Reformpläne zur Modernisierung des Unterhaltsrechts
I. Kindesunterhalt
Beim Residenzmodell wird kein Reformbedarf gesehen. Gleiches gilt für das Wechselmodell. Hier soll es bei der Rechtsprechung des BGH2 zur Berechnung der Haftungsanteile der Eltern verbleiben. Erbringt ein Elternteil nach der Trennung über den Umgang am Wochenende hinaus wesentliche Betreuungsleistungen auch im Alltag des Kindes (sog. asymmetrisches Wechselmodell), gibt das Gesetz derzeit keine klare Orientierung bei der Ermittlung des zu leistenden Unterhalts. Umfasst der Betreuungsanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils zum Beispiel 48 % so wird von der Rechtsprechung nach derzeitiger Rechtslage lediglich eine Herabstufung um eine oder mehrere Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle vorgenommen.3 Bei einem bereinigten Einkommen von 1900 € des Barunterhaltspflichtigen wirkt sich dies für ihn finanziell nicht aus, während eine hälftige Betreuung nahezu zum Wegfall der Zahlungspflicht führt.Zukünftig sollen sich alle Fälle zwischen 30 % und 49 % der Mitbetreuung spürbar auf den zu leistenden Unterhalt auswirken. Die Ermittlung des Betreuungsanteils soll in der Regel durch Zählung der Übernachtungen erfolgen.
Wenn die Zahl der Übernachtungen sich im Einzelfall als untaugliches Beurteilungskriterium erweist, da beispielsweise die Betreuungsleistung nur tagsüber erbracht werden kann, soll eine angemessene Einordnung dadurch erfolgen, indem auch andere Kriterien (Übernahme der Betreuung bei Krankheit des Kindes, Organisation der Freizeit, Wahrnehmung von Terminen in der Schule, beim Arzt etc.) berücksichtigt werden.
Nach Vorstellung des BMJ soll die Berechnung des Kindesunterhaltes, wenn das Einkommen beider Eltern über dem angemessenen Selbstbehalt (1.650 €) liegt in 6 Schritten erfolgen.
1. Schritt: Ermittlung des Bedarfs des Kindes anhand der Düsseldorfer Tabelle
Der Bedarf des Kindes nach der Düsseldorfer Tabelle ergibt sich aus dem zusammengerechneten Einkommen beider Eltern.
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH gilt dies unabhängig vom Betreuungsanteil der Eltern.4 Diese Rechtsprechung soll nach dem Willen des BMJ eine Klarstellung im Gesetz erfahren.
Das Eckpunktepapier des BMJ sieht keinen Auskunftsanspruch des barunterhaltspflichtigen Elternteils gegenüber dem betreuenden Elternteil vor. Ein solcher ergibt sich nach derzeitiger Rechtslage nicht aus dem Gesetz, sondern wird von der Rechtsprechung aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet.5 Sowohl zur Bedarfsbestimmung als auch zur Berechnung der Haftungsanteile ist es daher dringend geboten, einen solchen Auskunftsanspruch in das Gesetz mit aufzunehmen.
Beispielhaft ergibt sich bei einem Einkommen des Kindesvaters i.H.v. 4000 € und einem Einkommen der Kindesmutter i.H.v 2000 € und damit bei einem Gesamteinkommen i.H.v 6000 € für ein 8 Jahres altes Kind ein Unterhaltsbedarf nach der Düsseldorfer Tabelle i.H.V. 844 €.
