Klassenzimmer
Recht & Verwaltung19 Juli, 2023

Wie die Sitzordnung im Klassenzimmer das Lernverhalten beeinflusst

Verena Hertel: Langjährige Schulleiterin, Arbeits- und Organisationspsychologin (M.A.)

Lesezeit: ca. 6 Minuten

Zu Beginn eines neuen Halb- oder Schuljahres ist oft auch die Sitzordnung im Klassenzimmer ein Thema. Wer sitzt neben wem? Wie sollen die Tische angeordnet werden? Welche Kriterien spielen dafür eine Rolle? Das Thema Sitzordnung beschäftigt auch die Wissenschaft.

In Zeiten des Frontalunterrichts war die Sitzordnung kein großes Thema: Die Schüler:innen saßen gewohnheitsmäßig in Reihen. Wenn man sie wählen ließ, platzierten sich Mädchen und Jungen, zumindest bis zu einem bestimmten Alter, gern getrennt. Ebenso klassisch war, dass die eher leistungsstarken Schüler:innen vorn saßen und hinten diejenigen, die sich im Unterricht auch schon mal für andere Dinge interessierten. Doch zu einem modernen Unterricht passen Reihen und Frontalunterricht nicht mehr. Heute wird im „U“ oder „E“, an Einzel-, Zweier- oder Gruppentischen, im Stuhlkreis oder auch schon mal auf dem Boden gesessen. Doch egal welche Anordnung – sie haben Sitznachbarn.

Erstmal ist es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wohl „normal“, dass sich Schüler:innen mit ähnlichem Hintergrund miteinander anfreunden und zusammensitzen wollen. Gleich und Gleich geselle sich gern. Ungleichheiten würden dadurch allerdings verstärkt, Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten landeten dadurch im Klassenraum beieinander und könnten sich gegenseitig nicht helfen.

Sitzordnung beeinflusst Freundschaften

Schüler:innen freunden sich laut wissenschaftlichen Erkenntnissen häufiger miteinander an, wenn sie nebeneinander sitzen. Das gilt auch für diejenigen, die eher unterschiedlich sind – wenn auch seltener. Sitzen Mädchen und Jungen nebeneinander, verdoppelt sich laut wissenschaftlicher Studie die Wahrscheinlichkeit einer Freundschaft, allerdings auf sehr niedrigem Niveau, von 2 auf knapp 4 Prozent. Größer ist der Effekt bei Schüler:innen mit unterschiedlichen Schulnoten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich anfreunden, steigt bei einer festgelegten Sitzordnung um 6 Prozentpunkte auf 17 Prozent.

Platz nahe der Lehrkraft und Auswirkung auf Lernverhalten

Neben den Sitznachbarn spielt für das Lernverhalten die Nähe zur Lehrkraft eine wichtige Rolle. Wer näher an der Lehrkraft sitzt, kann besser lernen – es spielt keine Rolle, wie gut man sich konzentrieren kann. Um allerdings das Lernen von Schüler:innen mit stärkeren Selbstregulationsschwierigkeiten zu fördern, bedarf es zusätzlicher Unterstützungsmaßnahmen.

Wichtig ist, zu überlegen, wie in einem Klassenraum alle Schüler:innen gleichermaßen von der Nähe zur Lehrkraft profitieren können. Dies kann erreicht werden, indem sich die Lehrkraft während des Unterrichts im Klassenraum reflektiert bewegt. Das setzt eine Anordnung der Tische voraus, die es der Lehrkraft ermöglicht, zu jedem Schüler zu gelangen. Klassische Reihen sind dafür eher ungeeignet.

Bei der Wahl der Sitzordnung ist entscheidend, dass die Anordnung der Tische zur jeweiligen Phase des Unterrichts passt. Die Sitzordnung sollte möglichst sowohl Einzel- als auch Gruppenarbeitsphasen ermöglichen oder ohne großen Aufwand zu ändern sein. Wenn durch das Umstellen in jeder Stunde erst einmal große Unruhe entsteht, beeinträchtigt das die effiziente Nutzung der Unterrichtszeit und dadurch die Klassenführung.

Schüler:innen sollten Platz häufiger wechseln

Nicht nur die Sitzordnung, sondern auch die Platzierung der Schüler:innen im Klassenraum spielt eine wichtige Rolle für das Lernverhalten. Schüler:innen sollten ihren Platz in regelmäßigen Abständen wechseln. Neben der besseren Klassenführung können Lehrkräfte dabei auch der Heterogenität in einer Klasse so begegnen, dass Leistungsunterschiede nicht noch zusätzlich verstärkt werden. Es ist aber nicht damit getan, dass man einen Leistungsschwächeren neben einen Leistungsstärkeren setzt. Es muss Lernaktivitäten geben, die sich diese Heterogenität zunutze machen. Zum Beispiel könnten das Lernstrategien sein, die stärkere den schwächeren Schüler:innen erklären.

Konsequenzen für den Schulalltag

Bei der Verteilung der Schüler:innen auf die Plätze raten Psychologen, auch deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Wenn die Lehrkraft allein über die Sitzordnung und die Platzverteilung im Klassenraum bestimme, könne das Widerstand provozieren und die Stimmung und damit auch das Lernverhalten beeinträchtigen. Statt Top-down sollte man besser gemeinsam, zum Beispiel im Klassenrat, über die Sitzordnung sprechen. Schüler:innen sollten eine Sitzordnung nicht als Strafe empfinden. Das Ergebnis müsse sein, dass alle mit der Sitzordnung einverstanden sind und Vorteile von ihr haben.

Fazit

  • Bevor sich Ihr Kollegium eine Sitzordnung für ihre Klasse überlegen, sollten sie sich einige Fragen stellen:
  • Welche Ziele verfolge ich mit der Sitzordnung?
  • Kann ich alle Schüler:innen auf ihren Plätzen gut erreichen?
  • Hat jedes Kind einen Platz, der seinen Bedürfnissen entspricht? Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn in einer Klasse Schüler:innen mit Einschränkungen sind – wenn sie zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, schlecht hören oder schlecht sehen oder Konzentrationsprobleme haben.
  • Fühlt sich jeder auf seinem Platz wohl, und kann er gut mit seinem Sitznachbarn zusammenarbeiten?
  • Stigmatisiere ich möglicherweise jemanden, wenn ich ihn auf einen bestimmten Platz setze?

Bildnachweis: gpointstudio/stock.adobe.com

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