Kryptomärkte MiCAR-Prospektrecht
Recht & Verwaltung11 August, 2023

Publizität auf Kryptomärkten: MiCAR-Prospektrecht für Zahlungstoken

Prof. Dr. Sebastian Omlor, LL.M. (NYU), LL.M. Eur.*

Die neue MiCAR wird ein eigenständiges Publizitätsregime für bestimmte DLT-Zahlungstoken errichten, das zum bestehenden Prospektrecht abgegrenzt werden muss. Der Beitrag untersucht diese neuartigen Publizitätspflichten für E-Geld-Token und vermögenswertreferenzierte Token und versucht zugleich, eine kohärente Systematik der neuen Whitepaper-Publizität zu entwickeln.

I. MiCAR ante portas

Die »Verordnung über Märkte für Kryptowerte« (Regulation on Markets in Crypto-assets – MiCAR)1 ist Ende Juni 2023 in Kraft getreten. Damit geht ein mehrjähriges Gesetzgebungsverfahren zu Ende.2 Europa steht nunmehr am Vorabend eines neuen Binnenmarkts für Kryptowerte, der erstmals unionsweite Vorgaben für die Kryptomärkte aufstellt. Im Fokus der MiCAR stehen nicht nur kapitalmarktrechtliche Fragen von Kryptowerten, wie sie im Kontext von öffentlichen Angeboten (z.B. bei ICOs oder STOs)3 entstehen. Vielmehr wendet sich die MiCAR in einem weiteren Schwerpunkt gerade auch solchen Kryptowerten zu, die als Zahlungsmittel verwendet werden. Die Förderung des Zahlungsverkehrs gehört zu den zentralen Regelungsanliegen der MiCAR.Dabei beschränkt sich die Verordnung nicht nur auf – aus Sicht der deutschen Dogmatik – aufsichts- und bankvertragsrechtliche Vorgaben. Erstmals statuiert sie spezifische Publizitätspflichten in Bezug auf Zahlungstoken.5 Mit der Pflicht zur Veröffentlichung eines Whitepapers und den inhaltlichen Anforderungen an Marketing-Mitteilungen betritt der unionale Gesetzgeber Neuland. Als problematisch erweist sich insbesondere das Verhältnis zur Prospekthaftung, da das Whitepaper formal nicht als Prospekt im technischen Sinn eingeordnet wird, materiell aber eine offenkundige Nähe aufweist. Nachfolgend sollen diese Neuregelungen und das systematische Spannungsfeld zum klassischen Prospektrecht beleuchtet werden.

II. MiCAR-Zahlungstoken

Ihrem sachlichen Anwendungsbereich zufolge beschränkt sich die MiCAR auf die Regulierung von Kryptowerten, die als weiter Oberbegriff für verschiedene Unterformen dienen. Die Legaldefinition (Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 MiCAR) orientiert sich an dem Begriff der »virtual assets« in den FATF-Empfehlungen.6 Für den Zahlungsverkehr von Relevanz sind die E-Geld-Token und die vermögenswertreferenzierten Token. Während E-Geld-Token geborene Zahlungsmittel sind, handelt es sich bei vermögenswertre-ferenzierten Token lediglich um gekorene Zahlungsmittel. Vermögenswertreferenzierte Token müssen nicht als Zahlungsmittel ausgerichtet sein, sondern können ebenso Anlagezwecken dienen. Auch das Rechtsgewand von E-Geld-Token und vermögenswertreferenzierten Token unterscheidet sich zum Teil erheblich, weil E-Geld-Token als E-Geld eingeordnet und damit dem EU-Zahlungsdiensterecht unterworfen werden.7 Demgegenüber verzichtet die MiCAR für vermögenswertreferenzierte Token auf bankvertrags- und zahlungsverkehrsrechtliche Begleitregelungen. Die Gemeinsamkeit beider Kryptowerte besteht aber darin, dass es sich jeweils um Erscheinungsformen der gesetzlich nicht definierten Kategorie der sog. Stablecoins handelt. Lediglich die Mechanismen zur Erreichung einer gewissen Wertstabilität unterscheiden sich. Bei E-Geld-Token stabilisiert der jederzeitige Rücktauschanspruch zum Nennwert, bei vermögenswertreferenzierten Token die Anbindung an die Vermögenswertreserve.8

