Entwicklung einer professionellen Haltung in der Ausbildungiterentwicklung-biografische-selbstreflexion
Recht & Verwaltung13 Dezember, 2021

Entwicklung einer professionellen Haltung in der Ausbildung

Interview mit Anne Harpenau

Im Fachdiskurs wird häufig von der professionellen pädagogischen Haltung als wichtiger Gelingensfaktor pädagogischer Arbeit gesprochen. Unter Haltung werden die inneren Grundeinstellungen einer Person verstanden, die ihr Denken und ihr Handeln stark beeinflussen. Sie ist eng verknüpft mit biografischen Erfahrungen. Die eigene Haltung ist wie ein innerer Kompass, der Stabilität bietet. Sie gestattet sensibel und nachhaltig in Situationen zu urteilen und zu handeln. Ausgehend von einem eigenen guten Fundament kann durch sie eine situationsspezifische Sensibilität gelebt werden. Die eigene Haltung hilft, die Möglichkeiten, Bedürfnisse und Fähigkeiten von anderen wahrzunehmen (Schwer/Solzbacher 2014). Sie kann für andere Menschen das eigene Handeln und Entscheiden nachvollziehbarer machen, auch wenn diese anders handeln würden (nifbe 2020). Wie kann die Entwicklung der professionellen pädagogischen Haltung in der Ausbildung unterstützt werden?

Was wird in der Ausbildung mit professioneller Haltung verbunden?

Die Schüler*innen kommen häufig mit einer Schulbiografie zu uns, die geprägt ist durch reine Wissensaneignung. Sie sind es nicht gewohnt, sich mit der Frage »wie möchte ich als Mensch sein« zu befassen. Wir ackern erstmal, um das innere Bild von Schule und Lernen zu verändern, hin zum Lernen als Selbstbildung in Kooperation mit Lehrkräften, die ko-konstruktive Lernprozesse gestalten wollen. Bis dato wurde die eigene Haltung selten reflektiert. Die Schüler*innen entwickeln im Laufe der Ausbildung eine professionelle Grundhaltung zu ihrem Beruf des/der Erzieher*in. Sie werden sich während der Ausbildung zunehmend ihrer eigenen Biografie bewusst, reflektieren sie und können ihr Handeln entsprechend überdenken. Sie nutzen dazu ihr erlerntes Fachwissen und kombinieren es mit ihren persönlichen Kompetenzen. Daraus entwickelt sich die professionelle Haltung.

Wie wird in der Ausbildung die Entwicklung einer professionellen Haltung begleitet?

Die Schüler*innen kommen mit ihren individuellen Biografien in die Ausbildung. Oftmals haben sie in der Erziehung oder auch in der Schule einen defizitären Blick auf die eigene Person erlebt. So müssen sie die ersten Jahre zunächst eine objektivere Sichtweise lernen, dies gelingt zum Beispiel durch neutrale Beobachtung. Wenn sie in der Praxisstelle ein Kind beobachten und feststellen, dass es dem Kind schwerfällt, still sitzen zu bleiben, können sie einzig diese Beobachtung feststellen. Verwenden sie aber zusätzlich oder stattdessen einen ressourcenorientierten Blick, kann die Situation durch ein anderes Objektiv betrachtet werden. Vielleicht sehen sie dann, dass das Kind eine große Bewegungskompetenz und Freude an Bewegung hat.

Außerdem ist die Klasse als Lernort ein entscheidender Faktor, um Gruppenentwicklung zu erleben. Durch die sehr heterogene Schülerschaft prallen verschiedene Standpunkte, Einstellungen, Lebenswelten und Haltungen aufeinander. Es entstehen Diskussionen, die zu neuen Sichtweisen führen. So lernen zum Beispiel 16-Jährige mit 45-Jährigen gemeinsam. Sie kommen teils gerade von der Schule und leben noch wohlbehütet bei ihren Eltern. Andere sind schon lange berufstätig und haben Kinder. In dieser Vielfalt arbeiten und lernen sie gemeinsam in Arbeitsgruppen, müssen sich absprechen und sich einigen. Diese Prozesse lassen sich durchaus im Arbeitsalltag in der Kita (im Team oder in der Arbeit mit Eltern) wiederfinden.

