20201113-Bild-Interview-Wissensgraphen
Recht & Verwaltung13 November, 2020

"Wissensgraphen werden in Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen"

Christian Dirschl ist Chief Content Architect im Innovation & UX Team von Wolters Kluwer Deutschland und gibt im Interview einen interessanten Einblick in das Thema Wissensgraphen und wie diese aktuell und in der Zukunft eingesetzt werden.

Was sind Wissensgraphen?

Wissensgraphen beschreiben die Welt in einer Netzwerkstruktur und sind eine Kernkomponente der Künstlichen Intelligenz. Das kann man sich vorstellen wie die Erstellung einer Mindmap, in der verschiedene kleinere Netzwerke angelegt werden. Der bekannteste Wissensgraph ist der Google Knowledge Graph. Dieser sorgt beispielsweise dafür, dass wenn man eine Person über Google sucht, verschiedene Informationen bekommt, die immer weiter vom eigentlichen Suchbegriff wegführen. Wenn man zum Beispiel einen Schauspieler sucht, kommt man von der Person zu seinen Filmen, über die Filme wiederum zu anderen Schauspielern usw. So kann man sich an den Informationen entlang bewegen und immer weitere Zusatzinformationen einholen. Diese werden automatisiert zusammengetragen, in den Wissensgraphen abgebildet und schließlich zur Verfügung gestellt. Wissensgraphen helfen aber nicht nur Menschen, sondern eben auch der Maschine, die durch die Wissensgraphen vor allem Hintergrundwissen lernt.

Inwiefern können Wissensgraphen vom Maschinellen Lernen (vor allem Deep Learning) unterschieden werden?

Maschinelles Lernen (vor allem Deep Learning) dient dazu, Muster aus Daten zu erkennen, diese zu extrahieren, die Muster zu modellieren und in neuen Daten wiederzufinden. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Bilderkennung. Man nimmt beispielsweise 100.000 Fotos und trainiert das System so, dass alle Katzen auf den Bildern erkannt werden. Dieses Vorgehen kann auch in der Medizin zum Einsatz kommen, wenn das System auf Röntgenbildern Krebs erkennen soll. Die Maschine kann viele Röntgenbilder erheblich schneller durchschauen als es dem Arzt in einer vergleichbaren Zeitspanne möglich ist. Maschinelles Lernen funktioniert also nach dem Prinzip, dass man aus vielen Bespielen einen Erkennungsalgorithmus baut und diesen auf neue Beispiele anwendet. Wissensgraphen gehen da einen Schritt weiter. Sie können durch weitere Informationen, die übermittelt werden, eine höhere Treffsicherheit erzielen. Aber noch wichtiger ist, dass Wissensgraphen helfen, den größten Schwachpunkt von Deep Learning zu beheben. Der Erkennungsalgorithmus ist für den Menschen zu komplex und es ist von daher nicht möglich ist, Fehler im Programm zu finden, zu verstehen und zu beheben. Der Wissensgraph blickt noch einmal aus der Wissenssicht auf das Thema und trägt so zum besseren Verständnis bei (Stichwort „Explainable AI“).

Wo kommen Wissensgraphen zur Anwendung?

Besonders häufig kommen Wissensgraphen bei Suchmaschinen wie Google zur Anwendung. Das Wissen wird dort vor allem von Menschen gebraucht. Die Maschine selbst nutzt hingegen in Online-Shops beispielsweis die Funktion eines Recommender Systems, um dem Kunden gezielt Produkte anzuzeigen, die diesem vielleicht auch gefallen könnten. In diesem Zusammenhang werden die Zusatzinformationen aus den Wissensgraphen verwendet, um herauszufinden, was aus der gleichen Produktkategorie angeboten werden sollte. Auch Datenbanken wie etwa Geschichtsdatenbanken arbeiten mit Wissensgraphen. Ein anderes Beispiel ist der Einsatz im Maschinenbau. Dort kann durch Wissensgraphen der Verschleiß eines Produkts vorhergesagt werden. Die große Stärke von Wissensgraphen ist, dass man verschiedene Wissensgraphen zusammenführen und aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Gesamtsicht (z.B. bei einem komplexen Gebilde wie einem modernen Offshore-Windrad) schauen kann, ohne den Fokus zu verlieren.

Wie arbeiten wir bei Wolters Kluwer mit diesen Wissensgraphen?

Wir bei Wolters Kluwer Deutschland testen und validieren den Nutzen dieser Technologien gerade auch für unsere Zielgruppen an konkreten Funktionen. Beispielsweise nutzen wir Wissensgraphen in der Produktentwicklung, um auf wolterskluwer-online.de verschiede Fachmodule zu kombinieren. Dabei hilft es, wenn man das Hintergrundwissen über die einzelnen Rechtgebiete heranzieht und so mit dem Wissensgraphen arbeitet. Das ist besonders im Kontext unserer Expertenlösungen wichtig. Wir haben eine semantische Suche über einen Wissensgraphen als Prototyp entwickelt, die eben nicht zu viele - und zu viele irrelevante - Dokumente in der Trefferliste aufführt, wie es sonst in einer normalen Suchmaschine häufig vorkommt. Als besonders erfolgversprechend erweist sich bisher der Hybridansatz aus klassischer Suche, Graphensuche und Nutzervalidierung. So wollen wir die Recherche im Rechtsmarkt in Zukunft noch effizienter gestalten.

Wie wichtig werden Wissensgraphen also in der Zukunft sein?

Wissensgraphen werden in Zukunft eine immer stärkere Rolle spielen. Es geht darum, dass wir neue Arten von Informationen aus verschiedenen Quellen aggregieren. Dabei stehen Netzwerkeffekte im Vordergrund, um beispielsweise Produkte zu personalisieren. Die Arbeit mit Wissensgraphen ist dabei zwingend erforderlich, damit die Maschine schneller und besser versteht, was der Kunde braucht. In Wissensgraphen wird weltweit viel investiert. Daran erkennt man, dass es sich nicht um einen kurzfristigen Trend handelt, sondern diese dringend benötigt werden. Wissensgraphen sind „Gamechanger“, die uns auch die nächsten Jahre begleiten werden. Internationalisierung und Mehrsprachigkeit werden dabei eine entscheidende Rolle einnehmen. Denn hierbei werden Wissensgraphen als Kombinationspunkt benötigt. 

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