Übergangsgestaltung
Recht & Verwaltung06 Dezember, 2022

Übergangsgestaltung

Sicherheit geben in unsicheren Zeiten

Übergänge oder auch sogenannte „Transitionen“ finden sich an vielen Stellen unserer (Bildungs-)Biographie und bringen zum Teil wesentliche Veränderungen der Lebenssituation mit sich. Exemplarisch lassen sich hier der Eintritt in das Berufsleben oder auch der in das Rentenalter nennen, ebenso das Vater- bzw. Mutterwerden oder eben auch der Auszug des Kindes (der Kinder) aus dem elterlichen Haushalt. Zudem gibt es auch im Alltag Übergänge, sogenannte Mikrotransitionen. Hier ist beispielsweise der Übergang vom Wach sein in den Schlaf zu nennen oder auch das Switchen zwischen verschiedenen Rollen, beispielsweise der Rolle als Mutter im heimischen Kontext und das der Mitarbeiterin, Chefin oder Kollegin im beruflichen Setting. Verantwortungen, Tätigkeiten und Erwartungen sind hier unter Umständen ganz unterschiedlich gelagert. Sowohl das in den Schlaf finden als auch der Rollenwechsel kann eine tägliche Herausforderung darstellenMeike Sauerhering, Transferwissenschaftlerin im Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe)

Steht für jemanden ein Übergang bevor, so ist er oder sie nicht mehr ganz in der alten Situation jedoch eben auch noch nicht in der neuen angekommen. (Bildungs-)Übergänge sind per se als unsichere Zeiten zu bezeichnen. Es ist davon auszugehen, dass sich in dieser Phase Entwicklungsverläufe beschleunigen, jedoch auch Schwierigkeiten manifestieren können. Wie sich das Erleben und die Bewältigung für den Einzelnen darstellen, ist sehr individuell und wird von verschiedensten Faktoren beeinflusst. Zentral ist dabei das erfolgreiche Bewältigen von Herausforderungen.

In diesem Beitrag möchte ich mit Ihnen nun einen genaueren Blick auf den ersten normativen Übergang im Bildungssystem werfen: den verpflichtenden Übergang in die Grundschule, der in der Regel von der Kita aus stattfindet. Gemäß dem Modell von Griebel und Niesel (2002; 2011) strukturiert sich diese Betrachtung entlang von drei Ebenen: der individuellen, der interaktionalen sowie der kontextuellen Ebene.

Was bedeutet der Übergang für das Kind (individuelle Ebene)?

Das Kind wird vom Kitakind zum Schulkind. Nehmen wir das ernst, wird schnell deutlich, dass der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule nicht mit dem Tag der Einschulung gleichzusetzen ist. Bereits im letzten Kitajahr nehmen die sogenannten Vorschulkinder eine besondere Position im Gefüge der Kita ein. Fast überall werden für sie gesonderte Angebote bereitgestellt und auch in beinahe jeder Kindertageseinrichtung ist zu hören, dass es für den einen oder die andere auch Zeit wird in die Schule zu kommen, da es ihnen in der Kita langweilig würde und / oder, dass sie die Gruppe aufmischen würden.

Um zu unterstreichen, wie intensiv sich das Erleben an dieser Stelle gestalten kann, möchte ich eine Metapher bemühen: Verstehen wir den Übergang von der Kita in die Grundschule als einen Schritt ins Ungewisse, also stellen wir uns vor, dass wir in vertrauter Umgebung mit verbundenen Augen loslaufen sollen, jedoch in eine Richtung, die wir nicht kennen, über Wege, die uns unbekannt sind, hin zu einem Ziel, dessen Name uns zwar bekannt ist, wir aber nur eine vage Vorstellung davon haben, wie genau es dort sein wird. Je nach Persönlichkeit werden wir vielleicht eine freudige Erwartung spüren, ein aufgeregtes Prickeln und mit Lust auf Abenteuer oder auch Neuem freudig entgegenfiebern. Möglicherweise haben wir aber auch zugleich oder überwiegend Ängste und Sorgen: wie wird es mir gehen, werde ich stolpern, werde ich den Weg finden und es schaffen dort anzukommen, bin ich gut genug oder wird man mich auch dort mögen? Vielleicht bin ich auch traurig, weil ich den Ort, der mir gefällt, verlassen muss.

