PEM Schule
Recht & Verwaltung13 Dezember, 2023

Schule der Zukunft - Orientierung der Schulentwicklung an den Megatrends der Gesellschaft

Clemens Kaesler: Schulleiter der Berufsbildenden Schule Neustadt an der Weinstraße

Lesezeit: ca. 10 Minuten

Wie werden Bildungseinrichtungen zukunftsfähig? In diesem Beitrag wird gezeigt, wie die einzelne Schule sich mit den Megatrends der Zukunft (Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Demokratiebildung etc.) auseinandersetzen und strategisch und operativ aus eigenen Mitteln den Wandel hin zur Zukunftsschule schaffen kann.

Zukunft wissenschaftlich antizipieren

Eine Schule der Zukunft zu entwerfen, heißt die zukünftigen Notwendigkeiten und Anforderungen der Gesellschaft an Bildungseinrichtungen antizipieren zu können. Doch wie kann im Heute eine Schule gestaltet werden, die die Kinder von »morgen« auf die Gesellschaft von »übermorgen« vorbereitet. Gerade die letzten 3 Jahre mit der Corona-Pandemie, den immer deutlicher zutage tretenden Probleme durch den menschengemachten Klimawandel sowie die aus dem Krieg resultierende Energiekrise zeigen, dass Annahmen zu Entwicklungen und Trends sehr schnell grundlegend überholt und veraltet sein können.

Nichtdestotrotz bietet die Soziologie mit ihrem Zweig der Zukunftsforschung auch für die Schulentwicklung interessante Ansätze, die helfen, die Schule zukunftsfest zu machen. Der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx prägte den Begriff des Megatrends. Dies sind große Veränderungen einer Gesell

schaft, die global, allumfassend, langfristig und tiefgreifend auf sie einwirken und sie stetig verändern (Horx 2011). Diese Veränderungen erscheinen vielfach chaotisch oder gar zufällig, doch aus einer Metaperspektive ist eine allumfassende Tiefenströmung zu beobachten, die alle Bevölkerungsschichten mit unterschiedlichen Auswirkungen und Konsequenzen erfasst. Dabei werden Megatrends auch mit der Metapher der Lawinen in Zeitlupe umschrieben, sie wirken im Kontrast zu Modeerscheinungen und Trends langsamer, dafür umso mächtiger (https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends/#definition). Die zentralen Merkmale eines Megatrends sind:

  • sie dauern mehrere Jahrzehnte,
  • sie betreffen alle Lebensbereiche,
  • sie sind international ähnlich zu beobachten,
  • sie sind komplex und vielschichtig.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der mittlerweile alles umfassende Megatrend der Digitalisierung. In den 1980er war die Informationstechnologie lediglich ein Thema für Computerspezialisten und bestimmte Abteilungen in Unternehmen. Heute dringt die Informationstechnologie in alle Bereiche, sei es Wirtschaft, Bildung oder Privatleben, vor. Nahezu alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen haben mit ihr – ob sie wollen oder nicht – zu tun. Die digitale Impfterminvergabe für die Corona-Impfungen, der sich auch betagte Rentner alternativlos stellen mussten, ist nur eines von vielen Beispielen.

Die Abgrenzung von Megatrend zu Trend oder zur Modeerscheinung ergibt sich letztlich aus den oben genannten Merkmalen. Trends und Moden sind kurzlebiger und nur auf bestimmte Bereiche fokussiert (z.B. Mode, Technik, Auto etc.), sie flammen kurz auf, verschwinden aber auch wieder folgenlos. Ein Megatrend umfasst vielschichtige, unterschiedliche Wandlungsbewegungen. So ist der Megatrend Digitalisierung einerseits den technischen Neuerungen der Digitaltechnik geschuldet. Diese technischen Neuerungen greifen aber in das Leben der Menschen tiefgreifend und umfassend ein, so dass neue Berufe entstehen und die Art des Zusammenlebens sowie der Kommunikation der Menschen sich grundlegen verändert. Sicherheitsfragen und Datenschutz bekommen eine völlige andere Relevanz, die Art zu arbeiten, aber auch die Freizeitgestaltung wird komplett umgekrempelt.

Nicht jeder Megatrend gibt Anlass für die Schulentwicklung, die Schule umzugestalten und neu denken. Es wird insbesondere dort relevant, wo es Handlungsfelder sind, die unsere Kinder und Jugendlichen direkt betreffen und sie ihre Entwicklungspotenziale besonders aufdecken können.

