Mitwirkungsverzug
Recht & Verwaltung07 September, 2023

Der Außer-Geschäftsraum-Nachtrag

Wenn Bauunternehmer vor Ort beim Verbraucher Bauverträge abschließen, können diese widerrufen werden. Dies kann vermieden werden, indem der Verbraucher über sein Widerrufsrecht informiert wird, was jedoch in vielen Fällen versäumt wird.

VRiKG Björn Retzlaff

Wenn Baurecht und Verbraucherschutz zusammentreffen, ist das immer für eine Überraschung gut – und die ist meistens unerfreulich für den Bauunternehmer. So kommt es regelmäßig dazu, dass Bauverträge mit einem Verbraucher als Auftraggeber vor Ort in seinem Haus oder seiner Wohnung geschlossen werden, dort, wo auch gebaut werden soll.

Aber vor Ort beim Verbraucher, das bedeutet außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers, sodass der Verbraucher den Vertrag widerrufen kann – und das auch noch nach einem Jahr, wenn der Unternehmer die Belehrung des Verbrauchers vergessen hat.

Die Folge eines Widerrufs nach Beginn der Leistungen ist zumeist, dass sie der Unternehmer vollständig abschreiben kann, denn er muss erhaltene Zahlungen zurückgewähren, erhält aber für seine verbauten oder mit dem Grundstück verbundenen Leistungen (zum Beispiel: Anstrich oder Einbauschrank) keinen Wertersatz (§ 357a Abs. 2 BGB). Erst vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof noch einmal die Schärfe dieses Prinzips betont (EuGH, Urt. v. 17.05.2023 – C-97/22).


Verbraucher über sein Widerrufsrecht belehren

Der Unternehmer hat es zwar in der Hand, ein solches Ergebnis zu vermeiden, indem er den Verbraucher über sein Widerrufsrecht belehrt. Die beträchtliche Anzahl der Fälle, in denen dies unterbleibt, sollte einem aber zu denken geben.

Möglicherweise frisst der aufreibende Alltag kleiner Handwerksunternehmen zwischen Angebotskalkulation, Bietergesprächen, Personal- und Störungsmanagement, Dokumentation, Mitarbeitersuche, Compliance und – nicht zu vergessen – Arbeiten auf Baustellen einfach zu große Aufmerksamkeitskapazitäten, als dass auch noch an sämtliche Facetten des Verbraucherschutzes gedacht werden kann. Manchmal drängt sich dieser Eindruck auf.

In einem aktuellen Fall des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 14.04.2023 – 8 U 17/23) stellte sich die Frage, ob auch eine auf der Baustelle geschlossene Nachtragsvereinbarung zu einem bereits bestehenden Vertrag ein Außer-Geschäftsraum-Vertrag ist, den der Verbraucher widerrufen kann. Er könnte sich dann bei vergessener Belehrung durch den Unternehmer auch noch nach Monaten von der Zahlungspflicht befreien.

Das OLG Karlsruhe hat dies bejaht. Es handele sich zwar nur um eine zusätzliche Vereinbarung zu einem bereits geschlossenen Vertrag, ein Verbraucher könne hier aber ebenso unter „psychischen Druck“ geraten, wie beim anfänglichen Abschluss des Hauptvertrages. Und vor den Konsequenzen dieses Drucks wolle ihn die Verbraucherrechterichtlinie gerade schützen (vgl. Erwägungsgrund 21 der Richtlinie).


Widerrufsrecht bei „Außer-Geschäftsraum-Anordnung“?

Ist diese Ansicht ein Wertungswiderspruch zu der Situation, in der der Verbraucher eine geänderte oder zusätzliche Leistung des Unternehmers einfach gem. § 650b Abs. 2 BGB anordnet, ohne eine Nachtragsvereinbarung zu schließen?
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Nicht unbedingt: Die Anordnung einer Leistungsänderung mag eine einseitige Erklärung des Verbrauchers sein, sie kann aber auch die Folge „psychischen Drucks“ sein, der auf der Baustelle auf ihn ausgeübt wird, etwa in Zusammenhang mit Bedenken, die der Unternehmer gegen die bislang vorgesehene Ausführung anmeldet. Daraus könnte folgen, dass dem Verbraucher sogar bei einer einseitigen „Außer-Geschäftsraum-Anordnung“ ein Widerrufsrecht zugebilligt werden muss. In der Literatur wird der Verbraucherwiderruf einseitiger Erklärungen durchaus vertreten.

Zudem ist eine Nachtragsvereinbarung aus Sicht des Unternehmers durchaus ein Mehr gegenüber der bloßen Entgegennahme einer Änderungsanordnung: In der Vereinbarung werden in der Regel Preise für die Nachtragsleistungen festgelegt, was dem Unternehmer Planungssicherheit verschafft (wenn auch keine hundertprozentige) und ihn vielleicht auch gegenüber der Zusatzvergütung besserstellt, die sonst gem. § 650c BGB zu errechnen wäre. Selbst wenn man einen Widerruf einseitiger Anordnungen nicht für möglich erachtet, kann dieser Vorteil die Anwendung des Widerrufsrechts jedenfalls dann rechtfertigen, wenn über eine geänderte Leistung eine Nachtragsvereinbarung geschlossen wird.


Risiko mit einem Widerrufsrecht konfrontiert zu sein

Bei jedem Nachtrag und jeder Leistungsänderung eines Verbrauchers auf der Baustelle besteht für den Unternehmer also das Risiko mit einem Widerrufsrecht konfrontiert zu sein, was im Ergebnis schlicht bedeuten kann, dass er seine Nachtragsleistungen vergütungslos erbringen darf.

Freilich muss feststehen, dass die Nachtragsvereinbarung auch wirklich rechtsverbindlich auf der Baustelle zustande gekommen ist. Hatte das Baustellengespräch noch ein offenes Ergebnis und erklärte der Verbraucher seine verbindliche Zustimmung erst später – zum Beispiel konkludent durch Bezahlung einer Abschlagsrechnung – liegt kein Außer-Geschäftsraum-Nachtrag vor.

Gleichwohl: Wenn sich die den Verbraucherschutz hochhaltende Sichtweise auch an dieser Stelle durchsetzt, wäre dies eine weitere Situation, in der der Bauunternehmer im eigenen Interesse daran denken muss, die Vorgaben des Verbraucherschutzes zu beachten. Es führt dann kein Weg daran vorbei, dass sich ein Bauunternehmer, der für Verbraucher arbeitet, für die gesamte Phase der Auftragsabwicklung einen „Widerrufsbelehrungsreflex“ antrainieren muss.
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Retzlaff_Bjoern
Autor
VRiKG Björn Retzlaff

Vorsitzender Richter des 21. Zivilsenats am Berliner Kammergericht, der für Bausachen zuständig ist.

Mitherausgeber der Zeitschrift „baurecht“.

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