III. Publizitätspflichten bei E-Geld-Token

1. Whitepaper

Anders als reguläres E-Geld benötigen E-Geld-Token ein zugehöriges Whitepaper als besonderes Publizitätsinstrument. Weder die E-Geld-Richtlinie 2009/110/EG noch das umsetzende Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG) sehen als Voraussetzung für die Ausgabe von E-Geld besondere Publizitätspflichten gegenüber der Öffentlichkeit vor. Für die Erlangung der Erlaubnis nach § 11 ZAG ist ein Erlaubnisantrag zu stellen, dessen Adressatin ausschließlich die zuständige Aufsichtsbehörde ist. Da es sich bei E-Geld nicht um Wertpapiere im Sinne der Prospekt-Verordnung9 handelt,10 bedarf es auch keiner Erstellung eines solchen Prospekts. Materiell führt Art. 51 MiCAR damit auch für E-Geld-Token eine Prospektpflicht ein, die sich jedoch vielfach von dem klassischen Prospekt der Prospekt-Verordnung unterscheidet.Gemeinsam ist beiden Prospekten, dass sie digital auf einer Website veröffentlicht werden können. Beim klassischen Prospekt werden bestimmte Websites als geeignet aufgelistet (Art. 21 Abs. 2 ProspektVO). Beim Whitepaper hat die Veröffentlichung zwingend auf der Website des Emittenten zu erfolgen (Art. 51 Abs. 12–13 MiCAR). Ein wesentlicher Unterschied zeigt sich aber im Verfahren der Prospekterstellung. Während der klassische Prospekt einer Prüfung und Billigung durch die zuständige Behörde bedarf (Art. 20 ProspektVO), erfolgt eine solche beim Whitepaper für E-Geld-Token nicht. Um Missverständnisse beim Publikum zu vermeiden, ist ein diesbezüglicher Hinweis auf der ersten Seite des Whitepapers anzubringen (Art. 51 Abs. 3 MiCAR). Den Katalog der für das Whitepaper erforderlichen Informationen enthält die Verordnung selbst in ihrem Anhang III, auf welchen Art. 51 Abs. 1 MiCAR verweist. Insofern wurde auf die Erleichterungen und Flexibilitäten bei Änderungen verzichtet, die die Form der delegierten Verordnung mit sich bringt. Es besteht ebenfalls ein formaler Unterschied zur Prospektverordnung, die die inhaltlichen Anforderungen an den Prospekt sowohl in ihren Anhängen I bis Va sowie in zwei delegierten Verordnungen der Kommission11 konkretisiert werden. Durch den Inhalt des Whitepapers sollen potentielle Erwerber in die Lage versetzt werden, eine informierte Kaufentscheidung zu treffen und hierzu die mit dem Erwerb verbundenen Risiken zu verstehen.12 Ein besonderes Augenmerk richtet die MiCAR auf die Information des Publikums über den Rücktauschanspruch, der mit E-Geld-Token verbunden ist.13 Aus Sicht der bestehenden E-Geld-Regulierung handelt es sich dabei zwar nicht um eine Novität (§ 33 Abs. 1 ZAG). Für Zahlungstoken, die in dezentralen Systemen ausgegeben werden, fehlte es bislang jedoch an einer gesetzlichen Regelung und an einer entsprechenden Verkehrsübung. Vor diesem Hintergrund handelt es sich um eine bedeutsame Information. Daher ist sie nicht nur zusammen mit den übrigen Informationen im Whitepaper aufzuführen, da es sich um Angaben zu den mit E-Geld-Token verbundenen Rechten handelt (Art. 51 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. d) i.V.m. Teil D Anhang III MiCAR). Vielmehr wird der Rücktauschanspruch einschließlich seines Inhalts und des Verfahrens seiner Geltendmachung zum Gegenstand einer dem Whitepaper voranzustellenden Zusammenfassung erhoben (Art. 51 Abs. 6 MiCAR).

