit der Verpflichtung, einen dienstlichen Telefonanruf anzunehmen und damit die Arbeit unverzüglich aufzunehmen, sei keine räumliche Aufenthaltsbeschränkung verbunden. Zeitvorgaben für die Aufnahme der Arbeit im Übrigen bestünden nicht. Dass u.U. nach einem Anruf zeitnah die Arbeit in der Klinik fortgesetzt werden müsse, stehe im Einklang mit dem Wesen der Rufbereitschaft.
Allerdings untersage § 7 Abs. 6 Satz 2 TV-Ärzte/TdL dem Arbeitgeber die Anordnung von Rufbereitschaft, wenn erfahrungsgemäß nicht lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfalle. Das treffe vorliegend aber zu. Der Kläger werde in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen und leiste zu 4 % aller Rufbereitschaftsstunden tatsächliche Arbeit. Dabei komme es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur auf die Arbeitseinsätze an, die in der Klinik fortzusetzen seien, was in mehr als einem Viertel der Rufbereitschaften vorkomme. In der Gesamtschau dieser Umstände hätte sie die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste daher nicht anordnen dürfen.
Gleichwohl führe dies nicht zu der vom Kläger begehrten höheren Vergütung. Ein bestimmter Arbeitsleistungsanteil sei nach dem Tarifvertrag weder dem Bereitschaftsdienst noch der Rufbereitschaft begriffsimmanent. Die Tarifvertragsparteien hätten damit bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keinen höheren Vergütungsanspruch vorgesehen. Diesen Willen habe der Senat respektiert.
Quelle: Pressemitteilung des BAG Nr. 6/21 vom 25.03.2021