2. Schritt: Pauschaler Abzug beim Kindesbedarf
Für die wesentliche Mitbetreuung ist ein Abschlag beim Bedarf des Kindes in Höhe von 15 % vorgesehen. Durch diese Pauschale soll berücksichtigt werden, dass ein Teil des Kindesbedarfs, z. B. betreffend Nahrung, Verkehr, Freizeit, Bildung, im Haushalt des mitbetreuenden Elternteils gedeckt wird und es dadurch auch zu einer Ersparnis beim hauptbetreuenden Elternteil kommt. Diese Einsparungen machen nach Einschätzung des BMJ 45 % des Mindestbedarfs aus, wobei als Ausgangspunkt die Bestandteile des Bedarfs nach dem RBEG6 herangezogen werden. Das BMJ legt einen pauschalen Betreuungsanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils von 33 % zugrunde und multipliziert diesen Betrag mit den Einsparungen i.H.v 45 %. Daraus folgt ein Abzug von 15 %. Nach Ansicht des BMJ stellt dies keine Kürzung des Bedarfs des Kindes dar, er werde vielmehr in zwei Haushalten „erfüllt“. Es erfolge keine Verrechnung der Haftungsanteile, weil nicht der ganze Bedarf in zwei Haushalte anfällt. Dies habe zur Folge, dass Einmalbedarfe wie z.B. ein Handyvertrag von dem Elternteil getragen werde muss, der den Kindesunterhalt erhält.
Bei dem o.g. Beispiel ergibt sich ein Abzug i.H.v. 126,60 € (15% von 844 €). Es verbleibt ein Bedarf von 844 € - 126,60 € = 717,40 €.
3. Schritt: Ermittlung der Haftungsanteile
Da jeder Elternteil nur im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehaltes i.H.v. 1.650 € haftet, wird sein Haftungsanteil nach der im Unterhaltrechtsrecht gängigen Methode7 ermittelt. Bei einem Einkommen des Kindesvaters i.H.v. 4000 € und einem Einkommen der Kindesmutter i.H.v 2000 € ergibt sich folgender Haftungsanteil des Vaters:
(4.000 € – 1.650 €) / (4.000 € + 2.000 € – 3.300 €) = 2.350 € / 2.700 € = 0,87.
4. Schritt: Modifikation des Haftungsanteile in Ansehung der Betreuungsanteile
Der Haftungsanteil des Barunterhaltspflichtigen und ein Betreuungsanteil, der pauschaliert in Höhe von einem Drittel angesetzt wird,8 werden kombiniert, um die erhöhten Kosten des mitbetreuenden Elternteils abzubilden. Nach der Beispielrechnung9 des BMJ wäre danach folgende Berechnung durchzuführen:
(Haftungsanteil nach Schritt 3 (hier 0,87) + Betreuungsanteil) / 2 = (0,87 + 0,67 = 1,54) / 2 = 0,77.
5. Schritt: Ermittlung des geschuldeten Betrags
Der modifizierte Haftungsanteil (Schritt 4) wird mit dem modifizierten Kindesbedarf (Schritt 2) multipliziert; so wird ein konkreter Geldbetrag ermittelt. Bei dem vorgennannten Beispiel ergibt dies einen Betrag von 0,77 × 717,40 € = 552,40 €.
6. Schritt: Abzug Kindergeld:
In einem letzten Schritt wird das Kindergeld, wenn es an den hauptbetreuenden Elternteil ausbezahlt wird, zur Hälfte vom Haftungsanteil in Abzug gebracht und auf diese Weise zwischen den Eltern aufgeteilt. Das Ergebnis ist der Betrag, den der andere Elternteil erhält: 552,40 € – 125 € = 427 €.10
Nach bisheriger Rechtslage ermittelt sich der Bedarf des Kindes anhand des Einkommens des allein barunterhaltspflichtigen Elternteils. Die Mitbetreuung kann dadurch berücksichtigt werden, dass dieser Bedarf um eine, zwei oder mehr Stufen der Düsseldorfer Tabelle bis maximal zur Höhe des Mindestunterhalts herabgesetzt werden kann. Das steht letztlich im Ermessen des Gerichts. Je nach Sachlage kann auch keine Herabstufung erfolgen.
Der Bedarf im o.g. Beispiel kann somit 683 € (keine Herabsetzung), 643 € (Herabsetzung um eine Stufe) oder 603 € (Herabsetzung um zwei Stufen) betragen. Reduziert um das halbe Kindergeld (125 €) würden sich folgende Zahlbeträge ergeben: 558 €, 518 € oder 478 €.