2. Haftung für fehlerhafte und fehlende Whitepaper

a) Einordnung als spezialgesetzliche Prospekthaftung

Um die Richtigkeitsgewähr der Angaben in einem Whitepaper zu erhöhen, bedarf es einer Haftung für fehlerhafte Informationen. Da es sich nicht um einen Prospekt i.S.d. Prospektrechts handelt, scheidet eine Haftung nach § 306 KAGB, §§ 20 f. VermAnlG und §§ 9 f., 14 WpPG aus. Stattdessen ordnet die MiCAR selbst eine Haftung für fehlerhafte Whitepaper an. Auf die Frage des Verhältnisses dieser spezialgesetzlichen Prospekthaftung zur bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung für fehlerhafte MiCAR-Whitepaper kommt es daher nicht an.14 Mit Art. 52 Abs. 1 MiCAR existiert – ebenso wie in Art. 22 MiCAR – ein eigenständiger Haftungstatbestand, der erweiternder Teil der spezialgesetzlichen Prospekthaftung geworden ist.

b) Sekundärrechtliche Anspruchsgrundlage

Die Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch des Inhabers von E-Geld-Token bildet Art. 52 Abs. 1 MiCAR.15 Eines ergänzenden oder ersetzenden Rückgriffs auf das nationale Zivilrecht bedarf es nicht.16 Als Teil einer Verordnung wirkt die Vorschrift unmittelbar in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedürfte (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Auch finden sich sämtliche Tatbestandsmerkmale mit Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen in Art. 52 Abs. 1 MiCAR. Der zweite Unterabsatz stellt klar, dass es sich dabei der Rechtsnatur nach um eine zivilrechtliche Haftung handelt; es liegt keine aufsichtsrechtliche Norm ohne intendierten Individualschutz vor. Zudem leitet sich aus Art. 52 Abs. 5 MiCAR im Umkehrschluss ab, dass in den vorherigen Absätzen eine eigene Haftungsgrundlage bereits geschaffen wurde, wenn dort von »sonstige(r)« Haftung nach mitgliedstaatlichem Zivilrecht gesprochen wird.Aus Sicht des deutschen Privatrechts bedarf es daher keines Rückgriffs auf § 280 Abs. 1 BGB und ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB. Angesichts der Vollständigkeit des sekundärrechtlichen Haftungstatbestands kommt auch nicht in Betracht, aus der MiCAR lediglich die Vorgaben zur Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale des § 280 Abs. 1 BGB, wie bspw. der Pflichtverletzung, zu entnehmen.

c) Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Zivilrecht

Ist der Haftungstatbestand vollständig auf Verordnungsebene verortet, folgt daraus jedoch nicht die gänzliche Unanwendbarkeit des nationalen Privatrechts auf solche Ansprüche. Das in Art. 1 MiCAR zum Ausdruck kommende Harmonisierungsziel kann nicht weiter reichen, als die Verordnung entsprechende Regelungen bereithält. Hinsichtlich des Schadensersatzes für fehlerhafte Whitepaper fehlt es namentlich an Regelungen zur schadensrechtlichen Haftungsausfüllung und zur Verjährung. Findet nach dem einschlägigen Kollisionsrecht auf den Schadensersatzanspruch deutsches Recht Anwendung, richtet sich die Haftungsausfüllung nach §§ 249 ff. BGB und die Verjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 und 3 BGB.Zu möglichen Anspruchskonkurrenzen stellt Art. 52 Abs. 5 MiCAR klar, dass die spezialgesetzliche Prospekthaftung nach diesem Artikel keine abschließende Wirkung hat, sondern parallele Haftungstatbestände des mitgliedstaatlichen Zivilrechts zulässt. Diese gesetzliche Aussage ist insofern von praktischer Bedeutung, als der BGH17 für andere Fälle der spezialgesetzlichen Prospekthaftung (§ 306 KAGB, §§ 20 f. VermAnlG und §§ 9 f., 14 WpPG) von einem Exklusivitätsverhältnis gegenüber der bürgerlichrechtlichen Prospekthaftung im engeren wie weiteren Sinn ausgeht. Eine solche lehnt Art. 52 Abs. 5 MiCAR explizit ab. Die MiCAR überlässt es daher den mitgliedstaatlichen Privatrechtsordnungen, ob sie die sekundärrechtliche Haftung flankieren und ergänzen wollen, wie es namentlich durch die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im engeren wie im weiteren Sinn möglich wäre.