Welche Megatrends von der Soziologie identifiziert worden sind unterscheidet sich etwas in den gegenwärtigen wissenschaftlichen Publikationen. An dieser Stelle soll auch auf eine umfassende Darstellung aller Megatrends verzichtet werden, eine gute Übersicht bietet z.B. das bereits zitierte Zukunftsinstitut, das von Matthias Horx, einem der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum, gegründet wurde.

Schulentwicklung nach Rolff

Schulentwicklung nach Rolff umfasst die miteinander verwobenen Bereiche der Personalentwicklung, der Unterrichtsentwicklung sowie der Organisationsentwicklung (Rolff 2000). Daraus folgt, dass eine Schulentwicklung, die sich an den Megatrends orientiert, deren Konsequenzen in allen drei Entwicklungsbereichen umzusetzen versucht.

Unbestritten ist, dass die Digitalisierung ein Megatrend ist, der auch bereits in der Gegenwart seine große Wirkung entfaltet. Die gesamte Gesellschaft ist mitten in einem Transformationsprozess zu einer durch und durch digitalen Gesellschaft und Wirtschaft (Burow 2022). Was bedeutet dies für die Schulentwicklung? Die Aufteilung nach Rolff hilft die Komplexität, die die Digitalisierung an Schule stellt, zu reduzieren.

Megatrend Digitalisierung und Personalentwicklung

Digitalisierung im Bereich Personalentwicklung bedeutet zum einen, dass das Kompetenzprofil und die Anforderungen an Lehrkräfte sich beständig verändern und an Komplexität zunehmen. Hier können die Instrumente der Personalentwicklung greifen, indem auf interne oder externe Weiterbildungsmaßnahmen zurückgegriffen wird (off-the-job), aber auch über Mentoring/Coaching (z.B. auch mit Hilfe von Team-Teaching) technologische Neuerungen, aber auch didaktische Innovationen direkt im Klassenzimmer (on-the-job) geübt und umgesetzt werden können.

Megatrend Digitalisierung und Organisationsentwicklung

Digitalisierung im Bereich Organisationsentwicklung greift massiv in die Abläufe und Struktur einer Organisation ein. Die Kommunikationswege werden schneller (E-Mail, Messenger), was folglich die Informationsdichte verstärkt, die Geschwindigkeit der Kommunikation wesentlich erhöht und die Verfügbarkeiten des Kommunikationskanäle ausweitet (z.B. früher eine Elternsprechstunde beim Klassenlehrer einmal pro Woche, heute Dauerverfügbarkeit einer Direktkommunikation über Messenger und E-Mail). Im Idealfall entlastet eine »wohldosierte« Digitalisierung der Organisation die Verwaltung und macht Arbeitsprozesse schlanker und effizienter. Leider ist in der Praxis aber auch ein gegenteiliger Effekt zu beobachten. Die vielfältigen Möglichkeiten der Datenverfügbarkeit erhöht den Datendurst aller Prozessbeteiligten, die Arbeitsintensität mit den Daten nimmt dadurch zu, folglich auch die Arbeitsbelastung. Eine Schulleitung benötigt ein gesundes Maß, in welchem Umfang ein Kollegium, aber auch die Schulverwaltung in ihrer Organisation digitalisiert werden kann und soll.

Megatrend Digitalisierung und Unterrichtsentwicklung

Digitalisierung wirkt massiv auf den Unterricht ein. Eine konzeptionelle digitale Unterrichtsentwicklung findet eine gute Orientierung im sog. SAMR-Modell, auch Stufenmodell der Digitalisierung genannt (Kaesler 2021). Das Modell beschreibt, wie Digitalisierung von der einfachen Substitution analoger Prozesse zu einer völligen Neugestaltung des gesamten Unterrichtsgeschehens (Redefinition) wirken kann. Wie das SAMR-Modell in die Schulentwicklung implementiert werden kann, wurde bereits in der Schulverwaltung Spezial in der Ausgabe Januar 2022 beschrieben.