Bei einem Einkommen des betreuenden Elternteils unterhalb des angemessenen Selbstbehaltes von 1.650 € soll sich der Unterhaltsbedarf des Kindes allein nach dem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils bestimmen. Dadurch soll der Mindestunterhalt nicht gefährdet sein, da der Bedarf in dieser Höhe durch den betreuenden Elternteil in Form von Naturalunterhalt gedeckt ist.
Auch hier soll der Bedarf um den durch die Betreuung gedeckten Anteil in Höhe von 15 % gekürzt werden. Das Kindergeld wird entsprechend der bisherigen Rechtslage sodann zur Hälfte vom Zahlbetrag in Abzug gebracht.
Nach dem vorgenannten Beispiel ergäbe sich folgender Unterhaltsanspruch:
Unterhaltsbedarf nach Düsseldorfer Tabelle 683 € abzüglich 15 % (= 102,45 €) = 580,55 € abzüglich ½ Kindergeld (125 €) = aufgerundet 456 €.
Nach bisheriger Rechtslage schuldet der Unterhaltspflichtige jeweils den Bedarf nach seinem Einkommen, vermindert um das halbe Kindergeld und herabgestuft um 1, 2 oder mehr Stufen der Düsseldorfer Tabelle. Ob und in welchem Umfang eine Herabstufung erfolgt, steht stets im Ermessen des Gerichts. Vorliegend ergibt dies einen Kindesunterhalt i.H.v. 518 € (im Fall der Herabstufung um eine Stufe) und 478 € (im Fall der Herabstufung um zwei Stufen). Eine Herabstufung unter den Mindestunterhalt erfolgt nicht.
II. Reform des Betreuungsunterhalts
Auch der Betreuungsunterhaltsanspruch in nichtehelichen Beziehungen ist nach Auffassung des BMJ reformbedürftig.Der Betreuungsunterhalt geschiedener und nichtehelicher Paare ist im BGB unterschiedlich geregelt. Unterschiedliche Regeln gelten insbesondere für die Frage, ob auf Unterhalt verzichtet und eine Abfindungszahlung geleistet werden kann; ferner hinsichtlich der Verwirkung und der Vererbbarkeit von Betreuungsunterhaltsansprüchen.
Diese Ungleichbehandlung ist nach Meinung des BMJ letztlich nicht begründbar. Auch die Ermittlung der Höhe des Unterhaltsanspruchs bei nichtehelichen Paaren sei reformbedürftig. So sind für das Maß des Unterhalts bei geschiedenen Ehegatten die Einkommen beider Elternteile relevant, während bei nicht verheirateten Elternteilen nur auf das Einkommen des betreuenden Elternteils abgestellt wird. Das sei gerade bei jahrelangen Beziehungen mit gemeinsamen Kindern nicht mehr zeitgemäß, die zuvor als Familie zusammengelebt haben.
Die Regeln zum Betreuungsunterhalt sollen vereinheitlicht werden. Die nicht gerechtfertigten Unterschiede zwischen dem Betreuungsunterhalt bei geschiedenen und bei nichtehelichen Paaren sollen beseitigt werden.
Vorgesehen ist:
- Die Regelung des § 1615l BGB weist an verschiedenen Stellen Wertungswidersprüche auf, indem auf Regelungen des Verwandtenunterhalts verwiesen wird, obgleich eine vergleichbare Lebenslage nicht vorliegt. Insbesondere sind Vereinbarungen kaum und Abfindungszahlungen nicht möglich. Dies soll geändert werden.
- Die Situation des die gemeinsamen Kinder betreuenden nichtverheirateten Elternteils soll deutlich verbessert werden.
