arbeitszeit
Recht & Verwaltung17 Mai, 2023

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften

Prof. Dr. Gerhard Ring, Bernau bei Berlin
Im Nachgang zum Urteil des EuGH vom 14.5.2019, Az. C-55/18 und zum Beschluss des BAG vom 13.9.2022, Az.1 ABR 22/21 hat das BMAS am 27.3.2023 den lang erwarteten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften vorgelegt. Dieser widerspiegelt zwar die gerichtlichen Vorgaben, belässt aber den Unternehmen in der konkreten Anwendung wenig Spielraum und ist letztlich der notwendig werdenden Flexibilisierung der Arbeitszeit in der digitalen Welt und auf dem modernen Arbeitsmarkt nicht zuträglich.

Das Urteil des EuGH vom 14.5.2019, Az. C-55/18

Der EuGH hat auf einen spanischen Vorlagebeschluss hin festgstellt, dass die Art. 3, 5 und 6 der EuArbZRL 2003/88 im Licht von Art. 31 Abs. 2 der EuGrCh und der Art. 4 Abs. 1, 11 Abs. 3 und 16 Abs. 3 der EuArbSchRL 89/391 dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH, a.a.O., Rn. 60), da die objektive und verlässliche Feststellung der täglichen oder wöchentlichen Arbeitsstunden grundlegend für die Beurteilung ist, ob die wöchentliche Höchstarbeitszeit und die täglichen oder wöchentlichen Mindestruhezeiten eingehalten werden (EuGH, a.a.O., Rn. 49).

Der Beschluss des BAG vom 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21

Das BAG hat konstatiert, dass dem Betriebsrat kein – über ein Einigungsstellenspruch durchsetzbares – Initiatativrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zur Einführung eines elektronischen Systems zusteht, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden soll, weil die Arbeitgeber bereits nach der arbeitsschutzrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, für die der Gesetzgeber nicht auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der EuArbZRL 2003/88 eine von den Vorgaben in Art. 3, 5 und 6 Buchst. a dieser RL abweichende Regelung getroffen hat.

Das (noch) geltende Arbeitszeitrecht

Nach § 1 Nr. 1 ArbZG will das deutsche Arbeitszeitrecht die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung gewährleisten und zugleich die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten verbessern. Obgleich die EuArbZRL den in § 3 S. 1 AbZG gesetzlich fixierten Achtstundentag als überschießende Umsetzung der RL in Deutschland nicht vorgibt, darf die werktägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers – d.h. die „Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen“ (§ 2 Abs. 1 S. 1 1. Hs. ArbZG) – i.d.R, acht Stunden nicht überschreiten. Die werktägliche Regelarbeitszeit kann gemäß § 3 S. 2 ArbZG ausnahmsweise bis zu zehn Stunden verlängert werden – aber nur, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Die §§ 5 Abs. 1, 4 und 9 ff. ArbZG normieren Ruhezeitvorgaben und § 3 iVm §§ 9 ff ArbZG eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden je Siebentageszeitraum.

Die Überwachung der Einhaltung der Arbeitszeit erfolgt nach § 17 Abs. 1 ArbZG den nach Landesrecht zuständigen Behörden.

Eine allgemeine gesetzliche Aufzeichnungspflicht bestand – vor der Entscheidung ds BAG – nach § 16 Abs. 2 ArbZG nur für die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit, nicht jedoch für die Gesamtarbeitszeit, Pausen und Ausgleichszeiten. Besondere Aufzeichnungspflichten bestanden nur für bestimmte Bereiche nach § 21a Abs. 8 S. 1 ArbZG für Arbeitnehmer im Straßentransport, § 8 Offshore-ArbZV, § 10 Abs. 1 BinnSchArbZV, § 6 Abs. 1 GSA Fleich (Pflicht zur elektronischen und manipulationssicheren Arbeitszeitaufzeichnung) bzw. gemäß § 17 Abs. 1 MiLoG, § 19 Abs. 1 AEntG sowie § 17c Abs. 1 AÜG.