Schauen wir auf das Erleben des Kindes selbst im Übergang von der Kita in die Grundschule, kann sich das Spektrum seiner Gefühle tatsächlich genau in diesem Feld abspielen. Möglicherweise will es zeigen, dass es zu den Großen gehört und schon alles kennt, und vielleicht produziert der bevorstehende Schritt ins Ungewisse auch überschießende Energien, die nicht immer leicht einzufangen sind.

So ist die Phase des Übergangs durch intensives emotionales Erleben gekennzeichnet und wird von sich verändernden Aufgaben, Erwartungen, Anforderungen und Selbsteinschätzungen begleitet. Die Kinder vollziehen in diesem Transitionsprozess eine Veränderung ihrer Rolle und Identität. Dabei sind sie in besonderem Maße auf Erwachsene angewiesen: die Kinder verfügen über keine eigenen Informationen und Erlebnisse aus dem Kontext Schule. So sind sie davon abhängig, welches Bild ihnen über die Erwachsenen vermittelt wird. Verfügen beispielsweise die Eltern über ein realistisches Bild davon, wie Grundschule inzwischen gestaltet wird oder schöpft sich das, was sie ihren Kindern mitgeben, aus den eigenen biographischen Erfahrungen, die möglicherweise nur noch wenig mit dem Unterricht in einer modernen Grundschule gemein haben? Haben die pädagogischen Fachkräfte, die den Übergang von der Kita in die Grundschule begleiten, konkretes Wissen, das sie an die Kinder weitergeben können? Kann sich das Kind also schon vor der Einschulung ein realistisches Bild von seiner Zukunft, also dem Schulalltag machen?

Mit dem Ende der Kitazeit und dem Eintritt in die Schule ist der Transitionsprozess jedoch nicht abgeschlossen – es schließt sich eine Phase der Akkulturation in der neuen Institution an. Hier müssen wiederum Anpassungsleistungen erbracht werden. Die Kinder müssen in die veränderte Situation hineinwachsen wie zum Beispiel in die Bewertungsstrukturen des schulischen Systems. Solchen Phasen der Veränderung ist gleichermaßen ein beschleunigtes Lernen mit Entwicklungssprüngen wie auch die Gefahr an den Herausforderungen zu scheitern inhärent. Die Einschätzungen darüber, wie belastend der Übergang für die Kinder selbst ist und wie viele Kinder Probleme bei der Bewältigung des Übergangs aufweisen, wird kontrovers diskutiert (vgl. exemplarisch Faust 2012).

Was bedeutet der Übergang für das Kind (interaktionale Ebene)?

Mit dem Wechsel zwischen den Institutionen verändert sich das persönliche Beziehungsgeflecht: Jedes Kind wird einige Kinder und Erwachsene nicht mehr regelmäßig sehen und es werden neue Menschen in sein Leben treten. Erzieher*innen bleiben in der Kindertageseinrichtung zurück und Lehrer*innen werden fortan ein Bestandteil des Lebens sein. Die Kommunikationsstrukturen zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheiden ich in den verschiedenen Kontexten, aber auch das Gruppengefüge beziehungsweise die Klassenstruktur werden sich voneinander unterscheiden. Es werden andere Erwartungen an die Kinder gestellt und das wird auf andere Art und Weise geschehen als sie es bisher gewohnt waren. Das bietet zugleich die Chance etwas zu verändern und sich zu entwickeln, kann aber auch Unsicherheit erzeugen und belastend sein. Wenn wir noch einmal auf die Metapher des Schritts ins Ungewisse schauen, wird sichtbar, dass diese Aspekte ein Teil der Ungewissheit sind. Möglicherweise wechselt ein Freund oder eine Freundin gemeinsam mit in die Schule und das kann Sicherheit auf dem Weg bieten. Die unterschiedlichen Gegebenheiten sind nicht nur individuelle oder spezifische, sondern auch struktureller Art. Das bedeutet, dass Kindertageseinrichtung und Grundschule sich aufgrund unterschiedlicher Institutionslogiken und Traditionen voneinander unterscheiden – wie im Folgenden beschrieben wird.