d) Anspruchsgegner

Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ungewöhnlich, aber prospektrechtlich erklärbar erscheint die Auflistung der haftenden Personen. Neben dem Emittenten haften unmittelbar auch dessen Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane. Eine solche Außenhaftung von gesellschaftsinternen Organen stellt einen Fremdkörper im Gesellschaftsrecht dar, das ansonsten grundsätzlich nur die Gesellschaft als solche rechtsgeschäftlich und deliktisch in die Verantwortung gegenüber Dritten nimmt. Insofern wird das Gesellschaftsrecht jedoch durch das speziellere und – gegenüber mitgliedstaatlichem Gesellschaftsrecht – höherrangige MiCAR-Kapitalmarktrecht überlagert. Ähnlich verfährt auch Art. 11 Abs. 1 ProspektVO hinsichtlich des Kreises der haftenden Personen. Den teleologischen Hintergrund dürfte die nicht selten geringe Kapitalausstattung von Startups bilden, die ansonsten zu einer wirtschaftlichen Wertlosigkeit der Haftung führen könnte.18

e) Pflichtverletzung

Objektiv setzt eine Haftung nach Art. 52 Abs. 1 MiCAR voraus, dass ein Whitepaper unter Verstoß gegen die Vorgaben aus Art. 51 MiCAR erstellt wurde. Dazu zählt die nochmals wiederholte Pflicht aus Art. 51 Abs. 2 MiCAR, die geschuldeten Informationen vollständig, fair, eindeutig und nicht irre-führend darzustellen. Insofern lehnt sich der Tatbestand an Art. 7 Abs. 2 Satz 1 ProspektVO an.19 Das fehlende Whitepaper ist dem fehlerhaften Whitepaper gleichzustellen.20 Insofern liegt ebenfalls eine Verletzung von Art. 51 MiCAR vor, dessen erster Absatz zunächst die Pflicht zur Veröffentlichung eines Whitepaper niederlegt (»ob«) und sich damit noch nicht zum Inhalt äußert (»wie«). Daher sanktioniert auch der daran angebundene Art. 52 MiCAR beide Szenarien.

f) Verschulden

Der Haftungstatbestand in Art. 52 Abs. 1 MiCAR sieht kein Verschuldenserfordernis im Wortlaut vor. Vielmehr wird lediglich auf die Pflichtverletzung abgestellt und die Ersatzfähigkeit der kausal hervorgerufenen Schäden konstatiert. Wenig Aussagekraft hat insofern der Verweis auf das mitgliedstaatliche Zivilrecht in Art. 52 Abs. 5 MiCAR, weil dort ausdrücklich nicht die Haftung nach den vorherigen Absätzen behandelt wird.21 Dennoch erscheint ein Verschuldenserfordernis nicht nur rechtspolitisch,22 sondern auch de lege lata geboten. Zwar handelt es sich beim Whitepaper um keinen Prospekt i.S.d. ProspektVO, dennoch erscheint eine systematische Anbindung an die Prospekthaftung nach Art. 11 ProspektVO methodisch tragfähig.23 Der in Art. 11 Abs. 2 ProspektVO enthaltene Verweis auf das nationale Recht lässt einen Spielraum für ein Verschuldenserfordernis, wie es beispielhaft § 12 Abs. 1 WpPG vorsieht. Materiell handelt es sich bei Haftung für ein fehlerhaftes Whitepaper um einen weiteren Fall der spezialgesetzlichen Prospekthaftung, auch wenn die Informationen begrifflich in einem Whitepaper enthalten sind. Eine verschuldensunabhängige Haftung stellte systematisch innerhalb wie außerhalb des Prospektrechts einen Ausnahmefall dar, zu welchem eine gesetzgeberische Äußerung in den Erwägungsgründen zu erwarten gewesen wäre. Der Verschuldensmaßstab richtet sich in Anlehnung an Art. 11 Abs. 2 ProspektVO nach den nationalen Vorschriften, auf welche über Art. 52 Abs. 5 MiCAR ergänzend verwiesen wird.

