Einstellung des Disziplinarverfahrens aufgrund eines statusbezogenen Verfahrenseinstellungsgrundes
Recht & Verwaltung29 Juni, 2022

Einstellung des Disziplinarverfahrens aufgrund eines statusbezogenen Verfahrenseinstellungsgrundes

von Redaktion eGovPraxis Personal

Sachverhalt

Die Klägerin ist Polizeikommissarin im Dienst des Beklagten. Nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (Abitur mit der Note 2,8) wurde die Klägerin als Kommissaranwärterin (Beamtenverhältnis auf Widerruf) eingestellt. Nachdem die Klägerin die Laufbahnprüfung erfolgreich abgeschlossen hatte (Bachelor of Arts), wurde sie in das Beamtenverhältnis auf Probe berufen und zur Polizeikommissarin (Besoldungsgruppe A 9) ernannt.

Die Klägerin reichte bei dem Beklagten einen Antrag auf Genehmigung einer Nebentätigkeit als sogenannte Influencerin für die Vermarktung von Produkten aus dem Bereich Bekleidung und Schmuck ein. Sie war bereits über die Genehmigungs-bzw. Anzeigepflicht von Nebentätigkeiten belehrt worden.

In der Folge dieses Antrages wurden durch den Beklagten Vorermittlungen (u.a. ein "Personalgespräch" mit der Klägerin) durchgeführt, die zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens führten. Der Klägerin wurde vorgeworfen, durch eine unter dem Instagram-Benutzernamen "E." bereits ausgeübte Tätigkeit als Influencerin (ca. 38.000 Follower) ohne entsprechende Genehmigung gegen die Pflicht aus § 40 BeamtStG i.V. § 49 LBG NRW verstoßen zu haben. Kurz nach Beginn des Disziplinarverfahrens beendete die Klägerin ihre Tätigkeit als Influencerin durch die Deaktivierung des Instagram-Accounts.

Die von der Klägerin beantragte Nebentätigkeit ist nach Einschätzung des Beklagten genehmigungsfähig. Die Entscheidung über den Genehmigungsantrag wurde jedoch bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens zurückgestellt.

Die Klägerin beantragte beim Verwaltungsgericht Münster die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens. Die Beklagte erließ eine Disziplinarverfügung gegen die Klägerin und erteilte ihr wegen ungenehmigter Nebentätigkeit einen Verweis. Das Fristsetzungsverfahren wurde daraufhin übereinstimmend für erledigt erklärt.

Nach Klageerhebung hat das Gericht gegenüber dem Beklagten angeregt, die erlassene Disziplinarverfügung aufzuheben und das eingeleitete Disziplinarverfahren gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 LDG NRW einzustellen.

Die Klägerin beantragt nunmehr, das Disziplinarverfahren gegen sie einzustellen.

Entscheidung

Das VG Münster hat mit dem vorliegenden Urteil vom 19.11.2021 – 13 K 461/10 zur Einstellung eines Disziplinarverfahrens Stellung genommen.

Im konkreten Fall sei das eingeleitete Disziplinarverfahren nach § 33 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 des Landesdisziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LDG NRW) einzustellen, da das dem hiesigen Verfahren zugrunde liegende Beamtenverhältnis durch Entlassung (kraft Gesetzes) geendet habe, die Disziplinarverfügung sei daher unwirksam. Nach dieser Vorschrift werde ein Disziplinarverfahren eingestellt, wenn das Beamtenverhältnis durch Entlassung ende.

Gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 der Laufbahnverordnung der Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen -LVOPol NRW -, außer Kraft getreten am 12.06.2021, habe das Beamtenverhältnis für Kommissaranwärterinnen und Kommissaranwärter bei Bestehen der Laufbahnprüfung in Nordrhein-Westfalen mit Ablauf des Monats geendet, in dem die Prüfungsergebnisse bekannt gegeben worden seien. Im konkreten Fall habe daher das Beamtenverhältnis auf Widerruf der Klägerin geendet.

Eine teleologische Reduktion des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 LDG NRW dahingehend, dass durch entsprechende restriktive Auslegung bei nahtlosem "Übergang" vom Beamtenverhältnis auf Widerruf in das Beamtenverhältnis auf Probe keine "Entlassung" vorliege, sei im Disziplinarverfahren zum Nachteil der Beamtin unzulässig.

Zwar sei es im Rahmen der Rechtsanwendung grundsätzlich möglich, im Wege der teleologischen Reduktion von dem Wortlaut einer Rechtsnorm abzuweichen oder den Geltungsbereich einer rechtlichen (Ausnahme-)Regelung im Wege der Analogie auf bisher ungeregelte Fälle zu erweitern. Dem stehe aber der im Disziplinarrecht zu beachtende Grundsatz "nulla poena sine lege" entgegen.

Beim statusbezogenen Verfahrenseinstellungsgrund des § 33 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 LDG NRW handele es sich um einen generellen persönlichen Ausschließungsgrund für die Fälle, in denen in der Person der Beamtin ein bestimmter Statuswechsel ("Entlassung, Verlust der Beamtenrechte oder Entfernung") stattgefunden und der Landesgesetzgeber in diesen Fällen die Fortführung des Disziplinarverfahrens nicht mehr für notwendig erachtet hat. Eine Verfolgbarkeit entgegen dem eindeutigen Wortlaut (teleologische Reduktion) bzw. über den Wortlauthinaus (Analogie) habe deshalb ohne Ausnahme zu unterbleiben.

Die Klage sei daher im Ergebnis begründet.

Praktische Bedeutung

Das VG Münster macht in diesem Urteil deutlich, dass eine Disziplinarverfügung unwirksam ist, wenn dieser Verwaltungsakt mit endgültiger Einstellung des Disziplinarverfahrens durch das Verwaltungsgericht auf andere Weise erledigt ist. In einem solchen Fall bedarf es nach Auffassung des VG keiner separaten Aufhebung der Disziplinarverfügung.

Das VG kritisiert außerdem, dass im konkreten Fall die bisherigen Feststellungen in der Disziplinarverfügung nicht ausreichend konkret gewesen sind, um die Schwere des Dienstvergehens bemessen zu können. So seien die Dauer der Tätigkeit und der Umfang der erhaltenen (Sach-)Leistungen für die Tätigkeit als Influencerin nicht ermittelt und festgestellt worden. Aus Sicht des VG bleibt auch offen, ob die klagende Polizeikommissarin lediglich gegen die Anzeige- oder auch gegen die Genehmigungspflicht durch die Ausübung einer Tätigkeit als Influencerin verstoßen hat.

Bildnachweis: Tobias Arhelger/stock.adobe.com
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