Was bedeutet der Übergang für das Kind (kontextuelle Ebene)?

Das Erleben und Lernen in der Kita bildet den Erfahrungshorizont der Kinder mit dem sie den Übergang von der Kita in die Grundschule zu bewältigen versuchen. Das in der Kita Gelernte dient als Basis, um den Schulalltag zu bestreiten. Unterscheiden sich die Handlungsroutinen in diesen Institutionen deutlich voneinander, kann das zunächst zu einer Verunsicherung auf Seiten des Kindes führen. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass Kitakinder ihren Tag überwiegend mit selbstbestimmtem Spiel gestalten. Aus elementarpädagogischer Perspektive gilt das intensive kontinuierliche Spiel des Kindes, die selbstvergessene Beschäftigung mit einer Sache - also die Engagiertheit, die sich in solchen Aktivitäten zeigt - als kennzeichnend für Bildungsbewegungen (vgl. Vandenbussche & Laevers 2009) und ist daher wichtig für die Bildungsarbeit in Tageseinrichtungen für Kinder. Erzieher*innen verstehen sich zumeist als Begleiter*innen der Selbstbildungsprozesse von Kindern (Sauerhering 2016). Die Arbeit und Begleitung setzen daher am Kind, seinen individuellen Bedürfnissen sowie spezifischen Interessen und Fähigkeiten an. In der Schule hingegen geht es schwerpunktmäßig um die Vermittlung von Inhalten. Nach und nach gewinnt die Sozialnorm immer mehr Bedeutung gegenüber der Individualnorm: Das Lernen und die Leistungen werden nicht am Kind selbst und dessen Entwicklung gemessen, sondern im Vergleich zur Lerngruppe.

Was bedeutet der Übergang für die Eltern?

Auch für Eltern stellt der Übergang ihres (ersten) Kindes von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule einen Identitätswechsel dar. Sie werden von Kita-Kind-Eltern zu Schulkind-Eltern. Bedeutsam ist das beispielsweise für die Gestaltung und Organisation der Familienzeiten. Selbst wenn es den Eltern beispielsweise möglich wäre außerhalb der Ferienzeiten Urlaub zu machen, geht das mit dem Eintritt des Kindes in die Schule nicht (mehr). Der Schulbesuch ist nicht freiwillig und an feste Zeiten gebunden. Nicht nur im Jahreslauf, sondern auch im Alltag ist die Schulstruktur oftmals starrer als die zahlreicher Kindertageseinrichtungen: Anfangszeiten und Endzeiten sind in der Regel weniger flexibel, sich einen Tag frei nehmen ist kaum möglich usw. Entsprechend kann es sein, dass diese Bedingungen zu einer Veränderung in der Alltagsstruktur in den Familien führen. Gegebenenfalls müssen berufliche Verpflichtungen angepasst oder Unterstützung zur Gestaltung gefunden werden. Vielleicht ist den Eltern auch von Beginn an ein schulischer Erfolg der Kinder sehr wichtig und sie begleiten ihr Kind in der Schulzeit daher ganz anders als zuvor.

Was bedeutet der Übergang für Fach- und Lehrkräfte?

Die Fachkräfte in der Kindertageseinrichtung und die Lehrer*innen sind die professionellen Akteure an dieser Schnittstelle. Im Transitionsansatz von Griebel und Niesel (2002) werden sie als Moderator*innen des Übergangs bezeichnet. Ihre Aufgabe ist es den Übergang zu gestalten. Dazu gehört in der Kita eine gute Schulvorbereitung, die einen Fokus auf Vorläuferfähigkeiten und in der Schule geforderten Kompetenzen legt. Aufgabe der Lehrer*innen ist es an die Bildungsarbeit in der Kita anzuknüpfen und die Kinder in ihrer Entwicklung von Kita-Kind hin zum Schulkind zu begleiten. Dieser Prozess gestaltet sich individuell unterschiedlich – es ist jedoch immer von einer Phase auszugehen, die mehrere Wochen oder auch Monate dauert. Je nachdem wie gut die professionellen Akteure über die Arbeitsweise der je anderen Institution Bescheid wissen, desto besser kann es gelingen die Kinder passgenau zu unterstützen. Sie können dann vorausahnen wo Stolpersteine sind oder auch Rituale aus der Kita übernehmen, um den Kindern einen gewissen Grad an Sicherheit in dieser Zeit der Veränderung und Ungewissheiten zu geben. Gut ist, wenn die Profis hier an einem Strang ziehen und sich – bildlich gesprochen – entgegenkommen, um sich die Kinder auf dem Weg zu übergeben oder sie gar noch eine kurze Weile gemeinsam zu begleiten. Je mehr Transparenz für alle Beteiligten hergestellt werden kann, desto leichter wird es für das Kind (und seine Eltern) den Schritt ins Ungewisse zu wagen, Gutes aus der Kita mitzunehmen und offen zu sein für das Neue, das die Schule mit sich bringt.