3. Marketing-Mitteilungen

Werbemaßnahmen, die außerhalb der formalisierten Veröffentlichung des Whitepaper liegen, müssen einem inhaltlichen Anforderungskatalog genügen (Art. 53 Abs. 1 und 2 MiCAR). Betroffen ist vor allem Online-Werbung über die sozialen Medien.24 Parallelregelungen finden sich in Art. 7 und 29 MiCAR. Die MiCAR spricht in ihrem Normtext von Marketing-Mitteilungen, ohne sie jedoch zu definieren. In den Erwägungsgründen wird nicht trennscharf zwischen Marketing-Mitteilungen, Werbebotschaften und Marketing-Material unterschieden.25 Aus der Wortbedeutung und der Teleologie heraus lässt sich auf die Marketing-Mitteilung als tendenziell weit auszulegender Oberbegriff schließen, der insbesondere Werbemaßnahmen umfasst. Ebenso wie das Whitepaper unterliegen auch Marketing-Mitteilungen keiner vorgeschalteten Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden.Drei Gruppen von Inhaltsanforderungen an Marketing-Mit-teilungen gelten für das öffentliche Angebot von und den plattformbasierten Handel mit E-Geld-Token. Die erste Gruppe formuliert abstrakt-generelle Transparenzanforderungen, wonach das Marketing als solches erkennbar und die enthaltenen Informationen »redlich eindeutig und nicht irreführend« sein müssen (Art. 53 Abs. 1 Buchst. a)–b) MiCAR). Insofern liegt eine Auslegung in Anlehnung an Art. 7 Abs. 2 Satz 1 ProspektVO nahe.26 Die zweite Gruppe will eine inhaltliche Konvergenz mit dem Whitepaper sicherstellen und durch eine auf dieses bezogene Hinweispflicht dessen Bedeutung bei der Herstellung von Transparenz fördern (Art. 53 Abs. 1 Buchst. c)–d) MiCAR). Damit steht in Zusammenhang, dass vor der Veröffentlichung des Whitepaper keine Marketing-Mitteilungen erfolgen dürfen (Art. 53 Abs. 6 MiCAR). Auch kodifikatorisch in einem eigenen Absatz ist die Pflicht hervorgehoben, stets auf den Rücktauschanspruch gegen den Emittenten hinzuweisen (Art. 53 Abs. 2 MiCAR). Damit wird eine gewisse Doppelung erzielt, weil durch den zwingenden Verweis auf das Whitepaper mittelbar auch der dort in der einleitenden Zusammenfassung prominent zu findende Hinweis auf den Rücktauschanspruch in Bezug genommen wird.Einen gesonderten Haftungstatbestand für fehlerhafte Marketing-Mitteilungen kennt die MiCAR nicht. Rechtspolitisch ist diese Lücke im Kapitalmarktrecht zu bedauern.27 Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob Art. 52 MiCAR einer analogen Anwendung auf diese Fälle zugänglich ist. Der unionale Gesetzgeber hat im direkten Regelungszusammenhang mit der Whitepaper-Haftung weitere Pflichten für Marketing-Mitteilungen formuliert, aber keinen korrespondierenden Haftungstatbestand geschaffen. Art. 52 MiCAR ist nicht nur in seiner amtlichen Überschrift, sondern auch inhaltlich eng an Art. 51 MiCAR angebunden. Daher fehlt eine planwidrige Regelungslücke. Die Haftung für fehlerhafte Marketing-Mitteilungen unterliegt daher mitgliedstaatlichem Recht.