Ist die Lebenslage des nichtverheirateten Elternteils vergleichbar mit der eines geschiedenen Elternteils, so sollen für die Höhe des Unterhaltsanspruchs in beiden Fällen die gleichen Maßstäbe gelten. Bislang richtet sich der Unterhaltsbedarf des nichtverheirateten bedürftigen Elternteils nach seinem Einkommen. Künftig soll bei Vergleichbarkeit der Lebenslagen auch das Einkommen des anderen Elternteils einbezogen werden. Vergleichbar sind z. B. Beziehungen, in denen die Eltern vor der Trennung über einen längeren Zeitraum zusammengelebt und für das Kind oder die Kinder gemeinsam gesorgt haben.
Liegt keine vergleichbare Lebenslage vor, soll gegenüber der aktuellen Rechtslage ebenfalls eine Besserstellung erfolgen: Der Mindestunterhalt des nichtverheirateten Elternteils soll sich am Ehegattenmindestselbstbehalt11 und nicht mehr am notwendigen Selbstbehalt12 orientieren.
• Auch in weiteren Einzelvorschriften soll eine Vereinheitlichung erfolgen. So sei z. B. die bisherige Ungleichbehandlung hinsichtlich der Verwirkung, des Einsatzes von Vermögen und der Vererbbarkeit nicht begründbar. Beabsichtigt ist die Schaffung einer einheitlichen, d. h. nur noch am Ehegattenunterhalt ausgerichteten, und stimmigen Regelung zum Betreuungsunterhalt.
III. Regelung des notwendigen Selbstbehalts
Der notwendige Selbstbehalt soll erstmals im BGB geregelt werden. Die jeweilige Höhe soll – wie der Mindestunterhalt13 – durch Rechtsverordnung alle zwei Jahre geregelt werden.Als einzige inhaltliche Änderung soll die Bestimmung der angemessenen Wohnkosten künftig auf die Regelung zum Wohngeldgesetz Bezug genommen werden, um die großen regionalen Unterschiede abzubilden. Damit wird in angespannten Wohnungsmärkten mit teuren Mieten der Selbstbehalt höher ausfallen als bisher. Sinnvoller Anknüpfungspunkt könnten hier die Mietniveaustufen gemäß der Anlage 1 zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung14 sein.
Aus der Anlage 1 zu § 12 Wohngeldgesetz ist die maximal zu berücksichtigende Miete für einen Einpersonenhaushalt in den jeweiligen Mietstufen zu entnehmen. So wird z.B. die Stadt Fulda in Stufe II mit einem Höchstbetrag i.H.v. 381 €, die Stadt Frankfurt am Main in Stufe VI mit einem Höchstbetrag i.H.v. 575 € eingeordnet.
Schlussendlich soll in § 1603 Absatz 2 BGB klarstellend aufgenommen werden, dass dem Verpflichteten der notwendige Selbstbehalt verbleiben muss.
Familienrecht
Fußnoten
1 https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/Eckpunkte_Unterhaltsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [Stand 23.09.2023].
2 Vgl. BGH FuR 2017, 208.
3 BGH FamRZ 2014, 917; OLG Koblenz NJW-Spezial 2021, 548; OLG Frankfurt FamRZ 2023, 45; OLG Brandenburg FamRZ 2023, 1116.
4 vgl. BGH FamRZ 2017, 437; FamRZ 2017, 711; FamRZ 2021, 28; FamRZ 2021, 1965; FamRZ 2022, 1366.
5 BGH FamRZ 1988, 268.
6 Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ab dem Jahr 2021 (Regelbedarfsermittlungsgesetz - RBEG).
7 Leitlinien der Oberlandesgerichte Ziff. 13.3.
8 Die Feststellung des tatsächlichen Betreuungsanteils ist innerhalb des asymmetrischen Wechselmodells somit nicht erforderlich.
9 https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/Eckpunkte_Betreuungsrecht_Anlage-2.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [Stand 23.09.2023].
10 Der Unterhaltsbetrag ist auf volle Euro zu runden, Leitlinien der Oberlandesgerichte Ziff. 25.
11 derzeit 1.385 €.
12 derzeit 1.120 €.
13 Vgl. § 1612a BGB i.V.m. der Mindestunterhaltsverordnung.
14 BGBl. I 2022, 2166.
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