Seit dem Grundsatzurteil des BAG besteht auf der Grundlage der vom Gericht durch Rechtsfortbildung angenommenen Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG eine umfassende Verpflichtung der Unternehmen zur vollumfänglichen Erfassung und Dokumentation der täglichen Arbeitszeit von deren Beginn bis zum Ende einschließlich der Überstunden – eine Verpflichtung, die jedoch nicht unmittelbar bußgeldbewehrt ist. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmern (mit wenigen Ausnahmen, wie etwa leitenden Angestellten) nicht nur ein Zeiterfassungssystem zur Verfügung zu stellen. Er muss auch dafür Sorge tragen, dass sie das System tatsächlich nutzen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 bzw. Nr. 7 BetrVG erfasst nicht das „Ob“, sondern nur das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung.

Der Referentenentwurf des BMAS

Nach dem Referentenentwurf in Gestalt eines Artikelgesetzes soll vor allem die Regelung über die Zeiterfassung in § 16 ArbzG-RefG bis voraussichtlich drittes Quartal 2023 eine umfassende Änderung erfahren – Art. 1 betrifft das ArbZG und Art. 2 das JuArbSchG. Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, ab Inkrafttreten des Gesetzes den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung der betroffenen Arbeitnehmer (d.h. nach dem ArbzG alle Arbeiter und Angestellten und die zur Berufsausbildung Beschäftigten, mithin neben Azubis auch Praktikanten, Volontäre oder Studenten eines dualen Studiengangs) elektronisch aufzuzeichnen und für mindestens zwei Jahre aufzubewahren (§ 16 Abs. 2 ArbzG-RefE). Nicht erfasst werden Beamte und Richter.
Hinweis: Der EuGH hat bereits am 9.9.2021 festgestellt – Az.C-107/19, dass Bereitschaftszeiten grundsätzlich vollumfänglich als Arbeitszeit gelten, womit sie auch von der Aufzeichnungspflicht erfasst werden – anders als Rufbereitschaft (BAG, Urt. vom 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, NZA 2007, 155), die damit grundsätzlich (vgl. aber BAG, Urt. v. 27.7.2021 – 9 AZR 448/20, NJW 2022, 206 – anders im Fall einer damit einhergehenden erheblichen Einschränkung, sofern keine freie Einteilung der Freizeit mehr einhergeht) nicht erfasst werden muss.

Die Arbeitszeiterfassung kann nach § 16 Abs. 3 ArbzG-RefE auf den Arbeitnehmer oder einen Dritten (z.B. einen Vorgesetzten) subdelegiert werden, wobei der Arbeitgeber jedoch für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich bleibt (und dieser die Arbeitnehmer dann ggf. zur ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen anleiten und schulen muss). Wenn die Arbeitszeitaufzeichnung – wie im Fall der Vertrauensarbeit – durch den Arbeitnehmer erfolgt und der Arbeitgeber auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet, muss er gemäß § 16 Abs. 4 ArbzG-RefE durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Damit bleibt Vertrauensarbeit als flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem der Arbeitgeber im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer auf eine spezifische Fixierung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit (d.h. deren Beginn und Ende) verzichtet, grundsätzlich unter Beachtung von § 16 Abs. 3 und 4 ArbZG-RefE (Vereinbarung einer Subdelegation und eines Kontrollverzichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer) weiter möglich, wenngleich die Restriktionen letztlich eine Neudefinition des traditionellen Verständnisses von Vertrauensarbeit i.S. eines eivernehmlichen Verzichts der Arbeitszeitaufzeichnung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeiführt.

Der Arbeitnehmer hat nach § 16 Abs. 5 ArbzG-RefE einen Auskunftsanspruch über die aufgezeichnete Arbeitszeit (was sich bereits aus Art. 15 DSGVO ergibt), der durch Einsichtnahme in das elektronische Arbeitszeiterfassungssystem erfüllt werden kann.