IV. Publizitätspflichten bei vermögenswertreferenzierten Token

1. Whitepaper

Nicht nur für E-Geld-Token, sondern auch für vermögenswertreferenzierte Token dient das Whitepaper als zentrales Publizitäts- und Transparenzinstrument. Seiner Funktion nach handelt es sich um eine Spezialform des Prospekts. Eine Ersetzung der prospektrechtlichen Pflichten durch das Whitepaper erfolgt hingegen nicht (Art. 19 Abs. 6 UAbs. 2 Buchst. d) MiCAR). Soweit Zahlungstoken in Gestalt von vermögenswertreferenzierten Token betroffen sind, besteht regelmäßig bereits keine Prospektpflicht nach der ProspektVO.28 Das verpflichtende Whitepaper ist Gegenstand des Zulassungsverfahrens für Emittenten vermögenswertreferenzierter Token, die nicht bereits als Kreditinstitute zugelassen sind (Art. 18 Abs. 2 Buchst. k), 21 Abs. 2 Buchst. d) MiCAR). Damit unterscheidet es sich vom Whitepaper für E-Geld-Token-Emissionen, das keiner vorherigen Prüfung durch eine Aufsichtsbehörde unterliegt. Mit Erteilung der Erlaubnis gilt das Whitepaper automatisch als genehmigt (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 MiCAR). Ist das Whitepaper hingegen fehlerhaft, kann aus diesem Grund die Erlaubnis verweigert werden (Art. 21 Abs. 2 Buchst. d) MiCAR).Der genaue Inhalt des Whitepaper richtet sich nach Anhang II zur MiCAR. Die aufzunehmenden Angaben betreffen insbesondere die Person des Emittenten, die Struktur des vermögenswertreferenzierten Token und die damit verbundenen Rechte und Pflichten sowie das Reservevermögen. Ebenso wie beim Whitepaper für E-Geld-Token müssen die Pflichtangaben redlich, eindeutig und nicht irreführend gefasst sein (Art. 19 Abs. 2 MiCAR). Eine weitere Strukturparallele besteht in der formalisierten Zusammenfassung, die an den Anfang des Whitepaper zu stellen ist. Konzise und in nichttechnischer Formulierung sollen dem Rechtsverkehr die wesentlichen Charakteristika der vermögenswertreferenzierten Token vor Augen geführt werden. In den Fokus rückt der unionale Gesetzgeber dabei die Existenz und den Inhalt des Rücktauschanspruchs, der zwingend jedem Inhaber von vermögenswertreferenzierten Token gegen den Emittenten zusteht (Art. 19 Abs. 6 UAbs. 2, 39 MiCAR). Da das Whitepaper zum Gegenstand des Zulassungsverfahrens und ebenfalls genehmigt wurde, unterliegen spätere Änderungen einem Notifizierungsverfahren.

2. Haftung für fehlerhafte Whitepaper

In Parallele zum Whitepaper für E-Geld-Token (Art. 52 MiCAR) begründet Art. 26 Abs. 1 MiCAR eine eigenständige Haftung des Emittenten für fehlerhafte Whitepaper. Auch das Whitepaper für vermögenswertreferenzierte Token stellt kein Prospekt i.S.d. ProspektVO dar. Eine Haftung nach § 306 KAGB, §§ 20 f. VermAnlG und §§ 9 f., 14 WpPG scheidet daher schon tatbestandlich aus. Allerdings handelt es sich materiell um eine Erweiterung dieser spezialgesetzlichen Prospekthaftung um einen zusätzlichen Tatbestand, auch wenn das Whitepaper nicht als Prospekt bezeichnet wird. Die Haftung ist verschuldensabhängig, auch wenn der Wortlaut insofern schweigt.Als zivilrechtliche Anspruchsgrundlage fungiert der unmittelbar geltende und in allen Mitgliedstaaten verbindliche Art. 26 Abs. 1 MiCAR.29 Eines Rückgriffs auf mitgliedstaatliche Anspruchsgrundlagen (z.B. § 280 Abs. 1 BGB) bedarf es nicht. Diese Einordnung folgt nicht nur aus der Vollständigkeit des Tatbestands in Art. 26 Abs. 1 MiCAR, sondern auch aus einem Umkehrschluss zu Art. 26 Abs. 5 MiCAR (»sonstige« zivilrechtliche Haftung).In Abweichung zur BGH-Judikatur30 zur übrigen spezialgesetzlichen Prospekthaftung stellt Art. 26 Abs. 5 MiCAR klar, dass der MiCAR-Haftung für fehlerhafte Whitepaper keine abschließende Wirkung gegenüber mitgliedstaatlichen Haftungstatbeständen zukommt. Daher kann nach deutschem Zivilrecht parallel eine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im engeren wie im weiteren Sinn bestehen. Auch beinhaltet die MiCAR kein eigenes Schadens- oder Verjährungsrecht, so dass bei Anwendbarkeit des deutschen Zivilrechts die Regelungen der §§ 249 ff. BGB und der §§ 195, 199 Abs. 1 und 3 BGB gelten.