Megatrend Nachhaltigkeit

Es wäre fatal, wenn vor lauter Digitalisierung andere Megatrends aus dem Blick geraten würden. Angesichts der bereits gegenwärtigen Klimakatastrophe muss auch der Megatrend Nachhaltigkeit (auch Mega-Trend Neo-Ökologie genannt) in die Schulentwicklung aufgenommen werden. Eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Megatrend zeigt, dass der Megatrend »Nachhaltigkeit« weit über die Einrichtung einer Umwelt-AG oder die Verwendung von Recycling-Kopierpapier hinausgeht. Bei diesem Megatrend geht es darum, dass ein neues Werte-Set etabliert werden muss, das in jeden Alltagsbereich hineinreicht. Auch hier hilft das Schulentwicklungsmodell nach Rolff wieder die Komplexität handhabbar und für die Praxis umsetzbar zu machen (hierzu auch der Schwerpunktartikel von Herrn Gebert in dieser Ausgabe).

Megatrend Demokratieerziehung

Die gegenwärtigen Demokratien werden außenpolitisch durch autokratische Regime bedrängt, innenpolitisch durch populistische Bewegungen in Frage gestellt. Eine Demokratie benötigt für ihr Überleben und ihre Weiterentwicklung deshalb mündige Bürger*innen, die die Bedeutung eines demokratisches Werte-System erkannt haben und dafür einstehen, woraus sich ein klarer Auftrag für alle Schulen der Zukunft ergibt. Nach Horx braucht eine Demokratie hierzu immer wieder eine systemische Erneuerung, ein »re-thinking« und ein »re-doing« (https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/neo-politik-evolution-der-demokratie/). Nach Burow benötigt eine Schule der Zukunft eine klare Fokussierung auf »Demokratie und Gerechtigkeit leben« (Burow 2022). Entsprechend wird deutlich, dass Demokratieerziehung nicht ausschließlich ein didaktisiertes Thema des Sozialkundeunterrichts verbleiben darf, sondern in der Schulentwicklung in allen drei Entwicklungsbereichen nach Rolff verankert sein muss. In der Personalentwicklung geht es hierbei insbesondere um die demokratische Partizipation der Lehrkräfte am Schulentwicklungsprozess, aber auch in Bezug auf die persönliche Entwicklung der individuellen Kompetenzen um eine klare Orientierung in der Demokratiepädagogik und deren Integration in das eigene unterrichtliche Handeln. Im Bereich Organisationsentwicklung stehen insbesondere die partizipatorische Integration der bereits etablierten Gremien wie Schüler-, Elternvertretung, Gesamt- und Fachkonferenzen mit ihren verbrieften Rechten im Vordergrund. Im Bereich Unterrichtsentwicklung ergibt sich ein weites Feld der Demokratiepädagogik in Form von Projekten, aber auch in der generellen Einstellung der Lehrkräfte, die Schüler*innen an den Entscheidungen zum Unterrichtsgeschehen demokratisch einzubinden.

Fazit

Die beschriebenen Megatrends sind in aller Munde, von dem her muss die Notwendigkeit für ihre Integration hier nicht nochmals ausführlich begründet werden. Für die Schulentwicklung viel spannender ist, wie die Komplexität der Megatrends in der Schule auf noch handhabbare Arbeitspakete und Veränderungsprozesse heruntergebrochen werden kann, so dass sie für die Qualitätssicherung steuerbar und für eine Schule als Gesamtsystem verkraftbar bleiben. Die vielfach beschriebenen Entwicklungsfelder der Schulentwicklung nach Rolff bieten hierzu eine gute Struktur und Orientierung und bieten auch über die Kriterien der für Schulen formulierten Qualitätsrahmen gute Ansatzmöglichkeiten, wo Schulleitung proaktiv gestalten können, ohne das System Schule zu überfordern oder mit den gesellschaftlichen Ansprüchen zu überfrachten.

Literaturtipps:

Burow, Olaf-Axel (2022): Schule der Zukunft: Sieben Handlungsoptionen.
Kaesler, Clemens (2021): Wie entsteht ein pädagogischer Mehrwert durch Digitalisierung? SchulVerwaltung Spezial, Ausgabe 01/2021, S. 42–45.
Kaesler, Clemens (2022): Qualitätssicherung in der digitalen Bildung – Aufgaben für das Schulmanagement. In: SchulVerwaltung Spezial, (2022/01) »Qualitätssicherung in der digitalen Bildung«, S. 37–41.
https://www.zukunftsinstitut.de/dossier/megatrends/#12-megatrends

Bildnachweis: Day Of Victory Stu./stock.adobe.com

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