Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Kontext des notariellen Nachlassverzeichnisses
Recht & Verwaltung02 Januar, 2024

Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Kontext des notariellen Nachlassverzeichnisses: Teil I.

Ulf Schönenberg-Wessel, Rechtsanwalt und Notar (Amtssitz Kiel)

Wird der Erbe durch die pflichtteilsberechtigten Nichterben im Streitfall auf Auskunft in Anspruch genommen, so endet dies in vielen Fällen mit einem Antrag an den Notar, er möge eines notarielles Nachlassverzeichnisses nach § 2314 BGB errichten. Der Notar errichtet die maßgebliche Urkunde unter Berücksichtigung der zum Umfang der Ermittlungspflichten des Notars ergangenen Rechtsprechung. Dabei agiert der Notar „lediglich“ als Hilfsperson des Erben zur Erfüllung seiner Auskunftsverpflichtung nach § 2314 BGB.1 Der Erbe bedient sich des Notars als weitere Erkenntnisquelle, um sich eigenes Wissen zu verschaffen und dieses zu vervollständigen. Aufgrund der Fachkunde des Notars soll das notarielle Nachlassverzeichnis hinsichtlich der beauskunfteten Sachverhalte eine höhere Gewähr der Vollständigkeit und Richtigkeit haben.Der Notar wird den tatsächlich vorhandenen Nachlass zur Berechnung des Pflichtteilsanspruchs und den sogenannten fiktiven Nachlass zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ermitteln müssen. Der Notar entscheidet unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach freiem Ermessen, welche konkreten Ermittlungen er bei der Errichtung eines notariellen Nachlassverzeichnisses veranlasst. Er wird sich dabei stets daran zu orientieren haben, welche Ermittlungen ein objektiver Dritter in der Lage des Pflichtteilsberechtigten für notwendig erachten würde.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch wahrt den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf das Mindestmaß an Teilhabe am Nachlass des Verstorbenen und schützt ihn vor einer Entwertung seines Anspruchs durch lebzeitige unentgeltliche Vermögensübertragungen durch den Erblasser.2 Der Schenkungsbegriff in § 2325 BGB deckt sich grundsätzlich mit dem vom Gesetzgeber in § 516 Abs.1 BGB verwandten Begriff.3 Danach müssen eine objektive Bereicherung des Dritten und die subjektive Einigung über die objektive Unentgeltlichkeit der Zuwendung vorliegen. Maßgeblich ist die beim Zuwendungsempfänger eingetretene Bereicherung.4 Gegenstand der Zuwendung können alle vermögenswerten Positionen des Schenkers sein.5 Hier runter zu fassen sind auch einem Verzicht auf etwaige Ansprüche oder das bloße Unterlassen der Durchsetzung eines bestehenden Anspruchs.6 Die Zuwendung einer vermögenswerten Position kann durch Rechtgeschäft oder tatsächliches Handeln erfolgen.7

Praxishinweis: Eine nachträgliche Vereinbarung über die Entgeltlichkeit einer Schenkung kann zulässig sein, mit der Folge, dass der Pflichtteilsberechtigte dann keine Ergänzungsansprüche mehr herleiten kann.8 Dies gilt jedoch nur, solange zwischen Leistung und Gegenleistung kein auffallendes, grobes Missverhältnis besteht.9 Die nachträgliche Vereinbarung über die Entgeltlichkeit ist Ausfluss der Vertragsfreiheit der Beteiligten. Danach ist auch eine Vertragsänderung zulässig, durch die für eine bereits vollzogene Übertragung von Vermögenstücken ein anderer Rechtsgrund festgelegt wird.10 Das Gesetz schränkt die Verfügungsbefugnis des Erblassers zu dessen Lebzeiten nicht ein. Der Pflichtteilsberechtigte wird nicht vor Übertragungen des Erblassers geschützt, für die der Erblasser ein Äquivalent erhält. Dies gilt selbst dann, wenn der Erblasser das Äquivalent zum Zeitpunkt des Erbfalles vollständig verbraucht hat. Der Schutz des Pflichtteilsberechtigten ist vielmehr ausschließlich auf Schenkungen beschränkt.11

Der Erbe hat dem Pflichtteilsberechtigten auf Verlangen Auskunft über sämtliche abstrakt pflichtteilsrelevante Zuwendungen des Erblassers zu erteilen.12 Die Auskunftsverpflichtung des Erben umfasst auch Anstands- und Pflichtschenkungen des Erblassers nach § 2330 BGB.13 Bei ausgleichpflichtigen Zuwendungen ist die Auskunft vom Erben über den gesamten im Einzelfall in Betracht kommenden Zeitraum zu erteilen. Die Auskunft ist nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren vor dem Erbfall beschränkt.14 Der Notar hat den Erben über weitreichende Auskunftspflicht zu belehren und sämtliche Zuwendungen, bei denen der Verdacht auch nur einer gemischten Schenkung15 besteht, in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen. Dabei sind sämtliche für die Beurteilung der rechtlichen Qualifikation einer Zuwendung notwendigen Informationen, wie etwa die Person des Zuwendungsempfängers, das genaue Leistungsdatum, die zur Beurteilung wesentlichen Vertragsbedingungen und etwaige weitere Umstände in das Verzeichnis aufzunehmen.16 Auch streitige oder ungeklärte Verfügungen des Erblassers sind mit in das notarielle Verzeichnis aufzunehmen, wenn eine Schenkung bzw. ausgleichpflichtige Zuwendung zumindest möglich erscheint.