Haltung hat viel mit Vorbildfunktion im Berufsalltag (Umgang mit Vielfalt, Partizipation) zu tun, wie bewusst ist dieses jungen Erwachsenen schon in ihrer Ausbildung? Wie wird mit dem Thema gearbeitet?

Für mich ist es absolut wichtig, dass ich nicht als die Allwissende angesehen werde, sondern mir auch Wissen mit den Schüler*innen gemeinsam erarbeiten kann. Auch später im Beruf können Erzieher*innen nicht alles wissen und dürfen sich immer wieder nötiges neues Wissen aneignen. Wenn ich mit den Klassen arbeite, möchte ich mit der Heterogenität und entsprechenden Vielfalt verantwortungsvoll umgehen. Dies erwarte ich ebenfalls von meinen Schüler*innen. Indem ich sie in ihrer Individualität und ihren Bedürfnissen wahrnehme, lasse ich sie partizipieren und begegne ihnen möglichst auf Augenhöhe. Insofern sehe ich mich schon als Vorbild mit meinen eigenen Werten, an denen sich die Schüler*innen abarbeiten können.

Um die Schüler*innen mit sich selbst in Reflexion zu bringen, starte ich zu Beginn der Ausbildung beispielsweise mit der Frage, wie sie ihre eigene Erziehung erlebt haben. Dies empfinden einige Schüler*innen als befremdlich, da sie direktes Anwendungswissen erwarten. Dabei sehen sie nicht immer, wieviel eigenen Anteil sie in ihre Arbeit zukünftig mit einbringen werden und wie dieser wirken kann. Die Reflexion der eigenen Lebenserfahrung ist für viele erstmal ungewohnt. Im Verlauf der Ausbildung gibt es immer wieder Momente, in denen sie auf ihre eigene Biografie stoßen und gefordert sind, damit einen Umgang zu finden. Beispielsweise bearbeiten sie in der Ausbildung das Thema Tod und Trauer und erleben möglicherweise eigenen Schmerz oder unbewältigte Trauer und können dazu eine Position entwickeln.

Wie steht die Entwicklung von Haltung in Bezug zum Aneignen von Wissen und Fertigkeiten (Praxiserfahrung), die in der Ausbildung zusätzlich eine wichtige Rolle spielen?

Professionelle Haltung ist für mich immer mit Wissen und Fertigkeiten verknüpft. Das findet sich auch in den Rahmenrichtlinien des Niedersächsischen Kultusministeriums wieder. In unserer Ausbildung bedeutet das, dass rein intuitives Handeln in der Kita hilfreich sein kann, oftmals aber an Grenzen stößt. Fachwissen wird zum Beispiel gebraucht, um vorurteilsarme pädagogische Arbeit zu leisten. Zum Beispiel kann meine Haltung geprägt sein durch meine toleranten Werte und mein empathisches Verhalten, aber zusätzlich brauche ich auch Fachwissen, um mich in meinem Handeln überprüfen und auch viele weitere Handlungsmöglichkeiten entwickeln zu können. Dieses kann dann wieder auf meine Persönlichkeitsentwicklung zurückwirken. Vorteilsarm zu handeln setzt Wissen über Vorurteile voraus. Verantwortungsvolles Handeln wird an diesem Beispiel deutlich, indem dann unter anderem bewusst mit vielfaltssensiblem Spielzeug gearbeitet wird, z.B. mit Puppen mit verschiedenen Hautfarben.

Wo finden sich in der Schule Situationen für Schüler*innen, um in (Selbst-)Reflexionen zu kommen?

