Technische Huerden Einheitspatent
Recht & Verwaltung03 Februar, 2023

Noch wie oft schlafen bis zum EU-Patent?

Prof. Dr. Henrike Weiden, LL.M. Professorin für Recht in der Digitalisierung an der Hochschule München University of Applied Sciences

Die Geschichte des Einheitspatents ist bekanntlich eine lange Geschichte von Verzögerungen und Verschiebungen. Und wieder dauert es zwei Monate länger, bis das System zu laufen beginnt. Nun könnte man meinen, angesichts der vergangenen Dekaden vorbereitender Arbeiten für ein Patentsystem, das in der überwiegenden Zahl der EU-Mitgliedstaaten gelten wird, käme es auf diese zwei weiteren Monate auch nicht mehr an. Doch das System büßt mit jeder weiteren Verzögerung Vertrauen ein, ohne das die künftige Alternative zu nationalen und europäischen Patenten in der Praxis bedeutungslos sein wird.

Die jüngste Verschleppung, die Verschiebung der Sunrise Period, hatte technisch-organisatorische Gründe. Das Case Management System (CMS) mit seinen strengen Authentifizierungsanforderungen hatte Zugangsprobleme verursacht.

Opt-out für Bündelpatente

Der Reihe nach: Das Einheitspatentgericht wird nicht nur für die EU-Patente, sondern auch für die herkömmlichen Bündelpatente zuständig sein. Die Übergangsregelung des Art. 83 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht sieht vor, dass während einer Übergangszeit Klagen wegen Verletzung oder auf Nichtigerklärung eines EPÜ-Patents auf Antrag von der ausschließlichen Zuständigkeit des Einheitsgerichts ausgenommen werden. Mit Ausübung eines solchen Opt-out verbleibt also die gerichtliche Zuständigkeit für die betroffenen Patente wie bisher bei den nationalen Gerichten. Das Optionsrecht kann (zunächst) sieben Jahre lang ausgeübt werden, sofern das Schutzrecht noch nicht vor dem Einheitsgericht anhängig ist. Es gilt für die gesamte Laufzeit des jeweiligen Bündelpatents.

Das Opt-out kann nur vom materiell-rechtlichen Patentinhaber oder -anmelder erklärt werden. Das bedeutet auch, dass bei Parteienmehrheit alle Mitinhaber den Antrag gemeinsam stellen müssen. Die Inanspruchnahme der Ausnahme von der Zuständigkeit des Einheitsgerichts gilt dann freilich für sämtliche EPÜ-Staaten, in denen das Bündelpatent validiert worden ist. Von der (gebührenfreien) Opt-out-Erklärung kann der Patentinhaber jederzeit zurücktreten, solange das fragliche Patent noch nicht vor einem nationalen Gericht anhängig ist. Diese Opt-in-Entscheidung ist dann final.


Sunrise Period schützt vor Wettlauf gegen klagewillige Parteien

Die so genannte Sunrise Period sollte einen anfänglichen Ansturm auf das Einheitsgericht vermeiden, durch den klagewillige Parteien ihre Kontrahenten vor das UPC ziehen, noch bevor diese ein Opt-out erklären konnten. Diese Übergangsphase dauert drei Monate und soll unmittelbar in den Vollbetrieb des EU-Patentsystems münden. Während dieser Zeit haben Patentinhaber die Möglichkeit eines vorgezogenen, geschützten Opt-out für ihre Bündelpatente. Die Sunrise Period schützt auch während der Übergangszeit erteilte EPÜ-Patente. 

Der Beginn dieser Sunrise Period war für den 1. Januar 2023 angekündigt. Die CMS-Website war vorher schon monatelang im Testbetrieb gelaufen, zu dem auch externe Nutzer Zugang hatten. Doch am 5. Dezember 2022 veröffentlichten der Präsident des Berufungsgerichts, Klaus Grabinski, und der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsausschusses des Gerichts, Johannes Karcher, in der Webpräsenz des Gerichts die Mitteilung, die Sunrise Period sei um zwei Monate verschoben. Begründet wurde der neue Zeitplan damit, dass die Nutzer sich auf diese Weise besser auf die Authentifizierung zur Nutzung des CMS und auf das elektronische Signieren von Dokumenten vorbereiten könnten. 


