Start-ups und positive Fortführungsprognose
Recht & Verwaltung22 März, 2022

Start-ups und positive Fortführungsprognose: Same same but different?

von Dr. Annika Schinkel, Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter

Der Weg von einer guten Idee zu einem erfolgreichen Börsengang ist oft steinig. Insbesondere in der Gründungs- und Entwicklungsphase von Start-ups sind diese in der Regel (noch) nicht profitabel und auf die Finanzierungsbeiträge von Gesellschaftern und Investoren angewiesen. Was müssen Gründer mit Blick auf Insolvenzantragspflichten beachten, wenn sich der Investor Zeit lässt, die nächste Finanzierungsrunde platzt und die versprochene Liquidität ausbleibt? Hier rückt der Insolvenzgrund der Überschuldung in den Fokus und im Lichte der jüngeren Rechtsprechung die damit verbundene Frage, ob die positive Fortführungsprognose eines Start-ups besonders zu beurteilen ist.

I. Zwingende Insolvenzgründe im Überblick

Die Geschäftsleitung eines Start-ups sollte die wirtschaftliche Situation des Unternehmens stets intensiv prüfen, um den Insolvenzantragspflichten nachkommen zu können (§ 15a InsO) und eine persönliche Haftung zu vermeiden (§ 15b InsO), falls der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten ist.

  • Zahlungsunfähigkeit
    Ein Unternehmen ist zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 InsO). Nach dem BGH ist regelmäßig zahlungsunfähig, wer über einen Zeitraum von drei Wochen mindestens 10% seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen kann (BGH, Urt. v. 24.05.05, IX ZR 123/04). Eine Ausnahme ist nur dann geboten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, a.a.O.). Dies kann der Fall sein, wenn eine Kapitalerhöhung beschlossen oder ein Darlehen bereits bewilligt wurde und eine Auszahlung unmittelbar bevorsteht; nicht aber, wenn lediglich Investorengespräche laufen oder die Ausgabe neuer Wandelanleihen geplant sind.

Treten Zahlungsstockungen auf, tun Vorstände und Geschäftsführer von Start-ups gut daran, eine engmaschige Liquiditätsplanung für einen Prognosezeitraum von 13 Wochen aufzustellen, um zu überwachen, ob Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder droht. Schwieriger festzustellen ist der Insolvenzgrund der Überschuldung.

  • Überschuldung
    Diese liegt vor, wenn das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 InsO). Hier bedarf es einer zweistufigen Prüfung: Deckt das Vermögen des Unternehmens die bestehenden Verbindlichkeiten nicht und liegt damit eine rechnerische Überschuldung vor, ist die Fortführungsprognose (oder „Fortbestehensprognose“) zu prüfen. Eine Überschuldung ist ausgeschlossen, wenn eine positive Fortführungsprognose vorliegt.

II. Positive Fortführungsprognose bei Start-ups im Lichte der Rechtsprechung

Typisch für Start-up Unternehmen ist, dass in der Anlaufphase im Wesentlichen mehr Schulden als Vermögen vorhanden sind und keine nennenswerten Gewinne realisiert werden. Anders als bei "normalen" Unternehmen liegt die Gewinnerzielungsabsicht der Gründer oftmals im späteren Verkauf von Geschäftsanteilen des Start-up Unternehmens. Operative Geschäftschancen sind daher trotz fehlender Ertragskraft des Unternehmens nicht auf Dauer ausgeschlossen. Umso wichtiger ist es, als Start-up auf eine positive Fortführungsprognose zu achten, ohne die eine Überschuldung und damit die Insolvenzreife gegeben sein kann.

Die Fortführungsprognose ist im Wesentlichen eine Liquiditätsprognose bei der zu beurteilen ist, ob das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (>50%) auch zukünftig (für die nächsten 12 Monate) in der Lage bleibt, seine fälligen und fällig werdenden Gesamtverbindlichkeiten zu zahlen und damit sein Fortbestehen gesichert ist. Aus Sicht eines Start-ups ist entscheidend, inwieweit neben selbst erwirtschafteten Mitteln auch Finanzierungsbeiträge von Kapitalgebern, wie externe Investoren oder auch Gesellschafter, bei der zu treffenden Prognoseentscheidung mit einbezogen werden dürfen.

