EPG: Die erste Regel-19-Anordnung betreffend parallele Verletzungs- und Nichtigkeitsklage
Recht & Verwaltung19 September, 2023

EPG: Die erste Regel-19-Anordnung betreffend parallele Verletzungs- und Nichtigkeitsklage

Von Prof. Dr. Aloys Hüttermann

Patentanwalt, Honorarprofessor der Hochschule Niederrhein

Nach einer mündlichen Anhörung hat das Einheitliche Patentgericht (EPG) in der Sache CFI-1/2023 am 17.08.2023 die erste Anordnung gemäß Regel 19 erlassen; die Entscheidung ist inzwischen auf der EPG-Webseite veröffentlicht.

Die Entscheidung

In der Sache ging es um eine Konstellation, die so wohl nie wieder vorkommen wird: Am 1. Juni, dem Tag, an dem das Einheitliche Patentgericht seine Tore öffnete, wurde in derselben Sache sowohl eine Verletzungsklage wie eine Nichtigkeitsklage eingereicht. Leider funktionierte das elektronische Fallbearbeitungssystem des Gerichts nicht, so dass beide Klagen am Ende per Post eingereicht wurden, die Nichtigkeitsklage in Luxemburg um 11:26, die Verletzungsklage bei der Lokalkammer München um 11:45. Die Nichtigkeitsklage war allerdings an die Zentralkammer gerichtet, dies ist im vorliegenden Fall von zentraler Bedeutung.

Die Sache ist nun, wie mit der Nichtigkeitsklage umzugehen ist. Laut Artikel 33(4) des EPGÜ ist eine Nichtigkeitsklage, wenn eine Verletzungsklage bereits anhängig ist, nicht bei der Zentralkammer einzureichen, sondern bei der für die Verletzungsklage zuständigen Lokalkammer.

Die Klägerin der Verletzungsklage argumentierte (zusammengefasst) nun, dass dies hier der Fall sei, d.h. die Nichtigkeitsklage hätte bei der Lokalkammer München eingereicht werden müssen und nicht, wie geschehen, vor der Zentralkammer.

Im Übrigen hätte die Beklagte (im Folgenden soll immer von Klägerin und Beklagten der Verletzungsklage gesprochen werden, in der Nichtigkeitsklage ist es natürlich genau andersherum) ihre Nichtigkeitsklage wenn dann per Post bei der Zentralkammer München einreichen müssen und nicht beim Berufungsgericht in Luxemburg.

Die Beklagte argumentierte (zusammengefasst), dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Nichtigkeitsklage noch gar keine Verletzungsklage anhängig war.

Die Klägerin hatte nun in der Nichtigkeitsklage einen vorläufigen Einspruch gemäß Regel 48 i.V.m. Regel 19 eingereicht, die einzige Möglichkeit, die Zuständigkeit der Zentralkammer zu rügen. Nach einer Anhörung per Videokonferenz erließ nun der berichterstattende Richter Andras Kupecz eine Anordnung, wonach der vorläufige Einspruch zurückgewiesen wurde, das heißt, dass beide Verfahren parallel stattfinden.

Zur Begründung führte er (zusammengefasst) aus:

  • Der Term „erhoben“ lt. Art. 33(4) EPG ist im Übereinkommen nicht weiter definiert. Richter Kupecz führte nun aus, dass eine Klage dann als erhoben gelten solle, wenn die dafür notwendigen Unterlagen beim Gericht eingereicht wurden, auf eine Bestätigung des Gerichts oder eine Zuteilung einer Fallnummer etc. käme es nicht an.
  • Da das elektronische Fallbearbeitungssystem an dem betreffenden Tag nicht funktionierte, greift Regel 4.2 der Verfahrensordnung, wonach Parteien die betreffenden Dokumente auch „in Papierform bei der Kanzlei oder der betreffenden Nebenstelle“ einreichen könnten. Damit seien alle greifbaren Kanzleien gemeint, d.h. die Parteien hätten die Wahl bei welcher Kanzlei oder Nebenstelle (gemäß Art. 10 EPGÜ befindet sich die Kanzlei beim Berufungsgericht, bei allen Lokal- und Regionalkammern sowie der Zentralkammer sind Nebenstellen eingerichtet) sie die betreffenden Dokumente einreichen dürften.
  • Da die Nichtigkeitsklage um 11:26 eingereicht wurde, die Verletzungsklage aber erst um 11:45, war erstere bereits erhoben, als die Verletzungsklage einging.

Die Entscheidung vermag in der Sache zu überzeugen, in der Begründung jedoch nicht vollständig. Die kleinste zeitliche Einheit im gewerblichen Rechtsschutz ist üblicherweise ein Tag. Wenn nun, wie hier geschehen, auf die Uhrzeit abgestellt wird, so ist dies in gewisser Weise ein Systembruch. Ähnlich wurde zu Recht die Entscheidung T517/97 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, wonach ein Beitritt zu einem Einspruch, der am selben Tag, jedoch einige Stunden später, wie die Rücknahme des Einspruchs durch den Einsprechenden, eingereicht wird, nicht wirksam ist, zu Recht kritisiert.

Stattdessen hätte Richter Kupecz auch argumentieren können, dass Art. 33(4) – aufgrund der zeitlichen Rangfolge - verlangt, dass die Verletzungsklage mindestens einen Tag vor der Einreichung der Nichtigkeitsklage erhoben wird; dies macht es auch für zukünftige Nichtigkeitskläger einfacher festzustellen, an welche Kammer des Einheitlichen Patentgerichts sie sich wenden müssen.

Fazit und Ausblick

Für das Gericht war die Entscheidung sicherlich nicht einfach, war es doch – aufgrund der Unfähigkeit, ein funktionierendes elektronisches Fallbearbeitungssystem bereitzustellen – an der zugrundeliegenden Konstellation nicht ganz unschuldig. Derartige Fälle werden hoffentlich in der Zukunft nie oder so gut wie nie wieder vorkommen.

In der Sache ist der vorläufige Einspruch aber noch nicht beendet, es wurde Berufung zugelassen, die dem Vernehmen nach auch eingereicht wurde. Es wird abzuwarten sein, wie das Berufungsgericht entscheidet.

Aber auch wenn das Berufungsgericht am Ende den vorläufigen Einspruch zurückweist, ist dies noch nicht „das Ende vom Lied“, für die Klägerin gibt es zahlreiche Möglichkeiten zu reagieren und es wird abzuwarten sein, inwieweit diese davon Gebrauch machen wird.

Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft
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