StaRUG-Schranke:  Schon / noch drohend zahlungsunfähig?
Recht & Verwaltung02 November, 2021

StaRUG-Schranke: Schon oder noch drohend zahlungsunfähig?

von Birte Jensen, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht und Partnerin der Sozietät JOHLKE NIETHAMMER PartGmbB

I. Verfahrensschranke: drohende Zahlungsunfähigkeit

Voraussetzung aber auch Grenze für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens ist gemäß § 29 Abs. 1 StaRUG die drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 Abs. 2 InsO.

  • Liegt drohende Zahlungsunfähigkeit nicht vor, steht dies ausdrücklich der gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans entgegen (§ 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG). Insoweit kann außerhalb der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur eine freie Restrukturierung versucht werden. Hintergrund ist der mit der Restrukturierung nach dem StaRUG verbundene mögliche Eingriff in die Rechte der Planbetroffenen, der nicht gerechtfertigt wäre, wenn die einbezogene Planforderung noch voll werthaltig wäre.

  • Sind dagegen die Pflichtantragsgründe für ein Insolvenzverfahren (§§ 17, 19 InsO) bereits eingetreten, ist die Sanierung regelmäßig im Insolvenzverfahren durchzuführen. Hintergrund ist hier der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (§ 1 InsO).

Treten Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache ein, ist dieses durch den Schuldner unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, dem Restrukturierungsgericht gegenüber anzuzeigen (§ 32 Abs. 3 StaRUG).

Das Restrukturierungsgericht wird die Restrukturierungssache daraufhin grundsätzlich aufheben (§ 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG). Hiervon kann es nur absehen,

  • wenn aufgrund des bereits erreichten Sanierungsstands die Überleitung in ein Insolvenzverfahren den Gläubigerinteressen erkennbar zuwiderliefe oder
  • die Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung auf der Kündigung bzw. Fälligstellung von einbezogenen Planforderungen beruht und die Erreichung des Restrukturierungsziels noch überwiegend wahrscheinlich ist. Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss dafür über 50% liegen.

II. Drohende Zahlungsunfähigkeit: Voraussetzungen im Überblick

Gemäß § 18 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner drohend zahlungsunfähig, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Zur Prüfung ist ein Finanzplan zu erstellen, in den

  • die vorhandenen liquiden Mittel sowie

  • die durch Einzahlungen im Prognosezeitraum zu erwartenden liquiden Mittel einzustellen und

  • den Auszahlungen für die bestehenden Verbindlichkeiten und

  • die im Prognosezeitraum noch entstehenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen sind.

Der Prognosezeitraum ist durch das SanInsFoG auf regelmäßig 24 Monate festgelegt worden (§ 18 Abs. 2 S. 2 InsO). In Einzelfällen kann auch auf längere oder kürzere Prognosezeiträume abgestellt werden. (Zu den Einzelheiten: Hamburger Kommentar, InsO-Schröder, 9. Aufl. 2022, § 18 Rn. 9 ff.).

Treten in diesem Prognosezeitraum voraussichtlich die Zahlungsunfähigkeitsvoraussetzungen des § 17 InsO

  • > 10 % der fälligen, durchsetzbaren und ernstlich eingeforderten Zahlungspflichten können

  • > 3 Wochen nicht erfüllt werden

ein, ist der Schuldner bereits jetzt drohend zahlungsunfähig.
(Zu den Einzelheiten der Zahlungsunfähigkeitsprüfung: Hamburger Kommentar, InsO-Schröder, 9. Aufl. 2022, § 17 Rn. 5 ff.).

Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit muss dafür überwiegend wahrscheinlich sein, d.h. wahrscheinlicher als der Nichteintritt (vgl. BGH, ZInsO 2014, 77, Tz. 10 f.). Der Grad der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit wird numerisch mit > 50 % angegeben.

III. Gestaltungsschranke: überwiegende Wahrscheinlichkeit

Auch wenn die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit mit einem Wert versehen wird, handelt es sich im Kern um eine mit Unsicherheiten und Unschärfen behaftete Vorhersage über die zukünftige Entwicklung der Zahlungsfähigkeit. Dies ergibt sich schon im Hinblick auf die ihrerseits prognostisch einzustellenden Ein- und Auszahlungen im Prognosezeitraum. Deren Eintrittswahrscheinlichkeit muss ihrerseits jeweils ebenfalls überwiegend wahrscheinlich sein. Es handelt sich nach allgemeiner Ansicht damit um eine wertende Gesamtbetrachtung des voraussichtlichen Verlaufs. Dem Schuldner bzw. der Geschäftsleitung wird dabei regelmäßig ein gewisser, rechtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt (BGHZ 126, 181, 199 f.).

Dieser Beurteilungsspielraum darf indes nicht dazu verleiten, freie und durch den bisherigen Verlauf nicht gedeckte Annahmen zu treffen, um prognostisch zur Behauptung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit einer (vermeintlichen) Eröffnung der Möglichkeiten eines Restrukturierungsverfahrens zu kommen.

Die „nur“ drohende Zahlungsunfähigkeit muss vielmehr zur richterlichen Überzeugung feststehen (vgl. AG Köln, Beschl. v. 03.03.2021 - 83 RES 1/21, ZInsO 2021, 868, LS 1). Erforderlich aber auch ausreichend ist ein „für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“ (BGH NJW 2019, 3147, Tz. 27). Die Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt im Wege der Amtsermittlung (§ 39 Abs. 1 StaRUG), im Rahmen derer das Restrukturierungsgericht bspw. auch ein Sachverständigengutachten einholen kann.

Solange und soweit sich Beteiligte und Planbetroffene nicht ggfs. abweichend geäußert haben, kann und ist für die Prognose davon auszugehen, dass sich diese wirtschaftlich vernünftig verhalten werden (vgl. Hamburger Kommentar, InsO-Schröder, 9. Aufl. 2022, § 19 Rn. 26 m.w.N.).

Diese Prämisse zugrunde legend, hat das AG Köln in der vorgenannten Entscheidung die Feststellung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit infrage gestellt. Diese war unbelegt damit begründet worden, dass die planbetroffenen Konsortialbanken trotz vorangegangener mehrfacher Kreditverlängerungen die Kredite nicht ein weiteres Mal verlängern würden, so dass mit dem Auslaufen der Kreditlinie Zahlungsunfähigkeit einträte. Nach Auffassung des Restrukturierungsgerichts entsprach die Annahme einer weiteren Verlängerung dagegen nicht nur dem bisherigen Verhalten der Konsortialbanken, sondern wäre zugleich in der konkreten Situation auch rational. Konkrete Anhaltspunkte für ein gegenteiliges Verhalten waren durch das Restrukturierungsgericht dagegen nicht feststellbar. Damit fehlte es der vorgelegten Prognose an der überwiegenden (Eintritts-)Wahrscheinlichkeit.

 

 

Birte Jensen

Birte Jensen

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht und Partnerin der Sozietät JOHLKE NIETHAMMER PartGmbB

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