Fazit

Die Herausforderungen, die ein Wechsel von der einen Bildungsinstitution in die andere mit sich bringt, ist eine Entwicklungsaufgabe, an der ein Kind wachsen kann, wenn es sie erfolgreich bewältigt. Wird diese Herausforderung hingegen als Überforderung oder auch als Unterforderung erlebt, so kann das zu einem belastenden Bruch in der Bildungsbiografie führen. Da Übergänge Phasen großer Unsicherheit sind, ist es eine zentrale Aufgabe in der Übergangsgestaltung so viel Sicherheit wie möglich zu schaffen. Ein Baustein ist dabei, dass pädagogische Fachkräfte und Lehrer*innen belastbares Wissen über die Arbeit und Handlungsabläufe in der je anderen Institution erlangen. Dieses Wissen hilft ihnen gleichermaßen in ihrer konkreten Arbeit mit dem Kind als auch in der Unterstützung der Eltern. Ein Maximum an Wissen und Information reduziert Unsicherheiten und Ängste. Des Weiteren gilt es Wege zu finden, die Kinder und Eltern bereits vor Schulbeginn zu unterstützen, sich ein Bild von der Schule oder gar vom Schulalltag machen zu können. In dem anspruchsvollen Kita- und Schulalltag stellt das sicherlich eine Herausforderung dar. Auch ohne aufwendige Kooperationsarbeit, kann sich vermutlich niemand über Arbeitsmangel beklagen. Seit nunmehr fast zwei Jahren kommen die Herausforderungen durch die Pandemie hinzu. Kontakte werden eingeschränkt, die Kommunikation ist schon einrichtungsintern kaum verlässlich zu gestalten und gewohnte Abläufe müssen verändert werden. Auch auf die Schulvorbereitung und Überganggestaltung hat das Auswirkungen, bewährte Aktivitäten lassen sich unter Umständen nicht in gewohnter Form durchführen. Dennoch oder vielleicht gerade noch mehr als sonst ist es für die Kinder im Übergang von der KiTa in die Grundschule wichtig, so viel Sicherheit zu schaffen wie eben möglich, denn die Zeiten sind derzeit noch unsicherer als sonst und belasten die (Vor-)Schulkinder zusätzlich.

Literatur

Faust, G., Kratzmann, J. & Wehner, F. (2012). Schuleintritt als Risiko für Schulanfänger? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 26 (3), 197-212.

Griebel, W. & Niesel, R. (2002). Vom Kindergarten in die Schule: Ein Übergang für die ganze Familie. Bildung, Erziehung, Betreuung von Kindern in Bayern.

Griebel, W. & Niesel, R. (2011). Übergänge verstehen und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern. Berlin.

Sauerhering, M. (2016). Das professionelle Selbstverständnis von ErzieherInnen und GrundschullehrerInnen vor dem Hintergrund ihrer pädagogischen Orientierungen. Osnabrück. URL:<https://repositorium.uni-osnabrueck.de/handle/urn:nbn:de:gbv:700-2016031814330 >

Vandenbussche, E., & Laevers, F. (2009). Beobachtung und Begleitung von Kindern. Arbeitsbuch zur Leuvener Engagiertheits-Skala. Düren.
Bildnachweis: skif/stock.adobe.com
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