Die Neuregelungen sollen gemäß § 16 Abs. 7 ArbzG-RefE teilweise durch einen Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung tarifdispositiv gestellt werden können mit der Möglichkeit einer Aufzeichnung in nichtelektronischer Form oder an einem anderen (spätestens aber des siebten der Arbeitsleistung nachfolgenden) Wochentag. Insoweit soll auch die Möglichkeit bestehen, von der Aufzeichnungspflicht gänzlich abzusehen bei Arbeitnehmern, „bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann“.

Im Übrigen soll nach § 16 Abs. 8 ArbzG-RefE eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung für die Aufzeichnungspflicht in elektronischer Form eröffnet werden. Arbeitgeber mit bis zu 10 Arbeitnehmern sollen die Arbeitszeit auch in nichtelektronischer Form aufzeichnen dürfen. Gleiches gilt in Bezug auf Hausangestellte in einem Privathaushalt.

Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht (Nichtvornahme, nicht richtige oder unvollständige, nicht ordnungsgemäße bzw. nicht fristgerechte Aufzeichnung) bzw. den Informationsanspruch des Arbeitnehmers sollen nach § 22 Abs. 1 Nr. 9 bzw. 10 ArbzG-RefE bußgeltbewehrt sein und als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld bis zu 30.000 Euro belegt werden können (§ 22 Abs. 2 ArbzG-RefE).

Vorläufiges Fazit

Der RefE versucht die bislang aufgrund der EuGH- bzw. BAG-Entscheidung noch offenen Detailfragen als erwartbare Minimalversion unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsvorgaben zu regeln.

Er schafft zwar Rechtssicherheit, füllt den dem Gesetzgeber im Rahmen der EUArbZRL verbliebenen Gestaltungsspielraum jedoch bei weitem nicht aus und bildet damit nicht den „großen Wurf“ für eine moderne und effiziente Arbeitszeitgestaltung im Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Letztlich führt der RefE zu einer Entwertung der individuellen Eigenverantwortung.

Der Gesetzgeber stärkt umgekehrt auf kollektiver Ebene den Einfluss der Tarifvertragsparteien in Bezug auf die Möglichkeit, eng begrenzt von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für bestimmte Arbeitnehmer ganz abzusehen, eine andere Form als eine elektronische Aufzeichnung und eine längere Frist für die Aufzeichnung (bis zu sieben Kalendertage) vorzusehen. Dies geht über den vorgegebenen Rahmen des EU-Richtlinienrechts auch in der Interpretation des EuGH hinaus.

Die Möglichkeit eines völligen Absehens von der Arbeitszeiterfassungspflicht beruht auf Art. 17 Abs. 1 EuArbZRL. Der RefE will damit eine Ausnahmemöglichkeit für Führungskräfte, herausgehobene Experten oder Wissenschaftler schaffen. Sollte aber etwa die gerade am 1. Mai von der SPD-Co-Vorsitzenden Esken geforderte Viertagewoche (so damit nicht zugleich eine 20%ige Lohnerhöhung einhergehen würde) weiterverfolgt werden, müsste die tägliche Arbeitszeit (bei einer 38-Stunden-Woche) auf 9 ½ Stunden im Einklang mit der EuArbZRL erhöht werden. Bereichsausnahmen fehlen ganz.

Das im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aufgestellte Postulat einer Stärkung von Vertrauensarbeit erfährt keine wirkliche Stütze – viele Details bleiben insoweit, aber auch mit Blick auf den Aspekt mobilen Arbeitens, im Nebel, ebenso wie kurzfristiges Arbeiten (Mailbefassung) am Abend bzw. in der Freizeit.

Unklar bleibt weiterhin, ob die Aufzeichnungspflicht sich auch auf Ruhe- und Pausenzeiten (vgl. § 4 ArbZG) bezieht. Es steht zu hoffen, dass diese Probleme und Fragestellungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einer arbeitnehmerfreundlichen Lösung zugeführt werden.
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