Wir sind als Lernort Schule immer im Kontakt mit dem Lernort Praxis und für die Begleitung der Praxisphasen verantwortlich. Sowohl in der Praxis als auch in der Schule werden Situationen aus der Praxis aufgegriffen und intensiv besprochen. In Lerngruppen beleuchten die Schüler*innen ihr Handeln unter verschiedenen Gesichtspunkten. Sie betrachten gelungene Aktionen, aber auch herausfordernde Situationen. Sie geben sich gegenseitig Feedback, in dem Wertschätzung stattfindet, aber auch konstruktive Kritik gegeben wird. Jedes Jahr findet eine Praxisphase in verschiedenen Einrichtungen statt, in der jedes Mal erneut ein Reflexionsprozess durchlaufen wird. An diesem Prozess sind Schüler*innen, begleitende Lehrkraft und Praxisanleitung beteiligt. Ich als Lehrkraft erlebe, wie die Schüler*innen den Reflexionsprozess im Laufe der Jahre immer selbstständiger gestalten. In direkten Schulkontexten werden längere Gruppenprojektarbeiten reflektiert, indem zunächst eine Präsentation gehalten wird, eine schriftliche Ausarbeitung der Präsentation erfolgt und dann eine Reflexionsklausur über den Gruppenprozess des Projektes geschrieben wird.

Wie kann denn nachvollzogen werden, ob und wie sich Haltung weiterentwickelt? Wie können Auszubildenden aktiv ihre eigene Kompetenzentwicklung wahrnehmen?

Ich halte es für wichtig, im Unterricht auch den Sprachgebrauch und Zwischenbemerkungen aufzugreifen. Wenn mir im ersten Jahr ein Schüler erzählt, er arbeite mit einem »behinderten Kind« oder einem »Spastiker«, dann greife ich das direkt auf und thematisiere den fachlichen Terminus. Natürlich muss ich es auch genauer erläutern und erklären, warum diese Genauigkeit wichtig ist, und ich weise darauf hin, dass es fachlich »ein Kind mit Behinderung« heißt. Das erscheint anfangs oft als kleinlich und unbedeutend, mit der Zeit wird aber deutlich, wie sehr Sprache mit Haltung zusammenhängt. Veränderungen erkenne ich in geschriebenen Ausarbeitungen der Schüler*innen, aber insbesondere auch in der Praxis, im Handeln als auch in der Reflexion. Sie verändern zum Beispiel ihre defizitäre Sichtweise, hin zu mehr Ressourcenorientierung, können vorurteilsfreier Situationen beleuchten. Ich muss dazu immer wieder ins Gespräch gehen und den Schüler*innen Rückmeldungen zu ihrer Entwicklung in der Praxis geben. Zu Anfang eines Jahres benennen die Schüler*innen ihre Ziele für die Praxis und reflektieren in der Schule zum Ende des Praktikums, was sie für sich geschafft haben, welche Kompetenzen sie (weiter-)entwickelt haben und welche weiteren Ziele sie sich setzen wollen.

Wo sind Grenzen der Haltungsarbeit in der Ausbildung?

In der Schule können viele Themen wie Zusammenarbeit mit Eltern, die viel mit Haltung zu tun haben, eher theoretisch bearbeitet werden. Wir können zwar in Rollenspielen üben, aber das ersetzt die echte praktische Erfahrung nicht. Deshalb sind wir auf Praxisstellen angewiesen, die viel in die Ausbildung investieren und unsere Schüler*innen ihre eigenen praktischen Erfahrungen sammeln lassen. Da wir mit vielen Krippen und Kitas lange und intensiv zusammenarbeiten, können wir auf gewinnbringende Kooperationen zurückgreifen.

Teilweise erleben wir auch Schüler*innen, die aufgrund von persönlichen Einstellungen und eigenen Problemen große Schwierigkeiten haben, eine professionelle pädagogische Haltung zu entwickeln.

Eine professionelle Haltung speist sich aus so vielen Quellen, dass Schule nur ein Baustein sein kann und die zunehmende berufliche Erfahrung und Supervision weiter dazu beitragen müssen.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Michaela Kruse, Transferwissenschaftlerin im nifbe.

Bildnachwei: Bildnachweis: stokkete/stock.adobe.com

Anne Harpenau

Anne Harpenau

Sie ist Lehrerin an den Ev. Fachschulen Osnabrück, studierte soziale Arbeit (FH) und arbeitete in der Jugendhilfe und als Schulsozialarbeiterin. Inhaltliche Arbeitsschwerpunkte sind Teamarbeit, Erziehungspartnerschaft und Kommunikation, insbesondere im Hort und in der Jugendhilfe.

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