Mit der Frage der Anforderungen an eine positive Fortführungsprognose bei Start-Up Unternehmen haben sich das OLG Düsseldorf (Beschluss v. 20.07.2021, 12 W 7/21) und unmittelbar davor der BGH (Urteil v. 13.07.2021, II ZR 84/20) beschäftigt.

Das OLG Düsseldorf hat zunächst klargestellt, dass in Fällen von Start-ups die Ertragsfähigkeit ("Selbstfinanzierungskraft") nicht Voraussetzung für eine positive Fortführungsprognose sei, sondern im Schwerpunkt auf die Zahlungsunfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden müsse, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können. Im vorliegenden Fall hatte ein treuhänderisch am Kapital der Gesellschaft beteiligter Investor regelmäßig durch Darlehen die Liquidität des später insolventen Start-ups sichergestellt. Die Zurverfügungstellung weiterer Finanzmitteln hatte er an die Vorlage einer nachvollziehbaren Planung geknüpft. Nach dem OLG Düsseldorf darf der Geschäftsführer von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen, solange nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer das Start-up nicht weiterfinanzieren wird. Ein einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge sei dabei ausdrücklich keine Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose.

Unmittelbar zuvor (und offenbar nur begrenzt vom OLG Düsseldorf berücksichtigt) hatte der BGH einen Fall zu entscheiden, bei dem der Gesellschafter zugunsten des Unternehmens eine Patronatserklärung abgegeben hatte. Danach kann eine positive Fortführungsprognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auf eine sog. weiche Patronatserklärung, die dem Unternehmen keinen Rechtsanspruch auf Liquiditätsausstattung gibt, gestützt werden. Die weiche Patronatserklärung sei lediglich ein Indiz im Rahmen einer validen Ertrags- und Finanzplanung. Zwar scheidet eine positive Fortführungsprognose nach dem BGH nicht bereits deshalb aus, weil die Aufrechterhaltung der Liquidität der Gesellschaft von der Zurverfügungstellung ausreichender finanzieller Mittel durch Dritte, etwa einem Gesellschafter, abhängt, auf die die Gesellschaft (noch) keinen rechtlich verbindlichen Anspruch hat. Zeichne sich allerdings ab, dass die Liquidität im Prognosezeitraum ohne eine Finanzierungsmaßnahme eines Gesellschafters nicht sichergestellt und dieser Gesellschafter nicht mehr bereit ist, den erforderlichen Finanzbedarf unter Inkaufnahme eines Verlustrisikos im Falle der Insolvenzeröffnung zu decken, etwa indem er für zusätzliches Eigenkapital, nachrangiges Fremdkapital oder eine harte Patronatserklärung sorgt, seien grundsätzlich erhebliche Zweifel an einem weiteren Mittelzufluss angezeigt. Der BGH nimmt damit eine deutlich strengere Position hinsichtlich der Berücksichtigung von unverbindlichen Finanzierungsversprechen Dritter bei der positiven Fortführungsprognose ein als das OLG Düsseldorf. Zudem macht der BGH keine Ausnahmen für Start-ups.

III. Ausblick

Im Hinblick auf das Urteil des BGH sollten Start-up Geschäftsführer, die bislang ohne Rechtsbindung eines Investors auf Liquiditätshilfe hoffen konnten, genau prüfen, ob dies auch im Krisenfall geschieht. Spätestens wenn der Investor regelmäßige Zahlungen an neue Bedingungen knüpft oder telefonisch nicht mehr zu erreichen ist, sollten die Alarmglocken läuten. Um keine insolvenzspezifischen Haftungsrisiken einzugehen, sollte daher für Start-ups „more the same than different“ gelten.

Bildnachweis: amnaj/stock.adode.com
Dr. Annika Schinkel
Autorin
Dr. Annika Schinkel
Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter
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