Case Management System für Opt-out-Erklärungen

Zum Hintergrund: Der Zugang zum CMS erfordert ein Zertifikat auf einem physischen Datenträger (v.a. Smart Card oder USB-Stick). Für das Hochladen von Dokumenten benötigt außerdem jeder User individuell eine qualifizierte Signatur. Beides ist nicht ohne weiteres erhältlich, vor allem in der Kombination. 

Das IT-Team des Einheitsgerichts war daraufhin proaktiv auf die Anbieter zugegangen, die in der Liste der rund 250 Anbieter für die europäisch regulierte eIDAS-Signatur verzeichnet sind. Dazu gehören aus Deutschland zum Beispiel die Deutsche Post, die Telekom, die Bundesnotarkammer, D-Trust oder Atos Information Technology. Auf Grund der Rückmeldungen der eIDAS-Anbieter hat das Gericht eine eigene Liste erstellt, wer die Spezifikationen erfüllen kann, die Voraussetzung für die Teilnahme am CMS und für die elektronische Signatur sind. Auch diese Zusammenstellung hatte das Gericht Ende 2022 veröffentlicht.  

Die wenigsten der eIDAS-Anbieter sind aber in der Lage, 

  • die Anforderungen des Gerichts an die hardware-gebundene Authentifizierung des Nutzers sicherzustellen,
  • ein Zertifikat für eine qualifizierte elektronische Signatur nach der eIDAS-Verordnung zu erstellen, 
  • Zertifikate auch grenzüberschreitend (ggf. auch für Non-EU Kunden) anzubieten und
  • die Identifikation des Kunden virtuell zu ermöglichen.

Von den deutschen eIDAS-Diensten jedenfalls erfüllt keiner sämtliche Spezifikationen. Nutzern aus Deutschland bleibt daher bis auf weiteres nur die Inanspruchnahme ausländischer Dienste.

Übergangsphase im EPA läuft seit 1.1.2023

Entkoppelt von der Sunrise Period ist übrigens die nunmehr fünfmonatige Übergangsphase beim EPA, während derer beim Amt frühe Anträge auf einheitliche Wirkung und Anträge auf Verschiebung der Erteilung gestellt werden können. Sie läuft wie geplant seit dem 1. Januar 2023, und ihr Beginn ist von der Verschiebung der Sunrise Period für die gerichtlichen Verfahren nicht betroffen.

Grundsätzlich kann ein Einheitspatent für jedes europäische Patent beantragt werden, das am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens über das Einheitspatentgericht erteilt wird. Ein früher Antrag auf einheitliche Wirkung stellt sicher, dass mit dem Zeitpunkt, in dem das EU-Patentsystem startet, das Patent als Unionspatent geführt wird. Der frühe Antrag setzt voraus, dass im Rahmen des EPÜ-Verfahrens bereits eine Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ ergangen ist.

Ein Antrag auf Verschiebung der Erteilung ist ebenfalls (nur) in den Fällen möglich, in denen der Anmelder vom Amt bereits eine Mitteilung nach Regel 71 (3) erhalten hat. Solange er auf diese Mitteilung hin sein Einverständnis mit der für die Erteilung vorgesehenen Fassung noch nicht erklärt hat, kann er durch seinen Antrag die Erteilung so lange hinauszögern, bis die ersten Unionspatente erteilt werden können. Auf diese Weise kann der Anmelder ein Einheitspatent erlangen, weil damit die Voraussetzung erfüllt wird, dass es am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens erteilt wird. Ist das System einmal angelaufen, wird der für jedes EU-Patent erforderliche Antrag auf einheitliche Wirkung binnen eines Monats ab Bekanntmachung des Erteilungshinweises nach Erteilung des europäischen Patents möglich sein.

Initialzündung durch Bundesregierung im Februar 2023?

Nach dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht wird jede Ratifikation, jeder Beitritt eines Mitgliedstaats am ersten Tag des vierten Monats nach Hinterlegung der jeweiligen Urkunde wirksam. Da für den Startschuss des Unionspatentsystems nur noch die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist, stimmen sich Bundesregierung, EPA und Einheitsgericht nun eng untereinander ab, wann die Hinterlegung der Urkunde stattfinden soll. Noch ist dieser Akt für Februar 2023 geplant. Wir dürfen deshalb davon ausgehen, dass - Stand heute - das EU-Patentsystem am 1. Juni 2023 endgültig seinen Betrieb aufnimmt. Noch wie oft schlafen?

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