Praxistipp: In der Folge dieser Rechtsprechung sind alle Verfügungen des Erblassers in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen, bei denen eine Schenkung nicht auszuschließen ist. Dies hat zur Folge, dass etwa auch unklare Barabhebungen in das Verzeichnis aufgenommen werden müssen.

Im Folgenden sollen werden typische Verfügungen dargestellt werden, bei denen Pflichtteilsergänzungsansprüche nicht ausgeschlossen werden können.

Einräumung von Rückforderungsrechten bei lebzeitiger Vermögensübertragung

In Überlassungsverträge werden häufig vertragliche Rückforderungsrechte vereinbart. Diese dienen als Vorsorge für wesentlichen Störungen im Verhältnis zwischen Übergeber und Übernehmer. Der Übergeber wird hierdurch in die Lage versetzt, unter den vereinbarten Umständen den Überlassungsgegenstand vom Übernehmer zurückzufordern. Rückforderungsrecht werden im Westlichen als auflösende Bedingung, als Widerrufsvorbehalt oder als vertragliches Rücktritts- bzw. Rückforderungsrecht vereinbart. Die vertraglich vereinbarten bzw. vorbehaltenen Rechte regeln unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen die Voraussetzung für die Rückabwicklung und die Rechtsfolgen des Rückerwerbs.17

Die Zuwendung ist mit dem Wert der Zuwendung in die Berechnung einzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Wert der Zuwendung später erhöht, vermindert oder der Vermögenswert zum Zeitpunkt des Erbfalles nicht mehr im Vermögen des Zuwendungsempfängers befindet. 18 Dies gilt jedoch nicht, wenn sich der Überlassungsgegenstand nach Ausübung eines Rückforderungsrechts wieder im Vermögen des Erblassers befindet und der Berechtigte die Zuwendung nicht auf Dauer behalten durfte.19

Der Vorbehalt eines Rückforderungsrechts ist im Rahmen der Pflichtteilsergänzung zu berücksichtigen. Ist der Erblasser zum freien Widerruf seiner Schenkung berechtigt bzw. ist die Rückforderung allein vom Wollen des Erblassers abhängig beginnt die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht zu laufen.20 Liegen die das Rückforderungsrecht auslösenden Ereignisse außerhalb des Einflussbereichs des Schenkers, beginnt die Frist des § 2325 Abs.3 BGB in dem Augenblick zu laufen, in dem der Erblasser den Vermögensverlust erlitten hat, bei Grundstücksüberlassungen also mit Eintragung im Grundbuch.21

Der Notar hat im Rahmen der Ermittlungen zum notariellen Nachlassverzeichnis daher zunächst zeitlich unbegrenzt alle Schenkungen des Erblassers unter Rückforderungsvorbehalt zu ermitteln und in die Urkunde aufzunehmen. Ferner sind zunächst auch diejenigen Überlassungen zu ermitteln, in denen der Erblasser sein Rückforderungsrecht ausgeübt hat. Die Schenkungen sind nur dann nicht in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen, wenn die Frist des §2325 Abs. 3 BGB unzweifelhaft abgelaufen ist. Im Zweifelsfall sind die Schenkungen unter Wiedergabe des Rückforderungsrechts in die Urkunde mit aufzunehmen.

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Quellen

1 BGH, Urt. 01.12.2021 -IV ZR 189/20
2 BGHZ 157, 178; 185, 252; MüKoBGB/Lange BGB § 2325 Rn. 1; Griesel, Aktuelle Probleme der Pflichtteilsergänzung S. 19.
3 Reimann ZEV 2018, 198; Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Pawlytta Handbuch Pflichtteilsrecht § 7 Rn. 11.
4 RGZ 128, 187; BGH NJW 1961, 604; 1981, 1956; Spellenberg NJW 1986, 2531.
5 MüKoBGB/Koch § 516 Rn.5.
6 Burandt/Rojahn/Najdecki BGB § 516 Rn 5; a.A: Groll/Rösler, Erbrechtsberatung, C VI Rn 300; Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Pawlytta § 7 Rn 11.
7 MüKoBGB/Koch BGB § 516 Rn 5.
8 Kronexl, ZEV 2003, 196, 197.
9 BGH NJW -RR 2007, 803; Burandt/Rojahn/G.Müller BGB § 2325 Rn 36.
10 BGH NJW-RR 2007, 803; Soergel/Dieckmann BGB § 2325 Rn. 7; MüKoBGB/Kollhosser § 516 Rn 21.
11 BGH NJW-RR 2007, 803, 804.
12 BGH NJW 21984, 487; ZEV 2011, 366; 2012, 478, 479; OLG Schleswig ZErb 2012, 168.
13 BGH NJW 1992, 564; MüKoBGB/Lange § 2330 RN. 8; Palandt/Weidlich BGB § 2314 Rn. 9.
14 Cornelius ZEV 2005, 286, 287.
15 BGH NJW 1984, 487, 488; OLG Schleswig ZErb 2012, 168.
16 BGH NJW 1962, 245; OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 917; Palandt/Weidlich BGB § 2314 Rn. 9; MAH erbR/Horn § 29 Rn 343.
17 Weidlich MittBayNot 2015, 193.
18 Palandt/Weidlich BGB § 2325 R. 8.
19 BGH NJW-RR 2007, 803, 804 OLG München ZEV 2007, 493, 495; Weidlich MittBayNot 2015, 193, 194.
20 Diehn, DNotZ 2009, 68, 70.
21 Herrler ZEV 2008, 526; Diehn DNOtZ 2009, 68; Weidlich MittBayNot 2015, 193, 195; a.A. OLG Düsseldorf ZEV 2008, 525.

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