3. Marketing-Mitteilungen

Die Vorgaben zur Erstellung und Ausgestaltung eines Whitepaper werden im Hinblick auf die Transparenzziele der Verordnung durch die Anforderungen an sonstige Marketing-Mitteilungen ergänzt. Bei Art. 29 MiCAR handelt es sich um eine teilweise Parallelregelung zu Art. 53 MiCAR, der sich auf E-Geld-Token bezieht. Die jeweils ersten Absätze entsprechen sich bis auf die Kleinigkeit, dass bei vermögenswertreferenzierten Token auch eine E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Emittenten anzugeben ist, bei E-Geld-Token hingegen nicht; dabei dürfte es sich um ein Redaktionsversehen handeln, da sich die Unterscheidung sachlich nicht erklärenlassen dürfte. Besonders bedeutsam ist die Parallele, dass in beiden Fällen der Rücktauschanspruch besonders hervorzuheben ist (Art. 29 Abs. 2, Art. 53 Abs. 2 MiCAR).

V. Zusammenfassung

  1. Sowohl für E-Geld-Token als auch vermögenswertreferenzierte Token erschafft die MiCAR ein besonderes Prospektrecht in Gestalt der Whitepaperpublizität, die mit einer eigenständigen Haftung auf sekundärrechtlicher Grundlage einhergeht.
  2. Diese Whitepaperhaftung ist verschuldensabhängig und greift sowohl bei fehlerhaftem als auch fehlendem Whitepaper ein.
  3. Anders als im Prospektrecht findet bei einem MiCAR-Whitepaper keine Vorabkontrolle durch eine Aufsichtsbehörde statt.
  4. In die Haftung für Pflichtverletzungen bei der Whitepaper-Erstellung werden unmittelbar die Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane des Emittenten genommen.
  5. Anders als bei der übrigen spezialgesetzlichen Prospekthaftung fehlt es bei der MiCAR-Whitepaperhaftung an einer abschließenden Wirkung gegenüber mitgliedstaatlichen Haftungstatbeständen. Daher greift parallel eine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung ein.
  6. Anders als bei der Whitepaperhaftung enthält die MiCAR keine Anspruchsgrundlage für Pflichtverletzungen bei Marketing-Mitteilungen. Insofern muss daher auf das anwendbare Recht der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden. Nur die inhaltlichen Anforderungen an Marketing-Mitteilungen gelten daher unionsweit einheitlich.
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  • Fußnoten

    * Der Autor ist Direktor des Instituts für das Recht der Digitalisierung (Professur für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht sowie Rechtsvergleichung) an der Philipps-Universität Marburg, Leiter des BMJ-Forschungsprojekts »Blockchain und Recht« und Sprecher der ZEVEDI-Projektgruppe »Tokenisierung und Finanzmarkt« (ToFi).

    1 Verordnung (EU) 2023/1114 über Märkte für Kryptowerte, ABl. EU Nr. L150, S. 40 v. 09.06.2023.

    2 Zum Kommissionsentwurf vgl. stellvertretend Siadat RdF 2021, 12 ff.

    3 Dazu Möslein/Omlor/Dell’Erba, FinTech-Handbuch, 3. Aufl. 2023, § 28; Ribak, Wertpapierrecht der Security Token Offerings, 2023 (passim).

