Marco Bijok, Experte für Schulrecht
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Das Problem: Die ohnehin dünne Personaldecke wird momentan durch zahllose, coronabedingte Ausfälle noch weiter geschwächt. Schulleitungen sehen sich daher häufig gezwungen, Mehrarbeit anzuordnen. Was gilt es dabei zu beachten?
Das sagt das Recht
Nach den Beamtengesetzen der Länder sind verbeamtete Lehrer verpflichtet, „über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern“ (z.B. § 61 Landesbeamtengesetz NRW). Gemäß § 44 Nr. 2 TV-L gelten die beamtenrechtlichen Regelungen grundsätzlich auch für tarifbeschäftigte Lehrkräfte. Einzelheiten haben die Länder in „Allgemeinen Dienstordnungen“ und/oder Erlassen geregelt.
Wann aber sind nun derartige „zwingende dienstliche Verhältnisse“ gegeben? Das Oberverwaltungsgericht Münster bejaht dies, „wenn und soweit die Mehrarbeit zur Erledigung wichtiger, unaufschiebbarer Aufgaben unvermeidbar notwendig ist und die Umstände, welche die Mehrarbeit zwingend erfordern, vorübergehender Natur sind und eine Ausnahme gegenüber den sonst üblichen Verhältnissen darstellen.“ (Urt. v. 17.01.1997, 6 A 7153/95).
Wenn man dies liest, könnte man meinen, die Anordnung, Vertretungsstunden zu leisten, falle nicht darunter; dass ein Lehrer des Kollegiums – aus welchen Gründen auch immer – ausfällt, ist wohl nur noch schwerlich eine „Ausnahme gegenüber den sonst üblichen Verhältnissen“. Und ob der Sportunterricht der Klasse 5a wirklich eine „unaufschiebbare Aufgabe“ darstellt, die Mehrarbeit „zwingend erfordert“, mag jeder selbst beurteilen.
Das OVG Münster ist da nicht so kritisch: „Die Durchführung des stundenplanmäßigen Unterrichts stellte […] Fall eine wichtige, unaufschiebbare Aufgabe dar. Die Wichtigkeit dieser Aufgabe zeigt sich darin, dass der stundenplanmäßige Unterricht dazu dient, vorgegebene Ausbildungsziele zu verwirklichen. […] Die Aufgabe war auch unaufschiebbar, weil ausgefallener Unterricht in der Praxis nicht nachgeholt werden kann.“ Demnach darf Mehrarbeit grundsätzlich auch zur Leistung von Vertretungsunterricht angeordnet werden.
Allerdings sind Schulleiter gehalten, vor Anordnung von Mehrarbeit zunächst zu prüfen, ob der Unterrichtsbedarf nicht mithilfe anderer, die verbleibenden Kollegen weniger belastenden Maßnahmen gedeckt werden kann:
- Bei längerfristigem Ausfall einer Lehrkraft (Erkrankung über 4 Wochen, Mutterschutz, Elternzeit) kann ggf. die Einstellung von Vertretungskräften erfolgen. Dies ist bei der Schulaufsichtsbehörde zu beantragen.
- Ebenfalls ist zu prüfen, ob sich eine teilzeitbeschäftigte Lehrkraft zur Aufstockung bereitfindet.
- Vor allem aber ist an eine vorübergehende Erhöhung der Pflichtstunden zu denken. Nach den Schulgesetzen der Länder bzw. den diese konkretisierenden Rechtsverordnungen und Erlassen kann die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden „aus schulorganisatorischen Gründen“ für eine bestimmte Dauer über- oder unterschritten werden. Die jeweiligen Höchstgrenzen weichen in den Ländern voneinander ab. In Nordrhein-Westfalen ist beispielsweise eine Über- oder Unterschreitung um bis zu 6 Stunden für bis zu 6 Monate zulässig. Eine Überschreitung um mehr als 2 Stunden soll in der Regel nicht ohne Zustimmung der betroffenen Lehrkraft erfolgen, wenn sie über 2 Wochen hinaus andauert. Die zusätzlich oder weniger erteilten Unterrichtsstunden sind innerhalb des Schuljahres auszugleichen, ausnahmsweise im folgenden Schuljahr (vgl. § 13 Abs. 2 der Allgemeinen Dienstordnung i.V.m. § 2 Abs. 4 der SchulGAusfVO). Durch diesen Ausgleich führte eine vorübergehende Erhöhung der Pflichtstunden demnach im Ergebnis nicht zu einer Mehrarbeit.
- Vor allem bei kürzerem Ausfall ist zu prüfen, ob eine Lehrkraft eingesetzt werden kann, die zeitgleich eine Ausfallstunde hat.
Was ist bei der Anordnung verfahrensrechtlich zu beachten?
Zuständig für die Anordnung von Mehrarbeit gegenüber der Lehrkraft ist die Schulleitung. Jede Anordnung von Mehrarbeit ist der Schulaufsichtsbehörde zu melden. Bei regelmäßiger Mehrarbeit ist bei der Schulaufsichtsbehörde die Freigabe entsprechender Mittel zu beantragen. Regelmäßige Mehrarbeit liegt vor, wenn die Dauer der Mehrarbeit 4 Wochen übersteigt.
Die Anordnung der Mehrarbeit bedarf der Schriftform. Insoweit genügt jedoch, jedenfalls bei Ad-hoc-Mehrarbeit, ein Eintrag der Stundenplanänderung am „schwarzen Brett“ im Lehrerzimmer.
Was gilt nicht als Mehrarbeit?
- Keine Mehrarbeit im beschriebenen Sinne liegt insbesondere vor bei
- Teilnahme an Eltern- oder Schülersprechtagen,
- Teilnahme an Konferenzen, Dienstbesprechungen und Prüfungen aller Art
- Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen,
- Teilnahme an Schulveranstaltungen im Rahmen der Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten,
- Teilnahme an sonstigen Schulveranstaltungen (z.B. Schulfeste),
- Besuch von Schülern während der Berufspraktika,
- Erledigung von Verwaltungsarbeit.
Mein Rat
Die Anordnung von Mehrarbeit ist für jeden Kollegen eine zusätzliche Belastung. Sie sollte auch bei hohem Krankenstand die Ausnahme bleiben. Melden Sie jede dennoch nicht zu vermeidende Anordnung von Mehrarbeit der Schulaufsichtsbehörde, damit der Mangel zumindest statistisch erfasst wird.