Covid nach Urlaubsbewilligung
Recht & Verwaltung08 März, 2023

BAG: Ist bewilligter Urlaub wegen nachträglich angeordneter Quarantäne nachzugewähren?

Torsten Herbert, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbands NRW

BAG legt EuGH Frage vor, ob ein bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nachzugewähren ist, wenn beim Arbeitnehmer keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht.

Muss bereits bewilligter Jahresurlaub wegen nachträglicher Quarantäneanordnung nachgewährt werden?

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Gutschrift von acht Urlaubstagen auf seinem Urlaubskonto und in diesem Zusammenhang darüber, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erfüllt wird, wenn für den bereits durch Urlaubsbewilligung festgelegten Urlaubszeitraum durch die zuständige Behörde häusliche Quarantäne wegen des Verdachts auf Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 angeordnet wird. Der Kläger war während der Quarantäne selbst nicht arbeitsunfähig erkrankt.

Der Kläger meint, infolge der nachträglichen Quarantäneanordnung sei hinsichtlich des bereits bewilligten Urlaubs keine Erfüllung eingetreten. Es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Die Beklagte müsse ihm den Urlaub deshalb entsprechend § 9 BUrlG, dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

BAG legt Frage EuGH vor

Das BAG hat das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Bei den geltenden Bestimmungen über die Nichtanrechnung von Urlaub handele es sich um Ausnahmevorschriften, die sich nach nationalem Recht nicht ohne weiteres auf andere urlaubsstörende Ereignisse, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, übertragen ließen.

Die Regelung in § 9 BUrlG sei damit nicht unmittelbar auf in Quarantäne befindliche Ansteckungsverdächtige, die selbst nicht erkrankt seien, anzuwenden. Ein Arbeitgeber sei in einem solchen Fall nach Auffassung des Senats aber auch nicht in analoger Anwendung des § 9 BUrlG zur Nachgewährung des sich mit der Quarantäne überschneidenden Urlaubs verpflichtet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liege nach nationalem Recht weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage vor.

Nach diesen Grundsätzen des nationalen Rechts hätte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf bezahlten Jahresurlaub durch bezahlte Freistellung erfüllt. Der Urlaub wäre im Umfang der Bewilligung ersatzlos erloschen, obwohl der Umstand der behördlich angeordneten Quarantäne für den Arbeitnehmer nicht vorhersehbar und von seinem Willen unabhängig während der Zeit der Freistellung eingetreten sei. Der wegen Ansteckungsverdachts in Quarantäne befindliche Kläger sei jedoch nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, so dass ihm die Urlaubstage während dieser Zeit, in der er Urlaubsvergütung bezogen habe, nicht nach § 9 BUrlG erhalten blieben.

Der Senat könne jedoch nicht abschließend darüber befinden, ob diese Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 der Charta im Einklang stehe, ohne den Gerichtshof anzurufen, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts zugewiesen sei.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits bedürfe es einer Klärung durch den Gerichtshof, ob das Unionsrecht eine innerstaatliche Regelung oder Praxis gestatte, die den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch Freistellung und Fortzahlung der gewöhnlichen Vergütung auch für Zeiten als erfüllt ansehe, in denen die zuständige Behörde nach der Urlaubsbewilligung durch den Arbeitgeber wegen des Verdachts auf Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 häusliche Quarantäne angeordnet habe, oder ob der Urlaub in diesem Fall für den selbst nicht erkrankten Arbeitnehmer nachzugewähren sei.

Der Senat könne es nicht ausschließen, dass der Gerichtshof zu der Einschätzung gelange, der durch die Richtlinie 2003/88/EG gewährleistete Mindestschutz werde durch die Absonderung wegen Ansteckungsgefahr ähnlich einer Erkrankung im Urlaub so wesentlich beeinträchtigt, dass er die Zeit der bezahlten Freizeit nicht in der unionsrechtlich gebotenen Weise nach seinen Vorstellungen gestalten könne und deshalb unionsrechtlich trotz an sich wirksamer Urlaubsfestlegung keine Erfüllung eintreten könne.

Ebenso wie die Erkrankung sei nämlich auch die behördliche Anordnung häuslicher Quarantäne grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig. Der Arbeitnehmer könne die behördliche Absonderung regelmäßig nicht vermeiden, es sei denn, er habe deren Voraussetzung schuldhaft (zB durch eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet) herbeigeführt. Zudem beeinträchtigten Krankheit und Quarantäne den Arbeitnehmer darin, die durch die Urlaubsbewilligung erlangte Freizeit selbstbestimmt zu gestalten.

Praktische Bedeutung der BAG Entscheidung vom 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A) –

Rechtsprechung bisher gespalten

Die überwiegende LAG-Rechtsprechung (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 - 7 Sa 857/21 -; LAG Köln, Urteil vom 13.12.2021 - 2 Sa 488/21 -; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.02.2022 - 1 Sa 208/21 -; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.02.2022 - 10 Sa 62/21 -) hat eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG bei einer Quarantäne während eines bewilligten Urlaubs im Falle fehlender Arbeitsunfähigkeit abgelehnt.

Demgegenüber hat das LAG Hamm mit Urteil vom 27.01.2022 - 5 Sa 1030/21 - entschieden, dass in dieser Konstellation die gewährten Urlaubstage in analoger Anwendung des § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen, sondern nachzugewähren seien – eine Auffassung, der das BAG vorliegend offensichtlich nicht folgt, jedoch nicht abschließend entscheidet, sondern die maßgebliche Grundsatzfrage dem EuGH vorlegt.

Seit 17. September 2022 gesetzliche Klarheit im IfSG

Freilich dürfte die Entscheidung des EuGH bezogen auf den einschlägigen Sachverhalt nur von relativer Bedeutung sein, denn mit Wirkung seit dem 17.09.2022 regelt § 59 Abs. 1 IfSG, dass dann, wenn ein Beschäftigter während seines Urlaubs nach § 30 IfSG, auch in Verbindung mit § 32 IfSG, abgesondert wird oder er sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnung abzusondern hat, die Tage der Absonderung nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden.

Potentielles Einfallstor für weitere Fälle der Nachgewährung?

In jedem Falle dürfte der ausstehenden Entscheidung des EuGH zu entnehmen sein, ob und in welcher Art und Weise der Möglichkeit der Realisierung des Erholungszweckes während des Urlaubs Bedeutung für die Frage einer Nachgewährung zukommt. Würde maßgeblich hierauf abgestellt, könnte über den einschlägigen Kollisionsfall von Urlaubsgewährung und Quarantäne hinaus einer extensiven analogen Anwendung von § 9 BUrlG in anderen Fällen Tür und Tor geöffnet werden.

Torsten Herbert

Torsten Herbert

Rechtsanwalt und Geschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbands NRW. Er führt Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht und ist Chief Editor und Autor der eGovPraxis Personal.
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