    4 Erwägungsgründe 2, 5 f. MiCAR.

    5 Zur Typenbildung bei Token vgl. Omlor/Link/Omlor, Handbuch Kryptowährungen und Token, 2. Aufl. 2023, Kap. 6 Rn. 17 ff.

    6 FATF, The FATF Recommendations, März 2022, S. 132, abrufbar unter www.fatf-gafi.org/recommendations.html.

    7 Eingehend dazu Omlor ZHR 187 (2023) (im Erscheinen).

    8 Omlor ZHR 187 (2023) (im Erscheinen).

    9 Verordnung (EU) 2017/1129 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, ABl. EU Nr. L 168, S. 12 v. 30.06.2017.

    10 Zum Begriff und zum Ausschluss von Zahlungsinstrumenten vgl. stellvertretend Groß, Kapitalmarktrecht, 8. Aufl. 2022, § 2 WpPG Rn. 2.

    11 Delegierte Verordnung (EU) 2019/979 zur Ergänzung der Verordnung 2017/1129 durch technische Regulierungsstandards für wesentliche Finanzinformationen in der Zusammenfassung des Prospekts, die Veröffentlichung und Klassifizierung von Prospekten, die Werbung und das Notifizierungsportal und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 382/2014 der Kommission und dr Delegierten Verordnung (EU) 2016/301 der Kommission, ABl EU Nr. L 166 S. 1 v. 21.06.2019 sowie Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 hinsichtlich der Aufmachung, des Inhalts, der Prüfung und der Billigung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, ABl. EU Nr. L 166, S. 26 v. 21.06.2019.

    12 Erwägungsgrund 47 Satz 1 MiCAR.

    13 Erwägungsgrund 57 MiCAR.

    14 Stellvertretend zur Abgrenzung BGH BKR 2022, 791 Rn. 8 ff. m.w.N. zum Streitstand.

    15 Ebenso zu Art. 14 MiCAR-E (= Art. 15 MiCAR) Zickgraf BKR 2021, 362, 365; BeckOGK BGB/Dornis, Stand: 01.11.2022, IPR Internationales und europäisches Finanzmarktrecht Rn. 747.

    16 A.A. zu Art. 14 Abs. 1 MiCAR-E (= Art. 15 MiCAR) wohl Maume RDi 2022, 461 Rn. 37.

    17 BGH BKR 2022, 791 Rn. 8 ff.; Überblick zum Streitstand bei BeckOGK/Herresthal, Stand: 15.01.2023, § 311 BGB Rn. 603 ff.

    18 Zickgraf BKR 2021, 362, 365; Maume RDi 2022, 461 Rn. 36.

    19 Ebenso zum parallelen Art. 5 Abs. 2 MiCAR-E (= Art. 6 Abs. 2 MiCAR) Zickgraf BKR 2021, 196, 202.

    20 Rechtspolitisch ebenso zum Kommissionsentwurf Zickgraf BKR 2021, 362, 370.

    21 A.A. Maume RDi 2022, 461 Rn. 37.

    22 Zum Kommissionsentwurf Zickgraf BKR 2021, 362, 368 f.

    23 Maume RDi 2022, 461 Rn. 37; ähnlich zu Art. 35a Verordnung (EG) 1060/2009 BeckOGK BGB/Dornis, Stand: 01.11.2022, IPR Internatio-nales und europäisches Finanzmarktrecht Rn. 747.

    24 Zickgraf BKR 2021, 196, 203.

    25 Erwägungsgrund 24 MiCAR.

    26 Ähnlich zum parallelen Art. 5 Abs. 2 MiCAR-E (= Art. 6 Abs. 2 MiCAR) Zickgraf BKR 2021, 196, 202.

    27 Zickgraf BKR 2021, 362, 370.

    28 Zum prospektrechtlichen Begriff des Wertpapiers und zum Ausschluss von Zahlungsinstrumenten vgl. stellvertretend Groß, Kapitalmarktrecht, 8. Aufl. 2022, § 2 WpPG Rn. 2.

    29 Ebenso zu Art. 14 MiCAR-E (= Art. 15 MiCAR) Zickgraf BKR 2021, 362, 365.

    30 BGH BKR 2022, 791 Rn. 8 ff.; Überblick zum Streitstand bei BeckOGK/Herresthal, Stand: 15.01.2023, § 311 BGB Rn. 603 ff.

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